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Die Stimme war ebenfalls hart. Sie klang vertraut und unvertraut zugleich.
»Lassen Sie das Messer fallen!«
»Tu, was er sagt.« Anna konnte Zakariassen kaum verstehen, sein Gesicht war zu einer starren Maske verzerrt.
»Was geht hier vor, Daniel?«
»Bitte, lass das Messer fallen, sonst tötet er dich.«
Der Druck des harten Gegenstands an ihrem Hinterkopf erhöhte sich. Daniel hatte sie angelockt, während der Mörder sich auf dem Boden des Pick-ups versteckt gehalten hatte.
Jetzt stand er in dem geöffneten Fenster des Trucks. Der harte Gegenstand an ihrem Hinterkopf war die Mündung einer Waffe.
Anna öffnete ihre Hand. Das Messer fiel lautlos in den Schnee.
»Heben Sie das Messer auf«, befahl die Stimme.
Zakariassen setzte sich auf, kroch zu der Vertiefung, die das Messer im Schnee verursacht hatte, und grub es aus. Das Loch, das er dabei aushob, sah aus wie ein Auge, das Anna unverwandt anstarrte, als wollte es sagen: Jetzt habe ich dich
.
Der Professor kam mühsam auf die Beine und blieb mit dem Messer in der Hand stehen.
Anna versuchte, seinen Blick auf sich zu ziehen. »Bist du von allen guten Geistern verlassen, Daniel? Begreifst du nicht, dass du einem Mörder hilfst?«
»Nein, du irrst dich. Er hat die Leute nicht umgebracht.«
»Das glaubst du doch selbst nicht, Daniel. Ich habe Lanpo gefunden. Er ist tot … Er wurde erschossen und auf einen Schlitten gelegt, um uns von hier wegzulocken … um mich
wegzulocken.«
Das letzte Puzzleteil fügte sich ins Bild.
»Du hast das Treibstoffdepot angezündet, Daniel.«
Zakariassens Mund stand offen, als würde er nicht genügend Luft bekommen.
»Du verstehst das nicht, Anna. Hier geht es um etwas anderes. Etwas sehr viel Wichtigeres.«
»Was ist wichtiger als Menschenleben? Hörst du nicht, was du da sagst? Du redest wie ein Fanatiker.«
Zakariassen schüttelte heftig den Kopf. »Nein, nein, nein. Das ist kein Fanatismus. Das ist Politik.«
»Politik? Bist du etwa so an die Forschungsgelder gekommen, die dir für deine Expedition noch gefehlt haben? Du hast dich bezahlen lassen, um die Chinesen auszuspionieren?«
Zakariassen umkreiste sie mit dem Messer in der Hand. Er streckte es von sich, als hätte er Angst, davon besudelt zu werden. »Nein, so war das nicht. Ich sollte die Chinesen nur beobachten, mehr nicht. Das ist die Wahrheit, bei allem, was mir heilig ist. Das … Das, was pa
ssiert ist, war nicht geplant … Ich hatte keine Ahnung davon.«
Die eingefrorene Tür des Pick-ups hinter Anna öffnete sich knirschend, traf sie unsanft in den Rücken und stieß sie nach vorn.
Anna drehte sich um.
Sie erkannte den Mörder, doch er hatte sich verändert.
Sein Gesicht war immer noch blass, die Nase schmal und seine Lippen ungewöhnlich breit und füllig. Die strähnigen Haare fielen ihm in die Stirn. Aber in seinen Augen unter den langen Wimpern lag ein fremder Blick. Ein manisches Flackern. Er hatte sich gehäutet. In der Hand, in der er Zakariassens Revolver hielt, pulsierten graue Adern unter der Haut. Auf dem Finger, der auf dem Abzug ruhte, entdeckte Anna einen dunklen Blutfleck.
Über die Kimme des Revolvers hinweg begegnete sie Jackies Augen.