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»1962 war ich stellvertretender U-Boot-Kommandant«, sagte Dan. »Wir wurden mitten in der Kubakrise nach Murmansk geschickt, um den Hafen zu überwachen. Der Druck war groß. Wir sind auf dem Höhepunkt der Kubakrise in See gestochen … die Insel war umzingelt.«
»Ich weiß, was die Kubakrise war, kommen Sie zum Punkt«, sagte Anna.
Dan hustete. Roberts Funkgerät knackte. Die Piloten erhielten den Befehl, die Motoren aufzuwärmen.
»Nach einer Woche auf Tauchgang vor Murmansk … erfassten unsere Sonare eine Geräuschquelle. Ein russisches U-Boot mit einer Signatur, die wir noch nie gehört hatten. Ein völlig neuer U-Boot-Typ. Wir erhielten den Befehl, das U-Boot zu beschatten. Einige Tage später nahmen die Russen Kurs auf den Nordpol. Nach vierundzwanzig Stunden unter dem Eis drosselten sie plötzlich ihre Geschwindigkeit und fingen an, Kreise zu drehen. Ich hatte damals Wache und dachte, die Russen hätten uns entdeckt und wir wären aufgeflogen.«
Der alte Mann rang nach Atem. »Und da haben wir es gehört, das schlimmste und beängstigendste Geräusch, das man als U-Boot-Besatzung hören kann … Die Russen öffneten ihre Torpedoluken. Dann hörten unsere So narmaats, wie ein Torpedo abgefeuert wurde. Er kam direkt auf uns zu. Ich gab den Befehl, hart Backbord zu gehen und eine Doppelsalve abzufeuern. Ich hatte nicht einmal Zeit, den Kapitän zu warnen. Ich musste eine Entscheidung treffen. Wir glaubten, wir würden alle sterben, alle Mann. Dreißig Sekunden später hörten wir im Eis über uns eine Explosion. Als wir begriffen, was das war, war es bereits zu spät … Die Russen hatten nur versucht, sich einen Weg an die Oberfläche freizuschießen.« Dans Stimme versagte einen kurzen Moment.
»Eine Minute und elf Sekunden nach der Explosion traf unser Torpedo das russische U-Boot. Der erste Torpedo war ein Blindgänger, aber der zweite traf, und das genügte … Ich werde niemals dieses grauenvolle Geräusch vergessen, mit dem der Rumpf der Russen auseinanderbrach. Wir befanden uns in fast dreitausend Meter Tiefe. Die armen Teufel hatten keine Chance.«
Dan wischte sich die Tränen aus dem Gesicht und schniefte.
»Sie erzählen mir also gerade, dass 1962 ein amerikanisches U-Boot ein russisches U-Boot aus Versehen versenkt hat?«, fragte Anna.
»Ja.«
»Und die Sache wurde bis heute unter Verschluss gehalten?«
»Ja … Als wir wieder am Stützpunkt ankamen, erwarteten uns der Militärgeheimdienst und die CIA am Kai. Keiner von uns durfte von Bord gehen. Der Geheimdienst hatte einige Tage vorher einen Funkspruch der Russen abgefangen. Der Kapitän hatte Probleme mit der Kühlung eines Atomreaktors an Moskau gemeldet. Vermutlich waren sie unter dem Eis in eine Notsituation geraten. Die Russen hatten keine Ahnung, dass wir ihnen folgten. Sie haben den Torpedo nicht auf uns abgeschossen … Die armen Seelen haben nur versucht, an die Oberfläche zu kommen.«
Dan begann wieder zu weinen. »Aber woher hätte ich das wissen sollen? Ich habe nur das getan, was ich für richtig hielt … Ich habe uns verteidigt, so wie ich es gelernt hatte.«
»Und die Sache kam nie ans Tageslicht, weil die Sowjetunion glaubte, an Bord des U-Bootes hätte sich ein Unfall ereignet?«, fragte Anna.
»Ja, und die Marine hat uns zu absoluter Geheimhaltung verpflichtet. Die gesamte Mannschaft musste eine Verschwiegenheitserklärung unterschreiben, bevor wir von Bord gehen durften. Man sagte uns, dass uns jeder Verstoß lebenslänglich hinter Gitter bringen würde … in Isolationshaft. Wenn die Russen erführen, was wirklich geschehen war, würde das einen Atomkrieg auslösen.«
»Und jetzt sind Sie hier, um der CIA bei der Identifizierung dieses russischen U-Bootes zu helfen?«
»Ja, man hat mich mitten in der Nacht angerufen. Zehn Minuten später kam ein Wagen und holte mich ab. Ich durfte nicht mal ein paar Sachen packen.«
Plötzlich erklangen draußen Schritte.
Jemand näherte sich der Kantinenhütte.