3.

In tiefster Vergangenheit

 

Die Magier glänzten in der Frühlingssonne.

Caysey begegnete ihnen zum ersten Mal. Vor elf Sommern hatte ihr Gebet die Götterfaust herbei beschworen, doch der Vrouhtou und seine Boten mieden die Menschen. Graema weilte längst bei den Vorfahren. Das Heilmittel hatte sie nie erhalten, und Caysey musste erfahren, warum. Dafür hatte sie sich bis ans Ende der Welt gewagt. Zuletzt war ihr keine Wahl mehr geblieben.

Zielstrebig pirschte die junge Frau durch das Dickicht eines Mangrovenwäldchens. Es war früh im Jahr. Die Bäume hatten noch nicht ausgeschlagen, ihre kahlen Zweige boten kaum Schutz. Also verbarg sie sich hinter Büschen und Felsen Altes Laub raschelte unter ihren Sandalen, übertönt von seltsam unirdischem Stampfen und Summen. Irgendwo kreischten Möwen. Meeresrauschen untermalte ihren Chor.

Caysey hielt inne und lugte über ihre Deckung hinweg. Ihr Herzschlag raste, ihre Schläfen pochten. In ihr strampelte das Ungeborene.

Was sie sah, war ein Bild wie aus Ututnas Legenden.

Jenseits des Waldrands, auf einem gerodeten, kiesbedeckten Platz, liefen Magier in silbernen Rüstungen umher. Es waren Hünen, weder Mann noch Frau und sicher nicht von dieser Welt. Einer von ihnen ließ riesige Balken aus Metall durch die Luft schweben, ein anderer richtete sie zu Haufen.

Fliegende Kutschen kamen lautlos über die Berge im Westen und warfen silberne Truhen über dem Gelände ab, die dann federleicht zu Boden schwebten. Die Magier packten sie und trugen sie zum Strand, das Stampfen und Surren stammte von ihnen. Eine einzelne Kutsche stand abseits der Eisenstapel.

Hinter dem Platz fiel das Gelände zur Küste hin ab, dahinter schwappte unbeeindruckt der Meeresteppich. Blau bedeckte die Welt, bis ans Ende aller Ferne. Schaumige Brandung kitzelte den Strand.

Caysey atmete ein. Sie genoss die würzige Luft und strich über ihren Leib. Die Bauchdecke wölbte sich und spannte unter ihrem Wickelrock.

»Diese Leute werden dein Leben retten, Kleines!«, versprach sie gedankenverloren. Immerhin war sie deswegen gekommen.

Die Schwangere atmete durch. Sie war am Ziel. Gleich würde sie mit einem dieser Wesen sprechen. Diese Magier, hieß es, waren Vrouhtous Diener. Man erzählte sich, dass die Götter eine silberne Stadt im fernen Südwesten errichteten und niemanden zu sich ließen. Dass sie überhaupt so weit in den Osten kamen, grenzte an ein Wunder, aber der Zeitpunkt konnte kein Zufall sein – oder?

Caysey sah es als Gelegenheit. Alles, was sie brauchte, war ein wenig Mut. Den hatte sie.

Entschlossen schnallte sie den Tragsack mit dem Proviant vom Rücken und stellte ihn vor sich ab. Dann richtete sie sich auf und trat aus dem Wald.

»Hey, ihr Großen!«, rief Caysey. »Ich brauche eure Hilfe. Der Vrouhtou hat mich und alle Töchter meiner Väter verflucht. Könnt ihr den Unsegen von uns nehmen?« Sie war guter Dinge. Für sich selbst zu flehen, schickte sich nicht – aber es ging ja auch gar nicht um sie. Ob es sie hinraffte, war ihr gleich, solange das Kind überlebte.

Caysey wartete eine Weile.

Die Magier beachteten sie nicht. Stur gingen sie ihrer merkwürdigen Arbeit nach, stapelten Stämme aus Metall und trugen Silberkisten. Dabei mussten sie sie doch sehen!

Grübelnd trat Caysey auf den Platz hinaus. Überhaupt schienen diese Geschöpfe stumm zu sein, denn sie sprachen kein Wort. Irgendwie aber verständigten sie sich. Wann immer zwei von ihnen sich einander näherten, wich einer aus. Sobald einer eine Kiste abstellte, wartete schon der nächste, um sie weiterzutragen. Unterhielten sie sich mittels Gedankenkraft?

Zu Hause erzählte der alte Dorgan oft Geschichten, in denen solche Zauberkräfte vorkamen. »Paragaben« nannte er sie.

Sie rief ein zweites Mal: »Hey, Kameraden! Versteht ihr mich? Wisst ihr wenigstens, wo ich ein Mittel gegen den Fluch finde?« Flehend streckte sie die Hand ...

... und stieß gegen ein unsichtbares Hindernis.

»Vrouhtou-Tam! « Verblüfft zog sie den Arm zurück, betrachtete ihre Fingerkuppen, dann die Luft, an der sie abgeprallt waren. Aber da war nichts!

Mehrmals wiederholte sie den Versuch, an verschiedenen Stellen, stets mit demselben Ergebnis. Vor ihr lag ein Vorhang aus Nichts, der sie von Vrouhtous Dienern fernhielt.

Ein Grinsen stahl sich auf ihre Lippen. »Ist das ein Test, ob ich würdig bin? Eine Herausforderung? Ich nehme sie an!« So kurz vorm Ziel würde sie nicht scheitern, dafür war sie zu weit gelaufen.

Das Heimatdorf war drei stramme Tagesreisen entfernt. Hinter Caysey lag das Gebirge, das den Weltenschoß wie ein Paar schützender Glieder umarmte. Zum ersten Mal im Leben hatte sie es überquert, zu Fuß und mit nichts als ihrer Kleidung und etwas Essen.

Hilfe aus dem Dorf stand ihr keine zu, Ututna und die anderen hatten das klargemacht: »Deine Leibesfrucht ist ein Omen, Totgebärerin. Sterbt ihr beiden in unserer Mitte, wird der Gott uns alle strafen. Geh und kehr nicht wieder!«

Caysey fand das gerecht. Andere unter ihrem Fluch leiden zu lassen, das war ausgeschlossen. Nicht einmal dem Kindsvater hätte sie das angetan. Sie wusste, wer es war, denn nur einer kam infrage. Doch den süßen Ildion traf keine Schuld. Sie war unvorsichtig gewesen, über seine Rolle hatte sie ihn im Unklaren gelassen.

Also war sie aufgebrochen, allein und auf sich gestellt. Unterwegs hatten Reisende ihr von den Magiern berichtet, die im Westen ihr Lager aufgeschlagen hatten. Fortan war die Küste Cayseys Ziel gewesen.

Der Weg hatte durch Gebirgstäler und über Pässe geführt und durch die Reste des letzten Schnees. Ihr Bauch hatte sie ausgebremst, ebenso der schwere Proviantsack, aber eine gute Läuferin war sie schon immer gewesen. Auf halber Strecke war sie durch das Dorf eines Bergstamms gekommen. Zwei Händler hatten ihr dort angeboten, sie in ihrem Karren mitzunehmen. So hatte sie den Herweg in kurzer Zeit überwunden.

Würde sie nun aufgeben, nach all den Anstrengungen und nur, weil ein Bannkreis sie von den Magiern trennte – das hätte ihr Ungeborenes ihr sicher nie verziehen.

Eine Weile tastete sich Caysey seitlich vor und suchte nach Lücken im Vorhang. Berührte sie ihn, blieb ihr Arm in der Luft stecken oder wurde weggestoßen. Rannte sie dagegen an, prallte sie ab. Natürlich probierte sie das nur einmal. Die Gefahr, das Kind zu verletzen, war zu groß.

Plötzlich stand sie einem der Magier gegenüber.

Es geschah ohne Vorwarnung. In einem Moment stocherte Caysey unbeachtet in die Barriere, im nächsten löste sich der Silberne von seinen Kameraden und kam auf sie zu. Mit wenigen Schritten überwand er die Entfernung. Vor ihm flimmerte die Luft und machte den Vorhang für kurze Zeit sichtbar, dann trat der Magier hindurch und stellte sich breitbeinig vor ihr hin. Wodurch sie seine Aufmerksamkeit erregt hatte, wusste sie nicht.

»Hallo, Großer!« Zaghaft lächelnd blickte Caysey zu der Gestalt empor. Der Kerl war einschüchternd, überragte sie um zwei Haupteslängen, doch sie fürchtete sich nicht. Das tat sie nie.

»Unbefugten ist der Zutritt zum Baugelände untersagt.«

Die Stimme des Magiers verursachte Caysey eine Gänsehaut – sie klang, als schabte Eisen über Stein. Aus welcher Körperöffnung sie kam, war nicht feststellbar; die Rüstung war vollkommen geschlossen, nirgends war Fleisch zu sehen. Der Helm spiegelte im Sonnenlicht. Die Augen verbargen sich hinter roten Gläsern.

Immerhin konnte er sprechen! »Du hörst dich ganz schön heiser an, Großer. Warum lasst ihr mich nicht zu euch?« Caysey stemmte die Fäuste in den Rücken. Ihr Kreuz schmerzte.

»Unbefugten ist der Zutritt zum Baugelände untersagt«, wiederholte der Silberne. Er hob einen Arm und zeigte damit auf Cayseys Brüste. Wo eine Hand hätte sein sollen, leuchtete ein roter Punkt. Es schien, als loderten Flammen in seinem Unterarm.

Staunend betrachtete Caysey den Stummel, dann die dürren Krallen des anderen Arms. Um in diesen Handschuh zu passen, mussten die Finger dünner sein als Hühnerknochen.

Ein verrückter Gedanke ging ihr durch den Kopf. Ist die Rüstung seine Haut? Bestehen diese Wesen ... vollständig aus Eisen? Alles war möglich, wenn es um Götter und ihre Diener ging.

Nun galt es! Die Gelegenheit, sich auf das Gelände zu stehlen, mochte jeden Moment vergehen. Caysey versuchte, sich durch die Lücke im unsichtbaren Wall zu drücken, doch der Metallene ließ sie nicht vorbei.

Grob ergriff er den Schulterüberwurf des Wickelrocks. »Exekution immanent!« Das Ende des Armstummels schwebte vor ihrem Gesicht. Der rote Punkt glomm düster.

Dann kam die Zauberin aus dem Meer und veränderte alles.

 

*

 

Caysey bemerkte sie nicht gleich. Ihre Aufmerksamkeit galt den Metallfingern, die sich in den Stoff ihres Rocks krallten. Vor Enttäuschung trommelte sie gegen die Tonnenbrust des Magiers.

»Lass mich vorbei, Stahlmann! Was ist dein Problem?« Ihre Fäuste bebten.

Am Strand stoben die Möwen auf. Schrill kreischend erhoben sie sich in die Lüfte, wo sie wie irre umeinanderkreisten. Ihr Geschimpfe schwoll zu einem Orkan an, der Lärm schmerzte in ihren Ohren.

Sie lehnte sich zur Seite, lugte an dem Koloss vorbei, so gut es dessen breiter Leib erlaubte.

Ihr Blick reichte, vorbei an Stapeln aus Metallbalken, bis aufs Meer. Etliche Mannslängen vor der Küste, wölbte sich der Ozean und verriet, dass etwas Großes an die Oberfläche drängte.

Im selben Moment bemerkte auch der Metallene den Aufruhr. Ohne Caysey loszulassen, wirbelte er herum. Sein Armstummel irrte suchend umher.

Dann brach ein schlankes, lang gestrecktes Ding aus dem Wasser, ließ das Meer schäumen und gischten. Als sich die Fluten beruhigten, erblickte Caysey etwas, das einem Fischerboot ähnelte, doch es trug weder Mast noch Segel. Die Farbe war dasselbe Silbergrau, in dem auch die Rüstungen der Magier glänzten.

»Ein Tauchboot«, hauchte Caysey. Ihr Stamm kannte Legenden über diese wundersamen Schiffe.

Eine Klappe öffnete sich auf der Oberseite des Boots – und eine Frau schwebte hindurch. Schmetterlingsgleich stieg sie in den Himmel. Das Kreischen der Möwen erreichte einen Höhepunkt, als sie den Schwarm durchstieß. Ängstlich wichen ihr die Vögel aus.

Mit einem Auflachen schirmte Caysey die Augen vor der Mittagssonne ab. Die Unbekannte flog! Als hätte sie kein Gewicht, hing sie am Himmel. Ihr schlanker Leib bildete einen dunklen Umriss vor der Sonnenscheibe. Aus der Ferne erkannte Caysey kein Gesicht, doch sie sah das weißblonde Haar, das den Kopf wie eine Lichtkrone umrahmte. Ihre Kleidung war eng anliegend und dunkel, ließ nur die Hände und das Haupt frei. Verglichen mit einem Wickelrock stellte Caysey sich diesen Aufzug unbequem vor.

Der Metallene richtete den Stummelarm auf die Fliegende, er schien unschlüssig, ob es sich bei der Fliegenden um eine Bedrohung handelte.

Die wildesten Gedanken gingen Caysey durch den Sinn: Die Weißhaarige wirkte engelsgleich. Dabei war sie zweifelsfrei ein Mensch, wenngleich wohl eine mächtige Zauberin – sonst hätte sie sich kaum wie ein Kymjor in die Luft erhoben!

Das Tauchboot aber, beschloss Caysey, hatten die Götter erschaffen. Lebten die Diener des Vrouhtou also unter dem Meer? Hatte die Frau den Retter von allem besucht und die Kraft des Fliegens von ihm erfleht?

So musste es sein! Caysey war mit ihrem Anliegen zum rechten Ort gekommen.

Flehend sah sie zu dem Metallenen auf. »Ich muss zum Vrouhtou!«, bat sie flüsternd.

Der Magier ignorierte sie. Er schien nur Augen für die Weißhaarige zu haben.

Seine Artgenossen verrichteten weiter stur ihre Arbeit, als ginge sie all das nichts an. Metall türmte sich. Die Stapel wuchsen zu einer kleinen Halde.

Die Weißhaarige löste sich von ihrem Platz vor der Sonne und ließ sich dem Strand entgegensinken. In der Hand hielt sie ein seltsam gebogenes Eisen. Sie stieß Worte in einer unbekannten Sprache aus.

Flüsternd wiederholte Caysey die unbekannten Klänge, versuchte, sie sich einzuprägen. Mehrmals rief die Fremde denselben Satz, bei jeder Wiederholung wurde sie lauter und wütender. Was immer der Ruf bedeutete, er schien wichtig zu sein.

Der Metallene streckte der Zauberin den Stummelarm entgegen. Ein hohes Singen wurde laut, als wohnten Heuschrecken in seinem Ellenbogen. Endlich ließ er Cayseys Wickelrock los.

Noch immer hatte die Weißhaarige sie nicht gesehen. Caysey wollte nach ihr rufen – doch eine Vorahnung hielt sie zurück.

Die Zauberin schwebte dicht über dem Grund, nahe genug, dass Caysey ihre Züge erkannte: ein schmales, hübsches Kinn. Der Mund hatte etwas Wölfisches, ihre Augen waren rot wie Edelsteine. Und ihr Blick ...

Reue lag darin und die Lust, zu zerstören.

Sie hält sich für schuldig. Jemand hat sie zu einem Verbrechen gezwungen. Die Wut macht sie gefährlich. All das begriff Caysey binnen eines Herzschlags. Meist wusste sie beim ersten Blick, wie Menschen dachten und fühlten, und sie irrte sich selten. Ututna hatte es oft ihre größte Gabe genannt.

Caysey winkte nicht länger. Rückwärts wich sie zur hintersten Baumreihe aus. Hinter einem Stamm machte sie sich klein. Zum Glück hatte die Weißhaarige sie nicht gesehen!

Der Metallene rief etwas mit seiner Reibestimme, vermutlich in der Sprache der Zauberin.

Die stieß einen Wutschrei aus. Noch einmal wiederholte sie die gleichen Worte, diesmal gepresst und mit überschlagender Stimme. Sie richtete das gebogene Eisen auf den Metallenen ...

... und ein Sonnenstrahl löste sich aus dessen Spitze.

Übergangslos umhüllte Licht den Leib des Magiers. Atemlos sah Caysey zu, wie sich der Oberkörper verformte, als bestünde er aus Kerzenwachs. Das Wesen schrie nicht, es stöhnte nicht einmal. Tapfer machte es einen Schritt, dann einen zweiten, bevor es vollkommen seine Form verlor und als zähflüssiger, rot glühender Haufen zu Boden floss.

Der Schrecken war namenlos. Fassungslos starrte Caysey auf den formlosen Klumpen, unfähig, wegzusehen. Das geschmolzene Metall strahlte Hitze aus, die Caysey in ihrem Versteck erreichte. Nur der Stummelarm ragte noch aus den Überresten hervor und streckte sich anklagend gen Himmel.

Die Zauberin gab sich damit nicht zufrieden. Sie landete inmitten jener Gruppe aus Metallenen, die am Strand Kisten stapelten, und warf weiter mit Sonnenstrahlen um sich. Das gebogene Eisen musste ein Zauberstab sein, anders konnte Caysey es nicht erklären. Obwohl das Licht in den Augen brannte, zwang sie sich, hinzusehen.

Grausam richtete die Weißblonde über die Magier. Diese aber wehrten sich noch immer nicht. Stumpfsinnig stapelten sie ihre Metallbalken, und keiner verfiel auf den Gedanken, damit nach der Zauberin zu werfen oder auch nur zu fliehen. Einer nach dem anderen wurde getroffen, taumelte und zerschmolz. Polternd stürzte die schwebende Fracht auf den Kies.

Caysey presste die Hand auf den Mund, um einen Schrei zu verhindern. Das Ungeborene zappelte unter ihrer Brust, spürte ihre Angst. Sie wollte sich abwenden, durch den Wald und das angrenzende Gebirge fliehen, weg von dieser Irren und ihrem Sonnenzauber, doch ein jäher Bauchkrampf zwang sie in die Knie.

Sie fiel vornüber und stützte sich im letzten Augenblick ab. Minutenlang waren da nur noch die Pein und das Laub unter ihren Händen. Der Schmerz war mörderisch, und er kam in Wellen. Pünktchen tanzten vor Cayseys Augen.

»Nicht!«, stieß sie hervor. »Bitte noch nicht!« Bei Graema war es genauso losgegangen. Noch war Caysey nicht bereit, zu gehen. Zitternd streichelte sie ihren Bauch, als wollte sie ihn besänftigen.

Wieder schrie die Zauberin ihr unverständliches Mantra. Ein letzter Blitz huschte in Cayseys Augenwinkel, dann kehrte Stille ein. Schritte knirschten auf Kies.

Caysey atmete.

Ein.

Aus.

Ein.

Aus.

Widerwillig verebbte der Schmerz.

Als sie zu sich fand und erneut hinter dem Baum hervorlugte, lag auch der letzte Magier zerschmolzen im Kies. Die Zauberin stakste zwischen den Überresten umher, mit unbefriedigter Miene und kaum verrauchter Wut. Tränen rannen über ihre Wangen.

Wortlos überquerte sie den Platz und begab sich zu der einzelnen fliegenden Kutsche, die abseits der Eisenstapel geparkt war. Sie kletterte hinein, die Tür schloss sich von Wunderhand. Anscheinend hatte der kurze Flug über dem Wasser die Zauberin so erschöpft, dass sie auf ein Fahrzeug angewiesen war.

Gleich drauf ertönte ein unnatürliches Jaulen, dann erhob sich die Kutsche vom Boden. Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis sie zu einem Punkt am Himmel zusammenschrumpfte und westwärts entschwand.

Caysey wusste nicht, wie lange sie bebend im Dickicht kauerte, dem rauschenden Blut in ihren Ohren lauschte und wartete, bis die letzten Wellen des Schmerzes vorübergingen. Auf dem Wasser kreischten die Möwen. Die Vögel beruhigten sich nur langsam.

Waren wirklich alle Magier tot?

Caysey wagte sich aus ihrem Versteck, kam zwischen den Bäumen hervor und trat durch die Lücke im unsichtbaren Vorhang. Um den »Großen« – was von ihm übrig war – machte sie einen respektvollen Bogen. Vor allem achtete sie darauf, nicht vor den emporragenden Stummel zu geraten. Sie glaubte nun zu begreifen, dass es sich um keinen Arm, sondern ebenfalls um einen Zauberstab handelte – nur, dass er mit dem Leib des Magiers verwachsen war.

»Ist noch jemand am Leben?« Sie verstand nichts von Heilkunst, doch Ututna mochte helfen, und die Magier würden dann in ihrer Schuld stehen. Es war ein verzweifelter Plan, aber sie hatte gelernt, sich selbst an dünne Hoffnungen zu klammern. Was blieb auch sonst, wo jede mögliche Zukunft den Tod bereithielt?

Erneut wurden die Möwen laut. Caysey erstarrte und sah aufs Meer hinaus. »Schon wieder? Gibt es etwa mehr von der Sorte?« In Gedanken sah sie bereits eine zweite Zauberin aus der Tiefe kommen und wie die Erste mit Verderben um sich werfen.

Ihre Befürchtung bestätigte sich. Das Tauchboot trieb herrenlos vor der Küste, doch daneben wölbte sich das Meer erneut. Einmal mehr schäumte die Oberfläche, wieder brach ein schlankes, graues Etwas aus dem Wasser. Das Nass perlte von der Außenhaut, dann öffnete sich – wie beim ersten Boot – eine Klappe auf der Oberseite.

Hastig sah Caysey sich um, suchte nach einem Stock oder Steinen, die sie zur Verteidigung werfen konnte, doch alles was sie fand, waren dürre Zweige, Kiesel und ...

... der Zauberstab des Metallenen.

Sie vergaß jede Vorsicht, ignorierte die sengende Hitze und packte den Stummel. Mit einem widerlichen Schmatzen löste er sich aus den Überresten des Magiers.

Das Metall brannte unter Cayseys Fingern, versengte ihre Haut, doch das kümmerte sie nicht. Es waren keine Magier mehr da, um ermordet zu werden, und wer immer da aus der Tiefe kam, würde weder ihr noch ihrem Kind wehtun!

Die Schwangere floh in die Büsche, bückte sich und richtete den Zauberstab auf den Ozean.