Die drei schwarzen SUVs warteten vor dem Botschaftsgebäude in der gebogenen Einfahrt. Tom Wagner und sein Kollege Jakob Leitner standen jeweils vor einem der Wagen und warteten auf ihre Passagiere. Tom war ungeduldig und sah mehrmals auf seine Uhr. Er konnte nicht schnell genug nach Kairo kommen. Er hatte den ganzen Nachmittag darauf verwendet, sich auf diesen Trip vorzubereiten. Nicht etwa auf den Auftrag des Kanzlers. Nein, Tom hatte sich jede freie Minute damit beschäftigt, Noah zu retten. Er hatte genauestens das Dossier studiert, das ihm Ossana gegeben hatte und auch eine Kopie an seinen Kontakt in Ägypten übermittelt.
Den Kanzler benutzte er nur als Mittel zum Zweck, um so schnell und so unkompliziert wie möglich nach Kairo zu gelangen. Und er hatte nicht einmal ein schlechtes Gewissen dabei. Schließlich war es der Einsatz gewesen, der dem Kanzler das Leben gerettet und Noah ein Leben im Rollstuhl beschert hatte. Der Kanzler schuldete ihm das, sagte sich Tom. Er war sich nicht sicher, ob der Kanzler noch in seiner Schuld stand. Hatte er ihn doch schon aus so mancher Patsche geholfen. Jeder andere wäre schon mehrmals gefeuert worden, bei all den Vorkommnissen, die er sich im Laufe seiner Karriere bei der Cobra geleistet hatte. Aber bei Noah musste er sich definitiv noch revanchieren.
Als der österreichische Bundeskanzler Konstantin Lang aus dem Gebäude kam, öffnete Tom die Tür des Wagens und ließ ihn einsteigen. Er stieg zu ihm in den Wagen und schloss hinter sich die Tür. Sein Bein zuckte nervös auf und ab und er blickte wieder auf die Uhr.
„Alles klar mit dir?“, fragte ihn der Bundeskanzler.
„Ja - alles OK - können wir dann los?“, wandte er sich ungeduldig an den Fahrer.
Im zweiten und dritten Wagen hatte der Rest der Wirtschaftsdelegation Platz genommen, die zu den Gesprächen nach Kairo mitflogen. Der Bau der neuen Hauptstadt, 45 Kilometer außerhalb Kairos war eine große Chance für internationale Aufträge. Und da wollte auch Österreich Anteil nehmen. Die drei Wagen fuhren los und machten sich auf den Weg zum Dulles International Airport. Dort wartete ein luxuriöser Privatjet eines österreichischen Großindustriellen, der die Wirtschaftsgespräche eingefädelt hatte und wenn alles so lief, wie Konstantin Lang sich das vorstellte, einen enormen wirtschaftlichen Vorteil für Österreich bringen würde. Nach umfangreichen Reformen war der Wirtschaftsaufschwung in Ägypten deutlich spürbar. Internationale Geldgeber investierten Hunderte Milliarden in das neue, aber sehr umstrittene Bauprojekt. Und von diesem Kuchen wollte sich Herr Lang ein Stückchen für Österreich abschneiden.
Der Flug verlief großenteils ereignislos. Nur einmal gab es ein paar Turbulenzen. Aber nicht nur wetterbedingt, sondern auch innerhalb der Kabine sollten sich die Gemüter erhitzen. Aber der Großteil der Delegation hatte ihren Spaß. Der Jet des Magnaten wartete mit allem nur erdenklichen Luxus auf. Eine Bar, Speisen à la carte wie in einem 3-Sterne-Restaurant, Wohnzimmeratmosphäre und ein eigener Kinoraum waren die Highlights des Luxusflugzeuges. Doch Tom interessierte das alles nicht. Er saß abseits von den anderen und las in Ossanas Akte, als Konstantin Lang zu ihm kam und sich mit einem Glas Wein in der Hand in einen der riesigen Polstersessel, Tom gegenüber, niederließ. Er krempelte seine Ärmel nach oben und lockerte seine Krawatte.
„Tom, komm schon, leg das weg und entspann dich ein wenig. Das ist eine Geschäftsreise, keine Bildungsreise“, sagte Lang, der heute schon entspannter wirkte als noch vor zwei Tagen, als er Tom um seine Hilfe gebeten hatte.
„Wenn die Gefahr schon gebannt ist, dann brauchst du mich ja nicht mehr“, witzelte Tom etwas schnippisch.
„Was soll mir denn hier schon passieren? Wir sind doch hier unter Freunden“, sagte Lang und sah sich mit ausgebreiteten Armen um. So wie es aussah, hatte der Wein schon ein wenig seine Wirkung entfaltet, ging es Tom durch den Kopf.
„Konstantin, ich will ehrlich zu dir sein“, sagte Tom nach einer längeren Pause und klappte die Akte zu.
„Ich bin nur hier, weil Noah meine Hilfe braucht, er ist in großen Schwierigkeiten und ich bin der Einzige, der ihm helfen kann.“
„Was soll das heißen?“
„Das soll heißen, dass ich einen schnellen und unkomplizierten Flug nach Kairo gebraucht habe und da hast du dich angeboten. Es tut mir leid.“
„Aber Tom, das kannst du nicht machen. Wir hatten einen Deal und ich erwarte von dir, dass du ihn einhältst.“ Der Bundeskanzler war plötzlich wieder sehr förmlich.
„Ist dir Noah denn egal? Denk nur mal daran, warum er im Rollstuhl sitzt.“
„Das mag schon sein. Es tut mir außerordentlich leid für ihn und ich werde ihm ewig dankbar sein, aber ich brauche dich dort. Ein Deal ist ein Deal. Du machst deinen Dienst und wenn ich wieder in der Botschaft bin, kannst du dann machen, was du willst.“ Etwas verärgert stand der Kanzler auf und ging zurück zu seinen Kollegen.
Tom wollte noch etwas nachschießen, entschied sich aber dafür, fürs Erste den Mund zu halten und das Beste aus der Situation zu machen. Es würde morgen nur ein paar Stunden dauern und in der Zwischenzeit konnte Toms Verbündeter, der in Kairo zu ihm stoßen würde, alle Vorbereitungen treffen. Am Abend, wenn der Kanzler wieder in der Botschaft war, würde er sich Ossanas Auftrag widmen.
Nach einiger Zeit legte Tom die Akte zur Seite und nutzte den Rest des Fluges um eine Mütze Schlaf zu bekommen. Morgen würde ein langer Tag werden. Er streckte sich in dem luxuriösen Liegesessel aus und löschte das Licht. Im vorderen Bereich der Maschine war die Party noch immer im vollen Gang, als Tom seine Augen schloss.
Nachdem die Maschine, früh am nächsten Morgen in Kairo gelandet war, sie die diplomatischen Formalitäten hinter sich gebracht hatten und zu ihren Limousinen gebracht wurden, entschuldigte sich Tom für einen Moment und ging auf einen Mann zu, der außerhalb des VIP-Parkplatzes auf ihn wartete.
Es war niemand geringerer als sein Freund François Cloutard.