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Anna spürte, wie ihre Haut zu prickeln begann. »Du kannst den Torpedo hier nicht sprengen! Wisst ihr nicht, dass Methangas vom Meeresboden aufsteigt?«
»Wir haben den Auftrag, den Torpedo wegzuschaffen. Gelingt uns das nicht, war die ganze Operation umsonst. Wenn die Russen herausfinden, dass wir eines ihrer U-Boote versenkt haben, bricht die Hölle aus.«
»Bevor ihr gekommen seid, ist hier ein Brand ausgebrochen. Daniel Zakariassen hat Mineralien aus dem Meer geholt, und … sie haben sich von allein entzündet«, sagte Anna.
John blickte unsicher zu Jackie, der das Mini-U-Boot steuerte.
»Ist das wahr, Jackie?«, fragte er.
Der Chinese zuckte nur mit den Schultern.
»Bring ihn dazu zu antworten, Lara!«
Die CIA-Agentin ließ einen hitzigen chinesischen Wortschwall los. Jackie antwortete kurz angebunden.
»Er sagt, er weiß es nicht. Sie hätten noch nie Probleme mit dem Gas gehabt, bevor diese norwegische Frau aufgetaucht sei.«
»Drew, können wir die Sprengung des Torpedos irgendwie vermeiden?«, fragte John
.
Der Sprengstoffexperte der SEAL-Einheit fuhr sich mit der Hand durch sein kurzes Haar.
»Dann müssten wir den Torpedo bergen und in eine sichere Umgebung bringen. Aber das Ding liegt seit sechsundfünfzig Jahren da unten … Wir können nicht einfach mit ein paar Greifarmen kommen. Der Torpedo muss kontrolliert nach oben gefiert werden, sonst bricht er auseinander. Diese Lektion habt ihr von der CIA doch am eigenen Leib erfahren, als ihr versucht habt, das K-129 aus dem Pazifik zu bergen. Selbst mit einem Spezialschiff, das Unsummen verschlungen hat, ist der größte Teil des Rumpfes weggebrochen, bevor er die Oberfläche erreicht hat …«
»Geben Sie mir die Kurzfassung«, sagte John. »Es ist also möglich?«
»Ja, aber wir müssten ein Spezial-U-Boot anfordern, das in dreitausend Meter Tiefe operieren kann … ferngesteuert von einem Atom-U-Boot auf Tauchstation. Aber das in die Wege zu leiten dauert mindestens eine Woche.«
»Mein Gott«, seufzte John und strich sich mit der Hand über den Kopf.
Lara sah ihn wütend an. »Wir haben keine Woche, wir haben Minuten. Unsere Anweisungen sind klar. Wir müssen den Torpedo sprengen und anschließend evakuieren, und zwar sofort. Ohne den Torpedo kann niemand beweisen, dass wir das U-Boot versenkt haben.«
»Himmelherrgott, dabei sollte das eine einfache In-and-Out-Operation werden.« Mit resignierter Miene zog John Odegard ein Satellitentelefon aus seiner Jacke. »Ich muss mit Langley sprechen.
«
»John! Das ist meine Operation, und ich sage, dass wir jetzt sprengen müssen!«, rief Lara.
John verlor die Beherrschung. »Ja, das ist deine Scheißoperation, und die wirst du schön allein ausbaden, darauf kannst du Gift nehmen! Du bist die Führungsoffizierin eines Agenten, der vierzehn Morde zu verantworten hat! Aber bis jemand etwas anderes sagt, bin ich der ranghöchste Offizier hier! Ich gehe nach draußen und rufe Langley an … Niemand rührt einen Finger, bevor ich zurück bin!«
Der CIA-Agent drehte sich um und stürmte nach draußen. Im Raum wurde es still, nur das Tippen von Jackies Fingern, die über die Computertastatur flogen, war zu hören. Anna blickte in das Loch im Eis. Bis auf ein paar vereinzelte Luftblasen lag die Wasseroberfläche ruhig da. Die Leitersprossen knackten, als Marco nach unten kletterte. Er stellte den Ölkanister auf den Boden, legte den Schraubenschlüssel daneben und ging auf Anna zu.
»Hiergeblieben!«, befahl Lara und schnitt ihm den Weg ab.
»Ich will nicht hier sein«, sagte Marco.
Lara stieß ihn grob zurück. »Du bleibst hier, bis ich etwas anderes sage.« Erneut breitete sich Stille aus, nur unterbrochen von Dan, der sich die Nase putzte.
Die Tür ging auf. Alle drehten sich um und blickten auf John Odegard, der zurück in den Raum kam, das Satellitentelefon noch in der Hand. Sein Gesicht war grau, als würde das Eis auch von ihm langsam Besitz ergreifen.
»Wir sprengen«, sagte er
.
»Verstanden«, erwiderte Drew und drehte einen Schlüssel um.
Anna wappnete sich, aber nichts geschah. Kein Beben, kein Geräusch. Nur ein kurzes Piepen erklang von der grünen Kiste.
»Sprengladung erfolgreich detoniert«, sagte Drew so gelassen, als hätte er gerade die Kaffeemaschine angestellt.
In Johns Gesicht kehrte die Farbe zurück. »Gut, dann evakuieren wir. Alle raus zu den Hubschraubern.«
Anna drehte sich um und wollte aus dem Raum gehen, aber ein zischendes Geräusch hielt sie zurück. Das Wasser im Loch brodelte. Im nächsten Moment spürte sie, wie das Eis unter ihr vibrierte. Es brach auseinander.
»John! Gas!«, rief sie. Der CIA-Agent wandte sich zu ihr um.
»Was?«
»Wir müssen sofort raus hier! Der Raum ist voller Gas!«
John blickte in das Loch. »Scheiße …« Weiter kam er nicht, denn eine grüne Stichflamme schoss empor.