10.

 

Das Talagon lag auf dem Untersuchungstisch zwischen Quartam und der grünhäutigen Fremden und wirkte in seiner schlichten Eleganz unschuldig.

Kaum zu glauben, dass ich wegen dieses Objektes mit einer Waffe bedroht wurde , dachte Quartam. Dass das Talagon nicht so harmlos war, wie es aussah, war dem Wissenschaftler längst klar. Allein die Hyperenergie-Signatur sprach Bände.

Quartam hatte die Fremde in sein persönliches Labor bringen lassen, das an sein Arbeitszimmer grenzte, denn er wollte Lythia bei der Untersuchung nicht dabeihaben. Er vertraute der Essoya, soweit es ging. Er hatte gleichwohl das bestimmte Gefühl, dass diese Geschichte hier andere Dimensionen erreichte. Er durfte nicht riskieren, dass Lythia vielleicht doch eine Spionin war, die seine Erkenntnisse verraten konnte.

Die grünhäutige Frau hatte sich zunächst gesträubt, das Talagon aus den Händen zu geben. Doch er hatte sie damit geködert, durch einen Scan mehr über das Objekt herausfinden zu können. Quartam wünschte, er hätte ausreichend Zeit, um es ausführlich und in Ruhe zu untersuchen. Vielleicht konnte er es den Fremden abhandeln, wenn er überzeugend genug war.

Er hätte es sich selbstverständlich einfach mit Waffengewalt nehmen können. Wenn er nun die Roboter rief und die Fremden paralysieren und einsperren ließ, wäre das Problem gelöst ...

Ein verführerischer Gedanke, den Quartam ganz schnell wieder verwarf. Er war Wissenschaftler, kein Barbar. Und er würde sich ganz sicher nicht mit jenen auf eine Stufe stellen, die ihn verfolgten und in seiner Arbeit blockierten.

»Woher wissen Sie vom Talagon?«, riss ihn die grünhäutige Frau aus seinen Gedanken.

Ungeduldig hob Quartam den Kopf und reagierte mit einer Gegenfrage: »Wie sind Sie in den Besitz des Talagons gekommen? Und wer sind Sie überhaupt?« Er hatte sich entschieden, vorsichtshalber zur höflicheren Anredeform überzugehen. Wenn er eines über die Fremden zu wissen glaubte, dann, dass sie keine Wilden waren.

Die grünhäutige Frau zögerte kurz. »Mein Name ist Sichu Dorksteiger, mein Begleiter heißt Perry Rhodan, und die junge Frau, die wegen ihres unprovozierten Angriffs verletzt worden ist, heißt Caysey.«

»Die Eingeborene.« Quartam ignorierte den Vorwurf. »Aber Sie sind keine Atlanter, und Sie sind auch keine Arkoniden.«

»Was hat Ihnen das verraten?« Sarkastisch zog Dorksteiger die Augenbrauen hoch.

Quartam hasste Sarkasmus. Es war Zeitverschwendung, nicht direkt zu sagen, was man meinte.

Flox tauchte über seiner Schulter auf und setzte zu einer Erklärung an: »Nun, Atlanter haben für gewöhnlich arkonoide Haut, vielleicht etwas dunkler, aber das ist nur eines der Anzeichen ...«

Während Quartam Sarkasmus nicht mochte, hatte Flox schlichtweg keine Ahnung, was das war. Immerhin war er ein Roboter.

Dorksteiger betrachtete die kleine Kugel mit zusammengezogenen Augenbrauen. »Was ist das? Eine fliegende KI?«

»Mein Assistent braucht Sie nicht näher zu interessieren.« Quartam hatte keine Lust auf Erklärungen zu Flox und beschied dem Roboter, zu schweigen. »Sie haben mir nicht auf die Frage geantwortet, wie Sie an das Talagon gelangt sind.«

»So wenig, wie Sie verraten haben, woher Sie davon wussten.« Dorksteiger zeigte auf das vermeintliche Schmuckstück. »Und warum Sie so sehr daran interessiert sind.«

»Was das angeht ...«, Quartam vergrößerte einen Holobildschirm, der eine gezackte, sich stets verändernde Linie abbildete. »Ich beschäftige mich mit hyperenergetischen und hyperspektralen Wellen, und dabei ist mir aufgefallen, dass dieses Objekt eine bestimmte Signatur aufweist, die überaus interessant ist.«

Dorksteiger legte den Kopf schief. »Ich bin beeindruckt – ein Forschungsgebiet, das noch nicht besonders weit gediehen ist, oder?«

Diese Bemerkung quittierte Quartam mit einem abfälligen Schnauben. »Sie tun gerade so, als ob Sie sich damit auskennen!«

»Sie würden sich wundern. Meine Frage beantwortet es nicht. Denn selbst wenn Sie es geschafft haben, das Gerät auf Entfernung anzumessen: Sie wussten seinen Namen, Talagon. Also haben Sie es schon einmal gesehen, oder davon gehört.«

Quartam wandte sich dem Talagon zu. Er dachte nicht daran, mit dieser Sichu Dorksteiger darüber zu diskutieren. »Für meine Sensoren ist das Objekt ein Rätsel.«

Sichu nickte verständnisvoll. »Das glaube ich. Ihre Technik ist nicht fortschrittlich genug, um es zu erfassen.«

Quartams Kiefer mahlten. »Sie scheinen nicht zu wissen, mit wem Sie es zu tun haben. Ich verfüge über die modernsten Geräte; die meisten davon habe ich selbst entwickelt.«

»Dennoch entzieht sich das Talagon Ihren Messungen.« Dorksteiger zuckte mit den Schultern. »Schade.« Sie streckte die Hand aus, um das Objekt wieder an sich zu nehmen.

»Nicht allen Messungen!«, sagte Quartam hastig.

Die grünhäutige Frau zögerte und blickte fragend auf.

Quartam rief ein anderes Bild auf, das ein Diagramm des Talagons darstellte, und setzte hinzu: »Ich bin sicher, dass sich dieses Artefakt öffnen lässt. Der Inhalt allerdings entzieht sich den Sensoren, dazu ist er zu gut abgeschirmt.«

»Das habe ich auch vermutet. Allerdings ist die Frage, wie es sich öffnen lässt.«

»Ich habe eine Theorie.« Eigentlich verriet Quartam nur ungern seine Forschungsergebnisse und seine Ideen. Doch er hegte die Hoffnung, dass die Frau ihm das Talagon länger für eine Untersuchung bereitstellte, wenn sie Details kannte – oder dass sie es ihm ganz und gar überließ. Deswegen fuhr er fort: »Der Schlüssel könnte eine bestimmte Hyperstrahlungs-Signatur sein. Quasi ein Gegenstück zu jener Signatur, die von dem Talagon ausgeht.«

Dorksteiger biss sich auf die Lippen. »Eine interessante Idee. Mit einer leistungsfähigen Positronik könnte ich diesen Schlüssel vielleicht ermitteln.«

Quartam lachte auf. »Sie? Ich glaube kaum, dass ...«

»Ich bin allerdings nicht sicher, ob es richtig ist, das Talagon zu öffnen.« Dorksteiger schien in Gedanken versunken, fast so, als spräche sie nicht länger mit ihm, sondern zu sich selbst. »Er sagte, das Schicksal der Galaxis steht auf dem Spiel ... Was immer sich also im Innern des Artefakts befindet, ist mutmaßlich gefährlich, und es zu öffnen wäre riskant.«

»Wer sagt das?«, insistierte Quartam. Aufregung keimte in ihm wie Lorikraut in der Sonne. Was auch immer diese Fremden wussten, es war wertvoll. Er musste mehr herausbekommen. »Von wem haben Sie das Artefakt bekommen?«

Ehe Dorksteiger antworten konnte, glitt die Tür zum Labor auf. Ihr blonder Begleiter kam herein. Er überragte Quartam um Haupteslänge. Der Wissenschaftler war es gewohnt, kleiner als andere zu sein, aber in diesem Fall störte es ihn massiv.

»Sie müssen Quartam sein«, sagte der Fremde ohne große Vorrede. »Ein Servoroboter hat mich zu Ihnen geführt. Ich bin Perry Rhodan. Danke, dass Sie uns in die Station gelassen haben und dass Ihr Mediziner Caysey behandeln darf.«

»Wie geht es ihr?«, fragte Dorksteiger, als ob sie sich nicht gerade mit wichtigeren Dingen als der Gesundheit einer Wilden befassten.

Der Blonde, der sich Perry Rhodan nannte, hob die Schultern. »So weit ganz gut. Der Arzt meint, dass man ihr nur in Arkonis wirklich helfen kann. Was mich zum nächsten Punkt bringt.« Er sah Quartam auffordernd an. »Wir brauchen noch einmal Ihre Hilfe. Bitte stellen Sie uns einen Gleiter zur Verfügung, mit dem wir in die Hauptstadt fliegen können. Die Zeit drängt, wir müssen bald aufbrechen.«

»Moment mal!« Quartam hob abwehrend die Hände. »Ich kenne Sie nicht. Sie kommen hier hereingestürmt und fordern einen Gleiter ...«

»Es tut mir leid, natürlich habe ich nicht das Recht dazu.« Rhodan neigte den Kopf. »Ich bitte Sie darum.«

Kurz war Quartam perplex, aber er fing sich schnell. »Dennoch! Warum sollte ich Ihnen einen Gleiter geben? Ich weiß nicht einmal, was Sie in Arkonis wollen.«

»Caysey braucht medizinische Hilfe, die sie hier nicht bekommt. Und wir erfüllen einem alten Freund einen Wunsch.«

»Was für einen Wunsch?« Quartam wies auf das Talagon. »Hängt er damit zusammen?«

»Das kann ich Ihnen leider nicht sagen, ich ...«

»Geht es um das Schicksal der Galaxis?« Spöttisch verzog Quartam den Mund. »Ihre Freundin Dorksteiger erwähnte so etwas. Ich bin grundsätzlich gegen Tiefstapeln, aber geht es nicht eine Nummer kleiner?«

Ungeduldig fuhr sich Perry Rhodan durch die Haare. »Hören Sie, Quartam, wir haben keine Zeit für lange Diskussionen. Ich bitte Sie um Hilfe, ganz einfach. Wir können Ihnen den Gleiter per Autopilot umgehend aus Arkonis zurückschicken, es bedeutet für Sie keinen Verlust. Wenn Sie uns nicht helfen wollen ...« Er griff nach dem Talagon.

Mit einer blitzschnellen Handbewegung aktivierte Quartam Fesselfelder für die beiden Fremden. Er hatte diese Sicherung bereits vorbereitet, während sie die Station betraten – schließlich war er nicht auf den Kopf gefallen. Wer wusste schon, was diese Typen wirklich wollten.

»Nicht so schnell, Perry Rhodan. Ehe Sie verschwinden, habe ich einige Fragen, die mir Sichu Dorksteiger leider nicht beantwortet hat.«

Rhodan, von dem Fesselfeld in einer absurden Stellung eingefroren – so, als würde er seine Hand wie ein Sternenpriester segnend über das Talagon halten –, keuchte überrascht. Die Köpfe hatte Quartam ausgespart, schließlich nutzten ihm stumme Gefangene nichts.

»Was wollen Sie?«, rief Rhodan.

»Antworten! Wo haben Sie das Talagon her? Sind Sie aus dem Tor gekommen?«

Rhodans Augen weiteten sich. »Dem Tor?«

Quartam nickte grimmig. »Dem Tor unter Wasser, vor der Küste.«

Ein Ruf aus der Zentrale unterbrach das Gespräch. »Quartam, hier ...«

»Jetzt nicht, Lythia!«, sagte er ungehalten. »Ich bin beschäftigt!«

»Aber ...«

»Ich sagte, jetzt nicht!«

»Herr, Sie sollten sich Lythia anhören«, meldete sich Flox. Da Quartam ihm befohlen hatte, zu schweigen, musste es wirklich wichtig sein.

Der Wissenschaftler horchte auf. »Was ist los, Lythia?«

»Wir bekommen wieder Besuch!«

»Was? Zeig her!«

Eine Holoübertragung der Außenkameras erschien. Dort, wo vor Kurzem die Fremden aufgetaucht waren, stand eine Quartam nur allzu bekannte Frau vor dem Energieschirm. Der Wissenschaftler schnappte nach Luft.

Er stutzte, als er Rhodan aufstöhnen hörte: »Rowena! Ausgerechnet jetzt!«