Der Großteil der Kameraden schlief tief und fest. Rund um den Eingang des Bergwerks waren Zelte aufgebaut, die aber keineswegs ausreichten. Sie hatten Verstärkung holen müssen, denn es waren ein Haufen Schätze, die hier abtransportiert werden mussten. Seit rund drei Tagen trugen seine Leute hier unaufhörlich Kunstwerke, die die Nazis seit ihrer Machtübernahme in den Dreißigerjahren zusammen gestohlen hatten, aus dem Stollen. Mit LKWs wurden diese Schätze dann auf schnellstem Wege an die Küste gebracht, wo ein USA-Kriegsschiff sie nach Amerika überstellte. Captain Jack Gordon führte die sogenannten Monuments Men an, also die Sondereinheit der amerikanischen Armee, die sich um das Auffinden der Nazi-Schätze kümmerte. Und Captain Gordon hatte ein Geheimnis. Gordon war nicht nur Soldat, sondern er war - wie einige andere Männer innerhalb der Monuments Men auch - Kunsthistoriker. Er war aber nicht Experte für die Kunst der Neuzeit, des Barocks oder der Renaissance, sondern er war Professor für Ägyptologie an der Harvard Universität. In einem der Seitenstollen hatte er einen Fund gemacht, der niemanden der anderen Kollegen interessierte. Bei all den Gemälden, den Skulpturen, den Tapisserien, den antiken Möbeln, den Perserteppichen und dem Gold- und Juwelenschmuck, den sie hier fanden, interessierte sich niemand für den Haufen Kisten mit alten Schriftrollen.
Außer Captain Gordon. Der war nämlich stutzig geworden, als er die Kisten sah, die die Aufschrift Österreichisches Archäologisches Institut - Ephesos - Arsinoe trugen. In der kommenden Nacht war er allein in das Bergwerk gegangen und hatte die Kisten durchforstet. Obwohl die Quecksilbersäule weit unter dem Gefrierpunkt lag und sie seit Wochen bis auf die Knochen durchgefroren waren, war Captain Gordon urplötzlich heiß geworden. Er hatte nicht glauben können, was er hier in den Händen hielt. Am nächsten Tag hatte er den Direktor des Smithsonian Museums in Washington informiert und der wiederum kontaktierte Präsident Harry S. Truman persönlich. Truman war alles andere als ein Schöngeist und Kunstinteressierter und er hatte in diesen Tagen weiß Gott genug anderes zu tun, aber die Wichtigkeit dieser Sache war auch ihm sofort bewusst gewesen. Captain Gordon wurde angewiesen, die Kisten nicht aus den Augen zu lassen, bis eine Sondereinheit von Marines in Altaussee eintraf und die Kisten in Gewahrsam nahm. Diese Nacht war nun gekommen. Gordon führte die Marines in den Stollen und die Männer erledigten ihren Job schnell und lautlos. Während alle anderen schliefen, beluden sie ihre beiden Trucks und waren in rund zwei Stunden wieder verschwunden. Captain Gordon blutete das Herz. Er hätte liebend gern selbst die Inhalte der Kisten eingehend erforscht. Und er versuchte dies auch. Als er nach Kriegsende wieder in den Staaten war, versuchte er den Weg der Kisten nachzuvollziehen. Er kontaktierte das Smithsonian, wanderte die Befehlskette bei den Marines nach oben und schrieb sogar dem Präsidenten. Von den Kisten, die - so glaubte zumindest Captain Gordon - Teile der Bibliothek von Alexandria in sich trugen, fehlte aber jede Spur.