Am nächsten Morgen erhielt Iskat die Nachricht, dass es als Padawan von Sember Vey ihre Pflicht sei, die Kammer ihrer Meisterin auszuräumen und ihre Angelegenheiten zu klären. Abgesehen davon, dass ihr diese Tradition bislang fremd gewesen war, war es ein seltsames Gefühl, Sembers Quartier zu betreten, ohne vorher anzuklopfen, und den Raum so still und leer vorzufinden. Da sie den größten Teil ihrer Zeit als Meisterin und Schülerin auf Reisen zugebracht hatten, konnte Iskat die Male, die sie durch diese Tür getreten war, an einer Hand abzählen, und willkommen hatte sie sich dabei nie gefühlt.
Drinnen gab es nicht viel zu sehen. Sember war eine sehr asketische Jedi gewesen und hatte auf jeglichen Schnickschnack oder Raumschmuck verzichtet. Ein einfacher Teppich, der den Steinboden wärmte. Ein einfaches Bett, ordentlich gemacht. Ein schlichter Kleiderschrank, in dem fein säuberlich aufgereiht Roben, Hosen und Umhänge hingen. Iskat faltete jedes Kleidungsstück zusammen und verstaute alles in der Lagerkiste, die man ihr gegeben hatte. Als die Bügel leer waren, zog sie die unterste Schublade auf und sah die Unterwäsche ihrer toten Meisterin vor sich. Sember war ihr gegenüber stets sehr distanziert gewesen, sodass allein schon der Gedanke daran, so sehr in ihre Privatsphäre einzudringen, Iskat mit tiefem Unbehagen erfüllte.
Nicht, dass das eine Rolle spielte. Iskat war über die Maßen pflichtbewusst, und nach einer Weile begann sie, dies als ein Geschenk an Sember zu betrachten, als Zeichen ihrer Wertschätzung für alles, was ihre Meisterin für sie getan hatte. Vielleicht war ihre Verbindung zueinander nicht perfekt gewesen, aber hätte Sember sie nicht zu ihrer Padawan-Schülerin erwählt, hätte es für sie im Jedi-Orden keinen Platz gegeben, und Iskat war dankbar dafür, hier zu sein.
Glücklicherweise war die Arbeit bald erledigt, und Iskat ging zu einer anderen Schublade über, in der sich die warme Kleidung befand, die sie auf Reisen in kältere Gefilde benötigten. Sie sortierte Mützen, Handschuhe und Schals und dachte daran, dass Sember es geliebt hatte, unterwegs lokale Garne zu entdecken, um daraus etwas für ihre Garderobe zu häkeln. Ein Teil von Iskat wollte etwas davon behalten, das sie an ihre Meisterin erinnerte, doch ihr war bewusst, dass es bei dem hier darum ging, Sember loszulassen.
Zu ihrer Überraschung stieß sie ganz hinten in Sembers Schublade auf einen länglichen Gegenstand, der in einen gehäkelten Schal aus einfacher, ungefärbter Wolle eingeschlagen war. Sofort war ihre Neugier geweckt. Was mochte die gestrenge, bescheidene Jedi-Meisterin Sember Vey in ihrem Besitz haben, von dem sie glaubte, es vor anderen verbergen und geheim halten zu müssen?
Iskat wickelte den Gegenstand aus und war erstaunt, dass es sich dabei um ein Lichtschwert handelte, das sie noch nie zuvor gesehen hatte.
Gleichwohl, in dem Moment, in dem sich ihre Finger um den Griff schlossen, überlief sie ein Schauer, als sie erkannte, dass dies nicht irgendein Lichtschwert war, sondern eins mit einem Heft, das genauso war wie bei ihrem: extra breit, für längere Finger gemacht, als sie die meisten Spezies besaßen.
Das Schwert lag perfekt in ihrer Hand.
Es zu halten, fühlte sich richtig an.
Sie aktivierte die Klinge und stellte erstaunt fest, dass sie gelb war.
Abgesehen von den Wächtern des Jedi-Tempels hatte sie noch nie jemanden mit einem Schwert in dieser Farbe gesehen.
Dieses Lichtschwert war etwas Besonderes. Es war dazu bestimmt, ihr zu gehören.
Es rief nach ihr.
Aber warum besaß Meisterin Vey ein zweites Lichtschwert, noch dazu eins mit einem Griff, der so breit war, dass menschliche Finger Mühe gehabt hätten, es zu führen? Warum hatte jemand, der Duelle nicht mochte und das Lichtschwerttraining vorzugsweise einer Übungssonde überließ, überhaupt ein zweites Schwert?
Gewiss, Besitz war den Jedi nicht untersagt. Sich an etwas zu binden, hingegen schon. Dass ihre Meisterin dieses Schwert hatte, deutete eindeutig auf eine gewisse Bindung hin, während der Umstand, dass sie es versteckt hatte, nahelegte, dass dies kein gewöhnliches Artefakt war. Nirgends in der Kammer oder an Bord des Schiffes, das sie miteinander geteilt hatten, gab es irgendwelche anderen Gegenstände von Interesse. Im Lauf der Jahre hatte Iskat Dutzende Schätze durch Sembers Hände gehen sehen, Objekte von immensem Wert und großer Schönheit, darunter Lichtschwerter, die viel verzierter und prachtvoller gewesen waren als dieses. Sie waren zusammen über Basare geschlendert, hatten Juweliere und Museen besucht, ohne dass Sember je mehr Begeisterung für ein bestimmtes Objekt gezeigt hatte als für die anderen. Warum also dieses Lichtschwert?
Dieses Rätsel faszinierte sie fast genauso sehr wie die Waffe selbst.
Iskat verstaute das Lichtschwert in ihrer Robe. Als sie sich in der leeren Kammer umsah, dessen gesamter Inhalt in eine einzige, unscheinbare Kiste passte, konnte sie nicht umhin, sich zu fragen, wie viele Gemächer im Tempel jetzt verwaist waren, wie viele Padawane gerade Kisten mit Kleidung füllten, die nie wieder getragen werden würde. So viele ausgelöschte Leben, und der Orden vergeudete keine Zeit, um zügig alles wegzuräumen, das an die Toten erinnerte. Würden jetzt neue Jedi, die von ihren Missionen nach Hause beordert wurden, diese Kammern übernehmen? Oder würde der sich anbahnende Konflikt immer mehr Opfer aus ihren Reihen fordern, sodass diese Zimmer irgendwann leer blieben? Sie hatte das Getuschel in den Fluren gehört und wusste, dass sie auf Geonosis fast zweihundert Jedi verloren hatten. Zweihundert Jedi, die sie nicht entbehren konnten.
Wenigstens hatte die Republik nach dem Kampf die Kontrolle über Geonosis übernommen. Wenigstens würden die Leichen der gefallenen Jedi geborgen und zum Tempel überführt werden, damit ihnen die angemessenen Bestattungsriten zuteilwurden. Zu wissen, dass Meisterin Vey nicht auf diesem fernen Wüstenplaneten verrotten würde, zurückgelassen von ebenjenem Orden, dem sie ihr ganzes Leben gewidmet hatte, linderte den Schmerz in Iskats Seele zumindest ein bisschen. Als sie die alte Kammer ihrer Meisterin schließlich zum letzten Mal verließ, überkam Iskat ein flüchtiger Anflug von Schuldgefühlen, weil sie das Lichtschwert an sich genommen hatte. Vielleicht hätte sie es in die Kiste mit Sembers Habseligkeiten legen oder Meister Klefan übergeben sollen. Doch etwas daran rief nach ihr, so wie es auch nach ihrer Meisterin gerufen haben musste.
Deshalb würde sie es behalten. Zu Ehren von Sember Vey.
Jedenfalls redete sie sich das ein.