Die Prüfung auf Aruba

Am nächsten Morgen checkte ich meine E-Mails und stieß dabei auf eine wichtig Nachricht meiner Agentur. Noch am selben Tag sollte ein Casting für ein exklusives Modejournal stattfinden. David befreite mich dazu großzügig von meinem »Strafdienst«.

Nur sieben Mädchen kamen zu dem besagten Termin, vermutlich wegen der Kurzfristigkeit, also standen meine Chancen gut. Ich war die Einzige mit langen schwarzen Haaren. Trotzdem glaubte ich, meinen Ohren nicht zu trauen, als kurzerhand am Ende des Castings das Ergebnis verkündet wurde. Gemeinsam mit zwei anderen Models wählten sie mich aus. Für ein Bikini-Shooting auf Aruba ... ARUBA! Wie sollte ich das bloß David erklären?

Auf dem Heimweg besorgte ich Sushi, schließlich war ich für das Abendessen zuständig und außerdem wusste ich nur zu gut, wie sehr David Sushi liebte. Ich konnte ihm damit auch tatsächlich ein Lächeln auf die Lippen zaubern, als ich es zu Hause auftischte. Er öffnete seine obligatorische Flasche Champagner – hart erspart durch meine Putzdienste – und schenkte uns ein.

»Wie ist dein Casting gelaufen?«, fragte er aufmerksam.

Ich strahlte stolz bis über beide Ohren. »Mein Casting ist der Grund für Sushi und Champagner!«

»Zahlen sie so gut?«

»Nein, ich will dich bestechen.«

David lächelte. »Wofür brauchst du meine Erlaubnis?«

»Du musst meine Strafe für eine Woche aussetzen.«

»Kommt gar nicht in Frage!«

»David ... bitte ... Es ist ein wichtiger Job!«

»Eine Woche lang?« Er zog skeptisch eine Augenbraue hoch.

»Ja, ein Katalog-Shooting, gemeinsam mit zwei anderen Mädchen von Liberty Models auf ... Aruba.«

»Aruba? Ich soll dich wegfliegen lassen?«

Ich nickte hoffnungsvoll.

David konnte sich nicht freuen. Er fuhr sich gequält durch die Haare. »Wann?«

»Es ist sehr kurzfristig. Sie hatten eigentlich Models einer anderen Agentur gebucht und da gab es irgendwelche Komplikationen ... und ...«

»Wann?«, unterbrach mich David.

»Sonntag.«

David stand vom Tisch auf und ging Richtung Schlafzimmer. Sofort lief ich ihm hinterher. Wo war das Problem? War er eifersüchtig? Hatte er Angst, er würde mich verlieren?

»Darf ich reinkommen?«, fragte ich, nachdem ich anständig im Türrahmen stehen geblieben war.

David saß auf dem Bett und seufzte. »Ja.«

Ich kniete zwischen seinen Beinen nieder und küsste ihn auf die Wange. Dann umarmte ich ihn innig. »Ich gehe nicht, wenn du es nicht willst«, versprach ich ihm.

Aber David schwieg.

»Ich liebe dich, David ... Ich würde dich nie betrügen. Das mit Jude war eine Ausnahme. Bitte, glaube mir. Du brauchst keine Angst um mich zu haben. Es gibt für mich keinen schöneren Mann ... nicht auf dieser Welt ... und ganz bestimmt nicht auf Aruba. Ich will dich nicht verlieren, David, es ist nur ein Job. Ein ganz toller Job ... bitte erlaube es mir ...«

David kam ganz nahe an mein Ohr und hauchte: »Ja.«

Erstaunt sah ich ihn an. »Heißt das ... ich darf?«

Er lächelte. »Ich hatte nie vor, es dir zu verwehren.«

Ich war kurz sprachlos. Dann stieß ich ihn zurück auf sein Bett.

»Es war trotzdem schön, dir zuzuhören«, gestand er.

Auf der Stelle wollte ich beleidigt gehen, aber David hielt mich fest, und riss mich zu sich aufs Bett. Er schloss mich in seine Arme und obwohl er mich ganz schön dran gekriegt hatte, musste ich ihn einfach küssen. Es war das erste Mal, seit meiner Entgleisung mit Jude, dass David mir freundlich gesinnt war und ich war sofort hell erfreut darüber. Ich vergaß, dass wir eigentlich essen wollten, Champagner, Sushi, Hayle. Davids Lippen waren alles, was ich jetzt brauchte, und meine Begierde entfachte auch bei ihm ganz schnell die Leidenschaft. Seine Hand griff zwischen meine Beine. »Ich will dich, Zahira!«, schmachtete seine warme Stimme.

»Ja«, hauchte ich sehnsüchtig und gleichzeitig hoffte ich, dass er es so gemeint hatte, wie auch ich. Ich wollte mich diesmal nicht für ihn umdrehen. Er sollte mich lieben, wie man eine Frau liebt, und die Tatsache, dass ich noch immer auf meinem Rücken lag, schenkte mir Hoffnung. David war heiß. Unglaublich heiß! Ich kannte ihn so gar nicht. Er zog ungeschickt an meinem Höschen, bis ich ihm half, es nach unten zu streifen. Und ohne sich selbst auszuziehen, kam er über mich, mein Kleid rutschte nach oben, er griff mit einer Hand in seine Jogging-Hose und in der nächsten Sekunde stieß er in mich. Ein Schrei brachte mein Blut in Wallung. Er gab mir wundervolle Bewegungen. Rhythmisch und hart. Viel härter, als ich es von ihm gewohnt war. Vielleicht wollte er Jude Konkurrenz machen. Aber sein Schwanz passte so gut, mit niemandem wollte ich ihn vergleichen. Ich half ihm aus dem T-Shirt, denn ich mochte es, David zuzusehen, wie sich sein schlanker Körper wellenförmig auf mir bewegte. Ich mochte seine blasse Haut, die so zart, glatt und rein war, wie die eines jungen blonden Mädchens ... und plötzlich brachte mir sein Rhythmus ein durchgehendes Hochgefühl, das kaum zu übertreffen war. Zum ersten Mal in meinem Leben wünschte ich mir, keinen Orgasmus zu bekommen, denn das hätte meine Lust kaum noch steigern können ... es hätte sie nur beendet. Aber dieser Wunsch blieb mir verwehrt. Sein Schwanz versetzte mir noch ein paar gezielte Stöße, dann war es um mich geschehen. Mein Unterleib bog sich ihm entgegen, ich zitterte, bebte und keuchte – ich hatte mich geirrt, es gab doch noch eine Steigerung – gleichzeitig hörte ich David laut aufstöhnen und im nächsten Moment ergoss er sich in mich. Es pulsierte heftig in mir, während meine intimen Muskeln sich unerbittlich um seine Erektion schlossen. David sackte über mir zusammen und ließ sich von den Ausläufern meines Höhepunktes verwöhnen ... von den kleinen Wellen, die noch immer voller Hingabe an seiner Härte saugten. Glücksgefühle durchströmten meinen Körper. Ich liebte es, wenn er mit seinem ganzen Gewicht auf mir lag und mir den Atem raubte. Meine Arme schlangen sich um seine Schultern, David gehörte mir, mir allein. Ich versuchte, ihn so lange wie möglich zu halten ... bis er sich von mir löste ... und erschöpft auf den Rücken fiel. Ich folgte ihm, rollte mich an seinem Arm klein zusammen und strahlte vor Glückseligkeit.

»Du hast es schon wieder getan ...«, seufzte er vorwurfsvoll.

Aber ich reagierte nicht, in meinem Universum drehten sich noch die Sterne.

David nahm liebevoll mein Gesicht in seine Hände. Er küsste meine erhitzten Wangen. »Du hast mich mit deinen kleinen kräftigen Muskeln um den Verstand gebracht.«

Ich sah es zwar als Kompliment, aber ich konnte noch nicht antworten.

David sprach nachdenklich weiter: »Ich überlege ernsthaft, ob ich es dir sagen soll ...«

Dieser Satz holte mich dann doch aus meiner Trance. »Was?«, flüsterte ich neugierig.

Er lächelte. »Weißt du, ich möchte wirklich nicht über Santiago reden, und normalerweise dürfen die Mädchen so etwas auch nicht wissen ...« David seufzte und ich hoffte, dass er weitersprechen würde. Aufgeregt blickte ich in seine Augen. »Santiago war deshalb ganz verrückt nach dir.«

»Weshalb?«, fragte ich ungeduldig.

David streichelte über meine Wange. »Wie ich gesagt habe ... wegen deiner kleinen kräftigen Muskeln ... du bist ohnehin viel enger als die anderen Mädchen, aber wenn du dann anfängst, an meinem Schwanz zu klammern, könnte ich aus der Haut fahren. Und bei Santiago war es nicht anders. Die Männer auf Ivory wussten das alle, er hat mehrfach davon erzählt und regelrecht damit geprahlt. Du bekamst dann auch ziemlich schnell Sex-Verbot und Wasserflaschen anstelle des Trinkautomaten. Er wollte sich selbst nichts zerstören. Vielleicht ist das auch der Grund, warum ich bei dir so viel empfinde und mich davor noch keine Frau zum Orgasmus gebracht hat.«

Ich schluckte. »Ich dachte immer, er hätte meinen Mund bevorzugt ...«

David nickte. »Ja, das auch, aber das hat damit nichts zu tun. Oralverkehr hat für ihn einen eigenen Kick. Er braucht sich dabei nicht anzustrengen, während das Mädchen auf jegliche Zuneigung verzichten muss und er nebenbei ihre Versagensangst genießen kann. Und du hast ihm auch da weit mehr gegeben, als er erwartet hatte. Also wenn ich daran denke, dass er jetzt ohne dich auskommen muss ... und du bist erst achtzehn ... Ich will dich wirklich nicht beunruhigen, aber ich traue mich fast zu wetten, er wird dich zurückholen.«

Ich schüttelte den Kopf. »David, ich glaube nicht, dass er sich die Blöße gibt und eines Tage bettelnd vor unserer Tür steht.«

David lachte. »Mach dir keine Sorgen. So läuft das nicht. Wenn es so weit ist, wirst du vor ihm knien und betteln. Glaub mir.«

Ich wollte das nicht hören. Selbst, wenn er recht hatte und Davids Worte bereits ein verzücktes Kribbeln in meinem Unterleib auslösten, ich wollte es zu diesem Zeitpunkt nicht zugeben. Ich versuchte, mir selbst einzureden, ich könnte David nie verlassen.

***

Während der nächsten Tage besuchte ich gleich zweimal ein Sonnenstudio, um nahtlose Bräune zu tanken ... für Aruba. Und dann, endlich, war Sonntag. Ich beschloss, Angel auf meine Reise mitzunehmen, denn ein einsames Hotelzimmer bot den idealen Ort, um Judes Wunsch nachzukommen. Gleichzeitig plagte mich das schlechte Gewissen, dass ich mich nach unserem letzten Mal fünf Tage nicht gemeldet hatte und ich machte einen folgenschweren Fehler. Via SMS wollte ich ihn über meine geplante Reise informieren und schrieb: »Hi, Jude! Ich fliege heute mit Angel nach Aruba ... eine Woche Bikini-Shooting ... melde mich vom Hotel. Love, Zahira.«

Während ich auf eine Antwort von ihm wartete, packte ich meine Sachen. David wollte mich zum Flughafen begleiten und wir saßen bereits in einer Miet-Limousine, als mein Handy vibrierte. »Wann ist Check-in?«, fragte Jude. Ich erschrak. Was hatte er vor? Nur zögernd schrieb ich zurück: »Dreizehn Uhr« und er antwortete: »Lass Angel in deinem Handgepäck!«

Was auch immer er plante, keinesfalls würde ich Angel in aller Öffentlichkeit an mich lassen! Soweit musste mich Jude doch kennen. Außerdem würde ich im Flugzeug mein Handy ausschalten. Ich konnte mir seinen Wunsch nicht erklären, aber das störte nicht weiter, denn Angel war ohnehin in meiner Handtasche. Zu groß war meine Angst, dass er vielleicht mit meinem Koffer hätte verloren gehen können.

In der riesigen Abflughalle warteten bereits Joleen und Chiara, gemeinsam mit dem Fotografen. Ich blieb mit David etwas abseits stehen, um mich von ihm zu verabschieden.

»Wer ist das?«, fragte er.

»Der Fotograf«, antwortete ich, »ein ziemlich bekannter! Gerry Hemingway, er hatte schon Supermodels vor der Linse. Er fliegt mit uns.«

David nickte und ich sah ihm an, dass ihn das nicht glücklich machte. Ich umarmte David innig. »Ich liebe dich, David, und ich betrüge dich nicht!« Dann sah ich ihm wieder in die Augen und lächelte. »Noch einen Monat putzen könnte ich nicht ertragen, glaub mir!«

David schmunzelte und gab mir einen Kuss auf den Mund, dann sah er mich stumm an – ein für mich sehr schmerzliches Verhalten, das noch von Ivory auf ihn abgefärbt hatte. Es gab keine Worte der Verabschiedung, die es mir vielleicht etwas erleichtert hätten, zu gehen – genau wie bei Jude. Ich wartete bestimmt eine Minute lang ... und schließlich musste ich gehen, ohne ein einziges liebevolles Wort von ihm. Ich küsste ihn noch mal auf die Wange, sah den Schmerz in seinen Augen und wandte mich schweren Herzens von ihm ab. Am liebsten hätte ich in diesem Augenblick alles hingeschmissen. Das war es überhaupt nicht wert. Niemand war angewiesen auf das bisschen Geld, das ich dort verdienen würde. Völlig in mein Trübsal verstrickt, gesellte ich mich zu den anderen beiden Models.

Der Fotograf kam mit einem mitfühlenden »Hey, was ist los?« auf mich zu. Er sah, dass ich traurig war und wollte mir über die Wange streichen. Doch sofort schreckte ich entsetzt zurück, fast so, als hätte er mich schlagen wollen. Nicht auszudenken, wie das auf David gewirkt hätte, wenn ich mir so einfach ins Gesicht hätte fassen lassen. Jedoch waren jetzt alle drei etwas perplex, warum ich so überreagierte.

»Entschuldige bitte, ich wollte dir nicht zu nahe treten«, beteuerte er sofort. »Ich bin Gerry.«

Ich schüttelte den Kopf, es war nicht seine Schuld, gleichzeitig reichte ich ihm die Hand und seufzte: »Zahira.«

»Ist das dein Freund?«, fragte er.

Ich nickte. Er hatte mich also mit David beobachtet.

Gerry lächelte verstehend. »Können wir jetzt gehen?«

Wir machten uns auf den Weg zum Check in. Nach der Passkontrolle suchten wir ein gemütliches Café, wo wir uns die Zeit bis zum Boarding vertreiben konnten. Gerry war nicht unattraktiv, sportlich und groß, am auffälligsten erschienen mir jedoch seine kräftigen Haare, die er in gepflegten hellbraunen Wellen bis weit über seine Schultern trug. Ich fand ihn auch höflich und nett, etwas jünger als David, doch der Tatsache, dass er ziemlich gut aussah, hatte er es vermutlich auch zu verdanken, dass ich mich nicht wirklich mit ihm unterhalten wollte. Meine Aufmerksamkeit galt eher den beiden Mädchen. Chiara sprach jedoch nur französisch, da war ich auch mit meinen Spanisch-Kenntnissen recht schnell am Ende, und Joleen wirkte etwas unnahbar auf mich. Plötzlich kam die SMS, für die ich Jude wohl noch länger hassen sollte: »Ich möchte, dass du Angel beim Security Check aus dem Samtbeutel nimmst und ihn oben auf in die Plastik-Schale legst. Das ist ein Befehl.«

Sofort tippte ich in mein Handy: »Du spinnst!« Aber noch bevor ich »senden« drücken konnte, überkamen mich Zweifel bezüglich der Wortwahl. So durfte ich mit Jude nicht reden. Also löschte ich es wieder. Dann las ich seine SMS noch einmal und während sich gleichzeitig prickelnde Erregung in meinem Unterleib auszubreiten begann, bekam ich es mit der Angst zu tun. Nein, diesen Gefallen würde ich Jude nicht tun, ganz bestimmt nicht. Ich atmete schwer und kämpfte mit meinem Schamgefühl. Dann knallte ich das Handy auf den Tisch und fuhr mir verzweifelt mit beiden Händen in die Haare, als die nächste SMS kam: »Ich will deine Bestätigung! Jetzt!«

Ohne weiter nachzudenken tippte ich »Ja« und drückte auf »senden« und erhielt »Ich denke an dich« retour. Plötzlich hatte der ganze Flughafen für mich eine andere Dimension. Es war nicht mehr die Realität. Ich ging wie auf Wolken und machte mir nur noch Gedanken, ob ich besser vor oder hinter den anderen die Sicherheitskontrolle passieren sollte. Mein Herz klopfte. Ständig musste ich mich damit beruhigen, dass man mich bestimmt nicht verhaften würde, nur weil ich meinen Vibrator offen herzeigte. Dann bekam ich aber doch die Panik. Kurz vor der Kontrolle entschuldigte ich mich bei den anderen mit dem Vorwand, ich müsse noch auf die Toilette. Ich bog um die Ecke und wartete ein paar Minuten. Wenn ich mir schon die Blöße geben sollte, dann wenigstens nicht vor meiner Agentur. Das war ja geradezu rufschädigend, was Jude mit mir machte. Kurz darauf nahm ich all meinen Mut zusammen. Ich stellte mich gleich zum ersten Röntgen-Förderband und legte meine Jacke in eine Plastik-Schale. Mein Herz klopfte mir bis zum Hals, als ich nach dem Samtbeutel suchte. Ich platzierte meine Handtasche in der zweiten Schale und die dritte ließ ich ganz allein für Angel ... Der weiche Samt bereitete ihm eine würdige Unterlage und darauf glänzte er ... wunderschön ... und aus purem Gold. Als ich mich von dem Anblick wieder losreißen konnte, stand Gerry neben mir. Er blickte auf Angel und zog eine Augenbraue hoch.

Mist! Verdammt! Ich musste in der Sekunde hochrot angelaufen sein. Mein Herzschlag war ohnehin kaum noch zu übertreffen. Im nächsten Moment winkte man mich durch den Metalldetektor. Ungeduldig wartete ich nun auf der anderen Seite des Förderbandes und beobachtete die Gesichter der Sicherheitsleute. Sie hielten das Band an und diskutierten. Eine Frau zeigte auf mich. Ich musste mich schließlich zur Seite drehen und strich verlegen durch meine Haare. Dann spürte ich eine Hand auf meinem Rücken. »Hier, deine Sachen ...« Gerry hielt mir die Jacke auf. Sofort packte ich Angel wieder in meine Handtasche und wir gingen weiter. »Was sollte das?«, fragte er.

»Warum bist du nicht mit den anderen vorausgegangen?«, fragte ich zurück.

»Ich musste auf dich warten. Was, wenn dir auf der Toilette schlecht wird?«

»Danke. Aber jetzt ist mir noch viel mehr schlecht!«

»Erklär mir das! Welche Frau legt bitte ihren Vibrator offen in die Schale? Das war völlig unnötig!«

»Das ist kein Vibrator!«, entgegnete ich.

»Nicht? Was dann?«

»Das geht dich nichts an ... bitte ...« Ich machte eine abweisende Handbewegung.

Als wir zum Gate kamen, war der erste Transferbus mit den beiden anderen Mädchen bereits weg. Wir nahmen den zweiten und im Flugzeug stellte ich etwas genervt fest, dass ich nun auch noch neben Gerry sitzen musste. Nach dem Start lehnte er sich bequem zurück. »Wie alt bist du?«, fragte er interessiert.

Gott, wie sollte ich das sechs Stunden durchstehen? Etwas ungehalten antwortete ich ihm: »Ich bin achtzehn Jahre, habe einen Freund in New York, einen Geliebten in L. A., einen ziemlich einflussreich Ex-Freund, der nach mir sucht und einen Vibrator in der Handtasche! Noch Fragen?«

Gerry lachte amüsiert. »Alles klar.« Kurz darauf korrigierte er sich. »Nein, doch, eine Frage noch ... das an deinem Hals ...«

»... ist ein Brandmal«, unterbrach ich ihn. »Genau! Die Sekte, die hatte ich glatt vergessen!«

Gerry nickte anerkennend. »Du bist eine interessante Frau.«

Ich musste selbst ein wenig schmunzeln. Aber für den Rest der Reise hatte ich, abgesehen von belanglosem Smalltalk, meine Ruhe. Vermutlich hatte er begriffen, dass ich über mein Privatleben nicht reden wollte.

Wir landeten bei Sonnenuntergang auf Aruba und ein Taxi brachte uns in ein exklusives Hotel. Als hätte ich heute noch nicht genug Aufregung erlebt, passierte bei unserer Ankunft dann noch etwas ziemlich Unerwartetes, was mir Gewissheit brachte, diese Reise würde für mich zu einer Prüfung werden.

Wir trafen uns in der Lobby mit der restlichen Crew ... Visagisten, Stylisten, Grafiker und andere Abgesandte des Modejournals. Insgesamt umfasste das Team vierzehn Personen und so kam es, dass uns der Hotelmanager persönlich begrüßte. Er erschien mit einer aufreizend gekleideten jungen Dame, die rund um mit Blüten geschmückt war und uns Cocktails reichte. Er selbst trug einen dunklen Anzug und als mein Blick das erste Mal auf ihn fiel, blieb fast mein Herz stehen. Er sah aus wie Santiago ... die schwarzen Haare, streng nach hinten gekämmt, dieselbe Statur, der südländische Teint, das charmante Lächeln, der gleiche Gang ... einfach alles. Vielleicht war er ein paar Jahre älter. Wie auch immer, ich konnte nicht hinsehen, die Ähnlichkeit raubte mir den Atem. Jemand drückte mir einen Cocktail in die Hand und während ich beobachtete, wie er den anderen beiden Models bereits die Hände schüttelte, nahm ich einen großen Schluck von dem, wie ich leider feststellen musste, anti-alkoholischen Frucht­shake. Als er vor mir stand, gab ich ihm nervös meine Hand und merkte gleichzeitig, wie das Glas in meiner anderen zu zittern begann. Keine Ahnung, was er sagte, denn ich konnte mich kurz darauf nicht mal mehr an seinen Namen erinnern, aber aus der Nähe sah er noch viel umwerfender aus. Ich hoffte inständig, er hatte eine Frau, eine Geliebte, zehn Kinder oder er sollte homosexuell sein. Wobei letzteres ... ach, ich wollte nicht wirklich darüber nachdenken.

Eine Assistentin des Modejournals informierte uns noch, dass wir erst übermorgen mit Fotoaufnahmen starten würden und demnach morgen frei hätten. Die Runde löste sich so langsam auf und ich bezog mein Zimmer im zweiten Stock des Haupthauses. Vom Balkon aus hatte ich einen wunderschönen Ausblick auf den Pool, weiter unten am Strand sah ich beleuchtete Palmen und auf der anderen Seite das Abend-Restaurant mit seiner großen Terrasse. Ich wollte heute nicht mehr nach unten gehen, also bestellte ich mir Essen aufs Zimmer. Wenig später fiel ich erschöpft ins Bett, ohne Angel auch nur einen Funken Beachtung geschenkt zu haben. Stattdessen versuchte ich krampfhaft, dieses Bild aus meinen Gedanken zu verbannen, das Bild von »Santiago 2«, denn es machte mich traurig.