Willkommen zu Hause!
Ich erwachte mehrmals, weil ich auf dem ungewohnt harten Boden nicht gut liegen konnte, bis endlich Schritte vor meiner Tür zu hören waren. Stöckelschuhe! Es war Morgen und die Mädchen durften ins Bad. Mein Herz machte Freudensprünge! Nach ein paar Minuten stellte ich jedoch enttäuscht fest, dass meine Tür nicht aufgegangen war. Sie duschten ohne mich. Etwas betrübt lehnte ich mich an die Mauer und versuchte mich in Geduld zu üben, bis es draußen wieder still wurde.
Mein Blick fiel auf die lange Wand linker Hand vom Eingang aus gesehen, und ich bemerkte eine Neuerung im Vergleich zu früher. Es gab jetzt Eisenringe, die an mehreren Stellen zwischen den massiven schwarzen Steinen hervorlugten ... ohne erkennbares System und verteilt auf alle Höhen. Sie erinnerten mich am eine obszöne Flugblattwerbung für einen SM-Club in New York, wo eine junge Frau wie gekreuzigt in den Ringen hing und ein Mann zwischen ihren Beinen kniete, um sie zu lecken. Dieses Bild hatte mich ziemlich lange verfolgt und ich musste schmunzeln, als es nun wieder in meinem Kopf auftauchte. Aber sofort war ich mir tausendprozentig sicher, die Ringe hier hatten einen anderen Zweck. Vielleicht würde mich jemand an die Wand fesseln. Aber zwischen meinen Beinen niederknien, um mich zu lecken? Wer?
Gerade, als ich über mein ganzes Gesicht belustigt grinste, öffnete sich meine Schiebetür und Damian kam herein. Ich stand auf und konnte mein Lächeln nicht abstellen.
»Was amüsiert dich?«, fragte er neugierig.
Ich schüttelte den Kopf. »Bitte entschuldige.«
»Bist du glücklich, wieder hier zu sein?«
»Ja.« Ich war glücklich, ungelogen. Überhaupt jetzt, wo ich den gestrigen Tag überstanden hatte.
Damian nickte verständnisvoll. »David hat mich heute Morgen angerufen.«
Schlagartig wurde ich ernst und sah ihn verängstigt an. »Was wollte er?«
»Er hat sich erkundigt, ob es dir gut geht.«
Sofort stockte mein Atem. Ich traute mich fast nicht zu fragen, was Damian ihm geantwortet hatte. »Du hast ihm doch nichts erzählt, oder?«
»Er hat sich mehr oder weniger mit einem schlichten ›Ja‹ zufriedengegeben und wollte nichts Genaueres wissen.«
»Danke, Damian.«
»Wofür? Wie ich sehe, war es nicht gelogen. Du siehst glücklich aus.«
»Ja, aber trotzdem ... gestern auf dem Schiff ... Ich war mir nicht sicher, ob ich das ...«
Damian legte einen Finger auf meine Lippen. »Versuch es zu verdrängen. Bitte. Ich werde mich mit dir nicht über gestern unterhalten.«
Ich nickte. Offenbar war es ihm unangenehm.
»Santiago wird gleich zu dir kommen.«
Ein kleines Lächeln legte sich auf meine Lippen, bis Damian weitersprach: »Du kannst noch kurz ins Bad, dann muss ich dich fesseln.«
Wenig später waren meine Handgelenke zirka einen halben Meter von meinem Kopf entfernt an die Steinwand gekettet. Mein kurzes Seidenkleid und meine Schuhe durfte ich anbehalten. Ich war nervös und lauschte jedem Geräusch, das ich vor meiner Tür vermutete, bis sie sich schließlich öffnete und Santiago einen kurzen Blick hereinwarf. Mein Herz überschlug sich. Er blieb jedoch draußen stehen und unterhielt sich weiter mit Damian und ein oder zwei weiteren Männern. Sie lachten und schienen sich köstlich zu amüsieren, während mein Herzklopfen sich ins Unermessliche steigerte. Ich wusste selbst nicht, warum ich plötzlich so viel Angst vor ihm hatte. Vielleicht weil ich gestern Amistad erlebt hatte und ich mir vorstellen konnte, dass er es nicht tatenlos hinnehmen würde, dass ihn jemand an Grausamkeit übertraf. Ich hatte Angst, er würde mir jetzt beweisen wollen, dass immer noch er derjenige war, vor dem ich mich in diesem Haus zu fürchten hatte. Und ich fand diese Fesseln so unnötig. Wie konnte er nur denken, ich würde mich ihm widersetzen? Oder waren sie einfach nur dazu gut, damit ich mich ihm ausgeliefert fühlte ... mit erhobenen Händen, als würde er mich mit einer Waffe bedrohen ... wehrlos und verletzlich? Vermutlich. Und ich musste mir selbst eingestehen, dass es wirkte. Nervös und ungeduldig stieg ich von einem Bein auf das andere.
Santiago sah nun schon zum zweiten Mal in meine Richtung und hatte auch bereits eine Hand an den Türrahmen gelegt. Wenigstens konnte ich mittlerweile einschätzen, dass er gut gelaunt war. Damian erklärte ihm auch ziemlich geschickt verpackt, dass er mich bereits informiert hätte, dass Jude und Victoria die Insel verlassen hatten. Dann hörte ich Damian sich entfernen und Santiago kam endlich zu mir, gefolgt von Amistad und Cheyenne. Wie gestern auf dem Schiff teilten sie sich die Plätze an seinen Seiten, während er sich mir gegenüber aufstellte. Für mich waren sie jedoch bedeutungslos. Ich sah nur Santiago. Er lehnte sich zurück an die Wand und die fröhliche Stimmung war nun schlagartig aus seinem Antlitz gewichen. Sein Tonfall wirkte leicht genervt, als er zu reden begann: »Amistad hat mir gestern noch erzählt, du hättest einige Fragen? Also ... was quält dein kleines Gehirn?«
Ich zischte verächtlich, musste lachen und verdrehte meine Augen. »So charmant hat mir schon lange keiner mehr einer Frage gestellt!«
Nahezu im selben Moment hatte ich seine Antwort in meinem Gesicht. Er traf mit seinem Handrücken zielgenau meinen rechten Wangenknochen, sodass ich meinte, kurz das Bewusstsein zu verlieren. Ich fiel auf meine Knie, wobei ich den Boden nicht ganz berührte, da meine Arme von den Fesseln nach oben gerissen wurden. Ein Schmerzensschrei entsprang meiner Kehle. Erschrocken sah ich zu ihm auf.
Santiago massierte seine eigene Hand und warf mir einen bitterbösen Blick zu. »Willkommen zu Hause!«
Mein Herz klopfte mir bis zum Hals und meine Knie zitterten, während ich mich wieder aufrichtete. Ich wollte mir an die Wange fassen, konnte aber, selbst als ich einen Arm zur Gänze durchstreckte und an der Manschette mit aller Kraft zog, mit keiner Hand mein Gesicht erreichen. Ich seufzte verzweifelt und sah, dass Amistad sich mir einen Schritt näherte. Er hatte eine Creme in der Hand und fasste exakt an die richtige Stelle in meinem Gesicht ... Ich zuckte zusammen.
»Da?«, fragte er überflüssigerweise.
Ich biss mir auf die Lippen und nickte.
Vorsichtig brachte er etwas Anti-Blaue-Flecken-Creme auf und trat wieder zurück.
»Also«, fuhr Santiago fort, »was wolltest du mich fragen?«
Ich schluckte hart. Genau genommen wollte ich jetzt überhaupt nichts mehr von ihm wissen. Zu groß war die Angst, meine Frage könnte seinen Vorstellungen nicht entsprechen. Aber ich musste etwas sagen und ich durfte ihn nicht warten lassen, also atmete ich tief durch und fand schließlich meine wohlüberlegten Worte: »Gestern auf dem Schiff ... dachte ich ... die beiden ... Herren ... wären deine Leibwächter.«
Er zog eine Augenbraue hoch und wartete kurz, bevor er das Wort ergriff. »Ich sehe, dein kleines Gehirn schafft es offenbar nicht, eine Frage zu formulieren, also werde ich dir diese Schwierigkeit abnehmen und dir eben das erzählen, was du meiner Meinung nach wissen sollst.«
Ich bemühte mich angestrengt, meine Mimik zu kontrollieren. Fast hätte ich schon wieder die Augen verdreht. Aber so senkte ich meinen Blick, bereit, ihm zuzuhören.
»Amistad und Cheyenne sind meine Geliebten.«
Sein geradliniges Bekenntnis überraschte mich dermaßen, dass ich ihn wieder ansah.
Der Stolz glänzte in seinen Augen und ich merkte richtig, wie viel ihm daran lag, mir die folgenden Sätze ans Herz zu legen. »Sie ersetzen David in doppelter Hinsicht. Amistad verfügt über die erforderliche Ausbildung, Erfahrung und Kompetenz, die ihn als meinen Leibarzt qualifizieren. Er ist zweifacher Doktor. Zudem besitzt er Wesenszüge, die ich vor allem im Umgang mit dem weiblichen Geschlecht sehr schätze, mit denen David aber nie aufwarten konnte, weil er einfach zu weich war. Amistad weiß, wie weit er sich an Schmerzgrenzen herantasten kann, er ist Arzt, hat die absolute Kontrolle und keine Scheu auf diesem Gebiet. Ich bin mir sicher, er konnte dies gestern auf der Symphonie bei dir unter Beweis stellen und trotz deiner verbundenen Augen einen bleibenden Eindruck hinterlassen.«
Ich nickte betroffen. Das war also die offizielle Bestätigung für meine Vermutung.
Santiago lächelte selbstgefällig und zum ersten Mal fühlte ich meine Liebe für ihn schwinden.
Aber er war noch nicht fertig mit seiner Ansprache. »Cheyenne«, Santiago griff nach dessen Hand und ich fand es geradezu belustigend, ihn nun händchenhaltend vor mir stehen zu sehen, aber ich konnte mich beherrschen. »Er ist die sensible Seite von David und obwohl er bisexuell ist, wirst du ihn nicht viel zu Gesicht bekommen, denn ich habe aus meinen Fehlern gelernt. Du nimmst mir keinen Mann mehr weg!«
Santiago hatte Angst vor mir? Wieder musste ich mir ein Lächeln verkneifen. Kommentar dazu erwartete er von mir ohnehin keinen, also hielt ich einfach meinen Mund.
»Du kannst gehen«, flüsterte er Cheyenne zu. Der verließ wortlos meine kleine Zelle.
Santiago wirkte sehr aufgebracht und es war mir ein Anliegen, seine Laune zu besänftigen. »Ich bewundere dich«, flüsterte ich und meinte es wirklich aufrichtig.
Seine Miene blieb jedoch unverändert. »Generell oder für etwas Bestimmtes?«
Ich lächelte verlegen. »Generell natürlich, aber jetzt meinte ich ... wie soll ich es ausdrücken ... deine Männer ... deine Wahl ...«
»Du willst mir Honig ums Maul schmieren!«, unterbrach er mich.
»Nein! Ich meine das ehrlich.« In Wahrheit war ich fasziniert davon, dass ihm ein Mann wie Amistad ergeben war. Aber das traute ich mich in dessen Gegenwart nicht zu sagen.
»Wollen wir das so stehen lassen ...« Santiagos Blicke waren skeptisch. »Aber jetzt zu dir. Wie geht’s dir da unten?« Er sah zwischen meine Beine, wo das kurze Kleid gerade noch bedeckte, was er nicht sehen sollte. Denn Unterwäsche hatte mir Damian nicht gegönnt.
Die Vorahnung, dass er heute noch etwas von mir wollte, bereitete mir ernsthaft Sorgen und ich hätte vermutlich alles getan, um das zu verhindern. Ich hatte noch immer Schmerzen, wenn auch etwas weniger als gestern, aber von »verheilt« konnte noch lange keine Rede sein. Und unser »Erstes Mal« nach so langer Zeit, hatte ich mir wahrlich anders vorgestellt, darum musste ich ihn unbedingt noch einen Tag vertrösten. »Ich denke bis morgen ist wieder alles in Ordnung«, flüsterte ich und hoffte, damit durchzukommen.
Er legte seinen Kopf etwas schräg. »So? Denkst du das?«
Ich nickte zögerlich und bekam ein flaues Gefühl im Magen.
»Dann werde ich mich also bis morgen gedulden«, schlug er vor und ich merkte, dass es ihm sichtlich Probleme bereitete, dabei kein Lächeln zu zeigen. Er konnte vermutlich selbst nicht glauben, dass ich ihm das abnehmen würde.
Skeptisch sah ich ihn an und traute mich nicht zu nicken.
»Wie schade, dass Geduld nicht zu meinen Stärken zählt«, seufzte er, »außerdem glaube ich nicht, dass du das selbst beurteilen kannst.« Er warf Amistad einen auffordernden Blick zu.
Meine Augenbrauen zogen sich gequält zusammen und ich riss an meinen Fesseln, denn am liebsten hätte ich mir die Hände vors Gesicht gehalten, damit er meine Verzweiflung nicht sehen konnte. Im nächsten Moment fasste mir Amistad an den Hals und schob mit seinen Füßen meine Beine so weit auseinander, dass ich mit den High Heels fast nach außen knickte. Dann gab er mir den vorderen Saum meines Kleides in den Mund. Widerwillig nahm ich ihn zwischen meine Zähne und entblößte damit meine Scham vor Santiago.
Amistad kniete sich auf den Boden und befestigte Manschetten an meinen Knöcheln und diese wiederum an Ringen in der Wand, sodass ich gegrätscht stehen bleiben musste. Schließlich wandte er sich meiner Mitte zu, er zog aus seiner Tasche einen kleinen Stift mit Beleuchtung und berührte mit seinen Fingern meine wunden Lippen. Er teilte sie, zog sie schmerzhaft auseinander und drang ein Mal kurz in mich ein. Mein Herz klopfte wie verrückt und ich vergaß vor lauter Angst das Atmen ... bis er sich wieder erhob.
Er wandte sich an Santiago: »Du brauchst nicht zu warten.«
Ich spuckte mein Kleid aus.
Santiago blieb ernst, er blickte Richtung Tür, kniff seine Augen etwas zusammen und schien nachzudenken. Dann sah er mich eiskalt an. »Ich befürchte ... dass ich jetzt keine Lust auf dich habe. Also was tun wir, damit sich dein Zustand bis am Abend nicht verändert?«
Ich hatte nicht damit gerechnet, dass es mich noch schlimmer treffen könnte. Ich atmete panisch, Tränen der Verzweiflung liefen aus meinen Augen und gaben ihm jetzt erstmals den Anreiz, mich in seine Arme zu schließen. Er kam einen Schritt auf mich zu, drückte seinen Körper gegen mich und zog meinen Kopf an seinen Hals. Er küsste mich zärtlich auf die Schläfe, während ich noch immer nach einem Ausweg suchte. »Wir ... wir lassen einfach ... die Heilsalbe weg«, hauchte ich mit zittriger Stimme.
»Nein, das genügt mir nicht«, lächelte er mich an und kurz gab er die Sicht frei auf Amistad, der gerade im Begriff war, einen einzelnen Handschuh anzuziehen. Er war schwarz und übersäht mit einem Flaum von silbernen Dornen.
»Warte«, ersuchte ihn Santiago, »ich will, dass sie mich darum bittet.« Dann drückte er mich wieder mit seinem ganzen Gewicht gegen die Wand.
Die Angst lähmte mich. Ich wollte an meinen Fesseln ziehen, aber mir fehlte die Kraft. Ich konnte mich nicht mehr bewegen. Santiago hielt meinen Kopf in seinen Händen, er ließ mich zu sich aufsehen. Seine Pupillen waren geweitet, seine Blicke dunkel und voller Erregung. Ich bekam kaum Luft, musste meine Lippen öffnen und ließ mich von seiner Schönheit blenden. Ich liebte diesen Ausdruck zügelloser Begierde in seinem Antlitz. Bei all meiner Angst, als sich seine Lippen auf meine legten, fühlte ich nur noch Verlangen. Er küsste mich leidenschaftlich, schenkte mir seine Zunge und damit seine uneingeschränkte Nähe, nach der ich mich so sehr gesehnt hatte. Nur ganz selten störte das Aufblitzen eines bitteren Gedanken meine Glückseligkeit. Irgendwann zog er sich etwas zurück und küsste nur noch meine Lippen, sein heißer Atem strömte in meinen Mund. Ich behielt meine Augen geschlossen, wollte mich seiner Zuneigung ergeben und wünschte mir, es würde niemals enden. Aber dann gesellte sich eine samtige Stimme zu seinen tiefen Atemzügen und Worte, deren Bedeutung ich nicht wahrhaben wollte. »Sag es!« Er stöhnte in meinen Mund und küsste zwischendurch immer wieder meine sehnsüchtigen Lippen. »Sag es für mich ... komm!«
Dichter Nebel vereinnahmte mein Gehirn. Nur noch mein Unterbewusstsein wusste, worum es eigentlich ging, als es gegen meinen Willen die Antwort formulierte, die er von mir hören wollte. »Tu mir weh ... bitte«, flehte ich ihn an.
Santiago stöhnte schwer und presste gleichzeitig die harte Erregung seiner Lenden gegen meinen Unterleib. Ich fühlte, mit seiner Leidenschaft zu verschmelzen. Mit einer Hand hielt er meinen Kopf an sich gedrückt, während seine andere meine Taille umfasste. Sein Mund lag an meiner Schläfe. Er musste seine Beine auseinandergestellt haben, um Amistad Zugang zu gewähren, anders konnte ich mir die gezielte Berührung zwischen meinen Schenkeln nicht erklären. Im nächsten Moment schrie ich in seine Brust, mit allem, was meine Stimme zu bieten hatte. Ich riss an meinen Fesseln und zitterte am ganzen Körper, aber er hielt mich in seiner engen Umarmung gefangen, bis Amistad seinen Finger wieder aus mir herausgezogen hatte, mein letzter Schrei versiegt war und ich nur noch erschöpft keuchte.
»Jetzt können wir die Heilsalbe weglassen, wenn du willst«, hauchte er in meine Haare. Dann löste er sich langsam, drückte mir noch einen Kuss auf die Stirn und verließ mit Amistad den Raum.
Ich war fassungslos. In jeder Hinsicht. Darüber, was ich gesagt hatte ... was er getan hatte ... wozu Amistad fähig war ... Plötzlich knickte ich mit einem Knöchel nach innen. Sie hatten mich nicht mal losgebunden. Ich konnte nicht stehen in dieser gespreizten Haltung und als ich an mir hinunterblickte, sah ich Blut auf den Boden tropfen. Wie sollte ich an meinen Emergency-Button gelangen, um Damian zu Hilfe zu holen? Verzweifelt ließ ich mich in die Fesseln fallen, auch wenn es an Schultern und Handgelenken schmerzte, ich musste meine Knöchel kurz entlasten. Kaum eine Minute später suchte ich wieder Halt auf den High Heels und richtete mich auf. Das machte ich bestimmt fünfmal im Wechsel und mir blieb dabei gar keine Zeit, über Santiagos Grausamkeit nachzudenken, weil mich meine Schmerzen komplett vereinnahmten. Bis endlich die Tür aufging und ich Damian erblickte. Er war meine Erlösung.
Damian hatte bestimmt keine Vorstellung, was zwischen meinen Beinen geschehen war, und fasste mitfühlend an meine Wange.
»Bitte«, flehte ich ihn an, »ich kann nicht mehr stehen.« Wieder knickte ich mit einem Knöchel nach innen.
Damian bückte sich zu meinen Füßen und löste die Fesseln.
Erleichtert und etwas wackelig stellte ich meine Beine zusammen. Dann befreite er meine Hände. »Ich darf dich erst am Nachmittag ins Bad lassen«, erklärte er.
Ich nickte und sank vorsichtig auf meine Knie, um mich auf den Boden zu setzen. Ich hielt mir die Hände vors Gesicht und weinte.
Damian ließ mich einige Zeit allein, bis ich mich beruhigt hatte. Als er wiederkam, hatte er eine Zeitung in der Hand. Er blätterte darin nach einer bestimmten Seite, faltete sie zusammen und legte sie vor mir auf den Boden. »Hier ... ich soll dich das lesen lassen!«
Leicht verwirrt nahm ich sie in meine Hände und sofort stach mir ein Foto ins Auge, ein kleines Portrait in schwarz-weiß. Es war Lacourt! André Lacourt. Eine Todesanzeige! Er war in der Nacht von gestern auf heute während seines Nachtdienstes tot aufgefunden worden. Verstorben an einer Überdosis. Fragend sah ich zu Damian auf.
Er nickte bedeutungsvoll. »Bei der Gelegenheit sind auch sämtliche Befunde, Arztberichte und DNA-Proben von dir und Santiago aus der Klinik verschwunden. Das wird allerdings nie jemand bemerken«, erklärte er.
Fassungslos sah ich ihn an. »Er hat ihn umgebracht?«
Damian lächelte. »Keine Sorge, er macht sich die Hände nicht schmutzig. Er hat Beziehungen.«
Gänsehaut lief über meinen Körper. Mir fehlten die Worte ...
»Hast du Hunger?«, fragte Damian.
»Ja.« Ich räusperte mich. »Hunger ... Durst, Matratze, Dusche, Creme ... Sonst hab ich keine Wünsche.« Ich lächelte ihn hilfesuchend an.
Damian nickte. »Warte kurz.«
Ich wusste, dass er mir das meiste davon nicht erfüllen durfte, aber seine Stimme klang sehr vielversprechend!
Er hatte Lacourt umbringen lassen! Unfassbar ... So grausam er zu mir auch gewesen war, den Tod hatte ich ihm nicht gewünscht.
Kurz darauf kehrte Damian mit einem Teller in der Hand zurück, einer Gabel und einer Wasserflasche. Auf seiner Schulter hatte er ein großes Badetuch, welches er, als wollte er ein Picknick veranstalten, auf dem Boden ausbreitete. Dankbar setzte ich mich auf das flauschig dicke Frottee und stellte gleichzeitig fest, dass auf dem Teller »echtes Essen« war: Curryreis mit Gemüse und verschiedenen Fleischsorten. Ich hatte mich schon gewundert, einen Energie-Riegel auf einem Teller serviert zu bekommen, aber noch nie hatte ich im Keller echtes Essen gesehen.
Damian bückte sich zu mir herunter. »Mehr geht nicht. Wie gesagt, du darfst am Nachmittag ins Bad.«
Ich nickte einsichtig. »Danke, Damian. Ich weiß das alles sehr zu schätzen. Wirklich!«
Er streichelte über meine Wange. »Du darfst nicht verzweifeln ... es wird besser. Halt noch ein, zwei Tage durch.«
Ich hatte keine Ahnung, wovon er sprach und sah ihn nur fragend an.
Damian lächelte zuversichtlich und ließ mich allein.
Ein, zwei Tage? Was sollte danach besser werden? Das Einzige, was ich mir wirklich wünschte, das besser werden sollte, war Santiagos Art. Denn so kalt und unbarmherzig hatte ich ihn nicht in Erinnerung gehabt. Aber woher sollte Damian wissen, wann sich Santiagos Wesen zum Besseren verändern würde? Vielleicht lag das alles auch nur an meiner Sichtweise. Ich hatte den negativen Erinnerungen an Santiago einfach nicht genug Beachtung geschenkt, denn gemangelt hatte es daran kaum. Er hatte sich schon früher stets an meine Grenzen herangetastet und dabei zu höchster Erregung gefunden. Also was sollte nun besser werden? Vielleicht sprach Damian einfach nur von meinem Wunsch nach einer Matratze. Ein, zwei Tage müsse ich noch warten. Ich seufzte.