Perry Rhodan
»Gut. Versuchen wir es noch einmal.«
Rhodan hatte aufgehört mitzuzählen, wie oft er die Schiffspositronik der LT-IV schon angewiesen hatte, die Fusionsreaktoren hochzufahren. Nach einer ersten, oberflächlichen Diagnose hatte ihn das Bordgehirn auf zahlreiche Störungen hingewiesen.
Rhodan war lange genug auf Schiffen älterer arkonidischer Bauweise unterwegs gewesen, um grundsätzlich zu verstehen, wie sie funktionierten. Das hieß aber noch lange nicht, dass er in der Lage war, das auch zu reparieren, was im Argen lag. Besonders, wenn, wie im Fall der LT-IV, ziemlich viel an Bord im Argen lag.
Rhodan desaktivierte die Borddiagnostik, an der er gerade gearbeitet hatte, und fuhr sich mit dem Handrücken über die schweißnasse Stirn. Seit rund einer halben Stunde turnte er ohne Unterlass zwischen den Meilern herum und flickte, was er nur flicken konnte.
Zunächst hatte der Zufluss des Deuteriums in die Fusionszone nicht richtig funktioniert. Dann wollte sich das Einengungsfeld nicht an- und ausschalten lassen, geschweige denn sich mit dem gepulsten Deuteriumfluss synchronisieren. Wo Rhodan etwas auszurichten versuchte, taten sich im Anschluss gleich neue Probleme auf.
Er richtete sich aus seiner gehockten Haltung auf. In Rhodans Rücken knackte es. Das Blut schoss aus seinem Kopf, und Schwindel erfasste ihn. Er hielt sich an einem der Aufbauten fest und wäre um ein Haar ins Leere getreten, als er einen Schritt zur Seite machen wollte. Der Aktivator in seiner Schulter pochte.
Die Demontageroboter hatten in diesem Bereich bereits einige Bodenplatten entfernt. Es erforderte kleine Sprünge und Kletterpartien, um auf dem Maschinendeck von einem Ende zum anderen zu gelangen.
Doch es half nichts. Ohne Energieversorgung funktioniert kein Antrieb.
Rhodan übersprang eine Lücke im Boden und lief zu einer der Wartungskonsolen. Kurz schaltete er sich zur Zentrale auf und rief den Status der eingegangenen Funknachrichten ab. Doch Sichu hatte sich noch nicht gemeldet.
Es beunruhigte ihn zusätzlich, dass er noch nichts Neues von Caysey gehört hatte. Rund 30 Minuten waren eine verdammt lange Zeit für eine unausgebildete Atlanterin, um zum Opfer einer gegnerischen Arkonidin zu werden. Andererseits war Rowena ebenfalls nicht im Schiff aufgetaucht – was er als gutes Zeichen wertete.
Also ein weiterer Versuch. Rhodan atmete durch und wies die Positronik an: »Fusionsreaktionen starten!«
»Hochfahren der Reaktoren nicht möglich. Deuteriumfluss und Einengungs-Impuls asynchron. Keine ausreichende Energiequelle vorhanden.«
Rhodan schloss die Augen. Ein erneuter Fehlschlag. »Was ist mit dem Transitionsantrieb?«
»Anzahl und Stabilität der Hyperkristalle nicht ausreichend für eine Aktivierung des Transitionsantriebs«, antwortete das Bordgehirn.
Wütend schlug Rhodan mit der Faust an die Wand neben der Konsole. »Dann nützen uns auch die Fusionsmeiler nichts.« Wenn die Anzahl intakter Hyperkristalle für den Überlichtantrieb nicht ausreichte, war ihre Suche nach Atlan vorbei, bevor sie angefangen hatte.
»Verfügt das Schiff über ein Ersatzteillager?«
»Ersatzteile werden auf dem Hangar- und Landedeck gelagert.«
Richtig: Rhodan hatte den abgetrennten Lagerbereich wahrgenommen, als er mit Caysey das Waffenmagazin aufgesucht hatte. Es war zwar ziemlich unwahrscheinlich, dass er dort ausgerechnet neue Hyperkristalle auftat, aber vielleicht entdeckte er andere nützliche Dinge. Da das Bordgehirn wegen fehlender Berechtigungen keine Auskünfte über den Lagerbestand geben wollte, machte er sich selbst auf den Weg.
Seine Hoffnung, in dem Ersatzteillager etwas Brauchbares zu finden, schwand schnell. Die einzelnen Lagerfächer waren mit Konduktorspulen, Positronikchips und merkwürdig geformten Kunststoffteilen gefüllt, aber mit technischen Abkürzungen beschriftet, die Rhodan nichts sagten. Ohne genaue Anleitung und das entsprechende Werkzeug wusste er nicht einmal, was er mit den Teilen anfangen sollte.
Frustriert wollte er schon wieder gehen. Da entdeckte er im hinteren Bereich des Lagers ein Gestell, in dem beidseitig je fünf Wartungs- und Serviceroboter standen.
Endlich, ein Lichtblick!
Nacheinander versuchte er, die Roboter zu aktivieren, musste aber feststellen, dass die Hälfte von ihnen so stark beschädigt war, dass sie gar nicht erst auf seine Befehle reagierten.
Blieben fünf weitere kleine Helfer, die aus ihren Gestellen traten und sich wie eine Mannschaft vor Rhodan aufbauten.
Er musterte die Modelle. Äußerlich glichen sich vier von ihnen wie ein Ei dem anderen.
Eines wies jedoch eine etwas kleinere und kompaktere Bauweise auf und hatte eine auffällig gestaltete Kopfpartie, die dem Gesicht eines Humanoiden nachempfunden war. Das Gesicht war aus silbernem Metall geformt und bildete andeutungsweise Konturen wie Nase, Augen, Stirn, Mund und Kinn nach. Rhodan fragte sich, was für ein Modell das war. So eins hatte er noch nie gesehen.
Alle Roboter machten den Eindruck, als könnten sie ihm theoretisch bei der Instandsetzung des Antriebs und der Fusionsmeiler zur Hand gehen. »Die Energieversorgung unseres Schiffes startet nicht«, schilderte Rhodan das Problem. »Könnt ihr den Fehler finden und beseitigen?«
Die Wartungseinheiten antworteten ihm synchron. »Ausführung des Befehls nicht möglich.«
Rhodan stöhnte. »Wieso nicht?«
Der etwas kleinere Roboter mit dem Metallgesicht trat vor.
»Anders als ich sind diese vier Einheiten nur teilautark«, erklärte er auf Arkonidisch. »Sie werden von der Bordpositronik der LT-IV gesteuert, die Ihre Eingabe wegen einer fehlenden Autorisierung nicht an sie weitergibt.«
Rhodan betrachtete den Roboter. »Und was ist mit dir?«
»Service-Einheit RCO-3342/B«, stellte dieser sich vor. »Ich stehe zu Ihren Diensten.«
»Verstehst du etwas von Schiffsreparaturen, RCO?«
»Bedauerlicherweise nicht.« Dem Robot gelang tatsächlich so etwas wie entschuldigender Tonfall, bemerkte Rhodan amüsiert. »Dafür sind die vier Einheiten neben mir vorgesehen. Jene, die Sie nicht steuern können.«
Ja, ich habe es begriffen! »Dann weiß ich leider nicht, wie du mir helfen kannst. Es sei denn, du kannst deine Kollegen irgendwie zur Zusammenarbeit bew...«
Etwas an dem Gedanken ließ Rhodan innehalten.
Er hatte noch nicht zu Ende überlegt, als RCO antwortete: »Das könnte ich in der Tat.«
»Tatsächlich?«
»Ich bin durchaus in der Lage, mein positronisches Gehirn für die Steuerung der Wartungseinheiten einzusetzen und damit als Surrogat für die Schiffspositronik zu fungieren. Gleichzeitig kann ich auf die Protokolle des Ultraleichtkreuzers zugreifen und sie an die Wartungseinheiten weiterleiten. So können sie anhand der Fehlerbeschreibungen aktiv werden.«
»Pfiffiges Kerlchen! So machen wir es.«
Rhodan erläuterte RCO das dringendste Problem und wies auf die defekten und teilweise fehlenden Hyperkristalle hin.
Der Roboter schnarrte eine Bestätigung: »Verstanden. Die Bordpositronik hat mir mitgeteilt, dass wir uns auf dem Gelände der Raumschiffsverwertung von Larsa befinden. Ich werde die Wartungseinheiten losschicken und in anderen Schiffswracks nach passenden Ersatzkristallen suchen lassen. Einverstanden?«
Rhodan nickte. »Sie sollen sofort loslegen. Die Zeit ist ein entscheidender Faktor. Über die notwendigen Freigaben zur Steuerung der Außenschotten dürftest du ja verfügen.«
RCO bestätigte und gab die Befehle an die vier anderen Roboter weiter. Diese eilten direkt zur Ausstiegsrampe, die sich soeben öffnete.
Draußen schien alles ruhig zu sein, bis auf den immer noch stärker werdenden Wind. Aber wo waren Rowena und Caysey?
»Ein Eindringling ist soeben an Bord gekommen«, teilte RCO ihm unvermittelt mit – als hätte er Rhodans Gedanken gelesen. »Eine Arkonidin verschaffte sich über ein Hüllenleck auf dem Mannschaftsdeck Zugang zur LT-IV.«
In Rhodan schrillten sämtliche inneren Alarmglocken. Er rannte aus dem Magazin und suchte nach einem Interkom an der Wand des Hangardecks.
»Hast du ein Bild der Überwachungsoptik, das du mir zeigen kannst?«, rief er RCO zu.
Der Roboter folgte ihm mit hastigen, staksenden Schritten.
Anstatt einer gesprochenen Antwort, erschien auf dem Schirm das Bild einer Optik. Es zeigte den Bereich der Quartierkorridore. Die Frau, die dort vorsichtig herumschlich, war eindeutig Rowena.
Sofort war Rhodans schlechtes Gewissen wieder da. Er hätte Caysey niemals allein herausschicken dürfen! Wo war die Atlanterin gerade? Ging es ihr gut?
»RCO, gibt es irgendwelche Handwaffen an Bord?«, rief er.
»Negativ«, antwortete der Roboter. »Im Rahmen der Demontagearbeiten wurden sämtliche Handwaffen bereits aus der LT-IV entfernt.«
Rhodans Unruhe wuchs. Die Zeit saß ihm im Nacken. Er wusste nicht, wie es um Caysey stand, und Sichu konnte sich jederzeit von der Venusfestung aus melden. Wenn es nun auch noch zum Kampf mit der Arkonidin kam, bedeutete das eine weitere Verzögerung. Und ohne Bewaffnung hatte er gegen die Kämpferin keine Chance.
»Sämtliche Schotten auf dem Mannschaftsdeck schließen!«, befahl Rhodan dem Serviceroboter, der seine Anweisung direkt der Bordpositronik weitergab.
Sollte Rowena ruhig merken, dass sie entdeckt worden war. Vielleicht verschaffte es ihm etwas Zeit, wenn er sie festsetzte.