Iskat war nicht sicher, ob sie um Erlaubnis bitten sollte, bevor sie die Festung verließ, aber die Inquisitoren schienen generell nie um Erlaubnis zu bitten. Außerdem hatte der Großinquisitor erklärt, dass sie ihren eigenen Missionen nachgehen konnte; falls er sie brauchte, würde er sie finden. Die anderen waren oft fort, und wenn sie in die Festung zurückkehrten, streiften sie durch die Korridore wie desinteressierte Geister. Während Iskat ungeduldig darauf wartete, dass ihre zerschmetterte Hand heilte und sie wieder die Kontrollen eines Schiffes bedienen konnte, sah sie ihre Brüder und Schwestern nur während der Mahlzeiten oder wenn sie ihr zufällig auf dem Gang entgegenkamen. Ein paar redeten sogar mit ihr, und sie lernte zahlreiche neue Namen, sei es nun durch eine direkte Vorstellung oder aus zweiter Hand. Die Dowutin beispielsweise war die Neunte Schwester; der Miraluka, den sie früher als Jedi Prossett Dibbs gekannt hatte, trug den Titel Zehnter Bruder, und die gelbhäutige Frau wurde die Vierte Schwester genannt.
Wenn sie spätabends noch trainierte, hörte Iskat manchmal etwas, das wie Schreie klang und tief aus dem Innern des Wolkenkratzers stammte, den sie nun ihr Zuhause nannte. Als sie die Neunte Schwester danach fragte, trat ein abwesender Ausdruck in die Augen der Dowutin, und sie erzählte, dass Albträume hier nichts Ungewöhnliches waren, vor allem unter den Inquisitoren, die sich erst nach langer Umerziehung in ihre neue Rolle gefügt hatten. Im Stillen war Iskat stolz, dass bei ihr derartige Mittel nicht nötig gewesen waren. Ein paar Tage später sah sie nachts eine fremde Gestalt am Ende eines Korridors, aber das Wesen verschwand, bevor sie genauere Details erkennen konnte. Iskat wusste, dass es noch immer viele Inquisitoren gab, die sie nicht kannte, aber sie hatte den Fremden nicht in der Macht gespürt. Es war, als hätte sie einen Geist gesehen, und nach einer Weile sagte sie sich, dass vermutlich genau das geschehen war. Und selbst wenn sie es sich nicht nur eingebildet hatte – welchen Unterschied machte es schon? Iskat hatte längst aufgehört zu hoffen, dass sie einen Inquisitor treffen würde, der mehr als nur ein kaltblütiger Rivale war.
Sobald ihre Hand wieder einwandfrei funktionierte, packte sie ein paar Vorräte ein und marschierte zum Hangar, um die Scythe zu besteigen, dasselbe Shuttle, mit dem sie und der Großinquisitor nach Bar’leth geflogen waren. Für den Fall, dass die Bewohner ihrer Heimatwelt kein Basic sprachen, nahm sie außerdem 6-RA-7 mit.
»Ich habe nicht viel für ländliche Gegenden übrig«, ließ der Droide sie mit abgehackter Stimme wissen, als sie die Rampe hochstiegen. »Dort gibt es Erde und Sand und andere schädliche Substanzen. Ich werde ein Ölbad brauchen, sobald wir zurückkehren.«
Iskat ließ sich auf den Pilotensessel fallen und gab den Kurs nach Pkori ein. Die Welt lag fernab aller großen Hyperraumrouten, was bedeutete, dass mehrere kleinere, präzise Sprünge nötig wären, um dorthin zu gelangen. Während sie die Startvorbereitungen traf, wartete Iskat förmlich darauf, dass jemand die Rampe hochstürmen oder sie per Komm kontaktieren würde, um sie zu fragen, was sie hier tat und wo sie hinwollte.
Doch nichts geschah. Sie war nicht länger eine Jedi, sondern eine Inquisitorin, und Inquisitoren waren niemandem Antworten schuldig.
Sie war froh, dass sie ihr Datenpad eingepackt hatte, denn die Reise dauerte fünf Tage. Ein paarmal fühlte sie sich an ihre Zeit mit Meisterin Vey an Bord erinnert, und sie empfand beinahe so etwas wie Nostalgie – aber nur kurz, dann merzte sie diese unerwünschte Emotion hastig wieder aus. Erstens hatten die Jedi sie gezwungen, ihre wahre Natur zu unterdrücken, und zweitens waren jene Zeiten nie so angenehm gewesen, wie ihr Gedächtnis ihr einzureden versuchte. Sember hatte sie zurückgehalten und sie gedrängt, etwas zu sein, das sie nicht war. Zugegeben, sie hatten während ihrer gemeinsamen Jahre eine behagliche Routine entwickelt, aber da war keine Wärme gewesen, nichts, was eine Erinnerung wert wäre. Also schloss Iskat ihre Hand um das blaue Amulett und tauchte stattdessen in die tiefschwarze Grube ihrer Seele hinab, um über ihren Zorn zu meditieren. Über all die Zeit, die sie damit vergeudet hatte, es ihrer Meisterin recht machen zu wollen, obwohl ihre Beziehung nur auf Lügen und emotionaler Unterwerfung aufgebaut gewesen war.
Als das Schiff nach dem letzten Sprung aus dem Hyperraum zurückfiel und Iskat zum ersten Mal Pkori vor sich sah, musste sie blinzeln. Wie konnte es sein, dass dieser mysteriöse Ort genauso aussah wie tausend andere Welten: ein Flickenteppich aus Grün, Braun und Blau, über dem Wolken dahinzogen? Sie scannte die Oberfläche … ohne Ergebnis. Die Sensoren erfassten keine Technologie, kein Energienetzwerk, keine Fahrzeuge. Es schien nur eine große Siedlung zu geben, auf einem Kontinent, der von stürmischen grauen Ozeanen umgeben war, und Iskat nahm Kurs auf diese Stadt – oder zumindest hoffte sie, dass es eine Stadt war. Obwohl sie inzwischen aus mehreren Quellen wusste, dass ihr Volk keinerlei Interesse an der Raumfahrt oder an modernen Transportmitteln hatte, war sie trotzdem erstaunt über die absolute Stille, die sie beim Eintritt in die Atmosphäre empfing.
Es gab weder einen Raumhafen noch eine Raststation oder auch nur einen Landeplatz. Die Siedlung bestand aus dicht an dicht stehenden Gebäuden, und die Straßen dazwischen wären selbst für ein kleines Shuttle zu schmal gewesen. Iskat musste eine Weile kreisen, ehe sie schließlich ein Tal außerhalb der Stadt entdeckte, wo sie sicher aufsetzen konnte. Wollhaarige, vierbeinige Tiere eilten blökend davon, als sie landete, und nach ein paar Minuten trat ein Schäfer auf das Schiff zu, seinen Stab vorgereckt, als wäre es eine Waffe.
»Sechs-Err, wir haben es hier mit primitiven Wesen zu tun.« Der Droide drehte seinen großen, insektenartigen Kopf langsam zu Iskat herum. »Also sei höflich. Wir wollen niemanden beleidigen. Ich werde nämlich Hilfe brauchen, um zu finden, was ich suche.«
»Sie sind ein Inquisitor«, erinnerte 6-RA-7 sie. »Sie können sich nehmen, was immer Sie möchten. Wenn es den Einheimischen nicht gefällt, töten Sie sie.«
»Das ist eine persönliche Mission«, betonte Iskat. »Und ich befehle dir, nicht unhöflich zu sein.«
»Es gibt zahlreiche Abstufungen zwischen höflich und unhöflich …«
»Sei höflich!«
Die Einheit seufzte verärgert. »Das ist unter meiner Würde. Ich wurde für Übersetzungen, strategische Planung und Folter programmiert.«
»Das ist mir egal.«
Ein elektronisches Schnauben. »Ja, Sie sind eine Inquisitorin, keine Frage.«
Iskat streifte einen schwarzen Mantel samt Kapuze über ihre Roben und stieg die Rampe hinab, während der Droide lustlos hinter ihr herschlurfte. Ihre Rüstung und ihren Helm ließ sie an Bord, denn sie wusste nur zu gut, wie furchteinflößend ihre Uniform sein konnte; genau das war schließlich ihr Zweck. Aber diese Leute sollten nicht nervös sein, wenn sie ihnen gegenübertrat. Nun, jedenfalls nicht nervöser, als sie es ohnehin schon waren. Der Schäfer wedelte mit seinem Stab und schrie Iskat in einer Sprache an, die sie nicht beherrschte, voll von harten Klicklauten und rollenden R. Aber in ihren Ohren klang es wie Musik, und mit einem Mal verspürte sie eine tiefe, ungezähmte Sehnsucht nach einer Heimat, die sie nie gekannt hatte. Irgendwann einmal, vermutlich, noch bevor sie laufen gelernt hatte, hatte jemand in dieser Sprache zu ihr gesprochen – jemand, der sie liebte –, und ihr Körper erinnerte sich noch daran.
»Sechs-Err, übersetz das. Und bitte, sei präzise.«
»… meine armen Cochukka-Schafe«, begann der Droide gelangweilt. »Sie werden nur noch saure Milch geben! Was macht diese gottlose Monstrosität hier auf diesem Feld, auf meinem guten Gras …«
»Verzeihen Sie bitte«, sagte Iskat, und 6-RA-7 übersetzte die Entschuldigung in die Sprache des Schäfers. Abrupt ruckte der Kopf des Mannes hoch. Seine Augen weiteten sich erschrocken. »Ich habe keinen anderen Landeplatz für mein Schiff gesehen. Gibt es in der Stadt ein Archiv?«
»Du bist Pkorianerin, aber du beherrschst deine eigene Sprache nicht? Ist dieses Metallkonstrukt dein Freund? Kommst du von den Sternen?«
»Ich stamme von hier, aber ich wurde fortgebracht, als ich noch klein war.«
Er nickte lächelnd und deutete überschwänglich in Richtung der Stadt. »Nur zwei andere, die uns verlassen haben, sind zurückgekehrt. Komm, Kind. Es gibt Leute, die sicher mit dir reden möchten.«
»Wer?«
Er gluckste. »Deine Familie.«
Der Schäfer stieß einen Pfiff aus, woraufhin sich ein Junge von seinem Schlafplatz zwischen den Schafen erhob und gähnend herüberkam. Der ältere Pkorianer gab ihm seinen Stab und einige strenge Anweisungen und führte Iskat anschließend zur Siedlung. Ihr Weg führte erst über einen staubigen Trampelpfad, dann über wunderschöne Pflastersteine in verschiedenen Blautönen. Während sie dahinstapften, plapperte der Mann munter vor sich hin – über das Wetter, seine Cochukka-Schafe, den Stand, wo man in der Stadt den besten Umbikki-Eintopf bekam … Aus der Nähe betrachtet, strahlten die Gebäude hier eine bescheidene Schönheit aus, wie Iskat sie noch nie irgendwo gesehen hatte. Sie war an eine Welt aus glattem Plastahl und poliertem Stein gewöhnt, egal, ob nun elegant wie bei den Jedi oder grau und schwarz wie bei der Inquisition. Doch auf diesem Planeten schien alles von Hand errichtet zu sein, von Wesen, die offensichtlich wussten und liebten, was sie taten. Durch R6 begann der Schäfer, Iskat mehr über die Stadt zu erzählen, und zeigte stolz auf diesen Tempel, auf die Statue jenes Künstlers, auf den Laden des besten Käsers. Sie marschierten mehr als eine Stunde dahin, aber ihm schienen die Gesprächsthemen nie auszugehen. Irgendwann nickte Iskat nur noch, ohne wirklich zuzuhören. Soweit sie sehen konnte, war sie die einzige Person, die Schwarz trug, und viele der Einheimischen in ihren hellen, farbenfrohen Kleidern und Roben blieben stehen und starrten sie unverhohlen an. An jedem Ohr, jedem Hals, jedem Handgelenk glänzte Schmuck, und die Frauen trugen ihr Haar lang und offen. Zahlreiche Stimmen wisperten das Wort Jedi. Während sie weitergingen, erinnerte sich Iskat plötzlich daran, dass das Tuch, in das Feyras Lichtschwert ursprünglich eingewickelt gewesen war, exakt die gleiche Farbe gehabt hatte wie die Cochukka-Schafe.
Schließlich führte der Schäfer sie zu einem großen, sechseckigen Gebäude aus schimmerndem Elfenbein und Gold, und R6 übersetzte: »Da wären wir.«
Iskat wurde ein wenig nervös bei dem Gedanken, ihre Familie zu treffen, doch als sie ins Innere traten, wurde schnell klar, dass dies kein Wohnhaus war. Vielmehr handelte es sich um eine Bibliothek, ihre Regale angefüllt mit dicken, bunten Büchern. Während ihrer Zeit bei Sember hatte Iskat ein paar alte, abgenutzte Folianten gesehen, aber sie konnte kaum glauben, wie viele Texte hier versammelt waren und in welch hervorragendem Zustand sie sich befanden. Sember wäre außer sich gewesen vor Freude. Der Schäfer stellte Iskat die Bibliothekarin vor, als würde er zwei Halbgötter miteinander bekannt machen – mit vielen Verbeugungen und ausladenden Gesten. Anschließend zog er sich zurück.
»Du suchst deine Familie, Jedi?«, fragte die alte Frau mit sanfter Stimme. Sie trug Dutzende Armbänder auf beiden Seiten, die bis über ihre Ellbogen reichten und bei jeder eleganten Bewegung musikalisch klimperten.
»Ich bin Iskat Akaris, und ich glaube, meine Mutter heißt vielleicht Feyra.«
Nachdem 6-RA-7 die Worte übersetzt hatte, klappte der Mund der Bibliothekarin auf, und sie musste mehrmals blinzeln, ehe sie sich wieder gefasst hatte.
»Welch seltsame Magie«, murmelte sie. »Komm mit.«
Sie neigte den Kopf und führte Iskat und R6 zwischen den labyrinthartigen Regalen hindurch, die anscheinend willkürlich in dem großen Raum angeordnet waren. Als sie wieder stehen blieb, bedeutete sie den Besuchern mit einer Handbewegung, dass sie ihr Platz machen sollten, und begann mit einem ritualisierten Tanz, den Blick zur Decke gerichtet, als würde sie beten. Schließlich verharrte ihre Hand über einem Buch, das sie zu einem hölzernen, mit Schnitzereien verzierten Lesepult trug. Der Geruch von Gewürzen und Parfum erfüllte die Luft, und als die Bibliothekarin das Werk aufklappte, kamen platt gedrückte Blumen zwischen den halb durchsichtigen Seiten zum Vorschein. Bevor sie zu blättern begann, streifte die Pkorianerin Handschuhe über.
»Akaris. Das hier ist dein Stammbaum.« Sie deutete auf ein Gewirr von Symbolen, die Namen darstellen mochten, und ihr Finger folgte einer Linie zu einer Glyphe aus roter Tinte. »Iskat Akaris, den Jedi überantwortet, als sie ein Jahr alt war. Und das ist deine Mutter.« Sie tippte auf die Linie darüber. »Feyra Akaris, ebenfalls den Jedi überantwortet.«
»Ist meine Mutter hier?«, wollte Iskat wissen. Sie schaffte es nicht, die Aufregung aus ihrer Stimme zu verbannen. »Ist sie zurückgekehrt?«
Der behandschuhte Finger der Frau fuhr eine Textzeile nach. »Ihr Schicksal wurde nicht aufgezeichnet.«
»Wissen Sie, wer mein Vater ist?«
»Wir halten nur die mütterliche Blutlinie fest, denn sie ist die Einzige, bei der es keine Zweifel geben kann.«
Zorn ballte sich in Iskats Brust zusammen. »Ist das alles, was Sie mir sagen können? Ich bin hier, um mehr über meine Vergangenheit zu erfahren. Das ist nicht genug.«
Die Bibliothekarin maß sie mit einem anklagenden Blick. »Beleidige nicht den Baum, weil die Frucht sauer ist. Das Heim deiner Familie liegt nicht weit von hier entfernt. Deine Matriarchin lebt, und sie hat viele Verwandte unter ihrem Schutz. Vielleicht kann sie dir mehr verraten. Alles, was wir hier niederschreiben, sind die Geburten und Tode.«
»Können Sie mir dann verraten, wo ich meine … Matriarchin finde? Ich brauche Antworten.«
Die Frau blinzelte. »Die Jedi haben dich ungestüm gemacht. Geh zu deinem Familienbaum. Vielleicht kann dir die Matriarchin Manieren beibringen.«
Iskat versuchte, die spitze Bemerkung zu ignorieren. Es war wirklich ein Glück, dass sie gelernt hatte, ihre wahren Gefühle zu beherrschen, ansonsten hätte sie die Pkorianerin mit einem einzigen Schlag niedergestreckt – sie hätte dafür nicht mal das Lichtschwert hinter ihrem Rücken hervorziehen müssen. Und danach hätte sie vermutlich die Bibliothek in Brand gesetzt und beobachtet, wie alles niederbrannte. Aber sollte die Frau ruhig denken, was sie wollte; solange Iskats Fragen über ihre Vergangenheit beantwortet wurden, war alles andere nebensächlich. Nach Jahren der Neugier und der Ungewissheit würde sie endlich die Wahrheit erfahren.
Die Bibliothekarin zeichnete ihr eine Karte, und Iskat bedankte sich, bevor sie mit dem über Staub und Schmutz murrenden 6-RA-7 auf die Straße zurückkehrte. Das Leben auf diesem Planeten war langsam und schlicht. Alte Frauen saßen auf Treppen und versponnen Cochukka-Wolle zu Garn, während kleine Kinder Eidechsen jagten oder in Gärten, die vertikal aus weißen Hauswänden hervorragten, Unkraut jäteten. Mädchen polierten Perlen, hämmerten Metall oder flochten einander das lange Haar zu Zöpfen, während sie in ihren langen bunten Kleidern lachten. Männer riefen ihnen im Vorbeigehen Grüße zu und führten watschelnde Laufvögel und große rote Ochsen mit bemalten Hörnern durch die Straßen. Niemand hier schien militärisch ausgebildet zu sein oder sich Sorgen über eine Bedrohung von jenseits der Sterne zu machen. Iskat sah keine Blaster, keine Droiden, keine Schiffe. Nach allem, was sie auf Coruscant und anderen Planeten gesehen hatte, nach all dem Tod und der Zerstörung, die sie miterlebt hatte, fühlte sich dieser Ort realitätsfremd und albern an, so falsch und zweidimensional wie die Kulissen eines Theaterstücks. Und so nutzlos wie die bimmelnden Glocken um die Hälse der Cochukka-Schafe.
Und dennoch … gab es hier Schönheit.
Wie immer in einer neuen Umgebung überkam Iskat ein Gefühl der Faszination, und als sie sich der Macht öffnete, schlug ihr eine Woge erfüllten, üppigen, geradezu unschuldigen Lebens entgegen. Dieser Ort war so zerbrechlich, seine Bewohner so offen und verwundbar. Und niemand ahnte, dass sich gerade das gefährlichste Wesen auf dem gesamten Planeten in ihrer Mitte aufhielt.
Die Karte führte sie zu einem zweistöckigen Gebäude, in dessen Backsteinfassade schimmernde Steine ein buntes Mosaik formten. Die Häuser hier schienen nicht voneinander abgetrennt zu sein, vielmehr handelte es sich um eine Aneinanderreihung von Türmen und Säulengängen, verbunden durch Gärten und Höfe, mit einem ausladenden, schattenspendenden Baum in der Mitte. Iskat ging einmal im Kreis um den Komplex herum und suchte nach jemandem, den sie um Einlass bitten könnte; die Leute hier schienen großen Wert auf Manieren zu legen, und wenn sie Antworten wollte, durfte sie sie nicht vor den Kopf stoßen. Natürlich war ihr bewusst, dass sie sie alle abschlachten könnte. Ja, sie könnte die gesamte Siedlung auslöschen … aber da war etwas in ihr, eine seltsame, alte, innige Liebe. Sie war nicht als Inquisitorin hier, sondern als zurückgekehrte Tochter.
An der Rückseite des Komplexes pumpte ein Mädchen Wasser aus einem Brunnen. Ihr Haar hatte die gleiche Farbe wie das von Iskat, hing aber bis zu ihrer Hüfte hinab.
»Hallo«, sagte Iskat durch den Droiden.
Das Kind hob den Kopf, riss die Augen auf und rannte schreiend ins Innere.
»Darf ich Sie für Ihre hervorragende Strategie beglückwünschen?«, murmelte R6.
Zwei Frauen tauchten aus dem Gebäude auf; eine war ungefähr vierzig, die andere älter, aber immer noch kräftig. Sie war auch diejenige, die selbstbewusst die Führung übernahm, als die beiden mit raschelnden, türkisfarbenen Röcken auf Iskat zuschritten. »Wer bist …?«
Der Mund der älteren Frau klappte auf, und sie blinzelte mehrmals, aber es war nicht der Anblick des Droiden, der ihr die Sprache verschlagen hatte, sondern Iskat. Langsam trat sie näher, wobei sie die Hand an ihre Lippen hob, ihre Finger küsste und dann zum Himmel empordeutete.
»Ich kenne diese Augen.« Die Stimme der Frau war heiser vor Emotionen. »Und ich kenne diesen Geruch. Du bist eine der Meinen. Du gehörst zur Familie.«