1.

Jedi-Padawan Iskat Akaris wollte nichts mehr, als ihre Meisterin mit Stolz zu erfüllen.

Doch bedauerlicherweise kam das nur selten vor.

»Sieh genauer hin, Iskat. Was fühlst du?«

Jedi-Meisterin Sember Vey trat beiseite, sodass Iskat einen besseren Blick auf den antiken Text werfen konnte, den sie gerade aus altem, weichem Eopieleder ausgewickelt hatte. Der Togruta-Ladenbesitzer auf der anderen Seite des Tresens fummelte an den langen Perlensträngen herum, die er um den Hals trug, und warf immer wieder nervöse Blicke auf das Lichtschwert, das an Sembers Gürtel hing.

Iskats lange rote Finger griffen nach dem … nun ja, ein Buch war es eigentlich nicht. Eher eine Ansammlung alter, spröder Lederstücke, zusammengehalten von einer Schnur aus getrocknetem Darm. Doch bevor sie die Seiten berühren konnte, schnalzte Sember mit der Zunge. Iskats Hände verschwanden pfeilschnell hinter ihrem Rücken. Sember war eine eher zurückhaltende Lehrmeisterin, die ihr nur selten konkrete Lektionen und Lehren erteilte oder ihr deutlich sagte, was sie zu tun hatte, wie die Jedi-Ausbilder im Tempel. Anstatt klare Anweisungen zu geben, erwartete sie von Iskat, die Augen offen zu halten, zuzuschauen und zu lernen. Häufig wartete sie geduldig ab, in der Hoffnung, dass Iskat selbst darauf kam, was sie als Nächstes tun sollte. Genau das tat sie auch jetzt. Ihre dunklen Augen waren konzentriert und gelassen. Die Menschenfrau war Anfang vierzig, mit goldener Haut und bläulich schwarzem Haar, das sie zu einem makellosen Zopf geflochten hatte, und sie wartete darauf, dass Iskat … was? Irgendwas sagte? Irgendwas tat? Iskat wusste es nicht.

Seit Sember Iskat nach dem Jedi-Schülerturnier zu ihrem Padawan erwählt hatte, waren sie praktisch die ganze Zeit über auf Reisen, so wie jetzt. Sie besuchten abgelegene Planeten und geschäftige Handelsmonde, um unzählige Ladenbesitzer, Sammler und Archäologen aufzusuchen und über den Kauf von Kuriositäten für die Jedi-Archive zu verhandeln. Iskat hatte schon einige Artefakte wie dieses gesehen, kunstvolle Schriftrollen, uralte Lichtschwerter, verkrustet mit Seepocken oder Sand, ja sogar einen Rancorzahn mit komplexen Schnitzereien in einer längst vergessenen Sprache. Sember war eine scharfsinnige, undurchschaubare Verhandlerin, und mittlerweile hatte Iskat begriffen, dass ihre Aufgabe darin bestand, ihrer Meisterin zuzusehen und die Fähigkeiten zu erlangen, vergessene Artefakte der Jedi-Historie aufzuspüren, zu erkennen und zu akquirieren, damit sie dazu beitrugen, die nächste Generation von Macht-Gelehrten zu unterweisen.

Doch wie üblich war Iskat außerstande, das Schweigen ihrer Meisterin zu deuten. »Was kannst du uns darüber sagen, ohne das Artefakt zu berühren, mein Padawan?«, fragte Sember schließlich.

Iskat warf ihren langen braunen Haarzopf über ihre Schulter, konzentrierte sich auf das Objekt vor ihr, atmete tief durch und öffnete ihre Sinne. »Der Text scheint sehr alt zu sein, Meisterin. Die Sprache ist mir unbekannt. Die Seiten bestehen aus einer Art Tierleder, hauchdünn, fast durchscheinend. Die Tinte ist dunkelrot.« Sie beugte sich weiter vor, sorgsam darauf bedacht, die Häute nicht zu berühren, und roch daran. »Ein Hauch von Eisen. Blut? Gemischt mit irgendeinem mineralischen Pulver.«

»Das ist es, was du siehst. Nutze deine Machtsinne. Was kannst du spüren?«

Iskat schloss die Augen. »Dunkelheit«, sagte sie verwundert. »Verlangen. Das Buch … will, dass man es liest. Dass man es anfasst. Es will, dass sein Inhalt verbreitet wird.«

Sie öffnete die Augen, die sich hellblau von ihrer purpurnen Haut abhoben, und blickte ihre Meisterin fragend an. Im Laufe der Jahre hatten sie für den Orden Dutzende Artefakte beschafft, aber so etwas hatte Iskat noch nie zuvor gefühlt.

Sember nickte einmal, was so ziemlich das deutlichste Zeichen von Lob war, das sie ihrer Schülerin jemals zuteilwerden ließ.

»Das ist kein Jedi-Artefakt«, sagte Sember. »Das ist eine Sith-Schrift.«

»Dann wollt Ihr sie nicht?«, fragte der Ladenbesitzer und streckte die Hand nach dem Artefakt aus, um es wieder an sich zu nehmen.

»Das habe ich nicht gesagt.« Mit einer behandschuhten Hand schlug Sember das sonnengegerbte Leder wieder über die Schrift, wie um sie vor aller Blicke zu verbergen. »Wir nehmen es zum vereinbarten Preis. Sei versichert, dass dieses Stück sicher verwahrt werden wird, sodass es nicht in die falschen Hände fällt.«

Eigentlich sollte Iskat sorgsam verfolgen, wie Sember mit dem Ladenbesitzer umging, um von ihr zu lernen, doch ihre Aufmerksamkeit war gefesselt von ihrem Neuerwerb, jetzt bloß noch ein halbwegs quadratisches Etwas unter dem Leder. Sie hatte noch nie zuvor ein Sith-Artefakt zu Gesicht bekommen. Kein Wunder, dass Sember nicht wollte, dass sie es berührte. Gleichwohl, sie konnte es noch immer fühlen, wie ein kleines Kind, das die Arme nach ihr ausstreckte und darum bettelte, gehalten zu werden.

»Eure Gehilfin«, sagte der Ladenbesitzer, als sie sich zum Gehen wandten. »Was ist sie für eine?«

Sember musterte ihn. »Sie ist eine Jedi.«

»Ja. Aber von welcher Spezies? Eine wie sie habe ich noch nie gesehen. Rote Haut, aber sie ist weder Zeltronerin noch Devaronianerin …«

»Ich bin eine Jedi«, sagte Iskat mit Nachdruck.

»Schon gut, schon gut«, erwiderte er beschwichtigend. »Ich war bloß neugierig.«

Doch ungeachtet der Entschlossenheit ihrer Antwort war das eine Frage, die auch Iskat beschäftigte. Denn sie wusste es selbst nicht. Niemand im Tempel vermochte zu sagen, welcher Spezies sie angehörte, und Sember zufolge war in ihren Unterlagen auch kein Geburtsplanet angegeben. Sie hatte zwei Herzen, lange Finger und ungewöhnlich scharfe Sinne, doch auf all ihren Reisen und bei all ihren Studien hatte sie nie irgendwelche Hinweise auf ihre Biologie oder ihre Herkunft entdeckt. Dies war nicht das erste Mal, dass jemand diese peinliche Frage stellte, die sie möglicherweise niemals würde beantworten können.

Auf dem Rückweg zu ihrem Schiff übernahm es Sember, die in Leder eingewickelte Sith-Schrift zu tragen, und ließ sie dabei von zwei Fingern baumeln, als würde sie versuchen, den Kontakt damit auf ein Minimum zu beschränken. Sie marschierten die Rampe ihrer T-6-Raumfähre hoch, die Iskat auf den Namen Lyra getauft hatte, nachdem sie irgendwo gelesen hatte, dass Raumschiffe Namen brauchten. Sember dagegen nannte das Shuttle bloß T6 – 315. Während Iskat die Triebwerke startete, verstaute ihre Meisterin das Bündel rasch in dem Safe, in dem sie ihre kostbaren Funde zum Tempel schafften.

»Könnt Ihr den Text lesen?«, fragte Iskat.

Allein der Gedanke daran erfüllte Sember mit sichtlichem Unbehagen. »Selbst wenn ich es könnte, würde ich es nicht wagen. Am besten vergisst du das Ding gleich wieder. Verbann es aus deinen Gedanken. Die Dunkle Seite ist trügerisch. Sie umgarnt einen schleichend, wie Yistakäfer, die sich in deine Haut graben und dich langsam krank machen. Der Jedi-Rat wird entscheiden, wie mit dem Artefakt zu verfahren ist, doch es ist unsere Pflicht, es von allen fernzuhalten, die darauf aus sein könnten, es einzusetzen, um anderen Schaden zuzufügen. Solltest du auf deinen Reisen auf irgendetwas Vergleichbares stoßen, musst du es mit derselben Vorsicht und Achtsamkeit an dich bringen wie jedes andere Jedi-Artefakt und das Objekt dann so schnell wie möglich sicher verwahren. Fass es nicht an. Lies es nicht. Neugierig zu sein, ist in Ordnung, doch gib deiner Neugierde niemals nach! Ich wollte, dass du die Dunkle Seite in der Macht fühlst, damit du imstande bist, sie später wiederzuerkennen, doch jeder Kontakt dieser Art sollte möglichst kurz sein. Einiges Wissen ist den Preis nicht wert, den man dafür zahlen muss.«

Iskat versprach, sich ihren Rat zu Herzen zu nehmen, und machte sich daran, den Rest der Fracht zu sichern, während Sember den Pilotensessel übernahm. Selbst jetzt, da das Artefakt im Safe weggesperrt war, konnte sie noch fühlen, wie die Schrift blindlings nach ihr tastete, wie eine Pflanze, die auf der Suche nach Sonnenlicht ihre Ranken ausstreckt. Sember hatte ihr ganzes Leben der Aufgabe gewidmet, wichtige Artefakte aufzuspüren und Jedi-Wissen zu katalogisieren, doch in ihrer ganzen gemeinsamen Zeit war dies das erste Mal, dass sie Unwissenheit der Erkenntnis vorzog.

Sie hatten auf dieser Reise zahlreiche wertvolle Stücke in ihren Besitz gebracht, und Iskat wusste, dass ihre Meisterin begierig darauf war, mit der mühseligen Arbeit zu beginnen, ihre Fundstücke zu analysieren und zu kategorisieren – eine Aufgabe, die sie sichtlich genoss und stets allein machte, in der Abgeschiedenheit ihres Quartiers, um ihre Padawan-Schülerin in dieser Zeit sich selbst zu überlassen. Soweit Iskat bekannt war, hatten einige Meister und ihre Padawane eine intensive, lebhafte Beziehung zueinander, voller Lachen und gütiger Worte. Sember Vey hingegen war eine reservierte, häufig fast gleichgültig wirkende Meisterin, getrieben von brutaler Offenheit und einer Besessenheit für ihre Arbeit, die sie alles andere im Universum vergessen ließ. Obgleich Iskat nicht zwingend an einer warmherzigeren Verbindung zu Sember gelegen war, wusste sie, dass man Sember neben ihrer Aufgabe, Iskat als Padawan zu unterweisen, noch andere wichtige Pflichten übertragen hatte. Es war an Iskat, zu lernen, was sie konnte, indem sie die einzigartigen Fähigkeiten ihrer Meisterin studierte und ihren Vorteil aus allen Anweisungen zog, die Sember ihr gab. Sie war entschlossen, die beste Jedi zu werden, die sie sein konnte, ungeachtet der … nun ja … Versäumnisse ihrer Meisterin.

Um ehrlich zu sein, vermochte Iskat nicht einmal mit Gewissheit zu sagen, warum Sember sie überhaupt als Padawan ausgewählt hatte. Soweit es sie betraf, hatte sie nicht das Gefühl, dass zwischen ihnen irgendeine besondere Beziehung existierte. Ja, hin und wieder kam es ihr sogar so vor, als würde Sember sie nicht einmal sonderlich mögen.

»Warum stehst du da so untätig rum, Iskat? Schnall dich an und bereite dich auf deine Meditationen vor«, sagte Sember in einem Tonfall, als würde sie erst jetzt merken, dass Iskat überhaupt da war.

»Ja, Meisterin.«

Iskat versuchte, ihren Verstand zu beruhigen, während das Schiff abhob. Sobald sie sich im Hyperraum befanden, schmiegte sie sich in das Sitzpolster und machte es sich bequem. Sie schloss die Augen, sammelte sich und suchte ihre mentale Mitte, ihre Finger fest um ein Amulett geschlossen, das Sember ihr gegeben hatte, einen kleinen blauen Cabochon-Schmuckstein, der ihr dabei helfen sollte, sich zu fokussieren. Es war, als würde man in einen Fluss mit starker Strömung waten, und die Zeit löste sich in Wohlgefallen auf, als Iskat sich einfach davontragen ließ. Anfangs war es ihr schwergefallen zu meditieren, aber Sember und die anderen Jedi-Meister hatten sich darauf verständigt, dass ihr Hauptziel als Padawan darin bestehen sollte, zu lernen, sich zu fokussieren und zu kontrollieren. Nach dem Zwischenfall mit der Säule …

Nein.

Sie würde sich davon nicht runterziehen lassen.

Von ihr wurde genau das Gegenteil erwartet.

Es gibt keine Gefühle, sagte sie sich. Nur Frieden.

Es gibt keine Ungewissheit – nur Wissen.

Es gibt keine Leidenschaft – nur Gelassenheit.

Es gibt kein Chaos – nur Harmonie.

Als sie damals, als Jüngling, zu meditieren begonnen hatte, war sie dabei angespannt, gelangweilt und zappelig gewesen, auch wenn sie im Grunde nichts anderes getan hatte, als, na ja, nichts zu tun. Sie war von einer solch überbordenden Energie erfüllt gewesen, dass Sember – die sonst nichts aus der Ruhe bringen konnte – irgendwann mit ihrer Geduld am Ende gewesen war und Iskat vorgeworfen hatte, sich ihr absichtlich zu widersetzen. Doch Meister Klefan Opus, einst Sembers eigener Meister, hatte ein persönliches Interesse an ihren Fortschritten gezeigt und so manchen Morgen damit zugebracht, im Tempel an Iskats Seite zu sitzen; so konnte sie an der inneren Ruhe partizipieren, die er im Laufe vieler Jahrzehnte gewonnen hatte, um ihr nach und nach, Stück für Stück, beizubringen, dasselbe Maß an Besonnenheit und Ruhe zu erreichen wie er.

Meisterin Sember und Meister Klefan behielten recht. Je stärker Iskats Verbindung zur Macht durch das Meditieren wurde, desto besser gelang es ihr, ihre Emotionen im Zaum zu halten. In letzter Zeit hatte sie nicht ein einziges Mal die Beherrschung verloren, und sie war stolz darauf, wie weit sie es gebracht hatte. Sember verlor nie ein Wort über ihre positiven Fortschritte, aber Klefan schon, und das genügte ihr.

In den Tagen, die sie durch den Hyperraum in Richtung Bar’leth reisten, eine Kernwelt, auf der einer ihrer bevorzugten Händler zu Hause war, der ihnen einen einzigartigen Fund versprochen hatte, herrschte an Bord größtenteils einvernehmliches Schweigen. Sember verbrachte zwar die meiste Zeit mit den Artefakten, hinter verschlossenen Türen in ihrer Kabine, doch sie sorgte dafür, dass Iskat beschäftigt war. Sie hatte einen Trainingsplan aufgestellt, der sich täglich änderte. Zu ihren Übungseinheiten gehörten Lichtschwerttraining mit der Trainingssonde, sportliche Freiübungen, Studien über Flora und Fauna und, natürlich, noch mehr Meditation. Iskat mochte das Lichtschwerttraining seit jeher am liebsten und wünschte, sie hätte öfter gegen ihre Meisterin antreten können, in Sparringkämpfen eins gegen eins, anstatt ständig gegen die in ihren Aktionen ziemlich eingeschränkte Sonde antreten zu müssen, die für sie schon seit Langem keine Herausforderung mehr darstellte. Aber mittlerweile war sie klug genug, gar nicht erst danach zu fragen.

Hin und wieder wurde Iskats Konzentration gestört, wenn ihre Gedanken wie aus heiterem Himmel zu dem Sith-Text im Safe zurückkehrten, fast so, als wäre das Artefakt gelangweilt und würde um ihre Aufmerksamkeit buhlen, doch sie ignorierte den Ruf der Sith-Schrift. Ein paarmal dachte sie daran, es Sember gegenüber zu erwähnen, aber sie wollte ihrer Meisterin keinen Anlass geben, an ihr zu zweifeln oder sie zu tadeln. Um ehrlich zu sein, liefen die Dinge zwischen ihnen stets am besten, wenn Iskat einfach den Mund hielt und genau das tat, was Sember von ihr verlangte, ohne Fragen oder Widerworte. Und womöglich war dies ja auch ein weiterer Test. Ihre Meisterin hatte sie gedrängt, dem Ruf des Sith-Artefakts zu widerstehen, und wenn sie damit scheiterte, würde ihr das bloß als weitere Schwäche ausgelegt werden.

Als sie den Hyperraum schließlich verließen, signalisierte das Komm-System des Schiffes eine eingegangene Nachricht.

»Sember Vey«, sagte Jedi-Meister Mace Windu. »Wir wissen, dass Eure gegenwärtige Mission noch nicht abgeschlossen ist, doch wir möchten Euch bitten, unverzüglich zum Jedi-Tempel auf Coruscant zurückzukehren.« Seine tiefe, befehlsgewohnte Stimme klang ungewohnt scharf, seine Worte dringlich. »Solange wir uns mit der Situation auseinandersetzen, die sich gegenwärtig entwickelt, sind sämtliche nicht zwingend notwendigen Missionen ausgesetzt. Wir brauchen Euch hier.«

Das Komm verstummte, und Sember seufzte und begann, einen neuen Kurs zum Tempel zu berechnen.

»Wisst Ihr, was los ist?«, fragte Iskat ihre Meisterin.

»Ich habe genau dieselben Informationen wie du«, entgegnete Sember mit einer Gelassenheit, als hätte die Botschaft nichts Neues oder Aufregendes verheißen. »Schade. Ich hatte mich schon darauf gefreut, bei Gamodar vorbeizuschauen. Er meinte, er hätte ein wahrhaft besonderes Fundstück für uns.«

Coruscant war nicht allzu weit entfernt, daher blieb Iskat noch weniger Zeit als gewöhnlich, um sich dafür zu wappnen, die geschäftige Stille und die strikte Ordnung ihrer tagelangen Reise mit Sember hinter sich zu lassen und sich wieder den Gepflogenheiten des Jedi-Tempels zu öffnen. Wie alle Padawane war sie von sehr jungen Jahren an hier aufgewachsen. Sie hatte viele schöne Erinnerungen an das Lichtschwerttraining mit Meister Yoda und an Ausflüge zu anderen Planeten, in der Obhut energiegeladener junger Jedi-Ritter. Doch dann, als sie dreizehn war, kam es zu diesem Säulen-Zwischenfall, und seitdem waren sie und Sember fast immer auf irgendwelchen Missionen, und … jetzt fühlte es sich immer irgendwie seltsam an, wenn sie in den Tempel zurückkehrten. Zwar war niemand unfreundlich zu ihr, denn das war nicht die Art der Jedi, aber Iskat hatte stets das Gefühl, als wären einige der anderen Padawane nervös, wenn sie zugegen war, besonders Charlin und Onielle, die bei dem Säulen-Vorfall kleinere Verletzungen davongetragen hatten, die schnell wieder verheilt waren. Iskat freute sich nicht sonderlich darauf, sie wiederzusehen, auch wenn sie alle mittlerweile fünf Jahre älter waren und mit ihren eigenen Meistern die Galaxis bereisten und inzwischen – hoffentlich – ein bisschen reifer und erwachsener geworden waren.

Während sich Coruscant riesengroß vor dem Sichtfenster abzeichnete und Sember das Schiff auf den Tempel zusteuerte, fiel Iskat auf, dass rings um das Zuhause des Jedi-Ordens deutlich mehr Verkehr herrschte als sonst. Sie mussten warten, bis eine Landeplattform frei wurde, und als sie schließlich aufgesetzt hatten und sich die Einstiegsrampe senkte, eilte Sember sogleich davon, den Safe auf seinen Schwebedüsen vor sich herschiebend. Iskat folgte ihrer Meisterin, doch als Sember ihr über die Schulter einen Blick zuwarf, schien sie überrascht zu sein, sie zu sehen.

»Oh. Iskat. Ich muss mich beim Rat melden. Warum trainierst du nicht ein bisschen mit dem Lichtschwert?«

Allerdings war jetzt Iskats Neugierde geweckt, darum folgte sie ihrer Meisterin weiter. Für gewöhnlich war Lichtschwerttraining das, woran Sember am wenigsten Freude hatte, Iskat darin zu unterweisen, und obgleich ihre Meisterin darauf achtete, dass Iskat jede Menge Zeit mit der Trainingssonde zubrachte, hatte sie ihre Schülerin bislang noch nie in ihrem ausgeprägten Interesse für den Lichtschwertkampf bestärkt. Als Iskat sich zu Beginn ihrer Ausbildung erkundigt hatte, warum Sember für diesen, wie Iskat fand, integralen Bestandteil des Jedi-Lebens eine solche Abneigung hegte, erinnerte ihre Meisterin sie daran, dass Interesse nicht dasselbe war wie Können, und beließ es dabei.

»Warum Lichtschwerttraining?«, fragte Iskat. »Warum ausgerechnet jetzt? Schicken die uns auf eine neue Mission?«

Sember ging in ihrem gemessenen Tempo weiter und drehte sich auch nicht um, als sie sagte: »Sieh dich um, Padawan. Alle wurden zurückbeordert. Spürst du die Anspannung? Die Erwartungshaltung, die in der Luft liegt? Irgendetwas Großes geht vor. Etwas Bedeutsames. Jetzt geh und trainiere. Aber denk dran, dich zu fokussieren und die Kontrolle zu bewahren. Vertraue auf die Macht.«

»Ja, Meisterin.«

Iskat umklammerte ihr blaues Steinamulett, wandte sich der Lichtschwerttrainingshalle zu, die für die Padawane ihrer Altersgruppe vorgesehen war, und überließ es Sember, ihre zahlreichen Fundstücke dem Hohen Rat der Jedi zu präsentieren. Doch selbst als sich der Safe immer weiter entfernte, konnte Iskat weiterhin den uralten Text darin spüren, dessen Ruf leiser und leiser wurde. Sie hoffte, dass der Rat Artefakte wie dieses an einem sehr sicheren Ort aufbewahrte oder sie sogar zerstörte. Es kam ihr gefährlich vor, dass so etwas hier war, im Tempel, umgeben von Jedis und neugierigen Kindern. Iskat war zwar selbst nicht gegen Neugierde gefeit, aber sie wusste, dass die Dunkle Seite verführerisch war und man sich ihr ganz bewusst widersetzen musste. Das hatte Sember von Anfang an deutlich gemacht. Es entsprach nicht der Art der Jedi, solchen Dingen nachzugeben, ganz zu schweigen davon, sich bewusst den schleichenden Verlockungen des Bösen auszusetzen.

Sie waren mittlerweile schon eine ganze Weile nicht mehr im Tempel gewesen, doch seit ihrem letzten Besuch hatte sich nur wenig verändert. Sember hatte recht: In den Korridoren herrschte mehr Geschäftigkeit als sonst. Anstatt in vornehmer Gelassenheit Seite an Seite dahinzuschreiten, eilten Jedi in braunen Gewändern hektisch hin und her. Zwischen ihnen wuselten Bedienstete und Droiden mit Frachtgut umher. Als Iskat sich ihrem Ziel näherte, vernahm sie das vertraute Brummen und Surren aufeinandertreffender Trainingsschwerter und das leicht schlurfende Tappen von Stiefeln auf Stein.

Vor der Tür der Halle blieb sie stehen. Sie war jetzt älter und ein gutes Stück größer. Ihr braunes, zu einem perfekten Zopf geflochtenes Haar reichte ihr fast bis zur Hüfte. Und obwohl ihre Stiefel merklich abgenutzt waren und ihre Robe mittlerweile ein bisschen zu kurz geworden war, war ihr Gewand noch bestens in Schuss. Die meisten ihrer Kindheitsgefährten hatte sie schon seit Jahren nicht mehr gesehen, da sie alle zusammen mit ihren jeweiligen Meistern über die gesamte Galaxis verstreut waren. Na ja, abgesehen von einem, der sich aufgrund von Iskats Torheit ganz bewusst dazu entschieden hatte, fortzugehen, aber sie versuchte, den Gedanken daran zu verdrängen.

Iskat richtete den Kragen ihres Umhangs, hielt ihr Amulett fest umklammert und tat ihr Bestes, um ihre wild pochenden Herzen zur Raison zu bringen. Unerwünschte Emotionen stiegen in ihr hoch – Aufregung, Besorgnis, sogar Furcht. Dinge, die Jedi eigentlich nicht empfinden oder die zumindest wieder vorübergehen sollten. Was, wenn ihre Schwertkampffähigkeiten doch nicht so gut waren, wie sie selbst glaubte? Was, wenn sie die Kontrolle verlor? Was, wenn wieder irgendetwas Schlimmes passierte?

Sie schloss die Augen und suchte ihre Mitte.

Es gibt keine Gefühle – nur Frieden.

Es gibt keine Ungewissheit – nur Wissen.

Es gibt keine Leidenschaft – nur Gelassenheit.

Es gibt kein Chaos – nur Harmonie.

Es fiel ihr nicht leicht, sich in Gleichmut zu üben. So, wie ihre Sinne schärfer waren als die der anderen Padawane, waren auch ihre Emotionen intensiver und explosiver. Nicht selten fragte sie sich, ob es allen Jedi so schwerfiel, die für ihresgleichen so charakteristische Gelassenheit zu wahren, oder ob Sember es womöglich versäumt hatte, ihr etwas Wichtiges beizubringen, das alle anderen einfach von Natur aus verstanden. Sie war seit jeher der Ansicht, dass sie und ihre Meisterin kaum unterschiedlicher sein konnten. Während Sember so unerschütterlich und durch nichts aus der Fassung zu bringen war, dass es bisweilen fast schon wirkte, als wäre sie aus Stein, war Iskat ein Sturm von Emotionen, so aufgewühlt und wandelbar wie das Meer.

Es spielte keine Rolle. Sie war eine Jedi. Ihre Aufgabe bestand darin, Frieden zu finden, selbst wenn das bedeutete, ihn zu Boden zu ringen und dort festzuhalten.

Ihre Meisterin hatte sie aufgefordert zu trainieren, und genau das würde sie tun.