5.

 

Der silbrig schimmernde Tech-Schreiber gab ein leises Piepsen von sich, das Licht an seiner Spitze erlosch. Quartam da Quertamagin, der gerade eine wichtige Formel notieren wollte, fluchte unwirsch. Er schüttelte den Stift, was natürlich nichts nutzte.

»Flox!«, brüllte Quartam. Er stand mitten in seinem fensterlosen Büro im künstlichen Licht der kreisförmig angeordneten Sensostrahler und sah sich nach seinem Assistenten um. Da er von einer dichten Wolke aus Virtualdokumenten umgeben war – Holodokumente, die er in den vergangenen Stunden selbst angelegt und beschriftet hatte –, erkannte er kaum etwas von dem Raum. Weder sah er seinen einfachen, stahlgrauen Schreibtisch, noch entdeckte er Flox irgendwo.

»Flox!«, brüllte er nochmals nach seinem Assistenten und schob mit einer harschen Armbewegung die um ihn im Raum schwebenden Dokumente beiseite. »Wo steckst du? Der bei allen Sternengöttern verdammte Tech-Schreiber hat schon wieder keinen Saft mehr.«

Eine kopfgroße, schwarze Kugel schoss zur Tür herein und blieb dicht von Quartam in der Luft hängen. Das einzelne, irritierend arkonoid wirkende, rosafarbene Auge in der Front des Flugroboters blinzelte. Quartam hatte es nicht darauf programmiert zu blinzeln. Er war sicher, das tat Flox nur, um ihn zu irritieren.

»Das ist kein Wunder, Herr.« Die Stimme kam aus einem Akustikfeld, das Flox vor sich projizierte. Sie klang so wohlmoduliert und emotionslos höflich wie immer. »Sie haben den vergangenen Monat ununterbrochen damit geschrieben. Die Energiezelle ist erschöpft und muss sich aufladen.«

»Und was mache ich in der Zwischenzeit?« Unwirsch kaute Quartam an seiner Oberlippe. Er hasste es, während seiner Arbeit unterbrochen und mit solch nebensächlichem Zeug belästigt zu werden.

Flox ließ mithilfe eines schwachen Traktorstrahls eine kleine Kiste von Quartams Schreibtisch herbeischweben. »Sie nehmen einfach einen anderen.«

Quartam griff nach einem neuen Gerät und fuhr sich missmutig mit der Rechten über den langen, zotteligen Bart. »Dass ich mich mit solchem Kram herumplagen muss«, klagte er. »Auf Arkon hatte ich Personal für so etwas!«

»Und hier haben Sie mich, Herr. Dafür haben Sie mich schließlich konstruiert.«

»Warum habe ich das noch einmal getan?«

»Damit Sie nicht zu viele Arkoniden mit in den Stützpunkt nehmen mussten.«

»Exakt. Gutes Personal, das nicht vom Geheimdienst infiltriert ist, ist heutzutage schwer zu bekommen.«

»Wie Sie meinen, Herr.«

Quartam hob die Hand, um weiterzuschreiben, musste allerdings feststellen, dass ihm kurzfristig entfallen war, an was er gerade gearbeitet hatte. Seufzend ließ er den Stift sinken und ging zu dem Ledersessel hinter seinem Tisch. Er sank hinein und genoss das Knarzen des alten Leders. Bis auf den Sessel war alles im Raum – ebenso wie alles auf der Station – aus zweckmäßigem Stahl oder Plastik.

»Manchmal vermisse ich Arkon«, behauptete er wehmütig.

»Nein, das tun Sie nicht, Herr.« Flox huschte im Raum umher und sortierte die Virtualdokumente, die sich überall verteilt hatten. »Sie haben mich darauf programmiert, Sie regelmäßig daran zu erinnern. Sie sind froh, dass Sie, ich zitiere, ›diesen Haufen vertrottelter Greise und blinder Idioten‹ hinter sich gelassen haben und hier auf Larsaf III in Ruhe Ihre Forschungen betreiben können.«

»Ich hätte Ka'Marentis werden können, wenn ich es mit fähigeren Leuten zu tun hätte, die meine Forschung zu würdigen wissen.« Quartam schnaubte wütend.

Flox hatte natürlich recht. Die Unterhaltungen mit ihm klärten stets Quartams Geist. Bei anderen Arkoniden hätte wahrscheinlich ein Extrasinn diesen Zweck erfüllt. Quartam hatte davon abgesehen, seinen Logiksektor aktivieren zu lassen. Es war undenkbar, die Wissenschaftler des Faehrl-Instituts an seinem wertvollen Gehirn Veränderungen vornehmen zu lassen, über die er keine Kontrolle hatte. So etwas hätte er nur einem Wissenschaftler zugetraut, dem er auf Augenhöhe begegnete. Und so jemanden kannte er nicht.

An den meisten Tagen war er froh, dass er dem Kristallpalast den Rücken gekehrt hatte. Die arkonidische Geisteselite war einfach noch nicht reif für seine revolutionären Theorien und bezeichnete ihn als Traumtänzer. In der Abgeschiedenheit der atlantischen Wildnis konnte er sich ganz darauf konzentrieren, seine Forschungen zu hyperenergetischen sowie hyperspektralen Wellen und ihren Auswirkungen auf den mehrdimensionalen Raum fortzuführen.

»Es ist eine Schande, wie man mich behandelt!«, klagte er. »Ich bekomme nur minderwertige Ausrüstung zur Verfügung gestellt!«

»Reden wir immer noch von den Tech-Schreibern?«, fragte Flox.

Quartam schnaufte ärgerlich. »Zum Beispiel. Aber alles hier in der Station ist veraltet und marode – außer meinen Forschungsinstrumenten, die ich selbst mitgebracht habe. Ich bekomme nicht einmal ordentliche Roboter zur Verfügung gestellt, um mich zu verteidigen. Diese Schrotthaufen nutzen nicht einmal, um sich gegen die Primitiven dieses Planeten ordentlich zur Wehr zu setzen, geschweige denn, gegen gedungene Mörder.«

Flox flog eine Runde über den Schreibtisch. »Sie verrennen sich schon wieder, Herr!«

»Mag sein.« Quartam hob mürrisch die Schultern. »Ich bin von mieser Technik abhängig, weil man mir keine bessere zur Verfügung stellt. Und warum ist das so? Weil man mich nicht ernst nimmt.«

Natürlich ärgerte sich Quartam maßlos darüber.

Unterschätzt, nicht genug gewürdigt und auf einen Planeten am Ende des Universums abgeschoben – wer würde da nicht grollen?

Wer hätte gedacht, dass er ausgerechnet auf diesem primitiven Planeten eine für seine Forschungen derart relevante Entdeckung machen würde? Er würde bald wieder einen Ausflug an die Ostküste machen und den Verlauf der Bauarbeiten kontrollieren.

Flox hatte die Dokumente sortiert und verschob die Projektion auf Quartams Schreibtisch. Der integrierte Scanner des fliegenden Roboters suchte im Raum nach weiterer Unordnung, die er bekämpfen konnte. Quartam hatte seinen »Butler« vor allem für solch einfache Tätigkeiten konstruiert.

Flox hatte sich derweil als so effektiv erwiesen, dass er ihm mittlerweile zusätzlich als Terminkalender und Gesprächspartner diente. »Lythia lässt ausrichten, dass man aus Arkonis nachfragt, wie es um die Machbarkeitsstudien zur Besiedlung des Kontinents bestellt ist.«

Quartam stöhnte auf und vergrub die Finger in seinen schulterlangen, zotteligen Haaren. Diese furchtbar langweilige Aufgabe, die man ihm aufgehalst hatte, um ihn ruhigzustellen, raubte ihm den letzten Nerv. Er hatte ein paar Positronikroutinen darauf angesetzt, aber die Ergebnisse mussten regelmäßig ausgewertet werden. Was er natürlich zugunsten seiner eigenen, viel wichtigeren Forschung vernachlässigte. Dass ihm die arkonidischen Behörden deswegen regelmäßig im Nacken saßen, betrachtete er als fortgesetzte Nachstellung, ja, als Schikane.

»Kann sich Lythia nicht selbst darum kümmern?«, fragte er.

Lythia Tafris war die Positronikspezialistin der Station, eine talentierte Essoya. Genau wie den zweiten Arkoniden in der Anlage, den Mediker Kassem da Zoltral, hatte Quartam sie persönlich ausgewählt. Außer ihnen drei gab es in der Station nur Roboter, denn Quartam misstraute grundsätzlich allen Fremden – aus gutem Grund, glaubte er. Schließlich hatte es bereits mehrere Anschläge auf sein Leben gegeben. Das konnte er zwar nicht beweisen, aber er wusste es genau. Deswegen schottete sie ein Energieschirm gründlich vor weiteren Attentätern ab.

Flox hatte seine Aufräumaktion beendet und schwebte zum Schreibtisch. »Lythia hat geahnt, dass Sie das vorschlagen würden. Sie weist darauf hin, dass sie lediglich für Positroniken zuständig ist und sich mit diesen Daten nicht auskennt. Außerdem ist sie derzeit mit der Neukalibrierung des Sicherheitssystems beschäftigt.«

Quartam knirschte mit den Zähnen. Manchmal wünschte er sich, er hätte weniger eigensinnige Mitarbeiter ausgesucht. Allerdings war die Auswahl derjenigen, die überhaupt bereit waren, mit ihm zusammenzuarbeiten und sich mit ihm in dieser Station am Ende der Welt einschließen zu lassen, nicht besonders groß ... Um genau zu sein, hatte Quartam außer Lythia und Kassem niemand Vertrauenswürdigen gefunden.

Er erhob sich, warf noch einen wehmütigen Blick auf seine Unterlagen und machte sich dann auf den Weg in die Steuerzentrale der Station. Er würde sich wohl selbst an die Auswertung machen müssen. Flox schwebte über seiner linken Schulter.

In dem großen Zentralraum befanden sich sowohl die Positroniken der Station als auch die Kommunikationsanlage und die Überwachungs- und Sicherheitssteuerung. Es war Lythias Spielzimmer.

Quartam erwartete, die Essoya in der gewohnten Haltung vorzufinden: die Füße auf einer Konsole ihrer Arbeitsstation abgelegt, entspannt zurückgelehnt und lässig auf einem Bedienfeld herumtippend, das sie sich herangezogen hatte. Die hagere junge Frau mit dem für Arkonidinnen ungewohnten asymmetrischen Haarschnitt – rechtsseitig kurz, links waren die hüftlangen Haare mit hellgrünen und lilafarbenen Strähnen verziert – war eine schwierige Person, mit der Quartam häufiger aneinandergeriet. Er mochte sie gerade deswegen, selbst wenn er das niemals zugegeben hätte.

Er hatte bereits die übliche spitze Bemerkung auf den Lippen, mit denen er ihre Arbeitshaltung zu kommentieren pflegte. Bei seinem Eintreten fiel ihm allerdings auf, dass Lythia dieses Mal ganz und gar nicht entspannt wirkte. Sie saß aufrecht vor einem der Holomonitore. Ihre Finger flogen über das Bedienfeld, ohne dass sie dabei hinsehen musste.

»Was ist los?« Quartam war sofort alarmiert. Hat das Sicherheitssystem Alarm ausgelöst? Ein erneuter Anschlag?

»Da sind Fremde.« Lythia zoomte eine Aufnahme der Überwachungsanlage heran.

Ins Bild kamen drei Personen. Eine davon war eindeutig eine Eingeborene; die anderen beiden schienen Kolonialarkoniden zu sein. Der Mann war blond, die Frau hatte zwar arkonidentypisches, silberweißes Haar, jedoch grüne Haut. Sie trug Kleidung der Wilden, er hatte etwas an, das wie ein extravaganter Abendanzug aussah – allerdings reichlich mitgenommen.

»Wer, bei Mukthuls verschlagenen Augen, ist das?« Quartam beugte sich vor und versuchte, das Bild noch zu vergrößern. Er bekam es nicht hin und überließ es Lythia.

»Ich habe keine Ahnung.« Lythia verzog den purpurrot geschminkten Mund zu einer ahnungslosen Schnute. »Die sind einfach aufgetaucht. Kamen aus den Bergen. Der Pfad dort wird oft von Eingeborenen genutzt, aber die kommen normalerweise nicht zu uns. Der Alarm hat erst reagiert, als sich die Fremden der Station genähert haben.«

»Hallo!«, drang es aus dem Akustikfeld. Der blonde Mann hob die Arme. »Wir kommen in friedlicher Absicht!«

»Sieh genau hin, Herr.« Flox schwebte näher an sein Ohr. »Der Kerl ist bewaffnet.« Nun sah Quartam den Strahler im Gürtel des Mannes.

»Tu-Ra-Cel-Agenten! Oder Kralasenen! Sie wollen mich endgültig ausschalten!« Panik ergriff Quartam so heftig wie eine Windbö ein welkes Blatt. Das darf nicht passieren. Wenn ich sterbe, geht das Wissen um meine Entdeckung unter. Das muss ich verhindern.

Mit einer heftigen Bewegung zog Quartam das Eingabefeld an sich. »Die Roboter sollen angreifen. Sofort!«

Lythia riss die Augen auf. »Meinst du nicht, dass du etwas übertreibst? Die sehen harmlos aus!«

»Täuschung, alles nur Täuschung!«

Die Schweberoboter rasten auf die Dreiergruppe zu.

»Vernichtet sie!«, befahl Quartam.