Rowena
»Status?« Rowena warf dem blassen Befehlshaber des Sicherheitstrupps durch den Holobildschirm einen düsteren Blick zu. Ihre Stimme hallte durch die Schaltzentrale im Inneren der Venusfestung.
Die Soldaten und Positroniker in der Anlage hatten vorbehaltlos akzeptiert, dass sie nun das Sagen hatte. Wenigstens dafür hatte Administrator Mascaren da Thorn die nötigen Schritte veranlasst. Bei ihrer Ankunft war alles zu ihrer Zufriedenheit gewesen, und sie hatte sich ins Herzstück der Positronik-Anlage zurückgezogen, um in Ruhe arbeiten zu können. Was im Wesentlichen bedeutete, dass sie den Fliehenden um Perry Rhodan eine Falle stellte.
Schlimm genug, dass da Thorn die Bedrohung durch die Fremden nicht mit der entsprechenden Ernsthaftigkeit behandelte. Der gerade einmal sechsköpfige Sicherheitstrupp, den er dann doch zur Überwachung des Landefelds am Palast in Amonaris abgestellt hatte, reichte kaum aus, um auch nur einen Bruchteil des Areals im Auge zu behalten.
»Bislang haben wir keine auffälligen Aktivitäten feststellen können. Meine Männer patrouillieren entlang des Perimeters und kontrollieren jeden Gleiter.« Der Soldat schickte eine Liste mit Kennungen zu Rowena herüber.
Sie überflog die Schiffsklassen. Ihre Miene blieb versteinert. »Seien Sie weiter wachsam. Sobald Sie etwas Verdächtiges feststellen, ziehen Sie Ihre Leute zusammen. Diese Verräter sind gefährlich. Ich mache Sie persönlich dafür verantwortlich, falls sie Ihnen durch die Lappen gehen. Verstanden?«
Der Soldat nickte knapp. »Sicher. Wäre das alles?«
Rowena blinzelte zur Antwort und desaktivierte die Verbindung. »Danke für nichts«, flüsterte sie in die Leere der Schaltzentrale.
Sie lehnte sich zurück, legte den Kopf in den Nacken und betrachtete das riesige Pult der Venuspositronik.
Die selbst für arkonidische Verhältnisse reichlich überdimensionierte Zentrale lag in einem runden Gebäude inmitten der Bergfestung auf dem Nordkontinent. Rowena hatte Zeit gebraucht, um sich mit den Bedienelementen vertraut zu machen. Diese waren in einer 30 Meter breiten und 15 Meter hohen Wand verbaut. Schweberoboter schwirrten über Rowena hinweg, um auf den höheren Ebenen Eingaben vorzunehmen.
Für die Umprogrammierung, die Rowena für die Falle im Sinn hatte, musste sie aber nicht hoch hinaus. Das war über die berührungsempfindlichen Eingabefelder am untersten Rand der Wand möglich. Sie gab eine Reihe von Befehlen ein und wartete.
Es wird Zeit, dem Tato Bericht zu erstatten, oder? Ihr Extrasinn meldete sich, und diesmal hatte er absolut recht.
Kors da Masgadan, der Militärgouverneur von Larsaf III, sollte von ihren Bemühungen erfahren. Er würde wissen wollen, wie nahe sie den Fliehenden gekommen war. Schließlich hatten Perry Rhodan und Sichu Dorksteiger wegen Rowenas unvorsichtigem Verhalten das Talagon wieder aus seinem Versteck zurückgebracht. Wo auch immer das gewesen war.
Die Erinnerung an das, was Rowena jenseits des Torbogens unter der Überlebenskuppel erlebt hatte, überfiel sie wie ein dunkler Schatten. Atlans Doppelgänger, der ihren Namen gekannt hatte. Den sie auf ihrer überstürzten Flucht von Wo-auch-immer schwer verletzt, vielleicht sogar getötet hatte.
Und wenn er es tatsächlich doch war? Diesen Gedanken durfte sie nicht zulassen. Es konnte nicht der Kristallprinz gewesen sein, nur eine perfide Fälschung! Atlan – der wahre Atlan – weilte im Moment ganz woanders. Und das war gut so. Je weiter er weg war, desto schwieriger war er für ihre Gegner zu finden.
Rowenas Finger tasteten über den Anhänger an ihrer Halskette. Ich sollte es herausnehmen, wenn ich mit dem Tato spreche. So sieht er, dass ich das Talagon immer noch bei mir trage.
Gleich darauf verwarf sie den Gedanken wieder. Was, wenn der Hyperfunkspruch abgefangen wurde?
Dennoch konnte sie das Gespräch nicht weiter aufschieben. Rowena setzte sich auf und schürzte leicht die Lippen. Sie öffnete ihre Augen ein bisschen weiter als gewöhnlich. Das Ergebnis in der Kameraansicht des Bedienpults war durchaus vorzeigbar. Sehr gut. Sie wusste, dass da Masgadan diese Mischung aus Autorität und Laszivität erregte und ihn gefügiger machte.
Der Gouverneur nahm die Verbindung an, und Rowena entdeckte schon nach wenigen Augenblicken die erwarteten Signale unterschwelligen Begehrens in seinem Mienenspiel.
»Ich hatte mich schon gefragt, wann ich wieder von Ihnen höre.« Der Arkonide mit dem öligen Haar, das er zu einem Zopf zusammengebunden hatte, verzog die Lippen zu einem spöttischen Lächeln. »Wie war die Reise nach Larsa? Haben Sie schon mit da Thorn sprechen können?«
Rowena zuckte verächtlich mit den Nasenflügeln. »Ihr Amtskollege ist in der Tat noch widerspenstiger als Sie, Tato. Ihm ist der Ernst der Lage nicht so bewusst wie uns beiden.«
Da Masgadan nickte verstehend. »Er weiß nicht, was wir wissen. Und das ist gut so.«
»Vorsicht, Gouverneur.« Rowena beugte sich vor und ließ für Sekunden ihre Zungenspitze zwischen den Zähnen tänzeln. »Glauben Sie nicht, dass unser Auftraggeber Ihnen dieses Wissen leichtfertig überlassen hat!«
»Natürlich nicht!« Das Grinsen des Tato fiel in sich zusammen. »Was glauben Sie, was ich damit anfange? Ich bin dem Kristallprinzen treu ergeben! Niemals würde ich seinen Befehlen entgegenhandeln. Selbst, wenn ich sie nicht verstehe.«
»Das steht uns auch gar nicht zu. Und Sie wissen, welche Strafe Ihnen bei einem Wortbruch drohen würde.«
Es war ein Bluff. Rowena spielte mit ihm. Solange da Masgadan glaubte, dass sie für Atlan sprach, würde er gefügig bleiben. Noch brauchte sie ihn als Marionette – dass sie den Kristallprinzen selbst hinterging, musste er nicht wissen. Gedankenverloren betastete sie das Talagon unter der Kleidung.
Die Gesichtszüge des Tatos verhärteten sich. Sein nervöses Blinzeln zeigte ihr, dass er verstanden hatte.
Rowenas Stimme wurde weicher. »Wenn Atlan verlangt, dass man ihn im Larsafsystem für tot hält, liegt es nicht an uns, das zu hinterfragen. Der Kristallprinz wird seine Gründe haben. Und jeden Zweifel an seinem Ableben müssen wir – müssen vor allem Sie, Tato – zerstreuen.«
»Ich bemühe mich. Die Gerüchte machen weiter die Runde.« Da Masgadan fuhr sich mit dem Daumennagel über eine Denkfalte auf seiner Stirn. »Ich rechne stündlich mit ersten Anfragen von den Befehlshabern der Kristallflotte, ob sie stimmen.«
»Und Sie wissen, was Sie dann sagen werden, oder?«
»Gar nichts.«
Was dazu beitragen würde, die Gerüchte weiter zu verbreiten. Rowena bedachte ihn zur Belohnung mit einem dankbaren Lächeln. »Dann werden wir uns noch diese Flüchtigen schnappen – und alle sind zufrieden.«
»Und Sie sind sich sicher, dass sie nach Larsa kommen werden?« Der Tato schien nicht überzeugt. »Die Verfolgerschiffe haben sie aus der Ortung verloren.«
»Mit der Leka-Disk kommen sie nicht weit. Sie brauchen ein überlichtschnelles Schiff, falls sie ihre Suche nach Atlan wirklich fortsetzen wollen – selbst ohne das Talagon. Sie werden nach Larsa kommen und versuchen, eines zu stehlen. Alles andere ergibt für sie keinen Sinn.«
Weil es für dich selbst keinen Sinn ergeben würde, wandte ihr Logiksektor ein. Was nicht heißen muss, dass es auch für die Flüchtigen gilt.
»Ich habe die Großpositronik darauf programmiert, jedes außerplanmäßig ankommende Schiff zur Landung zu zwingen, das die Kennung einer Leka-Disk aussendet oder den optischen Spezifikationen entspricht. Auch unangekündigte Starts von weltraumtauglichen Schiffen werden verhindert. Die Positronik steht mit den Landefeldern in Amonaris und den übrigen Siedlungen in ständigem Kontakt.« Rowena hob selbstsicher die Augenbrauen. »Sie können uns nicht entkommen.«
Ein aufklingender Alarm lenkte Rowenas Blick vom Bildschirmholo auf eine Nebenanzeige.
Sie stieß ein triumphierendes Lachen aus. »Sieht so aus, als wären die Gesuchten just in diesem Moment in die Falle gegangen! Ich melde mich wieder.«
Ohne ein Wort des Abschieds desaktivierte Rowena den Hyperfunkkanal und konzentrierte sich auf die Orterdaten, die die Positronik ihr lieferte.
Ein Schiff in der passenden Größe war in die Atmosphäre Larsas eingetaucht und hatte einen Kurs eingeschlagen, der in einer weiten Kurve um Amonaris herumführte.
»Die Kennung des Schiffes passt nicht zum Bautyp«, meldete die Positronik. »Schiff und Landung sind nicht angekündigt.«
»Hab ich euch!« Rowena wies die Positronik an, die Leka-Disk mit einem Traktorstrahl zu erfassen und auf das Landefeld der Festung zu zwingen. »Den Landeplatz mit Kampfrobotern sichern«, befahl sie.
Rowena lehnte sich zurück und wartete.
Der Traktorstrahl erfasste das Schiff, zerrte es unerbittlich vorwärts, auf das Gebirge des nördlichen Kontinents zu. Im Orterholo verfolgte sie die vergeblichen Versuche des Piloten, sich zu befreien.
Die Normaloptik lieferte wenig später die Bestätigung: Ja, das war das Schiff, das Rhodan und seine Begleiter auf Atlantis gestohlen hatten. Kein Zweifel!
Die Disk kämpfte gegen den Strahl an, wie ein gefesseltes Tier. Sie bäumte sich auf, zog hoch, ging tiefer ... und tiefer ... berührte fast die Baumwipfel des Dschungels, und ...
Rowenas selbstsicheres Grinsen wich aus ihrem Gesicht. »Das wagen sie nicht!«
Sie befahl dem Venusgehirn, die Leistung des Traktorstrahls noch zu erhöhen. »Das Schiff muss unbedingt erfasst bleiben!«
Doch es war zu spät. Die Disk brach durch die Baumspitzen und verschwand im Dschungel, eine Schneise der Zerstörung hinterlassend.
»Kontakt verloren. Aufrechterhaltung des Traktorstrahls nicht mehr möglich«, verkündete eine Schrift im Holo.
»Diese Wahnsinnigen!« Rowena war klar, dass die Flüchtigen die Disk absichtlich zum Absturz gebracht hatten. Offenbar wussten sie, woher der Strahl kam.
Die Arkonidin überlegte. Die Nordfestung war sicher nicht das Ziel von Rhodans Team gewesen, sondern Amonaris. Auf den dortigen Landefeldern standen die Schiffe, die die Flüchtenden suchten. Aber warum hatten sie den Rundkurs um die Stadt herum gewählt und hatten diese nicht direkt angesteuert?
»Positronik, zeig mir eine Karte der Umgebung um die Hauptstadt!«, verlangte Rowena.
Ein dreidimensionales topografisches Abbild eines rund 70 Quadrat-Dran umfassenden Areals erschien auf dem Holoschirm. Rowena verschob es so, dass sie eine direkte Draufsicht erhielt.
»Wo wollt ihr hin?« Von der errechneten Absturzstelle bis zum Zentrum der Stadt waren es etwas weniger als 40 Dran. Das war ziemlich weit für einen Fußmarsch. »Positronik, arkonidische Siedlungen im Dschungel farblich hervorheben!«
Kleine Punkte tauchten im Grün des Waldes auf – einzelne Farmen und landwirtschaftliche Gebäude der Siedler. Ein Areal jedoch war größer und lag, wie eine Satellitensiedlung, nur etwa 17 Dran von der Absturzstelle entfernt.
»Was ist das da?«, fragte Rowena das Rechengehirn.
Die Antwort erschien wieder auf dem Holoschirm: »Zentrale Abwrackung und Schiffsrecycling.«
Sofort erkannte die Arkonidin ihren Fehler. Sie wusste, was das Ziel der Gegner war.
Fluchend erhob sie sich aus ihrem Sessel und rannte aus der Zentrale zum großen Portal, das zum Platz in der Mitte der Festung führte. Von dort aus war es nicht mehr weit zum Landefeld und zu ihrem Schiff.
»Zentrale mit Kampfrobotern sichern!«, rief Rowena.
Das erst kürzlich gelandete arkonidische Beiboot LT-IV stand im Moment auf dem Schrottplatz und wurde demontiert. Es war stark beschädigt, verfügte aber über einen Überlichtantrieb. Möglicherweise war es nicht mehr weltraumtauglich. Das wäre Pech für Rhodan und Glück für sie.
Hinzu kam jedoch, dass sich das Schiff zuletzt genau dort aufgehalten hatte, wo Atlan angeblich gefallen war: in einer Schlacht im Grxlirasystem. Die Positionsdaten und Aufzeichnungen waren möglicherweise noch in den Systemen gespeichert. Sie durften den Fremden nicht in die Hände fallen! Dass da Masgadan die Löschung der Daten veranlasst hatte, bezweifelte Rowena.
Das konntet ihr nicht voraussehen, versuchte der Extrasinn sie zu beruhigen.
Sie ärgerte sich. »Doch, das hätten wir voraussehen müssen !«
Die Roboter, die die Zentrale sichern sollten, kamen ihr entgegen, während sie über den Platz zum Flugfeld rannte. Der Himmel hatte sich weiter verdunkelt. Der Sturm näherte sich dem Gebirge aus nördlicher Richtung.
Trotzdem musste Rowena sofort aufbrechen. Noch konnte sie das Schlimmste verhindern.