Vor nicht allzu langer Zeit hätte Jordy Snelling viel dafür gegeben, dass die Luftgewehrsaison um eine Woche verlängert würde und sich nicht mit der Bogenjagdsaison überschnitt. Jetzt waren es nur noch zwei Tage bis zur Saisoneröffnung, und er hatte noch nicht mal sein gottverdammtes Mauser-Gewehr gereinigt.
Sein Bruder Adam war früh vorbeigekommen, um ihre Mom zu besuchen, und hatte seine neue Freundin Eva mitgebracht. Aus irgendeinem unerfindlichen Grund hatten sie ihn nicht geweckt, und jetzt, wo er endlich wach war, wollten die beiden schon wieder gehen. Jordys rechte Hand war geschwollen wie eine Truthahnkeule, und die Fingerknöchel aufgeschürft. Die Hand tat ihm schon seit dem Aufwachen weh, aber Nase und Gesicht schienen nichts abbekommen zu haben. War er in eine Schlägerei geraten? Vielleicht hatte er ja gewonnen.
»Hey«, sagte Eva lächelnd, als Jordy ins Wohnzimmer kam. Eva war echt groß, wirkte ziemlich nett und war angeblich irgendeine angesagte Köchin, oder so was. Er sah sie heute erst zum zweiten Mal, aber er war sich schon jetzt hundertprozentig sicher, dass sie viel besser war als Adams arrogante Exfrau Octavia, die ohnehin nie jemand gemocht {254}hatte. »Was ist denn mit deiner Hand passiert?«, fragte sie.
Jordy lachte. »Das wüsste ich auch gerne«, sagte er und ging zu seiner Mom, die auf ihrem Liegesessel schlief. Seit sie so knochig und blass geworden war, ertrug er ihren Anblick immer nur kurz. »Wie geht’s ihr?«, flüsterte er.
»Gut«, flüsterte Eva zurück. »Sie war vorhin wach.«
»Wir haben auf dich gewartet, damit wir loskönnen«, sagte Adam. Sein Bruder sah müde aus, aber er sah immer müde aus, weil er, warum auch immer, in einer verdammten Bäckerei arbeitete. »Morgen kommen Verwandte von Eva zu Besuch, und sie muss noch alles vorbereiten.«
Es war elf Uhr, und Mandy, die Krankenschwester, hätte eigentlich schon da sein sollen. Er war nicht gern mit seiner Mom allein, besonders wenn es Zeit für ihre Medikamente war. Was, wenn er irgendwas verbockte? Sie atmete jetzt wieder schwer. In letzter Zeit schlief sie fast nur noch und stand nur sehr selten von ihrem Liegesessel auf.
Auf dem Weg nach draußen umarmte Adam ihn, dann umarmte Eva ihn, recht fest für jemanden, den er erst so kurze Zeit kannte. Sie meinten, er würde schon allein zurechtkommen und solle anrufen, wenn er irgendetwas brauche. Irgendjemand war normalerweise immer da, einer der beiden Brüder, die Nachbarn oder seine Tante Melanie aus Inver Grove.
Als die beiden weg waren, sah er noch einmal nach seiner Mom – sie schlief tief und fest – und ging dann nach oben auf den Balkon im ersten Stock. Es war der einzige Ort, an dem er rauchen durfte. Auf der anderen Straßenseite wurde der Wald abgeholzt, um Platz für neue Eigentumswohnungen {255}zu schaffen. Man wollte vor dem ersten Schnee fertig sein. Das bedeutete, dass alles Rotwild in diesem Wald pünktlich zur Brunftzeit auf die Straßen und in die Gärten strömen würde.
Den Leuten war einfach nicht begreiflich zu machen, dass Rotwild Ungeziefer war. Riesige, pelzige Kakerlaken. Sie fielen in eine Gegend ein, vermehrten sich wie die Hölle und fraßen alles, was nicht niet- und nagelfest war. Ein paar ausgewachsene Hirsche konnten einen kompletten Garten in ein paar Stunden abgrasen. Und zwar alles, ganze Pflanzen mit Stiel, Blättern und sogar Wurzeln. Sie ließen einem nichts.
Und noch schlimmer: Vor vier Jahren hatte Jordy seinen Highschoolkumpel Matt Dubcek an so einen beschissenen Hirsch verloren. Dubby hatte erst eine Woche zuvor seinen Motorradführerschein gemacht. Er war mit seiner 350er Honda rausgefahren – nicht viel Hubraum, aber genug Motorrad für einen Anfänger. Nach vorn war da allerdings nicht viel: keine Stoßstange, keine Windschutzscheibe, keine Frontverkleidung. Es war dunkel, und der Hirschbock war direkt vor ihm auf den Highway spaziert. Matt hatte keine Chance gehabt.
Jordy stellte sich oft vor, dass er anders reagiert hätte, dass seine Reflexe so gut waren, dass er zur Seite abgesprungen wäre oder das Motorrad sogar noch auf die Seite gelegt hätte. Alles besser, als dem Vieh mit 100 km/h in die Flanke zu rasen. Als man Dubby fand, war sein Kopf praktisch abgetrennt.
Er war gerade frisch mit Lisa verheiratet gewesen, die in Afghanistan gewesen war. Als Jordy zuletzt von ihr gehört {256}hatte, wohnte sie in Lakeville, war von irgendeinem anderen Typen schwanger und arbeitete bei dem neuen Cracker-Barrel-Restaurant, das sie da oben hatten.
Die Gegensprechanlage plärrte – jemand war unten an der Tür. Jordy drückte seine Zigarette auf einer leeren Keystone-Light-Dose aus und warf die Kippe hinein. Die Krankenschwester. Er drückte auf den Summer, um sie hereinzulassen, dann hielt er kurz inne und blickte in den Spiegel im Flur. In der Zeit, die ihm blieb, war leider nichts zu retten.
Die Wohnungstür ging auf, es war Dan Jorgenson. »Hey, Mann«, sagte Dan und wühlte in der Tasche seiner speckigen braunen Carhartt-Jacke. »Du hast dein Ladegerät bei mir im Auto vergessen.« Dan gab Jordy das Kabel, das widerlich klebte. »Ich dachte, das brauchst du bestimmt«, sagte er.
»Danke. Ich wusste nicht mal, dass ich’s verloren hatte.«
»Alter, du warst so was von stockbesoffen gestern Abend. Hast echt ’n Loch in die Garagenwand von Scotty’s Dad geboxt.«
»Das erklärt einiges«, sagte Jordy und hielt Dan seine geschwollene Hand hin.
»Sieht heute schon weniger schlimm aus als gestern«, sagte Dan. »Hey, kann ich auf ein Bier reinkommen? Oder schläft deine Mom?«
»Ja, aber die Krankenschwester müsste jede Sekunde hier sein«, sagte Jordy.
»Cool.« Dan grinste, zog sich die Mütze vom Kopf und stellte seine schwarzen Stahlkappenstiefel auf die Fußmatte neben der Garderobe. Er folgte Jordy auf dicken grauen {257}Socken durch den Flur und bog links ins Esszimmer ab, während Jordy ins Wohnzimmer weiterging.
Jordy legte seiner Mutter die Hand auf die Schulter. Sie war wach und hatte den Fernseher eingeschaltet. Es lief eine Wiederholung von Storage Wars – Geschäfte in Texas. Eine zierliche Brünette und ein dicker Mann mit Cowboyhut stritten sich über den Krempel von anderen. Jordy wusste nicht, was mit den Sachen seiner Mom passieren würde, aber er wollte ganz sicher nicht, dass irgendein Fremder sie in die Finger kriegte.
»War das die Pflegerin?«, fragte seine Mom.
»Nein, nur Dan.«
Jordys Mom blickte über ihre Schulter und sah, wie Dan sich gerade ein Coors Light aufmachte. Sie winkte und sagte: »Hi, Dan.« Er prostete ihr zu und grinste.
»Es ist schon zwanzig nach elf«, sagte Jordys Mom. »Ich hoffe, das ist nicht dein erstes Bier.«
»Leider schon, Linda. Ein kleines Konterbierchen.«
»Pass mir bloß auf den hier auf«, sagte Linda und zeigte auf ihren Sohn.
»Ich geb mir Mühe.«
Jordy wurde es zu peinlich. »Komm«, sagte er und nahm Dan mit in sein Zimmer.
Dan setzte sich auf den Schreibtischstuhl vor Jordys Acer-Laptop, auf dem über externe Lautsprecher leise ein Song von Tool lief. Jordy setzte sich auf seine Matratze, die auf dem Boden lag, und trank Early-Times-Whiskey aus der Flasche.
»Hier riecht’s nach dreckiger Wäsche«, sagte Dan.
{258}»Wahrscheinlich, weil ich hier tonnenweise davon rumliegen hab«, sagte Jordy. »Also, erzähl, was ist passiert? Hab ich mich mit jemandem geprügelt?«
»Nein, aber du warst total aggro. Deshalb hat Scotty dich in die Garage gesperrt.«
»Ich erinner mich an nichts.«
»Na ja, und um drei Uhr morgens dachten wir dann auf einmal so: O Scheiße, was ist eigentlich mit Jordy? Da warst du schon ungefähr drei Stunden da drin eingesperrt. Du hast auf dem Boden neben der Schneefräse gelegen. Und in der Garagenseite war ein scheißgroßes Loch. In der Wand, mein ich.«
»Und weshalb war ich so aggro?«
»Keine Ahnung. Ich war unten und hab Pool gespielt. Scotty meinte, du wärst einfach explodiert. Ich glaub nicht, dass du irgendwem was getan hast. Aber irgendwann kam Micayla zu mir und meinte, Scotty bräuchte mal meine Hilfe mit Jordy. Du hast auf die Wände eingehämmert und so’n Scheiß, und Scotty hatte Angst, dass du irgendwas kaputtmachst, deshalb haben wir dich in die Garage eingesperrt.«
»Scheiße. Ist Scotty sauer auf mich?«
»Ach, das geht vorbei.«
Es klopfte an der Tür. Jemand musste die Pflegerin reingelassen haben. Vielleicht, weil man sie im Haus kannte. Dan kannten auch alle, aber ihm hätte niemand aufgemacht. Jordy schraubte die Flasche zu, warf sie in den Wäschekorb und steckte sich ein Pfefferminzbonbon in den Mund.
Jordy öffnete. Vor der Tür stand Mandy in ihrem üblichen Outfit: kurzärmlige weiße Bluse, braune Stoffhose und {259}über der Schulter eine blaue Tasche mit Sanitätsartikeln. Dan und Jordy fanden Mandy ziemlich heiß. Manch einer fand vielleicht, dass sie zu viel Make-up trug, aber für Jordis P. Snelling den Dritten trug sie genau die richtige Menge Make-up, und sie roch jeden Tag so wie die Mädchen beim Abschlussball.
Wenn sie da war und sich um seine Mom kümmerte, war es ihm unangenehm, ihre braunen Arme und Locken anzuglotzen, er schaute ihr auch nie in den Ausschnitt, wenn sie sich bückte – egal, wie heiß sie war, das ging zu weit. Das Merkwürdigste war, dass sie erst vierundzwanzig war, ein Jahr jünger als er, und einfach perfekt mit seiner Mom umging, als würde sie den Job schon seit tausend Jahren machen. Wie konnte jemand so Junges schon so gut sein? Aber wenn man sein Leben nicht ganz so schleifen ließ, konnte man wahrscheinlich alles erreichen.
»Hi, Jordy«, sagte sie. »Hältst du noch durch?«
»Ja, geht ja nicht anders.«
»Bist du bereit für die Jagdsaison?«
»Ha, nein! Muss noch packen und mein Gewehr reinigen und den ganzen Kram.«
»Wie geht’s deiner Mom heute?« Mandy sagte immer »deine Mom«, wenn sie mit Jordy sprach. Das versetzte ihm jedes Mal einen kleinen Stich.
»Die guckt Storage Wars«, sagte er und ließ sie herein. »Mein Bruder hat ihr die Medikamente schon gegeben.«
Mandy blieb auf der Fußmatte stehen und zog ihre weißen Tennisschuhe aus. »Ah ja, gut, dein Bruder war da.« Sie schien Adam mehr zu vertrauen als Jordy, und wer konnte ihr das verdenken?
{260}»Ich bin Dan«, sagte Dan, nahm sein Bier in die linke und streckte ihr die rechte Hand hin.
»Ich erinnere mich«, sagte sie und ignorierte seine Hand. »Tut mir leid, dass ich zu spät bin, Jordy. Mein Auto hat wieder rumgesponnen.«
»Der Jetta?«, fragte Jordy.
»Ja, er geht manchmal einfach aus, wenn ich an der Ampel stehe.«
»Könnte der Gaszug sein. Welcher Jahrgang?«
»’92. Ziemlich alt, ich weiß.«
»Da ist so ’ne Schraube am Gaszug, an der man den Leerlauf einstellen kann.«
Mandy lachte. »Davon hab ich keine Ahnung.«
»Ich kümmer mich drum, bevor du gehst.«
»Okay, danke. Das ist echt nett.« Sie berührte ihn am Arm. Jordy meinte, sie würde ihm mit ihren Blicken etwas signalisieren, aber vielleicht bildete er sich das auch nur ein. Als sie an den beiden Männern vorbei ins Wohnzimmer ging, fiel Jordy auf, dass sie es vermied, Dan zu berühren.
»Kann ich Ihnen für den Anfang irgendwas bringen? Ein Glas Wasser vielleicht?«, kündigte sich Mandy an, als sie von hinten an Jordys Mom herantrat, und beugte sich über sie.
»Eine Margarita«, sagte Jordys Mom.
Mandy lachte höflich. »Ich weiß nicht, ob wir das einrichten können.«
»Warum denn nicht?«, fragte Jordy und holte einen weißen Plastikbecher mit Minnesota-Twins-Aufdruck aus einem der Küchenschränke.
»In dieser Pflegestufe konzentrieren wir uns auf die Schmerzbehandlung«, erklärte Mandy, als würde sie aus {261}einer Broschüre ablesen. »Und wir raten davon ab, solche hochdosierten Medikamente mit Alkohol zu mischen.«
»Warum?«, fragte Jordy. »Ist doch nicht so, als würde sie gleich irgendwelche Maschinen bedienen.«
Jordys Mom nickte. »Allerdings.«
Jordy zog seine Jacke an. »Ich fahre eben los und besorge die Zutaten für eine Margarita.«
»Tja, ich kann nicht kontrollieren, was du machst, wenn ich weg bin.«
»Komm, Dan«, sagte Jordy und sah Mandy in die Augen. »Geh nicht, bevor wir nicht wieder zurück sind.«
Jordys Mom winkte schwach mit der linken Hand. Er würde dieser Frau verdammt noch mal die beste Margarita besorgen, die man mit Geld kaufen konnte.
Es gab nur zwei Spirituosenläden in Farmington, und beide wurden von der Stadt betrieben, aber das Sortiment war trotzdem ganz annehmbar. Jordy und Dan mussten zu dem Laden auf der Pilot Knob Road, weil Jordys Exfreundin Kate in dem Laden in Downtown arbeitete und er ihr immer noch das Geld schuldete, das er sich für den Kauf seiner Glock geliehen hatte, und die Diskussion darüber wollte er auf keinen Fall heute mit ihr führen.
Es gab keine große Auswahl in der Margarita-Abteilung. José Cuervo, Mr & Mrs T, Margaritaville. Schwer zu sagen, was da das Beste war.
»Hey«, sprach Jordy den Kassierer Russ Arnsberg an, ein dicker, ungepflegter alter Typ, der früher eine Pizzeria geleitet hatte, die pleitegegangen war. »Wie ist denn der Mr-T-Mix so?«
{262}»Gut genug für die Leute, für die es gedacht ist«, sagte Russ. »Soll heißen, für Leute, die zu faul sind, sich ihre Margarita selbst zu mischen.«
In der Kühlabteilung fand Dan eine 0,7er-Flasche mit der Aufschrift N.W. GRATZ MARGARITAMIXTUR, 100 % DER ERDE OREGONS ENTSPRUNGEN, BIOZERTIFIZIERT, GENTECHNIKFREI, TIERVERSUCHSFREI. Sie war halb so groß wie die anderen Flaschen und kostete viermal so viel. »Was soll denn an dem Zeug so besonders sein?«, fragte Dan.
»Ich würd davon nicht mal ’n Fass geschenkt nehmen«, sagte Russ.
Jordy wies mit der linken Hand auf die Fertigmischungen. »Was empfehlen Sie denn dann, verdammte Scheiße?«
»Ich empfehle euch, zu Hause eure eigene Mischung zu machen. Eins zu eins zu drei, das ist das richtige Verhältnis. Das würde selbst ein blindes Schwein hinkriegen.«
Jordy nahm eine Flasche von dem Margaritaville-Mix, die teuerste Variante in einer halbwegs vernünftigen Größe, die außerdem einen Chef’s-Best-Taste-Aufkleber auf dem Label trug. Er rief zu Dan hinüber, ob er den Patrón gefunden habe.
»Nö«, sagte Dan aus der Bierabteilung.
»Patrón steht hinter der Kasse«, sagte Russ. »Aber wenn ihr Margaritas macht, ist Patrón Geldverschwendung.«
Dan kam zu Jordy herüber, sein antiquiertes Klapphandy in der Hand. »Hey, Goldie hat nach der Arbeit ein paar Leute zu sich nach Hause eingeladen.«
Jordy entdeckte eine weiße Dose mit Margaritasalz am Ende des Regals. Wenn schon, denn schon. »Gibt’s hier Limetten?«
{263}»Die werden hier nicht gekauft und schimmeln mir weg. Lou’s Red Owl hat welche.«
»Scheiße«, sagte Jordy und stellte den Margarita-Mix und das Salz neben der Kasse auf die Theke. »Und den Patrón. Den grünen.«
»Wie geht’s deiner Mom?«, fragte Russ und scannte die Artikel.
Jordy schüttelte den Kopf. »Nicht gut. Die Krankenschwester ist gerade da.«
»Tut mir leid.«
»Na ja, was soll man machen«, sagte Jordy. Er hoffte nur, dass Ross jetzt nicht von Gott anfangen würde wie so viele andere.
»Sie war eine gute Frau«, sagte Russ, als wäre sie verdammt noch mal schon tot. »Vielleicht weißt du das gar nicht, aber sie war früher eine Granate im Bowling. Damals, Anfang der Achtziger, haben wir in der gleichen Liga gespielt. Und sie hat uns immer alt aussehen lassen.«
»Aha«, sagte Jordy. Was sollte man auf so was auch sagen? Er war ja nicht dabei gewesen.
Russ packte die Flaschen und das Salz in eine dünne Plastiktüte und gab sie Jordy. »Also, grüß sie mal von mir. Und nimm’s nicht so schwer. Tu nichts, was ich nicht auch tun würde.«
Wieder zu Hause, packte Jordy den Margarita-Mix, den Patrón, das Salz und die Limetten von Lou’s Red Owl auf der Anrichte in der Küche aus. Mandy ignorierte ihn ab dem Augenblick, in dem der Alkohol aus der Tüte war, und ungefähr zum gleichen Zeitpunkt merkte Jordys Mom, was los war.
{264}»Och, das hättest du doch nicht alles kaufen müssen«, sagte sie von ihrem Sessel aus.
»Wir machen dir jetzt eine Margarita.«
Dan nahm sich noch ein Coors Light. »Das wird die beste, die Sie je hatten, Linda. Wie mögen Sie sie am liebsten? Gemixt oder mit Eiswürfeln und Salz?«
»Na ja, gemixt normalerweise.«
»Gemixt«, wiederholte Jordy. Er machte die Schränke auf und fand Tassen, Teller, Kaffeetassen, Cornflakes, eine rote Dose Folgers-Kaffee, eine große Flasche Bailey’s, etwas Portwein und eine Flasche Galliano, die seit Ewigkeiten dort im Schrank stand. Nachdem er den fünften Schrank geöffnet hatte, hätte er am liebsten geschrien: Und wo ist der beschissene Mixer? Aber das konnte er nicht machen, also murmelte er es nur und atmete tief durch.
»Hey, Mom. Wo ist der Mixer?«, rief er ins Wohnzimmer.
»Neben dem Ofen«, rief sie, so laut sie konnte.
Als Jordy gerade mit den Einzelteilen des Black & Decker Crush Master hantierte, kam Mandy mit Lindas leerem Wasserglas in die Küche. »Hast du schon mal Margaritas gemacht?«
»Ich dachte, du wärst dagegen«, sagte Jordy. »Aber egal, die Anleitung steht hier auf der Flasche. Hundertachzig Milliliter von der Mischung, sechzig Milliliter Tequila.«
»Da kann ruhig mehr Tequila rein«, sagte Dan.
»Ja, scheiß drauf«, sagte Jordy.
Dan entkorkte die Tequilaflasche und fing an, den Inhalt in den Mixer zu schütten. »Was meinst du, halbe Flasche?«
»Ich bin nicht hier, ich sehe das gar nicht«, sagte Mandy.
{265}»Und jetzt einfach mit der Mischung auffüllen?«, fragte Jordy, schraubte die Flasche auf und schüttete die grüne Flüssigkeit, die ihn an Frostschutzmittel erinnerte, in den Mixer.
»Hey, Jungs«, sagte Mandy. »Ihr habt doch noch nicht mal das Eis drin.«
»Scheiße. Eis. Ich weiß gar nicht, ob wir überhaupt Eis haben.«
Dan öffnete den Gefrierschrank. »Ihr habt hier so eine Eiswürfelform.«
»Dann rein damit.«
Damit stand der hellgrüne Inhalt knapp unter dem Rand des Mixbehälters.
»Scheiße«, fluchte Dan. »Verdrängung, Alter.«
»Da ist viel zu wenig von der Mischung drin.«
»Vielleicht wird es weniger, wenn wir es einmal durchmixen.«
»Woher soll ich das wissen«, sagte Jordy und versuchte, den Deckel auf den Mixbehälter zu setzen.
Die verschiedenen Einstellungen des Crush Master überforderten Dan. »Smoothie? Oder vielleicht Pulse?«
Dan drückte PULSE, der Deckel flog weg, und während sie fassungslos danebenstanden, verteilten sich Eisklumpen, zuckrig grüner Fertigmix und Tequila auf ihren Klamotten, Haaren und Gesichtern.
»Verfickte Scheiße!«, rief Jordy.
»Na toll! Ganz toll!«, sagte Mandy und blickte an ihrer Bluse herab. »Toll!«
»Dan, du fasst nichts mehr an«, sagte Jordy, riss zwei Blätter von eine Küchenrolle und gab sie Mandy.
{266}»O Mann, sorry, Alter«, sagte Dan und riss ebenfalls an der Rolle.
Mandy tupfte mit dem Papier an ihrer Bluse herum. »Ich muss in zehn Minuten bei meinem nächsten Patienten sein.«
Jordy warf Dan böse Blicke zu, während er an sich herumwischte. Er hätte Dan nie in die Nähe des Mixers lassen dürfen. Schon seit Dan klein war, war er ein absoluter Tolpatsch, wenn es um die Bedienung von Elektrogeräten ging. Selbst seinen Führerschein hatte er erst im vierten Anlauf geschafft, und das wahrscheinlich auch nur, weil die Leute von der Fahrschule ihn bloß nie mehr wiedersehen wollten.
»Tut mir leid, Mann«, sagte Dan.
»Du kriegst echt alles kaputt«, sagte Jordy und wischte die Arbeitsfläche ab.
»Ich hab noch ein T-Shirt unten im Auto, das hol ich mir eben«, sagte Dan und ging sich die Schuhe anziehen.
»Kannst gleich unten bleiben«, sagte Jordy.
»Wenn ich wenigstens den Geruch wegkriegen würde«, sagte Mandy, tupfte weiter an ihrer Bluse herum und tat so, als hätte sie den Wortwechsel gerade nicht mitbekommen. »Ich habe keine Zeit mehr, nach Hause zu fahren und mich umzuziehen.«
»Vielleicht hat meine Mom eine Bluse, die du dir ausleihen kannst.«
»Besser als nichts.«
Jordy ging leise ins Wohnzimmer und tippte seine Mutter an. »Mom, kann Mandy sich eine Bluse von dir ausleihen?«
»Klar«, sagte sie. »Sie soll einfach an meinen Schrank gehen und sich nehmen, was sie will.«
{267}Mandy atmete auf. »Danke. Ich bringe es so schnell wie möglich zurück.«
Während sie sich umzog, beseitigte Jordy Dans verdammte Sauerei und machte sich von Neuem an die Arbeit. Diesmal hielt er den Deckel fest und gab ein bisschen mehr Fertigmix dazu. Das Zeug wurde nicht weniger, wenn das Eis gecrusht war. Dann schnitt er mit seinem Klappmesser eine Limette in Scheiben, um die drei Gläser zu verzieren. Er wusste nicht genau, wie er das Salz auf die Glasränder kriegen sollte, aber das hatte noch Zeit.
Er schenkte die Margaritas gerade aus, als Mandy in einer langärmligen Jeansbluse zurückkam, die Jordys Mom zum letzten großen Familientreffen vor zwei Jahren getragen hatte. Da hatte sie in einem Eierstock bereits einen bösartigen Tumor im Endstadium gehabt, der knapp eine Woche später diagnostiziert werden sollte.
Eigentlich war ihre Leber das Problem gewesen. »Die Ärzte sagen bestimmt wieder, dass ich aufhören muss zu trinken, also lasse ich es heute noch mal richtig krachen.« Seine Mom hatte an dem Abend einen Wahnsinnsspaß mit ihren Schwestern und Cousinen gehabt, irgendwann hatte sie sogar mit Melanie auf dem Tisch gestanden und Mustang Sally gesungen. Sie waren so glücklich, und keiner ahnte, dass irgendetwas nicht stimmte. Die Bluse war auf tausend Fotos von dem Tag, hing gerahmt an Wänden, auf allen Facebook-Pinnwänden, überall. Sie hatte sie seitdem nicht mehr getragen.
»Kann ich die nehmen?« Mandy stand jetzt im Wohnzimmer und wartete auf Jordys und Lindas Einverständnis.
»Jep, sieht gut aus«, rief Jordy aus der Küche.
{268}»Du siehst toll aus«, sagte Jordys Mom. »Die musst du behalten. Wirklich. Behalt sie.«
»Danke, aber ich bringe sie einfach nächstes Mal wieder mit, kein Problem.«
»Nein, bitte. Sie steht dir so gut. Behalt sie.«
»Danke noch mal«, sagte Mandy. »Ich muss dann jetzt los.«
Jordy kam mit einem Tablett ins Wohnzimmer und setze die Margaritas auf einem Beistelltisch neben dem Sessel seiner Mutter ab. Das Salz hatte er völlig vergessen, aber dafür war es jetzt sowieso zu spät.
»Hey, was ist mit deinem Auto?«
Unten auf dem Parkplatz öffnete Jordy die Motorhaube von Mandys ’92er Jetta. Dans Wagen war weg – der Trampel hatte den Hinweis also verstanden.
Der sieben Grad kalte Novembernachmittag roch nach kaltem Wasser und abgestorbenem Gras, nach Metall und Öl aus dem Motorraum. Jordy hoffte, dass es bis Samstag noch schneien würde – es war viel einfacher, Hirsche im Schnee aufzustöbern –, aber es sah nicht danach aus. Obwohl es heute verheißungsvoll bedeckt war, sollte es laut der Wettervorhersage am Freitag nur leicht bewölkt bei weiterhin um die sieben Grad sein. Mist.
Mandy saß mit offener Tür auf dem Fahrersitz, und Jordy fummelte am Gaszug herum, bis er sich sicher war, dass der Wagen im Leerlauf nicht mehr ausgehen würde.
»Ach, und guck mal«, sagte Jordy und winkte sie zu ihrem unregelmäßig blubbernden Motor. »Dein Ansaugkrümmer sitzt nicht richtig. Der zieht Luft. Das musst du mal nachschauen lassen.«
{269}»Ich weiß nicht, ob ich das zeitlich schaffe«, sagte Mandy. Jordy nahm an, dass sie es sich nicht leisten konnte, das Auto reparieren zu lassen, aber ohne Auto würde sie ihren Job verlieren.
»Nimm morgen mein Auto. Ich fahr einfach bei meinem Vater mit, oder so. Lass deins hier stehen, und ich guck’s mir Montag an, wenn ich wieder da bin. Das einzige Problem an meinem Auto ist, dass die Hupe im Arsch ist.«
»Das ist doch nicht nötig.«
»Du kümmerst dich doch auch um meine Mom, also.«
»Ja, aber das ist schließlich mein Job.« Sie sahen sich kurz schweigend an. Er entdeckte ein kleines Muttermal unter ihrem linken Ohr. Es gefiel ihm. »Na dann, danke«, sagte sie schließlich.
»Oh, hey, und wenn du heute Abend noch nichts vor- und Lust auf eine Party hast«, Jordy wusste gar nicht, warum er das sagte, »ein Bekannter von mir hat ein paar Leute eingeladen. Nur, wenn du willst.«
»Ja, vielleicht. Schick mir die Adresse mal per SMS.« Jordy musste kurz nachdenken, aber dann fiel ihm ein, dass er ihre Nummer ja tatsächlich gespeichert hatte, wegen seiner Mom. Jordy sah die Frau in der Bluse seiner Mutter an, während der Motor im Leerlauf hochdrehte und der Ansaugkrümmer quietschte und die Luft ölig und kalt roch. Besser ging es nicht!
Seine Mom hatte bereits eine Margarita ausgetrunken und fing gerade mit dem nächsten Glas an, als Jordy sich an der Tür die Schuhe auszog.
{270}»Mom, du solltest doch auf mich warten«, sagte er.
»Das schmeckt einfach göttlich«, erwiderte sie. Jordy zog sich einen Stuhl heran, setzte sich neben sie und nahm das verbleibende Glas. Er hatte es noch gar nicht zum Mund geführt, doch er konnte riechen, dass das die stärkste Margarita war, die er je getrunken hatte.
»Das ist die beste Margarita der Welt«, sagte seine Mutter und lächelte selig.
Mit der linken Hand hielt er seine Margarita, und mit der rechten streichelte er ihren knochigen Arm, während sie sich eine weitere Folge Storage Wars ansahen.
»Mein Gott, wie viele Leute ihren Scheiß einfach stehen lassen«, sagte Jordy.
»Mandy ist ziemlich nett«, sagte seine Mom plötzlich. »Du solltest sie heiraten.«
Jordy lachte. »Ich bin ja nicht mal mit ihr zusammen.«
»Sie mag dich, das sehe ich. Frag sie einfach mal, sie sagt bestimmt ja.«
»Okay, klar, mach ich.« Jordy stellte seine Margarita ab. »Kann ich dir sonst noch was bringen?«
»Wildfrikadellen«, sagte seine Mom. »Du musst am Wochenende einen Hirsch erwischen, damit du uns diese leckeren Wildfrikadellen machen kannst.«
»Kriegst du die überhaupt runter?«
»Du wirst schon sehen.«
»Okay«, sagte Jordy, sah aus dem Wohnzimmerfenster auf den Parkplatz und hoffte, er würde wirklich einen Hirsch erwischen. Und wenn nicht, blieb er eben die ganze Woche im Wald, so lange, bis er einen hatte. »Vielleicht kann ich Adam überreden herzukommen. Und Melanie. {271}Wir können ein großes Essen machen mit allem Drum und Dran. Ich besorg dir diesen Wein, den du so magst, den White Zinfandel. Was hältst du davon?«
Jordys Mom war eingeschlafen.
»Ich finde, das klingt ziemlich gut«, sagte Jordy leise.
Jordys Freund Goldie, bei dem die Party stattfinden sollte, wohnte in einem Haus in der Nähe der Bowlingbahn. Er teilte es sich mit einem älteren Typen, der Cliff Fuzzing hieß und wie ein Wilder Bier braute. Sein Indian Pale Ale war ziemlich hopfig, trotzdem drängte er es dauernd allen auf. Goldie wohnte dort, seit er nicht mehr bei der Navy war. Jetzt arbeitete er beim Sicherheitsdienst des Treasure-Island-Casinos, verbrachte den Tag damit, Busladungen von alten Damen dabei zuzusehen, wie sie das Erbe ihrer Kinder an Spielautomaten verzockten, und nachts versuchte er, sein Haus zum Partymittelpunkt von Dakota County zu machen.
Als Jordy seinen Buick auf der Straße parkte, sah er Mandy mit einer hübschen Freundin – wenn auch nicht so hübsch wie sie selbst – auf Goldies Haus zugehen. Er konnte nicht glauben, dass sie tatsächlich gekommen war. Er drückte auf die Hupe, um die beiden auf sich aufmerksam zu machen. Zu spät fiel ihm ein, dass die Hupe kaputt war. Die Frauen hatten ihn entdeckt. Die Hupe machte Mrööööööööööp. Mandy, die erst grinste, verzog das Gesicht, als die Hupe nicht mehr aufhörte. Die andere lächelte überhaupt nicht.
»Was hast du denn für’n Problem?«, rief sie.
{272}Jordy kurbelte das Fenster herunter. »Das Scheißteil ist kaputt«, schrie er und trommelte mit der Faust aufs Lenkrad. Das Hupen hörte auf. Und fing dann gleich wieder an, Mrööööööööööp, ohne dass Jordy irgendetwas angefasst hatte. Er griff hinter seinen Sitz, bekam einen Schraubenschlüssel zu fassen und drosch damit auf das Lenkrad ein, bis das sinnlose Heulen endlich erstarb.
Die andere wandte sich an Mandy. »Finger weg von dem«, sagte sie laut, als Jordy in ihre Richtung getrottet kam, unter dem Arm ein Zwölferpack Coors Light. Er versuchte, entspannt und cool zu wirken, was ihm sonst schon selten gelang, aber es war absolut beschissen schwierig, wenn man gerade eine Hupe verdroschen hatte.
»Hey, wie geht’s dem Jetta?«, fragte er Mandy.
»Noch läuft er, danke«, sagte sie lächelnd. »Wie geht’s deiner Mom?«
»Ganz okay«, sagte Jordy. »Meine Tante Melanie ist gerade bei ihr.«
»Ach so, das hier ist übrigens Emilee.« Die andere winkte Jordy wenig begeistert zu.
»Hey«, sagte Jordy.
»Ach, und hier«, sagte Mandy und zog die Bluse seiner Mutter aus ihrer Tasche, die eingerollt war wie ein Burrito. »Gewaschen und gebügelt.«
Jordy drückte ihr die Bluse wieder in die Hand. »Nein, die gehört dir. Meine Mom wollte, dass du sie behältst. Wirklich.«
Jordy hörte das Gewummer schon aus Goldies Haus dröhnen. Er hasste Elektro, aber Frauen standen drauf, also hatte er keine Wahl. Emilee wollte schon mal vorgehen, aber {273}Mandy sagte, nein, sie würde mitkommen, steckte die Bluse wieder in die Tasche und bedankte sich bei Jordy.
Goldie lag auf einem Sitzsack, aber er stand auf, als er Jordy und die beiden Frauen hereinkommen sah, und stellte sich ihnen als Mark Goldsmith vor, als wäre er Immobilienmakler oder Pastor oder sonst was Respektables. Als er die Frauenstimmen hörte, kam auch Cliff Fuzzing aus der Küche. Er hatte wie immer ein verwaschenes Pink-Floyd-T-Shirt an und trank aus einer braunen Flasche mit selbstgedrucktem Etikett, auf dem CLIFF’S EDGE IPA stand. Jordy erklärte er, dass Coors Light in seinem Haus nicht erlaubt sei. Dann kam Scottys hübsche, aber nervige Freundin Micayla zu Jordy und fragte ihn völlig unverfroren, ob er was von dem Oxy seiner Mom mitgebracht hätte.
»Ich verteile hier doch nicht die Schmerzmittel meiner Mutter!«, gab Jordy empört zurück.
Scotty war auch da, er stand mit einem roten Plastikbecher vor der verschlossenen Badezimmertür. »Du schuldest meinem Dad sechshundert Kröten für die Garage«, sagte er. »Scheiß Psycho.«
Jordy hatte üble Kopfschmerzen. Irgendwo klingelte etwas. Er bekam kaum Luft durch die Nase. Es roch nach Blut. Wieder das Klingeln. Er hatte den Eindruck, in seinem Zimmer in der Wohnung seiner Mutter zu sein. War er auch. Er rieb sich die Augen. An seinen Händen klebte getrocknetes Blut. Dieses Klingeln schon wieder. Es war sein Handy. Auf der Schreibtischkante neben seinem Kopf. Auf dem Display stand DAD. Seine Mitfahrgelegenheit in den Norden.
{274}»O Scheiße«, sagte Jordy.
»Ich stehe vor der Tür«, sagte sein Dad. »Bist du so weit?«
Jordy sah auf sein Handy. Es zeigte acht Uhr sechsundzwanzig.
Er hatte seinen Dad gestern angerufen, damit er ihn mit nach Pine County nahm, wo sein Onkel Hobie ein Jagdgebiet hatte. Und da war er.
»O Scheiße, gib mir fünf Minuten.«
»Habe ich dich geweckt?«, fragte sein Dad.
»Ja, sorry. Gib mir fünf Minuten, und ich bin unten.«
»Lass dir Zeit«, sagte Jordis P. Snelling der Zweite. »Hobie wird stinksauer sein, dass wir zu spät zum Mittagessen kommen. Aber alles, was deinen links wählenden Onkel auf die Palme bringt, finde ich gut.«
»Ich bin sofort da«, sagte Jordy und legte auf.
Immerhin lagen alle seine Jagdklamotten und sein Mauser-Gewehr in einer Ecke des Kleiderschranks. Er setzte den rechten Fuß vors Bett – da lag etwas. Dan Jorgenson schlief in Jacke, dreckigen Jeans und löchrigen weißen Socken zusammengerollt auf dem Boden. Dan musste ihn schon wieder nach Hause gebracht haben. Er erinnerte sich nicht mal, ihn überhaupt auf der Party gesehen zu haben.
Jordy rutschte zum Fußende des Betts und ging ins Bad, das Licht ließ er aus. Er hatte getrocknetes Blut um Lippen und Nase. Und einen verdammt großen Bluterguss auf der Wange. Seine Arme taten höllisch weh. Er pinkelte und wischte sich das Blut mit einem Handtuch aus dem Gesicht. Dann stopfte er seine Jagdausrüstung in einen Müllsack, {275}griff sich sein Gewehr und das Handyladegerät und öffnete seine Zimmertür.
Adam saß am Esstisch und tippte etwas auf seinem Laptop. Er hatte versprochen, während der Jagdsaison jedes Wochenende herzukommen, damit Jordy mit ihrem Dad und ihren Onkeln jagen gehen konnte. Jordy arbeitete im Moment nicht, was bedeutete, dass er oft bei ihrer Mutter sein konnte, aber ab und an musste er auch mal raus. Der erste Tag des Eröffnungswochenendes war immer der beste Tag des Jahres.
»Ach du Scheiße, was ist denn mit dir passiert?«, fragte Adam, als er seinen Bruder sah.
»Ich hab keine Ahnung. Ich muss los, Dad wartet unten, er nimmt mich mit zu Hobie.«
»Mein Gott, du siehst echt beschissen aus«, sagte Adam.
»Wie geht’s Mom? Ist sie wach?«, fragte Jordy und blickte hinüber zum Liegesessel. Seine Mom hatte ihre merkwürdige Sauerstoffmaske auf und schnarchte leise.
»Sie schläft.« Adam zuckte zusammen. »Hast du eine von ihren Blusen an?«
Jordy sah zum ersten Mal an diesem Morgen an sich hinab. Er trug die Jeansbluse seiner Mutter über den Klamotten vom Vorabend. Auf der Brust waren Blutspritzer. »Scheiße«, sagte Jordy und zog die Bluse aus. Ein Knopf fehlte, und am Kragen hatte sie einen Riss. »Das muss ich nähen und reinigen lassen.«
Er stopfte die Bluse zu seinen Jagdklamotten in den Müllsack und schleppte sich in die Küche, wo er Gatorade-Instantpulver mit Mountain-Dew-Limonade statt mit Wasser mischte.
{276}»Ist Eva nicht da?«
»Nein, sie hat Verwandte zu Besuch. Sie bereiten ihr nächstes großes Dinner kommendes Wochenende vor. Aber ich soll dich grüßen.«
»Weiß sie eigentlich, dass du dich grad scheiden lässt?«
»Klar, sie weiß Bescheid.«
»Hat sie deine Kinder schon kennengelernt?«
»Noch nicht«, sagte Adam und hielt den Blick gesenkt. Darüber redete er wahrscheinlich nicht so gern. Obwohl Octavia fremdgegangen war, hatte sie tatsächlich den Nerv gehabt, einen teuren Anwalt zu engagieren und ein Kontaktverbot für Adam zu erwirken. Es war echt krasser Scheiß, den sie da abzog. Octavia kam aus reichem Hause, und solche Leute hielten es nie lange aus, nett zu den Armen zu sein. So kam es Jordy jedenfalls vor.
»Scheiße, mein Kopf bringt mich um.« Seine linke Hand, die Schießhand, tat auch immer noch weh, aber nicht schlimmer als gestern. Insgesamt fühlte er sich fast zu besoffen, um jagen zu gehen.
»Nimm doch eine von denen hier«, sagte Adam, lachte kurz auf und zeigte auf die Oxycodon-Pillen ihrer Mutter auf dem Tisch.
»Och, ich weiß nicht.« Diese Pillen waren in der Partyszene total angesagt. Aber so was war nicht sein Ding. Er hatte es tatsächlich noch nie ausprobiert.
»Eine Tablette wird dich schon nicht umbringen.«
Jordy machte die Dose auf. »Da sind nur noch ein paar drin.«
»Ich hole nachher neue«, sagte Adam. Er war ein verantwortungsvoller Mensch; auf ihn konnte man sich verlassen.
{277}»Na, dann«, sagte Jordy, nahm eine Pille und spülte sie mit seiner Mountain-Dew-Gatorade-Mischung hinunter. Er sah noch einmal nach seiner schlafenden Mutter, dann legte er seinen Autoschlüssel auf den Tisch neben Adams Computer. »Du, ich hab der Krankenschwester gesagt, sie kann mein Auto benutzen. Ruf mich an, wenn sie es abgeholt hat, ja?«
»Okay«, sagte Adam und sah nicht von seinem Computerbildschirm auf. »Ach so, Tante Melanie meinte, sie hätte gestern mit Mom den Rest von deinem Margarita-Mix ausgetrunken. Aber sie besorgt dir eine neue Flasche.« Melanie war so nett, abends vorbeizukommen, wenn Jordy nicht da war, damit jemand im Haus war. Sie übernachtete oft auf dem Sofa, weil sie eine noch größere Schnapsdrossel war als seine Mutter.
»Okay, bis dann.« Jordy warf sich den Müllsack über die Schulter, nahm seine Gewehrhülle und machte, dass er nach unten kam.
Jordy warf seine Klamotten auf die Rückbank des schwarzen Chevrolet Silverado und fegte ein paar leere Marlboro-Päckchen in den Fußraum, bevor er sich auf den Beifahrersitz setzte. Dann zündete er sich eine von seinen eigenen Zigaretten an.
»Mein lieber Scholli! Und wie sieht der andere Kerl aus?«, fragte sein Dad, als er Jordys Gesicht sah.
»Ich hab noch nicht mal ’ne beschissene Ahnung, wer der andere Kerl überhaupt war.« Ihm fiel auf, dass das Deckenlicht und die Hupe fehlten; aus den Löchern hingen Kabel heraus. »Was ist denn hier passiert?«
{278}»Da baut die Regierung Sensoren ein, in die Deckenleuchte und die Hupe. Zum Tracken.«
»Aha«, sagte Jordy.
»Hast du die E-Mail bekommen, die ich dir geschickt habe? Wenn du nicht in einem Polizeistaat leben willst, solltest du deine auch ausbauen.«
»Na, ich hab immerhin schon meine Hupe ausgebaut.«
»Gut. Man darf sich das Denken nicht verbieten lassen.«
»Ich hab überhaupt keine Ahnung, was ich denke.«
Jordys Vater schaltete das Radarwarngerät ein und drehte das Radio lauter, in dem gerade Off the Grid mit Buzz Morgenstern lief und irgendwer ausgerechnet über die Verbindung zwischen Drogenmissbrauch und der Verschärfung des Waffengesetzes sprach. »Dann hör dir das hier mal an«, sagte sein Dad. »Was die da sagen, ist die Wahrheit. Die Pharmaindustrie steckt mit der Regierung unter einer Decke, um uns mit Medikamenten vollzupumpen und fügsam zu machen. Wer will denn das Waffengesetz verschärfen außer den ganzen Kiffern, den zugedröhnten Rentnern und besorgten Müttern auf Antidepressiva? Denk mal drüber nach, was die sich da einwerfen. Denk mal drüber nach. Es ergibt alles einen Sinn.«
»Ganz bestimmt«, sagte Jordy.
Das Schmerzmittel durchspülte sein Hirn wie Wellen aus Sonnenschein. Die Armlehne in der Beifahrertür fing an, unter seinen Fingern zu kribbeln. Er nahm einen großen Schluck Whiskey aus dem Flachmann in seiner Tasche, und {279}im Kopf war er das erste Mal seit verdammt langer Zeit an einem Ort, an dem nichts weh tat.
Die Luftgewehrsaison begann in Minnesota immer bei Sonnenaufgang entweder am ersten oder zweiten Samstag im November, und die letzten dreizehn Jahre, seit er zwölf geworden war, war Jordy an diesem Tag um halb fünf aufgestanden, damit er schussbereit auf dem Hochstand saß, wenn das erste Licht auf die Farm seines Onkels Hobie fiel.
Jordy ärgerte sich die ganze Fahrt darüber, dass er zwar sein Ladegerät mitgenommen, aber das Handy zu Hause vergessen hatte. Weder sein Vater noch seine Tante Trudy und seine Onkel Hobie und Langford hatten deswegen Mitleid mit ihm. Keiner von ihnen besaß ein Handy. Mit so was hatten sie nichts am Hut, wie Langford es formulierte.
»Und was ist, wenn ihr mal mit dem Auto liegenbleibt?«, fragte Jordy beim Schmorbraten am Freitagabend.
»Dann reparier ich es«, sagte Hobie.
»Hast du etwa keinen Werkzeugkasten im Auto?«, fragte Langford.
»Ich hatte nur eine Flachzange im Auto«, sagte sein Dad grinsend und deutete mit dem Daumen auf Jordy.
Er schlief höchstens fünf Stunden, und das nicht nur, weil das Zimmer im Keller von Hobie und Trudy nach Katzenpisse stank und er sich vor dem riesigen vergrößerten Foto von 1992 gruselte, auf dem Hobie und Trudy mit Bill Clinton posierten. Im Kopf ging er immer wieder durch, woran er {280}sich von Donnerstagabend erinnerte, was nicht viel war. Er erinnerte sich, wie Mandy ihn sehr besorgt angesehen, ihn dabei an den Schultern festgehalten und gesagt hatte: »Guck mich an«, aber er war nicht sicher, ob das wirklich passiert war oder ob er sich das nur einbildete. Warum er sich die Bluse seiner Mutter über seine eigenen Klamotten gezogen hatte, konnte er beim besten Willen nicht sagen. Das quälte ihn am meisten. Dan wusste bestimmt, was passiert war, aber Jordy kannte Dans Nummer nicht auswendig, sonst hätte er ihn vom Festnetz aus anrufen können. Er fragte sich, ob Mandy wohl überhaupt noch kam, um sein Auto abzuholen. Adam hatte nicht angerufen, aber das würde er bestimmt noch.
Die Leiter zu seinem Hochsitz hatte Jordy vor ungefähr zehn Jahren selbst gebaut, indem er ein paar Kiefernholzbretter an einen Baumstamm genagelt hatte. Es war gerade hell genug, dass er sie ohne Taschenlampe sehen konnte. Er kletterte die vier Meter bis zu seinem Sitz und richtete sich ein. Mandy hatte das Auto sicher schon abgeholt, dachte er. Wahrscheinlich hatte Adam nur Hobies und Trudys Nummer verlegt. Er war noch nie mit zur Jagd gewesen und kam auch sonst nie ohne den Rest der Familie auf Hobies Farm, wie sollte er sie also auswendig kennen. Jordy setzte sich auf das kalte Holz und wartete und konnte an nichts anderes denken.
Rotwild war nachtaktiv, die Chancen standen also gut, dass man eins erwischte, wenn man früh genug draußen {281}war. Und tatsächlich hörte Jordy etwa fünfzehn Minuten später ein Peng und dann ein zweites Peng aus nördlicher Richtung. Hobie.
Sie trafen sich an der Stelle, an der Hobie den Hirsch abgeschossen hatte. Ein prachtvoller Achtender. Bestens geeignet als Trophäe, alle Spitzen waren ganz. Der erste Schuss war wie aus dem Lehrbuch: hinter der Schulter in die Lunge. Der zweite war ein texanischer Herzschuss in den Hintern, der ein Versehen gewesen war, wie Hobie sagte. Langford fragte, warum er überhaupt einen zweiten Schuss abgegeben habe, und Hobie sagte, der Hirsch habe Anstalten gemacht weiterzurennen, und er habe keine Lust gehabt, der Blutspur kilometerweit zu folgen. Mit anderen Worten: Er war einfach faul.
»So leidet das Tier wenigstens nicht lange«, fügte Hobie hinzu.
»Dem blutet das Herz«, sagte Jordys Dad.
Langford lachte, und Hobie fiel ein.
Jordy fand das gar nicht lustig. »Damit hast du das Fleisch wahrscheinlich ruiniert«, sagte er.
Als die Lunge und die Eingeweide entfernt und zur Seite geworfen waren, wo sie wahrscheinlich bald von Kojoten oder vielleicht sogar Schwarzbären gefunden werden würden, schleppten sie den Bock zu dem Quad mit Anhänger, den sie am Waldrand geparkt hatten, und warfen ihn auf eine Plastikplane.
Trudy kam in die Garage, um ihnen dabei zu helfen, den Boden mit Pappe auszulegen, und sah zu, wie sie den Bock {282}an den Hinterläufen aufhängten. Jordys Dad und Langford diskutierten erst über Agrarsubventionen, ehe sie ihren ewigen Kleinkrieg über die Reifungszeit des Fleisches fortsetzten. Langford bestand immer darauf, dass es mindestens eine Woche abhängen musste, aber es war immer noch zu warm, und bis Montag sollte es auch keinen Frost geben. Dieser Hirsch und alle anderen, die sie heute noch schießen würden, würden höchstens ein paar Tage hängen.
Und dann fielen doch noch ein paar Schneeflocken. Auch wenn sie sofort schmolzen, als sie den Boden berührten, war das wie Schlittengeläut zu Weihnachten. Irgendetwas am Schnee ließ die Hirsche durchdrehen und die Paarungszeit mit besonderem Eifer angehen, was bedeutete, dass sie sehr aktiv waren. Jordy wollte noch einmal los, ehe es zu hell wurde. Er hatte nur eine Abschusserlaubnis für einen Hirsch gekauft, und die konnte er genauso gut gleich benutzen.
Er ließ das Quad neben der Garage stehen und ging zu Fuß zum Hochstand seines Vaters, der dem Haus am nächsten war – und am luxuriösesten, mit Sitzheizung, Getränkehalter und einem hölzernen Podest auf Ellbogenhöhe. Er konnte hier draußen nicht rauchen, Weißwedelhirsche rochen das auf drei Kilometer Entfernung, also trank er eben. Mit irgendwas musste man sich ja beschäftigen.
Mandy hatte ihn definitiv irgendwann in der Nacht von Donnerstag auf Freitag an den Schultern gepackt und voller Sorge »Guck mich an« gesagt. Er war sich jetzt ganz sicher. Sie hatte nicht wütend gewirkt, nur besorgt. Er wusste nicht {283}mehr, was sie danach gesagt hatte oder was er gesagt hatte, oder was sie als Nächstes getan hatte oder was auch immer. Aber es hatte zumindest einen Moment gegeben, in dem sie besorgt und nicht sauer gewesen war.
Eine Schneeflocke landete genau auf seiner linken Daumenspitze. Sie schien ihn anzusehen, während sie schmolz. Dahinter, direkt hinter seinem Daumen, aber noch ein ganzes Stück entfernt, bewegte sich etwas. Er hob sein Fernglas. Es war eine Hirschkuh, die auf ihn zukam. Wie nah würde sie wohl herankommen, bis sie seine Witterung aufnahm? Er saß vier Meter in der Höhe, und der Wind blies ihm ins Gesicht, er konnte also noch etwas abwarten. Er sah nach, ob er durchgeladen hatte – hatte er. Gott sei Dank. Das kleinste Geräusch, irgendeins, und sie war weg. Aber sie kam immer näher, als würde sie zu ihm geführt, und dann drehte sie ihm sogar die Flanke zu. Er legte an, und sie hob den Kopf und blickte genau in seine Richtung. Sie konnte ihn nicht sehen, das wusste er. Das Sehvermögen dieser Tiere war nur schwach. Er drückte den Abzug, und die Ungeziefer-Hirschkuh stolperte und hinkte davon. Volltreffer. Er lud noch einmal durch, bevor er vom Hochsitz stieg.
Er fand die Hirschkuh weniger als zweihundert Meter von der Abschussstelle entfernt, die dünnen Hinterbeine zuckten noch. Als er sein Messer hervorholte, um ihr die Kehle durchzuschneiden, hatte er das Gefühl, beobachtet zu werden. Aber von wem? Wenn es sein Dad oder seine Onkel gewesen wären, hätte er sie hören müssen. Und dann sah er es. Ein Kitz. Mit Geweihstummeln auf dem Kopf. Warum hatte er das denn vorher nicht bemerkt? Es war seiner Mutter doch dicht auf den Fersen. Es stand nur da {284}und schaute ihn an, dann schaute es auf seine Mutter hinab. Es hatte nicht gelernt, was jetzt zu tun war.
Normalerweise hätte Jordy es auch geschossen. Theoretisch war es legal, Kitze zu schießen. Aber er hatte seine Abschussgenehmigung schon verbraucht. Diese Viecher waren wie Ratten. Das kleine Kerlchen würde wachsen und Gärten zerstören und Motorradfahrer umbringen. Das wusste er.
»Hau ab!«, rief Jordy. Aber stattdessen kam es näher. Es schnupperte am Kopf seiner Mutter. Vielleicht konnte er es schießen und die Genehmigung seines Vaters dafür verwenden. Aber das würde sein Dad gar nicht gern sehen.
Er nahm sein Messer und fing an, das tote Tier auszunehmen. Das kleine Kerlchen beobachtete ihn. Jordy wollte nicht, dass das Kitz zusah, wie er seiner Mutter die Kehle aufschlitzte. Ungeziefer hin oder her, das war ihm zu viel. Er riss die Hände über den Kopf und brüllte: »Raaaaaah!«, und endlich entfernte es sich ein paar Meter.
Jordy ächzte, kniete sich hin und machte sich an die Arbeit. Als er zwischendurch aufblickte, sah er, wie der Kleine ihn aus etwa zwanzig Metern Entfernung beobachtete. Jordy brüllte noch einmal, aber er bewegte sich nicht.
Dann hörte er Schritte hinter sich und sah Hobie auf sich zukommen.
»Ach, Scheiße! Der einzige andere, der seine Genehmigung auch schon verbraten hat.«
»Wieso? Hast du noch nicht genug?«, fragte Hobie.
»Guck mal geradeaus«, sagte Jordy und zeigte auf das Kitz.
{285}»Und das ist seine Mutter?«, fragte Hobie. »Warum zum Henker hast du die denn geschossen? Die hat doch ’n Kind.«
»Ich hab’s nicht gesehen.«
»Guck dir den an. Der ist ja winzig. Ganz schön spät im Jahr für so ’nen Winzling.«
Jordy entfernte die Lunge der Mutter und sah nicht auf. »Dachte ich auch.«
»Wird’s wahrscheinlich nicht lange machen, so ganz allein.«
»Eben. Ich hätte ihn geschossen, aber ich hab ja gerade meine Genehmigung verbraucht.« Jordy schnitt weiter und hielt bei den Zitzen inne. »Ach, verdammt, da ist Milch drin.«
»Tja, echt traurig«, sagte Hobie und sah das Kitz ein letztes Mal an. »Komm, ich helf dir, sie zurückzuschleppen.«
Langford und sein Dad gratulierten Jordy zu der schönen Hirschkuh, als Hobie und er sie in die Garage hievten. Langford lachte und meinte, sie und der Hirsch wären wohl ein Ehepaar gewesen. Jordy erzählte nichts von dem Kitz, und Hobie auch nicht.
»Adam hat angerufen«, sagte Trudy. »Du sollst sofort zurückrufen.«
»Na, endlich«, sagte Jordy und zog seine Stiefel in der Garage aus, bevor er ins Haus ging.
Hobie und Trudy hatten noch eins von diesen uralten Wandtelefonen mit Wählscheibe und einem großen, unhandlichen Plastikhörer. Es war inzwischen heller Morgen, und in der Küche roch es nach Folgers-Kaffee und verbranntem Toast. {286}Auf dem Tisch stand ein schwarzer Serviettenhalter mit der Inschrift: Unser Haus ist sauber genug, um gesund zu bleiben, und schmutzig genug, um sich wohl zu fühlen. Auf diese Worte starrte Jordy, als er dem Freizeichen lauschte.
Adam nahm beim dritten Klingeln ab. »Hallo?«
»Adam, was gibt’s?«
»Es ist vorbei.«
»Was?«
»Es ist vorbei, sie ist tot.«
»Was? Meinst du Mom?«
»Ja, es ist vorbei.« Er weinte. »Vor einer halben Stunde ungefähr.«
»Was? Nein. Das kann nicht sein. Ihr ging es doch gut. Das kann nicht sein.«
»Wir haben ihr ins Bett geholfen –«
»Du und wer? Du und Mandy?«
»Nein, eine andere Pflegerin. Casey. Casey, sie ist noch hier.«
»Scheiße!«
»Und dann fing sie auf einmal an, ganz schnell zu atmen –«
»Scheiße!« Jordy riss das Telefon von der Wand und schleuderte es in die Spüle. Er packte den dämlichen Serviettenhalter mit dem dämlichen Spruch, brach ihn in der Mitte auseinander und warf den beschissenen Tisch um. Und dann war Hobie da und packte ihn und fragte, was zur Hölle er denn da mache, und Jordy schlug mit den Fäusten auf ihn ein, aber als Hobie schließlich seine Arme festhielt und er sich nicht mehr bewegen konnte, spürte er allen Widerstand aus seinem Körper weichen, alles in ihm gab nach, und er {287}konnte nichts anderes tun, als dort auf dem kalten, schmutzig braunen Linoleum die Beherrschung zu verlieren.
Bis er mit seinem Dad auf dem Rückweg war, hatte er den ganzen Tag nichts gegessen. Sie hielten an einem Rastplatz, auf dem es ein Subway gab. Als er ein 30-cm-Meatball-Marinara mit extra Käse und ohne Salat bestellte, fragte er sich, ob der Typ hinterm Tresen ihm ansehen konnte, dass seine Mutter gestorben war.
Der Einzige, der Jordys Mom nicht einäschern lassen wollte, war sein Dad. Aber Jordy und Adam waren sich einig, dass er sein Stimmrecht mit der Scheidung verwirkt hatte. Der Arzt seiner Mutter erklärte ihnen, der Krebs habe so viel Schaden angerichtet, dass sie nur noch die Augenhornhaut spenden konnten. Alles andere war nicht mehr zu gebrauchen. Sie ließen sie einäschern und teilten die Asche unter sich und Lindas Schwestern auf. Jordy bekam seinen Anteil in einer schwarzen Filmdose, die mit Tesa zugeklebt war. In der Asche lagen weiße Knochenstückchen.
Melanie organisierte die Totenwache und die Beerdigung, daher fand alles in Duluth statt, wo die Familie seiner Mutter herkam. Natürlich hatte es bis dahin heftig geschneit, und es schneite auch an diesem Tag, was die Autos und die alten Leute ausbremste. Jordy war einer der Sargträger, aber er hatte keinen schwarzen Anzug, weil er vorher noch nie einen gebraucht hatte. Der Anzug, den er sich von seinem {288}Vater leihen musste, war aus Wolle und roch wie nasse Socken. Alle sagten, wie gut er aussehe, und sprachen ihm ihr Beileid aus, aber ansonsten standen die Leute nur herum, blickten zu Boden und redeten über den Schnee. Es war offensichtlich, dass sie eigentlich nur warteten, bis das Ganze endlich vorbei war.
Nach der Beerdigung kam im Pfarrsaal eine alte Frau auf ihn zu, sagte, er müsse etwas essen, und reichte ihm ein winziges Schinken-Käse-Sandwich auf einem Styroporteller. Er setzte sich zu Dan Jorgenson an einen Tisch und aß den Schinken, während er sich im Raum umschaute. Trotz des Wetters waren viele Leute gekommen, die jetzt unter der abgehängten Decke und den Neonröhren an Tischen mit billigen weißen Tischdecken saßen und Kaffee tranken und Schichtsalat und Mini-Sandwiches aßen, als wäre nichts passiert. Er hatte über den Tag verteilt vier Oxys genommen, und das war das Einzige, was ihn davon abhielt durchzudrehen.
Er hätte es nie zugegeben, aber er dachte fast die ganze Zeit nur an Mandy. Er hatte eine Karte von ihr bekommen, eine wunderschöne weiße Karte, auf der Mit tiefem Mitgefühl stand. Auf der Innenseite hatte sie mit »Von ganzem Herzen, Mandy« unterschrieben. Aber sie kam nicht vorbei wie andere und reagierte auch nicht auf seine Anrufe und SMS. Das war wirklich das Letzte. Aber er hatte die Karte trotzdem immer in seiner Manteltasche dabei und holte sie manchmal hervor.
{289}Jordy wollte nicht in der Wohnung bleiben, auch wenn die Miete bis Ende des Monats bezahlt war und er das Apartment für sich allein gehabt hätte. Also brachte er sein ganzes Zeug zu seinem Dad nach St. Paul. Blöd war nur, dass sein Dad nie was Ordentliches zu essen im Haus hatte und der Fernseher immer auf Fox News eingestellt war, was stinklangweilig war.
»Wir müssen uns überlegen, was wir mit deinem ganzen Wildfleisch machen«, sagte sein Dad – fünf Tage, nachdem Jordys Mom gestorben war. »Wenn du es nicht essen willst, verschenk es.«
»Die Tafeln nehmen wahrscheinlich kein rohes Wildfleisch«, sagte Jordy und holte die gefrorenen, vakuumverpackten roten Klötze aus dem lärmenden alten Hotpoint-Gefrierschrank seines Vaters. Sein Dad hatte das uralte Haus von seinem Dad Jordis P. Snelling dem Ersten geerbt, der es wiederum von seinem Dad Langford Hobart Snelling geerbt hatte. Es lag in einem alten Teil von St. Paul, dessen Bausubstanz inzwischen als historisch wertvoll galt. Was bedeutete, dass es keine Spülmaschine gab und die alten Leitungen und Geräte dauerhaft summten und brummten.
Er stapelte die Fleischstücke auf der gefliesten Arbeitsfläche und packte sie dann in Plastiktüten, die er unter der Spüle hervorholte und die sein Dad wahrscheinlich für die Hundespaziergänge aufbewahrte, aber der sagte nichts.
»Warum gibst du sie nicht Adams Freundin?«, schlug sein Dad vor. »Die ist doch Köchin.«
Jordy wurde es unbehaglich. Sollte er etwa einfach bei ihr anklopfen und sagen: Hey, wir haben uns erst zweimal gesehen, aber hier ist ein kompletter toter Hirsch?
{290}»Woher weißt du denn, dass sie es überhaupt haben will?«
»Weil ich Adam angerufen habe, er sie gefragt hat und sie ja gesagt hat.« Sein Dad sprach die Dinge gern erst dann an, wenn ohnehin schon alles entschieden war.
»Sie rechnet also damit?«
»Genau. Ich glaube, sie freut sich.«
»Vielleicht warte ich, bis Adam Feierabend hat, dann kann er es abholen.«
»Stell dich nicht so an«, sagte sein Dad. »Du kennst sie doch. Das kann ja wohl nicht so ein Problem sein.«
Jordy hatte keine Lust, sich aufzuraffen, ins Auto zu steigen und irgendeiner Braut, mit der sein Bruder zusammen war, einen Kofferraum voll Wild vorbeizubringen, auch wenn sie nett war. Aber es schien die beste Lösung zu sein, um das Zeug loszuwerden.
Eva wohnte in einem schicken zweistöckigen Haus auf der Dupont Avenue in der Nähe des Lake Calhoun. Ganz in der Nähe hatte ihn mal ein Mädchen in einen Rosengarten geschleppt. Ihm gefielen die großen, alten Bäume, die die Straße säumten. Selbst ohne Blätter vermittelten sie den Eindruck von Sicherheit und Stabilität. Als er die kalten, schweren Tüten mit gefrorenem Wildfleisch aus dem Kofferraum des Buick holte, lief eine gutaussehende Joggerin vorbei, die stur geradeaus starrte und offenbar brandneue Sportklamotten trug, und plötzlich hatte Jordy das Gefühl, Millionen Kilometer von zu Hause weg zu sein.
Eva öffnete lächelnd die Tür, und Jordy machte unwillkürlich einen Schritt zurück. Ihm wurde auf einmal bewusst, dass ihn schon eine Weile lang niemand mehr angelächelt {291}hatte. Warum sie so glücklich zu sein schien, dass er da war, konnte er sich ums Verrecken nicht erklären.
»Jordy, komm rein«, sagte sie. »Ich hab dich schon erwartet.«
Im Haus roch es nach Kaffee und brennendem Zedernholz, und das große, offene Wohnzimmer mit dem Kamin und den sauberen, neuen Möbeln war schöner als alle Wohnungen, die er seit verdammt langer Zeit gesehen hatte. Auf dem einen Sofa saßen ein Mann und eine Frau, beide mit Laptop, er mit Stoppelbart, Tattoos und schwarzen Haaren, sie war blond und wirkte anstrengend – beide vermutlich um die dreißig, schwer zu sagen, aber erwachsen waren sie auf jeden Fall. Auf einem braunen Teppich hockte ein Teenager und spielte mit seinem Smartphone. Alle sahen ihn an, als er eintrat, und auch wenn sie nicht unfreundlich wirkten, hatte er das Gefühl zu stören. »Ich muss auch gleich wieder los«, sagte er.
Eva umarmte ihn sehr fest. »Tut mir so leid mit deiner Mom«, sagte sie.
»Ja«, sagte Jordy und klopfte ihr einmal auf den Rücken. Erst war er überrascht, dass sie Bescheid wusste, doch dann fiel ihm Adam ein. »Danke.«
»Ich weiß, wie hart das ist. Meine Mom ist gestorben, als ich vierzehn war.«
»Wow«, sagte Jordy. Was sollte man sonst dazu sagen? In dem Alter war es wahrscheinlich noch viel schlimmer. Aber es wirkte zumindest nicht so, als hätte der Tod ihrer Mutter Eva das Leben versaut oder so.
»Ach«, sagte sie und behielt die Hand auf seinem Rücken, während sie sich zu den Leuten im Wohnzimmer umdrehte, {292}»Leute, das ist Jordy, der Bruder von Adam, einem Freund von mir. Jordy, das sind mein Cousin Randy, meine Cousine Braque und Braques Sohn Hatch.«
Braque zog eine Augenbraue hoch. »Ein Freund von dir?«, fragte sie.
»Sei still«, sagte Eva und drohte Braque mit dem Zeigefinger.
Die stieß Hatch mit dem Fuß an. »Hatch, guck doch mal eine Sekunde nicht auf dein Handy, und begrüß unseren Gast.«
Hatch sah auf und winkte unmotiviert.
Braque warf Jordy einen resignierten Blick zu. »Der Junge hat die Scheißteile buchstäblich schon vor seiner Geburt geliebt.«
»Ich hasse es, wenn jemand das Wort ›buchstäblich‹ falsch benutzt«, sagte Eva. Jordy stellte fest, dass man es hier wohl sehr genau nahm, das Fluchen aber unkommentiert blieb.
»Was hast du in den Tüten?«, fragte Randy und stand auf, um besser sehen zu können. Er wirkte wie jemand, der in seinem Leben viel durchgemacht hatte, das sah Jordy ihm irgendwie an.
»Wild«, sagte er.
»Geil«, sagte Randy. »Ich liebe Wild.«
Braque wandte den Blick nicht von Jordy ab. »Eva hat nicht mal ein Foto von Adam. Ich hab schon überlegt, ob es ihn wirklich gibt.«
»Keine Fragen mehr zu seinem Bruder«, sagte Eva.
Jordy war neugierig, warum Eva offenbar nicht viel über ihre Beziehung mit Adam erzählt hatte. Jordy wusste, dass Eva und er sich vor sechs Jahren auf einer Dinnerparty {293}kennengelernt hatten. Sie kannten sich also schon lange, aber vor zwei Monaten war sie in seine Bäckerei gekommen, um Brot für irgendein Event zu kaufen, und seitdem machten sie viel zusammen. Es war nichts Heimliches oder Merkwürdiges dabei. Aber vielleicht war Eva einfach ein sehr zurückhaltender Mensch. Wenn es so war, dann respektierte er das.
Eva lächelte Jordy an, der sich nicht bewegt hatte. »Sicher, dass du nicht die Jacke ausziehen und noch ein bisschen bleiben willst?«, fragte sie. »Das Mittagessen ist fast fertig.«
»Ich weiß nicht.« Er hätte schon einen Bissen vertragen können, dachte er. Kam drauf an.
Braque sah ihm wieder direkt in die Augen. »Es gibt Krautsalat aus Wirsing und Mammoth-Red-Rock-Rotkohl, das Dressing ist mit selbstgemachtem Erdnussöl, dazu veganes Alu Gobhi mit Purple-of-Sicily-Blumenkohl und Chenango-Kartoffeln. Ach, und jede Zutat ist auf einem Stück Land gewachsen, das entweder Eva selbst oder Bekannten von ihr aus der Region gehört. Was sagst du jetzt?«
Jordy gab es nicht gern zu, aber er war ein wenig verwirrt. Sein erster Gedanke war: Wozu der ganze Aufwand? Machte sie jeden Tag so krasses Zeug zum Mittagessen? Das war ja anstrengend.
»Das muss er doch alles gar nicht wissen«, sagte Eva. »Es ist im Grunde einfach nur Krautsalat und ein pikanter Kartoffel-Blumenkohl-Eintopf. Das ist der Beta-Test für das Dinner am Wochenende.«
»Cool«, sagte Jordy, zog seine Jacke aber trotzdem nicht aus.
Braque nahm Evas Hand. »Hey, ich frag einfach ihn«, {294}sagte sie und sah Jordy an. »Okay, also Eva hat gerade ein unglaubliches Angebot bekommen: Sie soll Cater-Mania von Miles Binder übernehmen. Guckst du die Sendung?«
»Hab schon mal davon gehört«, sagte Jordy.
Eva schüttelte den Kopf. »Im Leben würde ich diese Sendung nicht machen, und auch keine andere.«
Braques Geste bezog den ganzen Raum ein. »Alle finden, dass du es verdammt noch mal machen sollst.«
»Ich mach’s aber nicht.«
»Du bist so bescheuert. Alle großen Köche haben Fernsehsendungen. Du brauchst auch so was – und ein Kochbuch. Du brauchst einen Arsch voller Kochbücher.«
»Ich kriege so schon mehr Aufmerksamkeit, als mir lieb ist«, sagte Eva. »Vielleicht mache ich nächstes Jahr wieder in der Jury von einem Backwettbewerb mit. Das macht nämlich Spaß und ist einfach. Der ganze andere Kram nicht.«
»Auf deiner Website gibt es nicht mal Bilder oder Rezepte«, sagte Braque.
»Stimmt, gibt es nicht«, sagte Eva grinsend.
»Ich hasse es, mit dieser Frau zu streiten!«, rief Braque und schüttelte den Kopf.
Randy lachte. »Der Trick ist, keine andere Meinung zu haben als sie.«
Braque sah den Neuankömmling an. »Was sagst du dazu, Jordy?«
»Ich weiß nicht«, sagte er. Es machte ihn total nervös, dass diese Leute ihn die ganze Zeit anguckten, obwohl er überhaupt nichts zu sagen hatte. »Ich glaub, ich mach mich mal auf den Weg.«
Er warf noch einen flüchtigen Blick ins Wohnzimmer, als {295}er die Haustür öffnete. Randy und Braque sahen richtig deprimiert aus, als wäre Jordy ein Basketballstar, der ihr Lieblingsteam im Stich ließ oder so. Es war schon nett, dass sie ihn dahaben wollten, aber er kannte diese Leute nicht, und ihre Streitereien und diese Fragerei machten ihn unruhig.
Braque setzte sich auf. »Dann grüß deinen Bruder mal von uns. Hoffentlich ist er nur halb so süß wie du.«
Er nickte und hoffte, diese Braque nie wiederzusehen.
Eva schnappte sich ihre Handtasche von der Ablage neben der Tür, ging hinter Jordy nach draußen und schloss die Tür. »Was meinst du, reichen hundert?«
»Was?«, fragte er. Sein Gesicht wurde sofort rot von der kalten Luft, und endlich hatte er nicht mehr den Geruch eines fremden Zuhauses in die Nase. Er hatte gar nicht gemerkt, dass sie ihm nach draußen gefolgt war.
»Für das Wild. Ich hoffe, das reicht.«
Jordy wollte erst sagen, dass sie ihm dafür kein Geld zu geben brauchte, aber dann überlegte er es sich anders. »Hundert sind in Ordnung.«
Eva gab ihm das Geld und umarmte ihn noch mal. »Wenn du irgendwas brauchst – egal, was –, sag Bescheid, ja?« Sie sah ihn eindringlich an. »Ich denke an dich.«
»Ja, okay«, sagte er. Sie war richtig nett, und vielleicht meinte sie es sogar, wie sie es sagte, aber er wusste nicht, wie er darauf reagieren sollte. »Danke«, sagte er schließlich. Er hatte dieses Wort noch nie so oft benutzt wie in dieser Woche, in der er gelernt hatte, dass man damit wunderbar Gespräche beenden konnte. Dabei gab diese Frau sich mehr Mühe als die meisten und hatte das wahrscheinlich gar nicht verdient.
{296}Auf dem Weg nach Hause fragte er sich, ob er wohl mehr als hundert Dollar hätte kriegen können. Er konnte einfach nicht verhandeln. Aber egal. Das waren hundert Dollar mehr, als er vor einer halben Stunde gehabt hatte, und er würde sie brauchen, wenn die Pillen seiner Mom aufgebraucht waren, was nicht mehr lange dauern konnte. Er würde nur rauskriegen müssen, wo man so was herbekam. Er hatte ein paar Ideen. Er war gut in solchen Dingen. Oder musste gut sein. Denn heute war schon wieder ein Vier-Pillen-Tag. Das ahnte er schon jetzt.