Einen Moment später schoss ein stechender, pulsierender Schmerz durch Iskats Körper und ihren Geist, der ihr den Atem raubte und ihre Herzen stocken ließ.
Sie spürte es in ihrer Seele, in der Macht …
Tausende Leben, binnen Sekunden ausgelöscht.
Tausende Jedi, gerade noch da und jetzt … tot.
Es fühlte sich an, als würde ihr Herzschlag, dieses beruhigende Pochen im Hintergrund, das sie schon ihr ganzes Leben lang begleitete, von einer Sekunde zur anderen verstummen, um Schrecken, Pein und Grauen Platz zu machen – und schließlich einer grässlichen, leeren Stille.
Was war geschehen?
Warum …
Wer würde …
All diese Jedi, tot …
Sie konnte es einfach nicht fassen.
Iskat hielt ihre beiden Lichtschwerter in Abwehrposition, während sie sich den Klonen zuwandte, die soeben Sunghi ermordet hatten. Tualon, der neben ihr stand, wirkte genauso verwirrt wie sie.
»Hast du das auch gespürt?«, fragte sie ihn, während sie in die Mündungen von zwanzig Blastergewehren starrten.
»Sie haben Sunghi erschossen«, murmelte er. »Mehr muss ich nicht wissen.«
»Es ist noch viel schlimmer, Tualon. Sie haben … die Jedi getötet. Alle.«
Die Klone schwiegen, ihre Blaster im Anschlag, so als würden sie auf ein Signal warten.
»Captain Spider, was hat das zu bedeuten?«, bellte Tualon.
Spider antwortete nicht. Iskat spürte die Veränderung in ihm. Es war, als wäre der Mann, den sie seit so vielen Jahren kannte, fort, ersetzt durch jemand völlig anderen. Wie war das möglich?
Obwohl Tualon offenbar nicht das Gleiche gefühlt hatte wie sie, vertraute er ihr und wusste genauso gut wie sie, dass sie nicht mehr von Verbündeten, sondern von Gegnern umgeben waren.
Iskats Blick wanderte über die emotionslosen Visiere der Klone, die sie als ihre Freunde betrachtet hatte. Irgendetwas war geschehen, etwas Schreckliches, Tiefgreifendes, das sich nicht mehr rückgängig machen ließ. Sie würde kämpfen und, falls nötig, jeden Einzelnen dieser Klontruppler töten, denn sie hatte nicht vor, sich von diesen Soldaten kaltblütig erschießen zu lassen, die gerade noch auf ihrer Seite gekämpft hatten.
Sunghis Tod, die klaffende Wunde in der Macht, all diese Gedanken …
Das alles geschah binnen weniger Sekunden.
Und dann ließen Captain Spider und seine Männer plötzlich ihre Blaster sinken. Die Bewegung war so ruckartig und präzise, als wären sie genauso programmierte Droiden wie ihre Gegner von der Separatisten-Armee. Spider griff nach seinem Gürtel und holte seinen Holoprojektor hervor. Einen Moment später erschien das flirrende Abbild einer Gestalt, die Hände und das Gesicht im Schatten eines Kapuzenumhangs verborgen.
»Iskat Akaris«, sagte eine glatte, hochmütige Stimme.
»Wer bist …«, begann sie.
Doch er schnitt ihr das Wort ab. »Zweifelst du noch immer an der Weisheit des Jedi-Rats? Willst du endlich die Fähigkeiten ausleben, die du so lange unterdrücken musstest – die Leidenschaft, die die Jedi für unziemlich und gefährlich halten? Willst du sehen, was sie dir so selbstsüchtig vorenthalten haben, damit du eine Marionette schwacher, niederer Wesen bleibst? Willst du … frei sein?«
Die Stimme hielt inne. Iskat wagte kaum zu atmen.
Dann fuhr der Mann in verführerischem Ton fort: »Willst du mehr über deine Mutter wissen? Über Feyra? Darüber, wie sie starb und welche Rolle der Jedi-Orden dabei spielte?«
»Iskat, was ist hier los?«, fragte Tualon neben ihr. Entsetzen und Verzweiflung strahlten von ihm aus, während er versuchte, sich auf dies alles einen Reim zu machen. »Wer ist das?«
Sie war froh, dass sie sein Gesicht in diesem Moment nicht sehen konnte. Und auch, dass er ihres nicht sah.
Sie ließ ihren Blick über die Blaster schweifen, die jetzt zwar gen Boden zeigten, sie jedoch jeden Moment in einem Plasmagewitter niederstrecken könnten.
Sie schaute zu Sunghis Leichnam hinüber, zusammengesunken in der Asche, die General Grievous und seine Armee zurückgelassen hatten.
Iskat fühlte die Galaxis um sich herum – und die Abwesenheit der Jedi, die sie großgezogen und geleitet hatten.
Dann konzentrierte sie sich auf ihr Inneres, auf die klaffende Leere, auf die alles verschlingende Einsamkeit, die sie schon ihr ganzes Leben begleitete, selbst wenn sie von jenen umgeben war, die behaupteten, ihre Familie zu sein.
Sie erinnerte sich an den Traum, an die Vision eines Mädchens, das genauso aussah wie sie, das ihr Lichtschwert hingeworfen hatte und in die Dunkelheit davonlief.
Wieder fühlte sie dieses Ziehen in ihrer Seele, das schon die ganze Zeit über an ihr nagte, sie drängte, sich ihrer Leidenschaft und ihrer Neugier hinzugeben, statt blind den Entscheidungen der Jedi zu vertrauen. Diesen Teil von sich, der endlich frei und ungebunden sein und sich nicht länger verstecken wollte. Dieses Flüstern, das sie lockte und versprach, sie mit offenen Armen willkommen zu heißen.
Iskat traf ihre Entscheidung.
»Ja, ich zweifle an den Jedi, und ich werde immer wissen wollen, was andere vor mir zu verbergen versuchen.«
Nach einer kurzen Pause sagte die Gestalt mit merklicher Zufriedenheit: »Bringt sie zu mir.«
»Was ist mit Tualon?«, fragte Iskat.
»Captain Spider, die Order 66 ist nach wie vor in Kraft«, erklärte die Stimme. »Alle Jedi müssen sterben.«
Mit einem statischen Knistern erlosch das Hologramm.
Tualon legte ihr eine Hand auf die Schulter. »Iskat, wer immer das war, führt Böses im Schilde. Du darfst jetzt nicht schwach werden. Du bist eine Jedi. Wir müssen kämpfen – zusammen.«
Sie griff nach seiner Hand …
Und schob sie von ihrer Schulter.
Ja, sie hatte den Großteil ihres Lebens Gefühle für Tualon gehegt, doch er hatte sie nie erwidert. Nicht einmal, als sie ihm gezeigt hatte, wer sie wirklich war … nicht einmal, als sie zweimal ihre Missionen gerettet hatte … nicht einmal, als sie seinen Ruf gerettet hatte, indem sie ein Risiko eingegangen war, vor dem er selbst zurückschreckte … nicht einmal da hatte er die wahre Iskat gesehen.
»Tut mir leid, Tualon. Aber jedes Mal, wenn ich dir zeigen wollte, wer ich wahrhaftig bin, hast du mich gedrängt, jemand anders zu sein. Spürst du es denn nicht? Die Jedi sind tot. Alle, die wir je kannten, sind tot! Der Jedi-Orden ist Geschichte. Und ich lasse nicht zu, dass mich dasselbe Schicksal ereilt.«
Er versuchte nicht, sie aufzuhalten, als sie einen Schritt vor ihm zurückwich. Mehrere Klone lösten sich aus dem Kreis und gingen links und rechts von ihr in Position, um sie aus der Schusslinie zu eskortieren. Das Schiff war bereits in Sicht, und als es wenig später zwischen den zersplitterten Bäumen landete, wirbelten Wolken aus Asche und schwarzer Erde in die Luft empor. Iskat näherte sich mit hoch erhobenem Kopf der Rampe, wie eine Königin, die auf ihren Thron zuschritt. Sie hatte keine Ahnung, was hier vorging oder warum dies alles passierte, aber sie wollte das, was die Gestalt ihr angeboten hatte, mehr als etwas je zuvor in ihrem Leben.
Außerdem war sie definitiv nicht gewillt zu sterben.
Was immer das hier zu bedeuten hatte, was immer hier gerade passierte, war in jedem Fall besser als die Alternative.
Besser als der sofortige Tod.
Ganz gleich, was man sie gelehrt hatte, Iskat war nicht bereit, eins mit der Macht zu werden.
Sie hatte so oft darüber nachgegrübelt, wie es wohl wäre, die Jedi hinter sich zu lassen, und jetzt …
Wenn es keinen Orden mehr gab, was war eine Jedi dann noch?
Nur eine einsame Fanatikerin in der Weite der Galaxis, die in die Mündung eines Blasters starrte.
Jemand hatte Himmel und Hölle in Bewegung gesetzt, um dieses … dieses Massaker zu arrangieren.
Allmählich setzten sich die Teile des Puzzles in ihrem Kopf zusammen.
Ihr Team war nur eines von vielen gewesen, das im Outer Rim willkürliche Überfälle überprüfen und, falls möglich, General Grievous dingfest machen sollte.
Man hatte die Jedi vom Tempel fortgelockt, hinaus in die galaktische Wildnis, wo sie mit ihren vermeintlich treuen Klonen allein waren.
Man hatte sie wie Vieh zur Schlachtbank geführt.
Möglicherweise war Iskat die Einzige, der man eine Alternative angeboten hatte.
»Iskat!«, rief Tualon ihr nach. Er stand noch immer in dem Kreis aus Klontrupplern und erhobenen Blastern.
Sie blieb stehen und drehte sich um, um einen letzten Blick auf den gut aussehenden Twi’lek zu werfen, den sie seit ihren Jünglingstagen so bewundert hatte.
»Kommt.« Captain Spider legte ihr seine behandschuhte Rechte auf den Ellbogen.
»Iskat, tu das nicht!«, beschwor Tualon sie. »Du wolltest Sember auf Geonosis nicht zurücklassen. Ich weiß, wie sehr das an dir nagt. Bist du wirklich bereit, mich hier einfach meinem Schicksal zu überlassen?«
Iskat schüttelte traurig den Kopf. Es war zu spät, um an ihr Gewissen zu appellieren – oder an ihre Herzen, die er im Laufe der Jahre wieder und wieder gebrochen hatte, ohne es auch nur zu merken. Iskat wünschte, sie hätte früher erkannt, wie naiv und töricht es gewesen war, ihn anzuhimmeln.
Er war nicht der perfekte Jedi, für den sie ihn immer gehalten hatte.
Er war nur jemand, der auf Kosten des Blutes, des Schweißes und der Tränen derer, die ihm unterstanden, unberechtigten Ruhm einheimste.
Nur ein weiterer lächelnder Lügner.
Aber vielleicht waren alle Jedi so.
Iskat wusste, dass er nie wirklich etwas für sie empfunden hatte, genauso wenig wie Sember.
Abgesehen davon war es ja auch nicht so, als hätte sie ihn retten können. Sie konnte sich ja nicht einmal selbst retten. Ganz gleich, wie fähig sie auch waren, gegen so viele Klone hätten sie selbst zu zweit keine Chance.
»Leb wohl, Tualon. Du warst bis zum Ende ein wahrer Jedi. Ich weiß nicht, ob ich von mir dasselbe behaupten kann. Vielleicht war das auch nie meine Bestimmung. Aber ich werde es herausfinden.«
Iskat wandte den Blick ab und schottete sich in der Macht von ihm ab – es fühlte sich an, als würde eine Kerzenflamme ganz plötzlich erlöschen. Sie wollte nicht, dass er die Härte in ihren Herzen spürte. Und sie wollte nicht fühlen, wie er starb, ganz gleich, wie sehr er sie enttäuscht hatte, ein weiteres Leben, ausgelöscht wie all die anderen. Sie war heute schon mit zu viel Tod konfrontiert worden.
Während die Klone sie an den gespalteten schwarz verkohlten Baumstämmen vorbei zum Schiff führten, trug der aschegeschwängerte Wind das Brummen von Tualons Lichtschwert an ihre Ohren, gefolgt von jaulendem Blasterfeuer. Dann hatte er also beschlossen zu kämpfen. Vermutlich hatten die Klone gewartet, bis Iskat in sicherer Entfernung war, ehe sie das Feuer auf ihn eröffneten. Der Gedanke schmerzte sie, aber es war zu spät. Sie hatte ihre Wahl getroffen.
Asche knirschte unter ihren Stiefeln, als sie die Rampe emporstieg und sich zur Arrestzelle des Schiffes bringen ließ. Der Raum war wenig mehr als ein zweckentfremdeter Schrank mit einer Bank, gerade lang genug, dass man sich darauflegen konnte. Iskat hatte nicht einmal gewusst, dass es an Bord eine solche Zelle gab; bislang hatte sie angenommen, die schmale Tür gehöre bloß zu einem weiteren Lagerraum. Die Truppler durchsuchten sie, ohne dabei übermäßig grob mit ihr umzuspringen, und nahmen ihr alle drei Lichtschwerter ab, außerdem ihr Datenpad und ihren Rucksack. Zu ihrer eigenen Überraschung wehrte Iskat sich nicht. Schließlich wurde die Tür geschlossen und verriegelt, und sie blieb allein zurück, benommen, isoliert, verwirrt. Abgesehen von dem wenigen Licht, das von draußen hereindrang, umgab sie Dunkelheit. Auch hören konnte sie nichts; offenbar war die Zelle schalldicht. Aber sie konnte die Klone immer noch wahrnehmen: Sie saßen ruhig und schweigsam auf ihren Plätzen. Sie hatten etwas Abgestumpftes, Mechanisches an sich. Was auch immer sie dazu gebracht hatte, Sunghi und Tualon zu töten, hatte sie verändert.
»Wohin bringt ihr mich?«, rief sie, obwohl sie wusste, dass sie keine Antwort erhalten würde.
Ihr blieb nichts anderes übrig, als zu warten, während das Schiff startete und in den Hyperraum sprang. Vermutlich könnte sie die Macht nutzen, um die Tür aufzubrechen, aber sie wusste, dass sie sich keinen Ausweg aus dieser Situation freikämpfen konnte. Sie hatte sich hierfür entschieden – was immer das hier auch sein mochte –, und obwohl man nicht gerade respekt- oder würdevoll mit ihr umging, hatte sie doch instinktiv das Gefühl, dass die kapuzenverhüllte Gestalt aus dem Hologramm ihren Teil der Abmachung einhalten würde. Die Jedi hatten ihr nie Antworten versprochen, bloß inneren Frieden. Der Fremde hingegen stellte ihr die Wahrheit und ihre Freiheit in Aussicht, und das waren die beiden Dinge, nach denen Iskat Akaris sich am meisten sehnte.
Sie setzte sich auf die Bank und schloss die Augen. Meditation sollte einem dabei helfen, sich selbst und die Macht besser zu verstehen. Außerdem sollte sie es einem erleichtern, Emotionen zu kontrollieren, die zu groß und zu aggressiv waren, als dass ihr Körper sie allein zügeln könnte. Diesmal jedoch konzentrierte sich Iskat nicht darauf, von sich aus eine Verbindung zur Macht herzustellen, um sich und ihre galoppierenden Nerven zu beruhigen. Stattdessen öffnete sie ihren Geist und ihre Seele und ließ die Macht zu sich kommen. Und es funktionierte, wie bei einem Wasserhahn, der jahrelang bloß getröpfelt hatte und nun endlich voll aufgedreht wurde. Die Macht brandete über sie hinweg wie ein gewaltiger Strom, doch Iskat hatte keine Angst, dass dies zu viel für sie sein könnte. Das Gefühl war vergleichbar mit einem Rudel Hunde, das nach langer Abwesenheit freudig sein Herrchen in Empfang nahm. Sie spürte unendliches Potenzial in sich, eine frische Quelle, aus der sie Kraft schöpfen konnte. Gleichwohl, der Fluss der Macht wurde von dunklen Wirbeln durchzogen, und da waren Schatten, die sie noch nie zuvor wahrgenommen hatte. Iskat war noch nicht bereit, diese dunklen Orte zu erforschen, und hoffte, dass sie später dazu imstande sein würde, sich dieser neuen Erfahrung mit offenem Geist zu stellen. Doch dessen ungeachtet fühlte sie sich schon jetzt stärker und selbstbewusster als zuvor.
Jegliche Gedanken an Tualon schob sie weit von sich, genau wie den Gedanken an die Meister Uumay und Klefan, an den Hohen Rat, an die Jünglinge, die ihr im Laufe der Zeit an die Herzen gewachsen waren. Das alles lag nun hinter ihr. Der einzige Weg führte nach vorn. Was immer mit ihnen geschehen mochte, Iskat hatte keinerlei Einfluss darauf. Alles, was sie tun konnte, war, das Beste aus ihrem eigenen Schicksal zu machen.
Die Klone schoben regelmäßig Nahrungsrationen durch eine Klappe in der Tür, wenn auch gerade genug Wasser und Nutripaste, damit sie bei Kräften blieb. Keiner von ihnen sprach mit ihr; jegliche Kameradschaft war vergessen. Sie hatten nicht einfach nur neue Befehle erhalten – sie hatten sich regelrecht verwandelt. Iskat aß und trank, wann immer ihr Körper danach verlangte. Irgendwann stellte sie fest, dass man die Sitzfläche der Bank hochklappen konnte. Darunter kam eine Toilette zum Vorschein, was zumindest eine kleine Erleichterung für sie war.
Sie wusste nicht, wie viele Tage mittlerweile vergangen waren, aber sie verzehrte gerade die zweite Hälfte ihrer letzten Portion geschmackloser grauer Nutripaste, als sie unversehens eine unnatürliche Müdigkeit überkam. Sie schaffte es kaum noch, die Augen offen zu halten. Während sie verzweifelt versuchte, wach zu bleiben, öffnete sich die Zellentür, und grelles Licht blendete sie. Iskat spürte noch, wie grobe Hände nach ihr griffen, dann hatte sie der Bewusstlosigkeit nichts mehr entgegenzusetzen.
Als sie wieder zu sich kam, lag sie in einer anderen Zelle, ebenfalls klein und rechteckig und mit metallenen Wänden. Doch zumindest gab es hier ein winziges vergittertes Fenster dicht unterhalb der Decke, durch das trübe, milchige Helligkeit hereinfiel. Brandungsrauschen und der Geruch von Salzwasser und Mineralien deuteten darauf hin, dass sie sich in der Nähe eines kalten, unerbittlichen Ozeans befand. Noch immer hatte sie keine Lichtschwerter, keine ihrer persönlichen Habseligkeiten, nichts, womit sie sich waschen konnte. Die Zelle war unwesentlich größer als die vorige, aber an Bord des Schiffes hatte sie zumindest das Gefühl gehabt, sich auf ein Ziel zuzubewegen. Jetzt kam es ihr so vor, als hätte man sie lebendig begraben.
Sie fing an, sich zu fragen, ob die Gestalt aus dem Holo womöglich doch gelogen hatte; ob hier mehr im Gange war, als sie ahnte. Warum sollte jemand sämtliche Jedi auslöschen, jedoch eine Einzige von ihnen verschonen – und sie dann wegsperren? Wer immer dieser Mann war, er verfolgte einen bestimmten Plan. Vielleicht wartete er auf etwas. Schließlich brauchte ein Machtwechsel Zeit, und offensichtlich waren die Jedi nicht länger Teil der galaktischen Gleichung.
Sie dachte daran zu schreien, mit den Fäusten gegen die Tür zu hämmern oder die aufgestaute Wut in ihrem Innern zu entfesseln, um die Wand einzureißen, hinter der das Meer lag. Doch Iskat Akaris war schon früher auf die Probe gestellt worden, und sie hatte nicht vor, je wieder zu versagen. Falls dieser Unbekannte ihre mentale Belastungsgrenze ausloten wollte, musste er sich schon mehr Mühe geben. Eine Zelle allein genügte bei Weitem nicht, um sie zu brechen.
Obwohl sie nun ein kleines Fenster hatte, verlor die Zeit jegliche Bedeutung. Die Tage waren ungewöhnlich lang, weswegen sie noch weniger schlief als an Bord des Schiffes. Außerdem meditierte sie so oft und so intensiv, dass sie bald nicht mehr zu sagen vermochte, wie lange sie schon in den unergründlichen Tiefen der Macht versunken war. Die übrige Zeit verwandte sie darauf, sich körperlich fit zu halten; sie machte Liegestütze und Kniebeugen und Klimmzüge am Fenster. Wenn sie sich daran hochzog, konnte sie durch die Scheibe nach draußen sehen, aber da war nichts außer endlosem grauem Wasser. In unregelmäßigen Abständen wurden Mahlzeiten durch die Türklappe geschoben, die weiterhin nur aus Wasser und Nutripaste bestanden. Sie hatte mittlerweile erkannt, dass immer die Möglichkeit bestand, dass dem Essen Betäubungsmittel beigefügt waren, um sie außer Gefecht zu setzen. Sie war demjenigen, der sie gefangen hielt, vollkommen ausgeliefert. Dennoch aß und trank sie, was man ihr gab. Nicht weil sie der Gestalt aus dem Holo vertraute, sondern weil ihr klar wurde, dass ihr keine andere Wahl blieb. Sie tat, was nötig war, so wie schon ihr ganzes Leben.
Je länger sie über ihre Situation nachdachte, desto mehr erschien ihr dies alles wie eine Farce. Man hatte ihr Antworten und die Freiheit angeboten, aber alles, was sie bekam, waren Schweigen und eine Gefängniszelle. So hatte sie sich ihre zweite Chance nicht vorgestellt. Man verwehrte ihr jegliche Annehmlichkeiten und ließ sie hier in diesem dunklen Loch versauern, allein mit sich und ihren Gedanken.
Und Iskat Akaris’ Gedanken waren alles andere als angenehm. Sie waren dunkel und verzerrt und mutierten im Schlaf zu quälenden Albträumen. Dann hatte Iskat das Gefühl, als würde sie ertrinken, als würde sich die Luft selbst mit Schmerz füllen, als würden Leid und Pein durch die Wände in ihre Zelle sickern …
Vielleicht waren nur Tage verstrichen, vielleicht auch Wochen oder gar Monate, als sie auf die Überbleibsel der mehligen braunen Paste auf ihrem Teller hinabblickte und einmal mehr spürte, wie ihre Lider unversehens bleischwer wurden.
»Also schön«, murmelte Iskat. »Auf ein Neues.«
Sie schaffte es gerade noch, sich auf den Boden zu legen, bevor sie das Bewusstsein verlor.
Als sie wieder zu sich kam, erkannte sie sofort, dass sie sich wieder in der Arrestzelle eines Raumschiffes befand, vielleicht sogar an Bord desselben wie zuvor.
Ein halb wahnsinniges Lachen brach aus ihrer Brust hervor.
Das Ganze war einfach lächerlich.
Sie versuchte sich einzureden, dass dies immer noch Teil irgendeines seltsamen Tests war, dass man sie ganz bewusst so behandelte. Vor den traditionellen Jedi-Prüfungen – die sie nie wirklich abgelegt hatte – wurden die Padawane angehalten, einige Tage zu fasten und zu meditieren, um ihren Geist zu reinigen. Vielleicht sollte das hier denselben Zweck erfüllen; man hatte ihr alles genommen – ihre Waffen, ihre Ausrüstung, ihren Verstand –, und das Einzige, was ihr noch blieb, waren ihre Zweifel, ihre Sorgen, ihre Ängste. Manchmal gesellte sich auch Wut hinzu, der Hass auf die Dunkelheit und die Beengtheit ihrer Zelle. Aber sie schob diese Emotionen stets von sich und umklammerte ihr Amulett, während sie in ihrer erstarkten Verbindung zur Macht Ruhe und Trost suchte, in diesem herrlichen Strom, der nach so langem Warten endlich den Weg zu ihr gefunden hatte. In gewisser Hinsicht hatte sie fast zwanzig Jahre in einem mentalen Käfig verbracht – was machten da schon ein paar Tage körperlicher Gefangenschaft? Sie konnte fühlen, dass sie durch den Hyperraum flogen, doch sie bezweifelte, dass man sie einfach bloß zu einem neuen Gefängnis transportierte, als wäre das letzte nicht trostlos und grässlich genug gewesen. Vielleicht war inzwischen genügend Zeit vergangen, dass die Gestalt aus dem Holo die nächste Phase ihres Plans einläuten wollte. Vielleicht würde Iskat endlich Antworten bekommen, sobald sie diese Zelle und dieses Schiff verließ, und womöglich ja auch die Chance, sich darüber zu beschweren, wie man sie behandelte. Bei wem auch immer.
Als sie den Hyperraum irgendwann später tatsächlich verließen, löste sich Iskat aus ihrer tiefen Meditation und streckte ihre Machtsinne aus. Sie brauchte nur einen Moment, um zu erkennen, dass sie sich auf dem Weg nach Coruscant befanden; kein anderer Ort in der Galaxis barg so viel pulsierendes, geschäftiges Leben.
Brachte man sie zum Tempel zurück, der mittlerweile gewiss verwaist war?
Brachte man sie zum Senat oder zu irgendeiner anderen Regierungsbehörde?
Oder würde das Schiff zu den unteren Ebenen hinunterfliegen, dorthin, wo die Verbrecherbosse das Sagen hatten und Iskat zum ersten Mal erfahren hatte, wie es war, ein Leben ohne strikte Kontrolle zu führen?
Alles war möglich. Sie konnte bloß abwarten, wie es weiterging.
Schließlich landeten sie, und einige Minuten später öffnete sich die Zellentür. Iskat war bereits aufgestanden, die Hände an den Seiten. Vor ihr stand Captain Spider, das Gesicht unter seinem Helm verborgen. Er hielt ihr eine Augenbinde hin und wartete, während sie sie sich umband.
»Verlasst die Zelle.«
Iskat gehorchte, und Spiders Hand schloss sich eisenhart um ihren Oberarm, während er sie durchs Schiff und die Rampe hinab führte. Der Geruch und die Geräusche, die sie draußen empfingen, ließen keine Rückschlüsse darüber zu, wo genau sie war, aber die Lautstärke des Verkehrs auf den nahen Himmelsrouten verriet ihr zumindest, dass sie sich irgendwo auf den oberen Ebenen von Coruscant befinden musste. Die Klangkulisse erinnerte Iskat ein wenig an den Jedi-Tempel, groß und leer, war ihr ansonsten aber völlig fremd. Der Boden unter ihren Füßen bestand aus einem glatten Metallgitter, und nachdem man sie durch eine große Tür geführt hatte, betraten sie eine zweite, dem Echo nach zu urteilen, noch gewaltigere Halle. Iskat fühlte sich an ein Lagerhaus erinnert, an eins, das sich teilweise noch im Bau befand.
Während Spider sie weiterführte, begleitet von den schweren Schritten seiner Truppler, die im Gleichschritt neben ihnen hermarschierten, spürte Iskat plötzlich eine starke Präsenz, dunkel und pulsierend, wie ein schwarzer Felsen im Strom der Macht.
Sie gingen direkt darauf zu.
Auf ihn.
»Willkommen, Iskat Akaris«, sagte diese Gestalt mit klarer, grausamer Stimme, doch zu ihrer Überraschung war es nicht die aus dem Hologramm.
Iskat nickte knapp, sagte jedoch nichts. Sie hatte das Gefühl, dass ihre Worte unnötig waren.
Spider nahm ihr die Augenbinde ab.
Vor ihr stand ein Pau’aner in einer stilisierten schwarz-grauen Rüstung mit einem langen Umhang von der Farbe getrockneten Blutes, der sich perfekt in die riesige, industrielle Festung einfügte, die um sie herum in die Höhe ragte. Der Pau’aner hatte weiße Haut, burgunderrote Gesichtstätowierungen, gelbe Augen und spitze Zähne. Iskat begriff sofort, dass er einst zum Jedi-Orden gehört hatte, dann jedoch vom Weg abgekommen war und sich für ein anderes Leben entschieden hatte.
Genau wie sie.
Er streckte die Hände aus und hielt Iskat ihre drei Lichtschwerter hin. Als sie sie entgegennahm, fühlte es sich an, als würde sich ein klaffendes Loch in ihrer Seele schließen. Die grünen Klingen hakte sie an ihren Gürtel, doch das gelbe Schwert behielt sie in der Hand. Dieses Wesen … sie traute ihm nicht.
Nach all der Zeit, die sie allein und isoliert gewesen war, war sie nicht sicher, ob sie überhaupt jemals wieder irgendwem vertrauen würde.
»Bist du bereit, alles hinter dir zu lassen, was die Jedi dich lehrten, und endlich deinem eigenen Pfad zu folgen?«, fragte der Pau’aner. Ein Gefühl der Endgültigkeit schwang in seiner Stimme mit.
Iskat brauchte keine Sekunde nachzudenken, was sie darauf erwidern sollte.
Sie wartete schon ihr ganzes Leben darauf, dass jemand diese Worte an sie richtete.
»Ja«, sagte sie. »Das bin ich.«
Ob dem tatsächlich so war, würde sich erst noch zeigen müssen, doch sie beschloss, ihre Bedenken lieber unausgesprochen zu lassen.
Bei den Jedi hatte sie gelernt, dass es meist besser war, seine Zweifel für sich zu behalten.
Zuerst und vor allem ging es ihr darum, am Leben zu bleiben.
Mit einem unheilvollen Lächeln griff der Pau’aner hinter seinen Rücken, um ein rot glühendes Lichtschwert mit sichelförmigem Griff zum Vorschein zu bringen. Ohne sie aus den Augen zu lassen oder auch nur zu blinzeln, nahm er Kamphaltung an. Der purpurne Schein der Lichtklinge spiegelte sich in seinen gelben Augen.
»Dann willkommen bei der Inquisition!«