Sichu Dorksteiger
»Überschreiben des Kennungssignals ist unzulässig. Bitte wenden Sie sich an Ihren Positroniker«, meldete das Bordgehirn der Leka-Disk.
Dorksteiger fluchte leise und rief das Eingabefeld erneut auf. Noch gab sie nicht auf. Nicht so kurz vor dem Ziel.
»Wir nähern uns dem Venusorbit.« Perry steuerte die Disk seit mehreren Stunden manuell und korrigierte ihren Kurs nur dann, wenn es unvermeidbar war.
Die von der Schiffspositronik berechneten Manöver hatten tatsächlich funktioniert. Im Ortungsschutz des Jupiters hatten sie zunächst an Geschwindigkeit zugelegt und sie einige Zeit später in Sonnennähe wieder verringert. Inzwischen stürzte ihr Schiff, heruntergefahren bis auf die allernotwendigsten Funktionen, auf den zweiten Planeten des Solsystems zu.
Selbstverständlich überwachten die Arkoniden den Orbit der Venus, die sie Larsa nannten. Perry hatte gesagt, dass er sich über eine optische Ortung keinerlei Sorgen machte. Aber die Disk sandte ein nicht abstellbares Transpondersignal aus, und nach dieser Kennung würde man nach ihrer Flucht von Terra wahrscheinlich systemweit suchen.
Sichu Dorksteiger spürte den Blick ihres Mannes auf sich lasten.
»Wir gelangen gleich in die Reichweite der passiven Ortung.« Ein drängender Unterton lag in seiner Stimme. »Sollten die Arkoniden uns auf diese Weise entdecken, wird die Sache kompliziert.«
»Ich weiß.« Sichus Finger flogen erneut über das Eingabefeld. »Die Positronik lässt mich nicht an ihre geschützten Bereiche heran. Ich versuche, die Sicherheitssperren zu umgehen, aber bislang hat das noch nicht funktioniert.«
»Überschreiben des Kennungssignals ist unzulässig. Bitte wenden Sie sich an Ihren Positroniker.« Die stets gleiche Fehlermeldung klang inzwischen wie eine persönliche Beleidigung für die Ator. Es musste doch einen Weg geben, wie sie auf das Transpondersignal der Leka-Disk zugreifen konnte!
»Wir haben noch etwa anderthalb Minuten, bis unsere Kennung in den Erfassungsbereich der arkonidischen Empfänger gerät«, unterbrach Perry ihre Gedanken.
In Dorksteigers Kopf startete ein interner Countdown. Sie konzentrierte sich auf ihre Aufgabe, versuchte alles andere um sich herum auszublenden.
Was wusste sie über das Signal? Es wurde von einem Transponder gesendet, der Teil der Funkanlage war. Was würde passieren, wenn sie ihn einfach abklemmte und wartete, bis sein Pufferspeicher leerlief? Dann war es doch sicher möglich, ihn neu zu beschreiben!
Dorksteiger suchte die Wartungsklappe der Funkanlage, öffnete sie, identifizierte den Kennungstransponder und zog ihn aus seiner Halterung. Die Positronik reagierte mit einer Fehlermeldung, doch damit hatte die Ator gerechnet.
An ihrer Konsole startete sie die Subroutinen der Funkanlage neu. Danach koppelte sie ihr Multifunktionsarmband mit dem Pufferspeicher des Transponders. Das Gerät saugte die Energiespeicher leer.
»Noch fünfzig Sekunden.« Perrys Stimme war nur ein leises Echo in Dorksteigers Gedanken.
Sie steckte den nun unbeschriebenen Transponder zurück an seinen Platz. Die Positronik erkannte das Bauteil. »Neustart«, verkündete das Bordgehirn. »Bitte Kennung eingeben.«
Den aufsteigenden Triumph unterdrückte Dorksteiger vorerst. Sie rief eine Liste mit empfangenen Transponderdaten auf, die die Disk im Laufe der vergangenen Stunden gesammelt hatte. Darunter waren auch die Kennungen einiger kleinerer Frachteinheiten, die von Larsaf III aus zur Venus flogen.
Die Ator wählte die Kennung eines Schiffes aus, das in Kürze im Venusorbit eintreffen würde. Die Chance, dass allein die Ankunft zu einer Überprüfung führen würde, war sehr gering. Sie gab den Code ein und bestätigte den Befehl, ihn als Transpondersignal bei passiver Ortung zu übermitteln.
»Noch zehn Sekunden, bis wir in den Ortungsbereich kommen«, sagte das Rhodan-Echo.
»Transpondercode gesetzt. Kennung aktiv.« Das Bordgehirn vermeldete Vollzug.
Dorksteiger atmete auf. »Alles klar.« Sie stellte fest, dass die urtümliche Venus schon fast den gesamten vorderen Sichtbereich der Zentralekuppel einnahm. »Für die da unten sind wir ab sofort ein arkonidischer Frachter.«
Perry nickte. »Gut gemacht!«
»Ist das ... ein anderer Planet?«
Dorksteiger hatte Caysey fast vergessen. Die Atlanterin hatte während des Fluges nur wenige Fragen gestellt, die sie und Perry ihr beantwortet hatten. Den Rest der Zeit hatte sie in ihrem Sessel geschlafen. Ihr Körper, der ohnehin für zwei Lebewesen sorgen musste, hatte dringend neue Energie gebraucht.
»Er sieht anders aus als die Erde, nicht wahr?« Sichu Dorksteiger deutete auf die Wolken in der Atmosphäre. Sie verdeckten beinahe die gesamte Oberfläche und wiesen verschiedene Schattierungen von Grau auf. »Wenn wir erst gelandet sind, wirst du sehen, dass das nur oberhalb der Wolkendecke so wirkt. Eigentlich gibt es viele Gemeinsamkeiten mit deiner Heimat.«
Perry aktivierte den Antrieb und lenkte die Disk in einen flacheren Eintrittswinkel, der sie laut den Anzeigen über dem südlichen Kontinent herunterbringen würde.
Der Abstieg dauerte nur Sekunden. Fast augenblicklich tauchte ihr Schiff in die dichte Wolkendecke ein. Für einen Moment bestand die Welt außerhalb der Disk nur aus dichtem Nebel.
Dann, ganz allmählich, mischten sich grüne und blaue Farbtöne hinein. Der Nebel verzog sich und gab den Blick auf eine Welt frei, die aus urtümlichen Dschungelwäldern, großen Flüssen und weiten Meeren bestand.
Da und dort waren von Arkoniden geschaffene Siedlungen mit Häusern in der typischen Trichterbauweise zu erkennen. Ob sie auf diesem Planeten finden konnten, wonach sie suchten? Perry schien jedenfalls davon überzeugt zu sein.
»Wir sind da«, sagte er schließlich. »Willkommen auf Larsa!«
*
Perry Rhodan
Der Blick hinunter auf die dschungelreiche Oberfläche der Venus weckte zahlreiche Erinnerungen in Rhodan. Sie gehörte zu den ersten anderen Planeten, die er je betreten hatte. Ihre eigentümliche Flora und Fauna erinnerte an eine Urzeitwelt, wie sie die Erde vor Millionen von Jahren gewesen war. Und sie barg ebenso viele Gefahren.
Dass sie es bislang bis auf ein paar knappe Situationen unbeschadet hergeschafft hatten, hielt er für ein gutes Omen. Sie mussten nur noch einen geeigneten Ort zum Landen finden – am besten in unmittelbarer Nähe zu dem Schiff, das er für ihre weitere gemeinsame Suche nach Atlan im Kopf hatte.
Rhodan verschaffte sich einen Überblick anhand der Orterdaten. Unter ihnen zogen bereits die ersten Ausläufer des venusianischen Südkontinents hinweg. Auf ihm lag auch die Hauptstadt Amonaris.
Wohin bringen die Arkoniden ihre ausgedienten Schiffe? Er wies die Schiffspositronik an, nach Anzeichen konzentrierter Metallvorkommen zu suchen. Etwa 40 Kilometer außerhalb der Hauptstadt wurde sie fündig.
Rhodan drosselte die Geschwindigkeit und verringerte nach und nach die Flughöhe.
»Dort ist die LT-IV – auf einem Schrottplatz.« Er deutete auf die Anzeigen. »Sieht nicht sonderlich schwer bewacht aus.«
»Was daran liegt, dass sie fast auseinanderbricht – und die Arkoniden bereits mit der Demontage begonnen haben!« Sichu hatte die optische Erfassung auf die höchste Auflösung gestellt. Mit gerunzelter Stirn betrachtete sie die Arbeiten an dem Wrack.
Der Schiffscomputer errechnete einen günstigen Anflugvektor und Rhodan folgte dem empfohlenen Kurs in nördlicher Richtung.
»Wir wissen, dass das Beiboot noch flugfähig ist. Wir haben seinen Start mit eigenen Augen gesehen.« Und es gab noch eine andere Hoffnung, die Rhodan mit diesem Schiff verband: »Es soll bei der Schlacht beschädigt worden sein, in der Atlan angeblich den Tod gefunden hat. Wenn die Koordinaten in der Positronik noch gespeichert sind, ist das immerhin ein Anhaltspunkt. Dann wissen wir, wo wir mit der Suche beginnen können.«
Sichu wirkte nicht überzeugt. »Das ist ein recht waghalsiger Plan mit ziemlich vielen Variablen, selbst für deine Verhältnisse.«
»Das ... sehe ich auch so!«, warf Caysey ein.
»Ach?«, fragte Perry Rhodan irritiert.
Die Atlanterin lächelte. »Entschuldige. Ich wollte etwas zum Gespräch beisteuern. Ich verstehe vieles nicht, was ihr erzählt, aber wenn ihr überzeugt seid, dass das alles funktioniert, bin ich es auch. Es gibt aber etwas, das ich sehe, auch ohne mich mit Raumschiffen auszukennen. Ich glaube nämlich nicht, dass wir uns dem da weiter nähern sollten.« Caysey deutete in Flugrichtung.
Über dem nördlichen Kontinent, der dort auftauchte und dessen Bergformationen Rhodan deutlich erkannte, stauten sich dunkelgraue Wolken. Blitze zuckten durch undurchdringlich wirkende Nebelwände.
Zeitgleich wurde die Disk bereits von einer starken Böe erfasst. Die Stabilisatoren reagierten zwar schnell und verhinderten, dass sie zu schlingern begann, aber Rhodan musste selbst noch gegensteuern.
Er passte den Kurs an, doch je tiefer das Schiff sank, desto heftiger wirkten die Vorboten des Sturms auf es ein. Allerdings blieb ihnen keine Alternative – sie mussten in Anbetracht des Zeitfaktors, der bei Rhodans Plan eine wesentliche Rolle spiele, sofort landen und konnten nicht stundenlang über dem Südkontinent kreisen, bis sich das Unwetter gelegt hatte.
Wobei das sicher kein einfaches Gewitter ist. Das in den Wolken gespeicherte Energiepotenzial, das die Positronik gemessen hatte, sah nach einem Jahrhundertsturm aus. Es würde von Vorteil sein, wenn sie das Beiboot in ihre Gewalt brachten, bevor er heran war.
Rhodans Kurs führte die Disk mit einer Geschwindigkeit von rund 500 Stundenkilometern parallel zur Sturmfront, die noch in weiter Ferne lag. Näher würden sie ihr vorerst nicht kommen, denn nun ging es in einer weiteren, lang gezogenen Rechtskurve zurück in Richtung Hauptstadt und Schrottplatz.
Sie schwebten nur rund 50 Meter über den Wipfeln des Dschungels dahin. Rhodan hoffte, dass sie so noch schwerer zu orten waren. Er wollte die Disk gerade ein Stück nach oben ziehen – als ein Schlag das Schiff traf. Ein Alarm gellte durch die Kuppel und die Anzeigen leuchteten warnend auf.
Rhodan machte sich sofort daran, die Ursache für die Störung herauszufinden. War etwa ein Antriebsaggregat defekt?
Sichu gab ein unterdrücktes Stöhnen von sich. »Was war das denn?«
»Ein Traktorstrahl hat uns erfasst. Es zerrt uns in Richtung Norden.« Die Analyse der Bordpositronik, die Rhodan von den Anzeigen ablas, war eindeutig. Noch hielt er die Disk einigermaßen auf Kurs, aber der Traktorstrahl riss an ihr.
»Das ist die Großpositronik auf dem Nordkontinent.« Rhodan erinnerte sich an seinen ersten Besuch auf der Venus, im Jahr 1971 alter Zeitrechnung, bei dem sein Raumschiff, die GOOD HOPE, mit einem ähnlichen Phänomen gekämpft hatte. »Das Leitsystem hält uns für einen Zubringer und will uns zur Landung zwingen. Unsere gefälschte Transponderkennung funktioniert anscheinend zu gut.«
Wie aufs Stichwort sackte die Disk ab, touchierte die Baumkronen. Ein Prallfeld umgab die Hülle und schützte sie vor Ästen und Laub.
»Wir können dem Traktorstrahl nicht entkommen. Dafür ist die Disk nicht leistungsfähig genug. Die Venuspositronik wird uns zur Festung ziehen, und dort werden uns die Arkoniden sicher nicht sehr freundlich in Empfang nehmen.« Rhodan unterdrückte einen Fluch. Das darf nicht das Ende unserer Reise sein.
Es gab eine andere Möglichkeit. Sie war ziemlich radikal, aber vielleicht der einzige Weg, ihren Plan zu verfolgen.
Er dachte an Sichu und an Caysey, an das ungeborene Kind der Atlanterin. Wie groß war das Risiko, das er eingehen wollte? War es überhaupt abschätzbar?
Das Prallfeld wird halten. Die Gefahr ist überschaubar. Zumindest für den Moment.
Rhodan tastete an seinem Sitz nach einem Gurt, fand ihn und legte ihn an. »Schnallt euch an, schnell! Und haltet euch fest. Wir gehen gleich runter.«
Cayseys Augen weiteten sich panisch, während Sichu ihr half, den Gurt über ihren prallen Bauch zu spannen. »Was, runtergehen? Bist du verrückt? Sollen wir etwa in die Bäume krachen?«
Rhodan antwortete nicht, sondern schaltete die Kursführung durch die Positronik ab. Er nahm die Hände vom Steuer. Für einen Moment schien der Traktorstrahl sie herumreißen zu wollen, dann verlor er das Schiff aus seinem Griff.
Die Disk trudelte auf den Dschungel zu, ging tiefer und tiefer. Bald rauschten Äste und Blätter über die Glassitkuppel hinweg und verdunkelten das Innere der Zentrale. Die Disk wurde hin und her gerissen. Baumstämme brachen unter der Wucht, mit der das Schiff gegen sie prallte. Aber es funktionierte: Der Traktorstrahl konnte sie im Chaos nicht erfassen.
Rhodan schloss die Augen. Den Alarm des überlasteten Schirms und das Rumpeln draußen blendete er aus. Er hörte nur Sichus schnellen Atem und Cayseys Schrei, während die Disk auf dem Boden aufschlug.