Axt
»Aaargh!«
Marcel brüllte aus vollem Hals, gleichzeitig schwang er die rote Feuerwehraxt mit aller Kraft in einem Rundbogen über den Kopf von oben nach unten. Die Klinge traf den Schädel des Zombies, spaltete ihn mit einem saftigen Krachen. Die Leiche brach zu Marcels Füßen zusammen, er schüttelte sie mit einer lässigen Bewegung von dem Axtkopf.
Marcel begann, sich langsam, aber sicher in diese Feuerwehraxt zu verlieben. Sein G3 hatte er leider in diesem beschissenen Supermarkt verloren. Aber das Baby hier ist ein guter Ersatz.
Adäquat, kam es von Deniz.
Ja, geraucht hat er auch.
Zu seiner Linken hob Sievers gerade eine Zombiefrau, eine lange Dürre in Lehrerklamotten, mittels Hüftgriff über ihren Kopf hoch. Sie knallte deren Schädel direkt auf den Asphalt. Rechts rammte Conrad den Kolben seiner MP einem anderen Zombie in die Birne, während Leif neben ihm auf einen weiteren Untoten einhämmerte. Irgendwo hinter ihm passte Miriam auf Sarah auf.
Marcel fühlte sich lebendig. Mit jedem Meter, mit jeder Auseinandersetzung, mit jeder Keulerei mit den Zombies spielte sich die Gruppe besser aufeinander ein.
Das Muskelweib Sievers trat einem Zombie im Blaumann in die Seite. Der Untote flog in eine Handvoll seiner Artgenossen, schon lagen die Kreaturen auf dem Boden.
Sie waren in der Frankenallee, an der Kreuzung mit der Hufnagelstraße, nur noch wenige Blocks von ihrem Ziel entfernt. Die Fahrräder hatten sie im Dunkel einer Bahnunterführung vielleicht einige Hundert Schritt hinter ihnen zurücklassen müssen. Mit ihnen war hier kein Durchkommen mehr möglich.
Was einst eine wohl schöne Straße mit langen Baumreihen gewesen war, hatte sich in ein Trümmerfeld verwandelt. Die Bäume waren abgebranntes, totes Holz, überall lagen Autowracks. In Panik hatten wohl einige Fahrer ihre Wagen um die Baumstämme gewickelt.
Besser als Ringelpiez mit Anfassen.
Halt die Klappe!
Marcel schwang die Axt, hieb einem Zombie den halben Schädel weg. Unablässig kamen weitere der verdammten Drecksviecher auf die Gruppe zu.
Ein Schrei ließ ihn herumfahren. Es war Sarah.
Direkt an der Kreuzung befand sich der abgezäunte Schulhof einer Grundschule. Deutlich erkennbar an den Spielgeräten.
Marcel war irritiert. Wieso gibt es in Frankfurt so viele Schulen? Jedes zweite Gebäude scheint eine verdammte Schule zu sein.
Frankfurt legt eben Wert auf gute Allgemeinbildung.
Ich hab gesagt, halt die Klappe!
Leider war auch diese Grundschule nicht von Zombies verschont geblieben. Ein gutes Dutzend trieb sich auf dem Pausenhof herum. Einem Zombie war es gelungen, Sarah an den Haaren zu packen, wohl in einem Moment der Unaufmerksamkeit. Weitere Zombies scharten sich um den Untoten und grapschten ebenfalls nach Sarah. Miriam hielt sie an den Händen und bemühte sich verzweifelt, sie aus dem Griff der Kreaturen zu befreien, doch Marcel, der die Berserkerkräfte der Untoten zur Genüge kannte, wusste schon, dass dieses Tauziehen nur auf eine Weise enden konnte.
Er packte die Axt mit beiden Händen und rannte los, ignorierte die lauten Flüche von Leif und Conrad. Das blendete er alles aus. Nur sein Ziel war wichtig.
Noch wenige Meter. Miriam stemmte sich mit den Füßen gegen den Zaun. Jetzt hatte ein weiterer Untoter Sarah an der Schulter gepackt. Alles schien verloren, gleich würde die Frau Miriams Griff entgleiten. Die Untoten würden sie über den Zaun zerren und in Stücke reißen.
Dann war Marcel da. Er schwang die Feuerwehraxt. Der Axtkopf beschrieb einen weiten roten Bogen, traf den Kopf des vordersten Zombies und riss ihm den größten Teil des Schädels weg.
Sieht jetzt fast aus wie ein Pfefferminzspender.
Würg! Das ist eklig.
Die erschlaffende Leiche ließ umgehend Sarahs Haare los. Marcel drehte die Axt in den Händen und rammte den Axtsporn in den Kopf des nächsten Untoten, der sich zu weit vorgewagt hatte.
Endlich war Sarah frei, Miriam zog sie von dem Zaun weg.
Die Untoten heulten. Marcel wusste, dass das unmöglich war, doch er meinte, Enttäuschung zu hören. Er brüllte ihnen etwas entgegen, eine Mischung aus wortlosem Urschrei und lautem Lachen, und wandte sich dann neuen Problemen zu. Leif und Conrad verarzteten gerade ein Duo im Rot-Weiß von Rettungssanitätern, während Sievers den Kopf einer grau gekleideten Rentnerin im Wechsel gegen einen Baumstamm und eine Motorhaube drosch.
Das war ein absurder Anblick – und das wollte etwas heißen, nach dem Zombieclown in der Feuerwache von Bad Wildbad. Marcel konnte nicht anders, er kicherte. Jetzt blickte Miriam ihn verwirrt an, was ihn nur breiter grinsen ließ. Ihre Mundwinkel zuckten, dann fing sie auch an zu lachen.
Es war ein Lachen, in dem Marcel versinken konnte. Er liebte Miriam.
Kaum hatte er das gedacht, fuhr ihm die Bedeutung dieser Worte wie ein Stromschlag in die Glieder. Er liebte sie! Was für ihn ein völlig neues Gefühl war.
Natürlich, er hatte sie attraktiv gefunden. Marcel war schwer von Begriff, aber er war nicht blind.
Eine Frau, mit der man auf nur einem Kissen alt werden konnte, so hat mein Emmi das immer gesagt. Mehr als ein Kissen habt ihr auch nicht gebraucht.
Ruhe!
Was denn? Ich war die ganze Zeit still. Als ihr zwei zusammen wart, da habe ich überhaupt nichts gesagt.
Da bin ich auch sehr froh drüber.
Hey, Bruder vor Luder, aber wenn es zur Sache geht, dann wird einem nicht die Tour vermasselt. Das ist einfach nur würdelos.
In diesem Moment schleuderte die Biologin mit einem verächtlichen Schnauben die kopflose Leiche in einen Aschehaufen, der wohl mal eine große Hecke gewesen war. Leif zerhämmerte einem weiteren Zombie den Kopf, dann taumelte er einige Schritte zurück und ließ sich gegen ein Autowrack sinken. Er atmete schwer. Conrad ebenso. Der Soldat stand vornübergebeugt da, die Hände auf die Oberschenkel gestützt.
Hinter Marcel heulten die Untoten auf dem Schulhof.
»Lange halten wir das nicht mehr durch«, machte Miriam sich durch den Lärm hinweg bemerkbar.
Marcel nickte. »Bis jetzt haben wir Glück gehabt.«
Conrad richtete sich wieder auf. »Ist es noch weit?«
»Nicht wirklich.« Leif machte ein Geräusch irgendwo zwischen Würgen und Räuspern, dann deutete er die Straße entlang. »Wir müssen nur noch da vorne rechts abbiegen, dann sind wir schon am Ziel.«
»Dann weiter auf Schusters Rappen!«, bellte Conrad. »Los, los!«