Der Vorteil einer Paralyse war, dass man währenddessen zumindest keine Albträume hatte. Quartam, der sich jede Nacht in seinem Bett hin und her wälzte, wusste das durchaus zu schätzen. Insofern tauchte er aus der Besinnungslosigkeit auf wie aus einem dunklen, stillen Tunnel, an dessen Ende er Stimmen hörte. Eine Frau, die genervt fauchte, dass das schneller gehen müsse, und Kassem, der ebenso genervt antwortete, dass es schneller nicht möglich sei. Sobald Quartam den Tunnel verließ, bemerkte er den Schmerz am Oberarm. Kassem hatte ihm wohl etwas injiziert.
»Sehen Sie, er wacht bereits auf«, hörte Quartam die Stimme des Arztes. Er öffnete die Augen und sah Kassems breites Gesicht über sich. »Wie fühlen Sie sich? Es ist immer ein Risiko, jemanden vorzeitig aus der Paralyse zu holen.«
Quartam krächzte eine Antwort, die selbst in seinen eigenen Ohren unverständlich blieb.
Kassem hielt ihm einen Schlauch mit Flüssigkeit an den Mund, wurde aber von Rowena unsanft zur Seite gestoßen. »Er ist wach, das ist alles, was zählt. Sag mir, wo die Fremden mit dem Talagon hinwollen, alter Narr!«
Gut, Flox hatte Erfolg. Rhodan und seine Leute sind entkommen. Er bemühte sich, ein unbeteiligtes Gesicht zu machen, um seine Erleichterung nicht zu zeigen. Nachdem er einige Schlucke getrunken hatte, waren seine Kehle und seine Zunge feucht genug, um zu antworten.
»Es tut mir leid, das haben mir Perry Rhodan und Sichu Dorksteiger nicht verraten, ehe er den Paralysator auf mich gerichtet hat.« Was durchaus der Wahrheit entsprach. Rhodan hatte ihm schon früher gesagt, dass sie nach Arkonis wollten. Das würde er Rowena nicht auf die Nase binden. Allerdings war die Frau nicht dumm und würde rasch darauf kommen, dass es für die Flüchtenden derzeit kein anderes Ziel gab.
»Perry Rhodan und Sichu Dorksteiger? Das sind ihre Namen?« Sie schnaubte. »Sie waren nicht so höflich, sich mir vorzustellen. Wie es aussieht, hast du netter mit ihnen geplaudert.«
Verdammt! Ich dachte, sie kennt ihre Namen. Damit habe ich tatsächlich etwas verraten.
Nun, dann konnte er gleich in die Offensive gehen. Quartam setzte auf der Behandlungsliege auf, so ruckartig, dass sowohl Kassem als auch Rowena einen Schritt zurückwichen. Wie bin ich überhaupt in die Medostation gekommen? Das war zweitrangig. »Sie haben gesagt, dass sie von der anderen Seite kommen. Du warst also tatsächlich drüben? Erzähl mir alles, was du weißt!«
»Ich stelle hier die Fragen!« Wütend ließ Rowena ihre Faust auf den Behandlungstisch neben sich krachen, sodass die dort aufgereihten medizinischen Instrumente schepperten. Kassem stieß einen erstickten Protestruf aus und eilte zu seinem Arbeitsmaterial. »Und ich will wissen, was die Fremden dir gesagt haben.«
»Nicht viel. Mit meinen Leuten haben sie gar nicht gesprochen, nur mit mir.« Hastig winkte er Kassem zu, dessen Augen sich kaum merklich geweitet hatten. »Kassem, lass uns allein! Diese Unterredung geht dich nichts an.«
»Er bleibt!« Rowena verschränkte die Arme. »Vielleicht ist ihm etwas Nützliches aufgefallen.«
Quartam setzte sich aufrecht hin. »Wenn du wirklich mit mir reden willst, dann unter vier Augen. Es geht um meine Forschungsergebnisse, und die halte ich auch vor meinen Leuten streng geheim. Schließlich erhöht jeder Mitwisser die Gefahr, dass meine Informationen an Spione verkauft werden.« Eindringlich funkelte er Kassem an. Der Mediziner musste hier raus, denn er hatte am längsten mit der Wilden geredet, würde unter Rowenas Verhör sicher erzählen, was er wusste. Schließlich ahnte er nicht, worum es ging.
Zum Glück war Kassem schnell von Begriff. »Das würde ich nie tun!«, protestierte er halbherzig.
Rowena winkte ihn bereits hinaus. »Verschwinde! Ich befasse mich später mit dir.«
Hoffentlich nicht ...
Kaum hatte der Arzt die Medostation verlassen, wechselte Rowena die Strategie. Sie kam mit langsamen, wiegenden Schritten auf Quartam zu. »Also, wo waren wir?«, fragte sie und stellte sich so dicht vor ihn, dass er ihren Atem auf seiner Haut spüren konnte. Mit der rechten Hand fuhr sie ihm durch das Haar, die linke legte sie auf seine Brust.
»Ähm«, gab er irritiert von sich. Er war zwar ein Wissenschaftler, aber auch ein Mann, der den Freuden des Fleisches nicht abgeneigt war, wenngleich es bei ihm eine Weile her war. Dass Rowena ihm so lasziv begegnete, war eine Taktik, die sein überlegener Geist leicht durchschaute.
Leider war sein Körper nicht so überlegen und regierte prompt auf Rowenas Avancen. Vor allem, als ihre Hand langsam abwärtsglitt.
»Lass das sofort sein!«, sagte er und stieß sie von sich, wofür er allerdings einiges an Willenskraft aufbringen musste. »Solche billigen Tricks wirken bei mir nicht.« Seine Empörung war noch größer, weil Rowena so despektierlich mit ihm sprach.
Rowena zog sofort ihre Hände zurück und griff zur Seite, wo sie eine große Zange vom Behandlungstisch nahm. »Wie du meinst«, sagte sie gleichgültig. »Dann eben auf andere Art.«
Sie nahm seine Hand und legte die Schneiden der Zange um seinen kleinen Finger.
Quartam schluckte. »Der Geist triumphiert über körperliche Schwächen wie Verlangen und Angst«, erklärte er tapfer, während ihm verräterische Tränen der Erregung über die Wangen liefen. »Mich interessiert allein meine Forschung. Und solange du mir nicht sagst, was an dem Tor passiert ist, sage ich dir auch nichts.«
Rowena rollte mit den Augen und ließ die Zange sinken. »Ach Quartam, so leicht bist du zu haben? Ich dachte, ich muss mich mehr anstrengen.« Lässig warf sie die Zange zurück auf den Tisch, wo sie mit einem dumpfen Schlag landete. »Nun gut, wenn es dir so wichtig ist, dann sollst du es hören: Ja, ich war auf der anderen Seite des Tores.«
Ein Wechselbad der Gefühle: Eben noch hatte Quartam gedacht, dass er gefoltert würde – nun wurde sein Forscherdrang befriedigt. Er musste sich beherrschen, um Rowena nicht an den Schultern zu packen und durchzuschütteln. Wahrscheinlich hätte das für ihn ohnehin nicht gut geendet; obwohl er den Eindruck hatte, dass Rowena selbst ganz froh darüber war, keine Gewalt anwenden zu müssen.
»Erzähl mir mehr! Wie sieht es dort aus?«, forderte er.
»Die Schutzkuppel auf der anderen Seite sieht dem, was gerade im Meer entsteht, erstaunlich ähnlich. Dort waren viele Arkoniden, sie schienen eine Art Fest zu veranstalten.«
Interessant! Ein Tor durch die Zeit. Wenn auch nicht durch den Raum, wenn es dort ebenso aussah ... Vielleicht war Rowena einige Jahrzehnte, vielleicht sogar Jahrhunderte in der Zukunft!
»Weiter! Was ist dort passiert?«
Rowena schnaubte. »Diese beiden Typen, Rhodan und Dorksteiger, haben mich daran gehindert, meine Aufgabe zu erfüllen. Ich wollte das Talagon dort lassen. Sie sind mir gefolgt und haben es wieder mitgebracht. Beim Durchgang wurde das Tor unbrauchbar. Es wundert mich, dass es ihnen überhaupt noch gelungen ist zu wechseln.«
Quartam überlief es kalt. »Das Tor ist defekt? Bist du sicher?«
»So sicher, wie ich als jemand sein kann, der sich damit nicht auskennt. Dorthin können die Fremden also nicht wollen, denn es führt sie nirgendwo hin.«
Quartam überlegte. »Und das Talagon? Rhodan meinte, der Kristallprinz selbst habe ihn gewarnt, dass von diesem Artefakt viel abhängt.«
Rowena legte den Kopf schief. »Der Kristallprinz also? Ihn hat er erwähnt?«
Quartam schluckte. »Das war das, was er gesagt hat. Nicht mehr und nicht weniger.«
»Dann ahne ich, wohin sie wollen.« Rowena richtete den Finger auf ihn – eine Geste, die Quartam nicht besonders mochte, kam er sich doch dabei stets geschulmeistert vor, was seinem überragenden Intellekt nicht angemessen war. »Ich habe eine Aufgabe für dich, Quartam. Begib dich zum Tor. Repariere es, wenn du kannst. Sorg dafür, dass es weiter unentdeckt bleibt – und dass den Unbekannten der Weg dorthin offen bleibt. Überlasse mir außerdem einen deiner Gleiter.«
Ich werde Rowena so leicht los und darf mich außerdem weiter um mein Forschungsobjekt kümmern? Wo ist der Haken?
Quartam langte in seine Tasche und holte einen Codegeber heraus, ganz ähnlich dem, den er kurz zuvor Rhodan überlassen hatte. »Hier, der ist für den Einpersonengleiter.«
»Sehr gut.« Rowena war bereits auf dem Weg zur Tür. »Ich verzeihe dir, dass die Fremden entkommen sind. Aber enttäusche mich nicht noch einmal!«
Langsam ließ sich Quartam auf die Liege sinken. Seine Knie zitterten. Er wischte sich die tränennassen Wangen ab. Den Sternengöttern sei gedankt, ich bin sie los. Ich hoffe nur, sie hat den Transmitter nicht völlig zerstört.