Die athletische Arkonidin vor dem Energieschirm machte einen ungeduldigen Eindruck. Rhodan bemerkte den verdreckten, ehemals weißen Kampfanzug und die Kratzer im Gesicht, die zornigen roten Augen und das zerzauste Haar, in dem einige kleine Zweige und Kletten hingen.
Sie hat uns tatsächlich zu Fuß verfolgt. Widerwillig empfand er so etwas wie Bewunderung. Hartnäckig ist sie. Aber das ist wirklich der schlechteste Zeitpunkt, um uns einzuholen.
Sichu neben ihm stieß einen erstickten Laut aus. Sie konnte sich wegen des Fesselfeldes nicht rühren; er war sicher, dass sie ansonsten zurückgezuckt wäre.
»Sie kennen diese Frau?«, fragte Quartam.
Nun erst fiel Rhodan auf, dass der Arkonide ebenso entsetzt über Rowenas Auftauchen war, wie er und Sichu. Der auffallend kleine Arkonide war blass geworden, seine Augen tränten stark und seine Hände zitterten. Auf Rhodan hatte er von vornherein den Eindruck eines etwas verwirrten Genies gemacht, mit seinen wirren weißen Haaren und der mit Misstrauen vermengten Panik in seinen Augen. Auf einmal wirkte er, als ob er kurz vor einem Nervenzusammenbruch stünde.
»Sie beide haben offenbar ebenfalls bereits Bekanntschaft geschlossen?«, fragte Rhodan zurück.
Sofort ging Quartam in die Defensive. »Wie kommen Sie darauf?«
»Quartam! Lass mich sofort rein, du alter Narr!«, tönte Rowenas aufgebrachte Stimme aus einem Akustikfeld. »Wenn du in diesen Energieschirm nicht sofort eine Lücke schaltest, werde ich ernsthaft wütend!«
Rhodan konnte sich trotz der ernsten Lage eines leichten Lächelns nicht erwehren. »War nur eine Vermutung.«
Quartam nickte fahrig. »Also schön, ich kenne Sie. Und woher kennen Sie die Dame?«
»Wir sind leider keine Freunde.« Sichu kniff die Lippen zusammen. »Bitte, Quartam, lassen Sie sie nicht herein. Verschaffen Sie uns Zeit, damit wir Rowena entkommen können.«
Unentschlossen drehte der Stationsleiter den Kopf von Sichu zu dem Hologramm und wieder zurück.
»Quartam!« Rowenas Stimme klang mehr als bedrohlich – sie klang mordlüstern. »Desaktiviere – diesen – Energieschirm!«
Der fliegende Roboter über Quartams Schulter meldete sich erneut zu Wort: »Herr, wenn ich meine Meinung äußern dürfte: Unsere Besucherin wird zunehmend ungeduldig, wie ihr steigender Puls, das vermehrte Tränensekret und die zunehmende Durchblutung ihrer Gesichtshaut vermuten lassen.«
Der Wissenschaftler seufzte und gab den entsprechenden Befehl in das Tastenfeld unterhalb des Überwachungsbildes ein. »Ich will diese Person nicht in meiner Station haben. Doch wenn ich mich ihr verweigere, mache ich mich verdächtig. Arkonis hat mich auf dem Kieker!«
Eine Strukturlücke erschien direkt vor Rowena, und die Arkonidin eilte hindurch.
Sie wird uns in wenigen Minuten erreichen! Und wir sitzen in diesen Fesselfeldern auf dem Präsentierteller! Rhodan zauderte nur eine Sekunde, dann gab er seinem Bauchgefühl nach und beschloss, dem Arkoniden die Wahrheit zu sagen. »Also schön, Quartam: Sie haben richtig vermutet. Wir kommen aus dem Tor unter Wasser.«
Die Augen des Wissenschaftlers weiteten sich erstaunt und füllten sich wieder mit dem Sekret, das bei Arkoniden auf große Erregung hindeutete.
Rhodan fuhr hastig fort: »Rowena brachte das Talagon auf unsere Seite, vermutlich, um es dort zu entsorgen und zurückzulassen. Was das Objekt tut, wissen wir nicht. Rowena darf es nicht erhalten. Es klingt zwar pathetisch, doch Sichu hat recht: Das Schicksal der Galaxis steht auf dem Spiel. Der Kristallprinz selbst hat uns davor gewarnt. Niemand darf erfahren, dass wir hier sind!«
Er überlegte, ob er noch mehr preisgeben sollte, aber er wagte es nicht. Er wollte kein Zeitparadoxon riskieren. Keiner konnte wissen, was das für Folgen haben würde.
Er schien bereits genug gesagt zu haben. Quartam war plötzlich wie elektrisiert. Seine Zerstreutheit war verschwunden, er war ganz auf Rhodan fokussiert. »Das Tor – es handelt sich um einen Transmitter, nicht wahr? Ein Gerät, das jemanden in Nullzeit durch Raum und Zeit versetzt?«
Nun lag das Erstaunen auf Rhodans Seite. »Woher wissen Sie davon?« Diese Technik war der aktuellen arkonidischen so weit überlegen wie ein moderner Kampfraumer einem Steinzeitbeil.
»Ich habe den Transmitter vor einiger Zeit aufgespürt.« Quartam rief hastig ein paar Hologramme auf, deren Sinngehalt sich Rhodans Fachkenntnis entzog.
Sichu sog beeindruckt die Luft ein. »Das sind Ihre Forschungen?«
»Nur ein Teil davon. Ich befasse mich mit hyperenergetischen Forschungen, das habe ich Dorksteiger bereits erklärt. Meine Kollegen bezeichnen meine Arbeit als sinnlose Grundlagenforschung. Das sind alles Banausen, die nicht über die beschränkte Reichweite ihres Horizontes hinaussehen können.« Er winkte ab. »Jedenfalls habe ich mich vor einiger Zeit mit fokussierten Hyperlasern beschäftigt. Und dabei nahmen meine Geräte eine Energiespitze im obersten Band des für mich messbaren Hyperspektrums wahr. Wie ich später feststellte, war es ein Stotterer im Energiespeicher des Transmitters, den ich mir allerdings nicht erklären kann ... Warten Sie, ich löse die Fesselfelder ...«
Eine Handbewegung genügte, und Sichu und Rhodan waren wieder frei.
Quartam winkte ihnen. »Kommen Sie mit!«
»Das ist ein erster Schritt zu modernster Ortungstechnik«, flüsterte Sichu beeindruckt, während sie dem Wissenschaftler folgten. »Wie kann es sein, dass ich nie zuvor von Quartams Arbeit gehört habe?«
Darauf hatte Rhodan keine Antwort, doch er wäre ohnehin nicht dazu gekommen. Quartam hatte ein holografisches Modell des Kontinents Atlantis aktiviert, auf dem die Station ebenso eingetragen war wie der Standort des Transmitters vor der nordöstlichen Küste.
»Im Meer habe ich einen Hyperkokon entdeckt, den ich nicht öffnen konnte. Ich ahnte, was sich darin befand. Mir war klar, dass diese fremde und überlegene Technologie nicht in die Hände der Idio... der Ideologen von Arkonis fallen darf. Deswegen habe ich in meiner Eigenschaft als Kolonisationsexperte den Transmitterstandort als Bauplatz für ein Projekt des Militärs vorgeschlagen, ein Kuppelbunker für die hohen Herren.«
»Eine gelungene List«, entfuhr es Rhodan.
Quartam reagierte mit Stolz. »Nicht wahr? Ich dachte, wenn ich das Fundstück vor den Augen des Gouverneurs unter Tonnen von Arkonstahl begrabe, ist es sicher. Und da ich die Bauaufsicht über die Kuppel führe, konnte ich den Vorgang perfekt überwachen. Ich war ziemlich oft dort oben im Norden.«
»Wahrscheinlich sind Sie dabei Eingeborenen begegnet?«
»Sicher. Ich habe mich in den Dörfern dort mit Nahrung versorgt.«
Daher wusste Ututna von ihm und seinem »stählernen Haus« ...
»Vor einigen Tagen erschien diese fremde Arkonidin und hat mich erpresst. Sie drohte, mich zu töten, wenn ich ihr nicht bei der Entsorgung des Talagons helfen würde.«
»Und da schickten Sie sie an die Küste.«
Quartam senkte unglücklich den Kopf. »Mir ist nichts Besseres eingefallen. Ich dachte nicht, dass es ihr gelingen würde, den Kokon zu öffnen.« Sein Gesicht hellte sich auf. »Aber es ist ihr gelungen, und Ihnen auch! Das ändert alles! Sie können mir helfen, den Transmitter besser zu verstehen und zu erforschen.«
»Wenn Rowena uns gleich in die Finger bekommt, werden wir alles andere als das tun.« Sichu verfolgte auf einem Hologramm den Weg von Rowena, die mittlerweile in der Station angekommen war und den Hauptgang betrat.
»Oh, Sie werden wiederkommen und mir mehr erzählen, nicht wahr?« Quartam zog einen münzgroßen, flachen Metallchip aus der Tasche und reichte ihn Rhodan. »Hier, der Codegeber für meinen persönlichen Gleiter. Es ist der hellgraue auf dem Landefeld. Und bitte: Paralysieren Sie mich!«
»Wie bitte?«
Der Assistent schwebte hüpfend auf und ab, als habe er Schluckauf. »Herr, das halte ich für keine gute Idee!«
»Sei still, Flox! Du wirst die beiden dann auf dem kürzesten Weg zur Medostation bringen, damit sie die Wilde mitnehmen können. Führ sie danach zum unterirdischen Zugang des Landefelds.« Quartam wies auf Rhodans Kombistrahler. »Los, machen Sie schon! Es muss aussehen, als hätten Sie mich überwältigt. Wenn ich Sie freiwillig entkommen lasse, wird Rowena mich töten! Ach ja: Sagen Sie Kassem, dass er Ihnen etwas anderes zum Anziehen geben soll, ehe diese Kleidungsstücke von allein auseinanderfallen.«
Hat er recht? Oder ist das seine Paranoia? Rhodan wollte es nicht herausfinden. Er drückte ab.
Quartam fiel wie ein nasser Sack zu Boden, während Rhodan bereits nach dem Talagon griff. »Tut mir leid, Quartam. Viel Glück mit Rowena!«
Der Roboter namens Flox sah Rhodan aus seinem riesigen Auge an, und der Terraner hatte das Gefühl, wenn positronische Blicke töten könnten, hätte er sich keine weiteren Gedanken über ihre Flucht machen müssen.
Dann steuerte die Kugel auf die Tür zu. »Folgen Sie mir!«
Flox führte sie auf einem anderen Weg zur Medostation als dem, den Rhodan gekommen war. Es war eine Route, die ihnen die Begegnung mit Rowena ersparte. Wahrscheinlich war Rowena längst in Quartams Labor angekommen, als sie die Medostation erreichten.
Caysey lag noch immer auf der Behandlungsliege, fuhr bei ihrem rasanten Eintreffen erschrocken auf. »Großer Vrouhtou, habt ihr mich erschreckt!«
Kassem, der ein paar Schritte entfernt mit der Auswertung von irgendwelchen Testergebnissen beschäftigt war, drehte sich verwundert um.
»Unsere Gäste müssen aufbrechen«, sagte Flox. »Sorgen Sie dafür, dass die Wilde mobil ist, und geben Sie den beiden leichte Einsatzanzüge.«
Kassem zog die Stirn kraus. »Aber was ..?«
»Befehl von Meister Quartam«, unterbrach Flox. »Für Fragen ist keine Zeit, unsere Gäste werden verfolgt.«
Kassem trat an Cayseys Seite und injizierte ihr etwas. »Das müsste die Krämpfe stoppen.« Er wies mit dem Kinn auf einen Schrank. »Dort sind drei Überlebensanzüge drin. Quartam ist so paranoid, dass wir in fast jedem Raum Einsatzanzüge für uns drei deponiert haben, weil seiner Meinung nach jederzeit der Feind die Station überrennen könnte. Nehmen Sie auch einen für Ihre Eingeborenen-Freundin mit.«
Sichu holte die Anzüge. Kassem nahm an einem davon noch eine Programmierung vor. »Der Anzug wird ihr weitere Medikamente geben, um einer Frühgeburt vorzubeugen. Ich kann allerdings nichts tun, um die Bildung des gefährlichen Hormons zu unterbinden, und der Herzfehler sowie die Hirnflüssigkeit müssen unbedingt genauer diagnostiziert und behandelt werden, wenn Mutter und Kind überleben sollen.« Er reichte Rhodan einen Datenkristall. »Hier sind meine Untersuchungsergebnisse. Darin habe ich alles über die Mutation notiert.«
Rhodan nahm den Kristall entgegen und half Caysey auf die Beine. »Mutation« sagt er, weil er sich nicht vorstellen kann, dass es etwas anderes sein könnte. Ich weiß, dass Caysey eine Nachkommin der Lemurer ist. Was ist, wenn es einen anderen Grund für diesen »Defekt« gibt?
Er hatte keine Zeit, länger darüber nachzudenken. »Danke, Kassem. Wir müssen los!«
Flox brachte sie von der Medostation weg zu einem Antigravlift, der in die Tiefe führte. »Wir müssen auf die unterste Ebene, von dort führt ein Gang zum Landefeld.« Flox huschte in den Schacht. »Wenn Sie Glück haben, hält sich diese Rowena damit auf, hier oben die Station nach Ihnen abzusuchen.«
Rhodan, Sichu und Caysey folgten Flox eilig – wenn auch Caysey das Wunder des Antigravlifts mit spitzen kleinen Lauten der Überraschung quittierte. »Ich fliege!« Ihre Stimme bebte. »Ich kann fliegen wie ein Vogel!«
Zu Rhodans Erleichterung hatten Cayseys Beschwerden nachgelassen. Sie bewegte sich fast so geschmeidig wie vor ihrem Sturz. Das war bitter nötig, denn laut Flox, der auf die stationseigenen Überwachungssysteme zugreifen konnte, war ihnen Rowena dicht auf den Fersen. Sie hatte sich nicht lange bei Quartam aufgehalten – das hätte Rhodan an ihrer Stelle auch nicht getan, hätte er einen paralysierten Stationschef vorgefunden – und war seitdem ihren Spuren gefolgt. Zwar versicherte ihnen Flox, dass Quartam die Systeme gesichert hatte, sodass Rowena keinen Zugriff darauf hatte.
Die Arkonidin war jedoch von allein darauf gekommen, dass es Rhodan und seine Leute auf die Gleiter abgesehen hatten, und befand sich deswegen auf dem gleichen Weg wie sie, nur oberirdisch. Allerdings hatte Rowena keinen Flox – im Gegenteil. Wenn Flox nicht sämtliche Türen verschlossen und alle Antigravs außer Kraft gesetzt hätte, die Rowena passieren musste, wäre sie längst auf dem Landefeld angelangt.
»Nicht, dass das viel nutzen würde«, gab Flox zu. »Diese Frau verschafft sich die Wege, die sie braucht, wenn nötig mit Gewalt. Sie hat sich von Lythia einen Strahler besorgt und schießt sich durch die Türen einfach hindurch.« Flox klang indigniert. »Das wird eine Weile dauern, bis wir das wieder aufgeräumt haben.«
Rhodan hatte derzeit wenig Verständnis für diese Sorgen – er hatte eigene. Vor ihnen öffnete sich die Schleuse zum Landefeld. »Wie weit ist Rowena gekommen?«
Flox hielt schwebend im Durchgang an. »Es wird knapp für Sie. Wenn Sie es zum Gleiter schaffen, schalte ich eine Strukturlücke im Schirm. Ich bleibe hier. Es wäre suboptimal, wenn Rowena mich in die Finger bekommt.«
»So schätze ich es auch ein. Danke, Flox!«
Rhodan rannte vor Caysey und Sichu durch den aufsteigenden Gang und spähte aus dem Gangende zum Hauptgebäude. Noch war dessen Ausgang zum Landefeld geschlossen. Quartams Gleiter stand nur wenige Schritte entfernt. Es war ein ziviler Gleiter, silbergrau und schon etwas ramponiert. Mit Sicherheit fanden drei Personen darin Platz. Er war abgeschlossen und gesichert – alles andere hätte Rhodan bei Quartam gewundert.
»Los, ehe Rowena auftaucht!« Sie eilten über das Landefeld. Kurz vor dem Gleiter aktivierte Rhodan den Codegeber – genau in dem Moment, in dem sich die Schleuse zum Hauptgebäude öffnete und Rowena herauskam. Die Seitentür des Gleiters fuhr auf.
»Schnell!« Rhodan winkte den beiden Frauen, einzusteigen. Rowena rannte auf sie zu – sie war bereits so nah, dass Rhodan die Wut in ihren Zügen sehen konnte. Er schloss sich Sichu und Caysey an. Ein Schuss zischte dicht an ihm vorbei und verdampfte auf dem Boden des versiegelten Flugfeldes.
Eine Warnung , nahm Rhodan an. Er hatte nicht vor, darauf zu hören.
Die Prallfeldtriebwerke fuhren summend hoch, denn Sichu hatte sich sofort auf den Pilotensitz gestürzt und den Gleiter gestartet.
Als sich die Tür schloss, war Rowena heran und machte einen Hechtsprung, um sie noch zu erreichen. Ihre schlanken Finger klammerten sich um die Türkante. Sofort hielt die Automatik, die Unfälle verhindern sollte, den Verschluss an.
Kurz entschlossen packte Rhodan den Strahler – und schlug Rowena damit kräftig auf die Finger. Ein Schrei ertönte – mehr überrascht und wütend als schmerzerfüllt. Noch einmal schlug Rhodan zu, und die Finger verschwanden. Der Zugang schloss sich.