Irgendwann
Logan Darc rannte. Der Herr war in schlechter Stimmung.
Für gewöhnlich mied der Kommandant seinen Meister in Phasen wie diesen. Normalerweise hätte er sich vom Dienst abgemeldet, sich in seine Kabine zurückgezogen oder wäre durch die endlosen Korridore spaziert, bis sich die Lage gebessert hatte. Der Missmut des Herrn währte selten länger als eine Lebenszeit. Nach der dritten hatte man sich an seine Launen gewöhnt.
Meist war Darc allein auf diesen Streifzügen, denn das Schiff war viele Welten in einer, und die Besatzung verlor sich in ihren Falten. Nur ab und an traf der Kommandant auf seinesgleichen. Man kannte und erkannte sich, man sprach miteinander und tauschte sich aus.
»Der Herr ist verstimmt«, erzählte er dann, und seine Untergebenen nickten traurig.
»Schlimm, schlimm«, hieß es danach etwa, »was soll man da tun?« Oder: »Er ist, wie er ist.«
Das tröstete Logan Darc, denn es stimmte. Der Herr war, wie er war, und vor allem war er eins: keiner von ihnen. Sie würden ihn nie verstehen. Dafür war er zu mächtig und weise. Immerhin: Auf jedes schlechte Jahr kamen drei gute.
In letzter Zeit aber, schien es Darc, wurden die guten selten. Fremde hatten den Herrn beraubt und der Verlust grämte ihn. Niemand an Bord war darüber sehr glücklich. Litt der Herr, litten alle.
Darcs nackte Füße klatschten auf die Decksplatten, das Geräusch seiner Schritte hallte aufgeregt von fraktal verschränkten Wänden. Er hatte sich nicht einmal Zeit genommen, eine Bordkombination überzustreifen. Der Herr hatte nach ihm gerufen, es hatte dringlich geklungen.
Der Bordtransmitter brachte ihn aufs Hauptdeck. Von dort führte ein Seitengang auf den Zentralkorridor – wenn man den breiten, in sich gewundenen Gang so nennen wollte, denn er reichte nicht von Sektion zu Sektion, sondern von Kosmos zu Kosmos. Darc durchquerte eine Wüstenblase, verscheuchte im Vorbeieilen einen Flatterbaum aus seiner Wohnfuge und kroch durch das Innere eines Felsenmonds, bevor sich hinter einer Nebelbank das turmhohe Zentraleschott aus der Wand schälte.
Willkommen, Kommandant. Die lautlose Stimme der Bordintelligenz entstand in seinem Hirn, dann bildete sich eine haarfeine Linie in dem zuvor fugenlosen Portal.
Tosend wichen die Torflügel vor ihm zurück und schwangen auseinander, jedes dick wie ein Königreich und doch leicht wie Feuer. Geblendet schloss er die Augen. Die Zentrale war ein Tempel des Lichts.
Ein Tsunami aus Wut rauschte über Darc hinweg, als das Schott endlich offen stand – ein Druck, der sich um seinen Verstand legte und drohte, ihn auszublasen. Zitternd blieb er im Eingang stehen und zählte seine Angst – er wusste, dass er sich die Gefahr nicht einbildete. Dreien seiner Vorgänger war es so ergangen. Ihre sabbernden Hüllen lagen in den Medoklausen im Afterdeck, bar jeder Persönlichkeit und an den Gesichtern kaum mehr zu erkennen. Ihre Existenz war zu einer endlosen Spanne von Nichts reduziert. Eines Tages, glaubte Darc, würde er ebenso enden. Es war eine Frage der Zeit.
Der Herr stand in der Zentralemitte vor der semistofflichen Manifestation, die den Hauptbildschirm des Schiffs bildete. Um ihn schwebten weitere Manifestationen: eine Doppelhelix, die sich langsam um ihre eigene Achse drehte. Stammbäume von Völkern und Spezies, einige Zweige abrupt gekappt, wo der Fortgang der Evolution verwehrt wurde. Sonnensysteme, in denen Lücken klafften, wo einst Planeten gewesen waren. Es waren Missionsberichte. Der Herr betrachtete sie stolz, sonnte sich in früheren Erfolgen.
Darc hob den Blick nicht, als er unter den schwebenden Abbildungen hindurchlief und sich vor dem Herrn verbeugte. Er wusste, ohne hinzusehen, dass des Meisters runde Augen ihn musterten: das eine rot wie der Sommermorgen, das andere schwarz wie ein Gähnen. Darc küsste die Hand des Herrn.
Die Unterwürfigkeit fand des Meisters Wohlwollen, zumindest ebbte die Wut ab. Gemächlich wich der Druck von Darcs Verstand.
Erleichtert atmete er auf. Er würde diesmal nicht verwehen. Die Drohung war abgewendet. Dankbar starrte er in die Schwärze hinter seinen Lidern.
»Sieh es dir an, Kommandant!« Die Stimme des Herrn war wie ein Wasserfall aus Gold.
Darc gehorchte und starrte in die größte Manifestation.
Sie zeigte ein Sternsystem am Rand der Einsatzgalaxis: acht Begleiter und ein Asteroidengürtel, wo wohl einmal ein neunter gewesen war – diesen aber hatte nicht der Herr vernichtet. Die vier inneren Welten waren Gesteinsplaneten.
Auf einen Wink des Herrn formte die Manifestation sich neu. In ihrem Mittelpunkt befand sich der dritte Planet, ein grün-blaues Juwel mit ausladenden Ozeanen, vermutlich ein Paradies für jene, die dort lebten – vermutete Darc. Er hatte nie einen Planeten betreten. Das Universum außerhalb des Raumschiffs war blanke Theorie für ihn.
»Dieser kleine Planet mit seiner sechsdimensional funkelnden Sonne ist das Ziel unserer Suche«, sagte der Herr. »Bring uns hin, Kommandant!«
»Jawohl.« Per Gedankenbefehl formte Darc eine Steuerkonsole. Auf einen zweiten Befehl hin fasste die Antigravspiegelung nach ihm und positionierte ihn so, dass seine Arme die Steuerkonsole bequem erreichen konnten. Berühren würde er sie freilich nicht. Die Steuerung des Schiffs erfolgte telepathisch. Die Schiffsintelligenz war jederzeit mit Darcs Denkzentrum verbunden.
Der Zielplanet drehte sich majestätisch in der Mitte der Manifestation. Darc nahm einige Routinescans der Biosphäre vor. Datenblöcke erschienen in der Ansicht, Ziffern und Bezeichnungen in der Ehrwürdigen Sprache: Luftdruck, Atmosphärezusammensetzung, Gravitation, Flora, Fauna. Die intelligentesten Bewohner dieser Welt schienen ein Volk von schlanken Humanoiden vom selben Typus zu sein, der überall in dieser Galaxis anzutreffen war. Jene, die sich Arkoniden nannten, hatten dem Planeten den Namen »Larsaf III« gegeben. Seine Koordinaten waren in den Missionsparametern bereits vorhanden, was hieß, dass er in den Plänen ihrer Auftraggeber eine Rolle spielte. Dass der Herr dort außerdem seinen Gram stillen mochte, war eine glückliche Fügung.
»Die Bewohner sind unschuldig an ihrem Versagen«, gab Darc zu bedenken. »Sie ähneln in keiner Weise jenen, die den Raub ausgeübt haben.« Das zu sagen war kein Ungehorsam und kein Affront, sondern Teil seiner Aufgaben als Kommandant. Der Herr würde ihn bestrafen, hätte er seine Pflichten aus Furcht unsauber erledigt.
Der Meister lachte.
»Herr?« Das Gelächter klang nach Musik für Darc, zugleich verunsicherte es ihn. Zürnte er ihm? Machte er sich über ihn lustig? Es war schwer, einem Wesen zu dienen, das klüger als der Kosmos war. Er setzte den Kurs.
»Unser Auftrag führt uns ohnehin nach Larsaf III«, beschwichtigte der Herr. »Die Mission hat Vorrang vor meinem Groll.«
»Jawohl.« Darc befahl dem Schiff zu beschleunigen. Er wusste, dass es ein Aber gab. Es gab immer eins.
Der Herr enttäuschte ihn nicht. »Aber egal, wie die Bewohner dieser Welt auch in seinen Besitz gelangt sind«, sagte er, »sie haben etwas an sich genommen, das mir gehört. Und dafür werden sie büßen.«
ENDE
Perry Rhodan und Sichu Dorksteiger sind in der Vergangenheit gestrandet. Eine Zeitmaschine hat sie auf den Kontinent Atlantis verschlagen, gut 8000 Jahre vor Beginn der christlichen Zeitrechnung. Sie bewegen sich in einer Region der Erde, in der sich zu dieser Zeit primitive Eingeborene und technisch hochgerüstete Raumfahrer begegnen.
Welche Ziele ihre unbekannte Gegnerin verfolgt, wissen die beiden nicht. Wenn sie mehr herausfinden und vor allem die Heimkehr in ihre Zeit erreichen wollen, müssen sie nach Arkonis, ins Zentrum der arkonidischen Kolonie ...
Was genau auf ihrem weiteren Weg geschieht, zeigt Lucy Guth im zweiten Band unserer Miniserie »PERRY RHODAN-Atlantis«. Der Roman kommt am 1. April 2022 in den Handel und trägt den Titel:
FESTUNG ARKONIS