12.

Sichu Dorksteiger

 

»Befehlshaberin?« Der Anführer des Sicherheitstrupps wartete weitere Sekunden auf eine Antwort aus seinem Funkarmband. Aber da kam nichts. »Hochedle Rowena? Wir haben eine der Aufständischen festgenommen.«

Nichts. Nicht einmal statisches Rauschen.

Immer wieder hatten die Arkoniden in der vergangenen halben Stunde versucht, Rowena zu erreichen. Ohne Erfolg.

Die Erkenntnis, dass ihre Gegnerin ihnen nach Larsa gefolgt war, hatte Sichu wie ein Schlag getroffen. Damit verkomplizierte sich die Situation. Wusste Rowena, dass sie und Perry sich auf die Suche nach Atlan gemacht hatten? Wenn sie ihnen schon an diesem Ort eine Falle stellte, dann hatte sie wohl mindestens eine Ahnung.

Das bedeutete aber auch, dass sich die Gefahr für Perry und Caysey vervielfacht hatte. Und der Traktorstrahl ist immer noch aktiv! Selbst wenn es ihnen gelingt, den Ultraleichtkreuzer zu starten, kommen sie nicht weit.

»Die Orter erfassen unangemeldete Startaktivitäten auf dem Demontageareal«, sagte einer der Soldaten, der die Anzeigen der Venuspositronik im Blick behielt.

»Wie bitte?« Der Anführer der Sicherheitskräfte gab seine Versuche auf, Rowena zu erreichen. »Zeig es mir auf dem Holoschirm«, verlangte er und deutete auf die Konsole, vor der Dorksteiger nach wie vor saß.

Die Programmoberfläche verschwand und zeigte ein aus dem Orbit aufgenommenes Bild des Areals.

Sie haben es geschafft! Dorksteiger hätte es beinahe nicht für möglich gehalten, aber die LT-IV erhob sich tatsächlich vom Boden. Sie taumelte zwischen den Bergen aus Metallteilen hin und her und gewann nur langsam an Höhe, während sich immer wieder kleinere Einzelteile von der Außenhülle lösten. Aber sie flog.

Gleich darauf geschah das, was die Ator befürchtet hatte: Der Traktorstrahl der Positronik erfasste den Kugelraumer und zerrte ihn unerbittlich in Richtung des Nordkontinents.

Sie knirschte mit den Zähnen. Es tut mir leid. Ich war nicht schnell genug.

Die Tür zum Schaltraum öffnete sich und ein weiterer Arkonide trat ein. Er wirkte auf Dorksteiger noch recht jung.

Der Arkonide suchte den Blick des Befehlshabenden.

»Sind Sie der Positroniker, den wir angefordert haben?«, fragte dieser.

Der Neuankömmling bestätigte. »Ich werde überprüfen, welche Änderungen die Verräterin vorgenommen hat.« Mit einer herrischen Bewegung bedeutete er Dorksteiger, den Platz vor dem Terminal zu räumen.

Sie gehorchte wortlos. Abwartend blieb sie stehen und beobachtete den Mann bei der Überprüfung des Computersystems. Schätze, da wird gleich jemand ziemlich überrascht sein.

»Sichu, hörst du mich?« Sie zuckte zusammen, als Rhodans Stimme aus ihrem Mehrzweckarmband erklang. »Der Traktorstrahl ist noch aktiv! Ich wiederhole, der Traktorstrahl hat uns erfasst! Was immer du getan hast, es hat offenbar nicht funktioniert.«

»Was ist das?«, fragte der Soldatenführer. »Was ist das für eine Sprache? Los, übersetzen!« Um seiner Forderung Nachdruck zu verleihen, hob er seine Waffe und zielte auf Dorksteigers Gesicht.

»Übersetzung Interkosmo zu Alt-Satron aktivieren«, befahl die Ator ihrem Armband in der Sprache, die Rhodan und sie für gewöhnlich im Zwiegespräch verwendeten.

Das Gerät wiederholte, was Rhodan gesagt hatte, in der Sprache, die die Arkoniden dieser Zeit verstanden.

Einige der Soldaten grinsten daraufhin. Auf Dorksteigers Gesicht regte sich keine Miene.

»Die Orter erfassen außerdem, dass der Schutzschirm der Festung aktiv ist«, fuhr der Terraner fort. »Wenn du den Strahl nicht abschaltest, dann ...« Er unterbrach sich. »Ich hoffe, wir sehen uns in Kürze. Und in einem Stück.« Die Verbindung riss ab.

»Was hat er damit gemeint?« Der Soldatenführer blickte den Positroniker argwöhnisch an. »Was passiert denn, wenn dieses marode Beiboot ...?« Er hielt inne, überlegte. Dann wurden seine Augen groß. »Hält der Schirm einen solchen Einschlag aus?«

Der Positroniker schien es nicht zu wissen, wandte sich fragend an die anderen Soldaten.

»Nein«, antwortete einer von ihnen. »Das Schiff selbst würde am Schirm zwar zerschellen, aber ihn dabei auch überlasten. Die Schäden durch die einschlagenden Trümmer wären immens und könnten die empfindlichen Systeme der Positronik treffen.«

Hastig flogen die Finger des Positronikers über die Eingabemaske. »Wir dürfen nichts riskieren. Ich programmiere die Steuerung so, dass der Schirm desaktiviert wird, wenn sich das Schiff nähert und zur Landung ansetzt.«

Dorksteiger erkannte, wie er aus vorgefertigten Codeblöcken ein Unterprogramm zusammenstellte und kompilierte. Das System spuckte eine Fehlermeldung aus.

Hättest du gern! Die Ator verkniff sich ein Schmunzeln.

»Das System will das neue Programm nicht akzeptieren«, entfuhr es dem jungen Arkoniden. »Meine Autorisation ist nicht mehr gültig!«

Irritiert drehte er sich zu Dorksteiger um. »Was haben Sie getan?«

Sie schwieg. Er würde schon selbst herausbekommen, dass das System jede seiner Änderungen abweisen würde. Diese kleine Sicherheitsvorkehrung gehörte zu den Sperren, die sie eingebaut hatte.

»Das ist ...« Die Bewegungen des Positronikers wurden hektisch. Die Tastentöne kamen in immer rascherer Folge.

Die Wachen warfen sich untereinander fragende Blicke zu.

»Das kann nicht sein!« Der Techniker murmelte Programmierbefehle vor sich hin. Immer wieder blitzte die Warnung auf dem Holoschirm auf: »Eingabe abgelehnt. Keine Berechtigung.«

Der Anführer der Soldaten verlor schließlich die Geduld. »Wie lange dauert das?«, schrie er. »Bringen Sie das in Ordnung!«

»Das würde ich gerne, und ich könnte es auch«, sagte der Positroniker kleinlaut. »Aber die Fremde hat mehrfache Sicherheitssperren in die gesamte Programmierung der Positronik eingebracht, für deren Überwindung ich voraussichtlich mehrere Tontas oder gar Pragos bräuchte.«

Dorksteiger räusperte sich. »Aber so viel Zeit haben Sie nicht.« Sie hob in einer beschwichtigenden Geste die Arme. »Ich kann die Programmierung rückgängig machen, wenn Sie mich an das Gerät lassen.«

»Warum sollten Sie das wollen?«, fragte der Anführer.

»Weil ich nicht will, dass meine Freunde sterben?«, schlug sie vor. »Wie gesagt, ich kann verhindern, dass eine Katastrophe geschieht – aber nur, wenn ich sofort damit anfange.«

Der Kommandant überlegte einen Augenblick, dann forderte er den Positroniker auf, den Platz zu räumen.

»Sie schauen ihr genau auf die Finger!«, befahl er dem jungen Mann. »Sobald sie etwas tut, von dem Sie wissen, dass es uns schadet, geben Sie uns Bescheid!«

Der Positroniker bestätigte und erhob sich.

Dorksteiger drängte sich an ihm vorbei und setzte sich schwungvoll in den Sessel. Du wirst kein Stück von dem begreifen, was ich da tue!

Dennoch: Was sie vorhatte, war kein Kinderspiel. Sie hatte ihre eigenen Sperren so gut programmiert, dass auch sie selbst einige Zeit benötigen würde, sie zu umgehen.

Aber die Ator war völlig in ihrem Element. Sie arbeitete sich zur Sicherheitsebene vor und suchte ihre eigenen Schutzprogramme, die sie in der Kürze der Zeit nur oberflächlich versteckt hatte.

Der Positroniker hatte recht: Die waren überwindbar, wenn man nur genug Zeit hatte.

Sie wusste selbst nicht, wie die sich ständig verändernden Schlüssel für die Desaktivierung der Programmierung lauteten. Sie konnte aber versuchen, das System mit möglichen Kombinationsvarianten für Schlüsselfolgen zu überfluten und damit vor die alternierende Verriegelung zu gelangen. Dafür war enorm viel Rechenkapazität nötig.

Dorksteiger profitierte dabei von ihrer langen Erfahrung im Umgang mit Positroniken. Schon bei der ursprünglichen Umprogrammierung des Venussystems hatte sie erkannt, dass die Positronik zwar leistungsfähig, im Vergleich mit modernen Nachfolgern allerdings eher primitiv aufgebaut war. Es gab durchaus Möglichkeiten, das System an einer Stelle auszubremsen und an der anderen mehr Leistung herauszukitzeln. Und das tat sie nun.

Dorksteiger spürte den Blick des Positronikers im Nacken. Sie bediente die Eingabefelder, beinahe ohne hinzusehen. Immer wieder schweifte ihr Blick zu einem der Nebenbildschirme, auf dem die Annäherung der LT-IV zu sehen war. Sie spürte die kleinen Schweißtröpfchen, die ihr auf die Stirn traten. Sie hatte nur noch ein paar Minuten.

»Was ist?« Der Kommandant trat neben den Positroniker. Sein Kombistrahler zielte wahrscheinlich genau auf ihren Hinterkopf. »Sie soll schneller machen!«

»Soweit ich das beurteilen kann, arbeitet sie, so schnell sie kann«, berichtete der Techniker. Er klang verblüfft. »Ich glaube, ich habe noch nie jemanden so schnell programmieren sehen. Sie weiß definitiv, was sie tut.«

Und du weißt es nicht, behältst das aber für dich. Dorksteiger musste erneut ein Grinsen unterdrücken. Natürlich sah es im Holo aus, als versuche sie, die Sicherheitssperre zu umgehen. Die kleinen, eigentlich überflüssigen Codeelemente, die sie dabei einbaute, fielen nur auf, wenn man genauer über die Kombinationen nachdachte.

Die Anfragen an die Positronik wurden im Femtosekundentakt gestellt. Ein Fortschrittsdiagramm zeigte, dass sie bereits einen Großteil des Schlüsselcodes ermittelt hatte.

»Ich glaube, sie schafft es.« Die Stimme des Positronikers klang erleichtert. »Es wird knapp, aber wenn ...« Er unterbrach sich, kam einen Schritt näher und beugte sich über ihre Schulter. »Ich ...«

Die Ator hatte keine Zeit, ihre Arbeit zu unterbrechen. Kleine Stücke des Quelltextes, die sich auf ihren Befehl hin zusammensetzen und aktivieren würden, flossen aus ihren Fingern in die Konsole.

»Einige dieser Elemente kann ich nicht zuordnen«, sagte der junge Arkonide vorsichtig. »Ich kann mich irren, aber ich glaube nicht, dass sie für die Desaktivierung der Sperren notwendig sind.«

Dorksteiger hörte, wie die Soldaten und Kampfroboter in Bewegung gerieten. Die Mündungen mehrere Strahler wurden auf sie gerichtet.

Nur noch einen Moment! S ie riskierte es und tippte für drei, vielleicht vier Sekunden weiter, aktivierte die Eingabe und hob die Hände. Sie drehte sich langsam in ihrem Sessel zu den Soldaten um. »Ich habe getan, was ich konnte.«

Der Soldatenführer richtete seine Waffe auf ihre Brust. »Der Schutzschirm! Kann er abgeschaltet werden?«

»Das sollte in wenigen Augenblicken geschehen.«

Auf dem Gang vor dem Schaltraum erklangen zischende Geräusche. Etwas schlug von außen dumpf gegen die Tür. Die Soldaten drehten sich irritiert zu ihr um.

In diesem Moment öffneten sich an der Decke des Raums zwei verdeckte Klappen, aus denen zwei Geschütze herausfuhren. Die Mündungen suchten sich das nächste Opfer aus – und feuerten!

»Sie hat die Selbstschussanlagen übernommen!« Der Kommandant rief seinen Leuten zu, sich eine Deckung zu suchen.

Ein Treffer schlug in seinen Waffenarm, und er sank in sich zusammen.

Dorksteiger wollte sich unter dem Sessel verbergen, schaffte es aber nicht rechtzeitig: Ein Betäubungsschuss, von einer der Waffen der Wachroboter abgegeben, streifte ihren linken Arm, der daraufhin erschlaffte. Es war das zweite Mal, dass eins ihrer Körperteile von einem Paralysatorschuss touchiert wurde.

Stöhnend glitt sie von der Sitzfläche und verschanzte sich unter der Konsole, bis der Beschuss endete.

Eine halbe Minute verging, dann traute sie sich wieder hervor.

Der Raum war übersät mit paralysierten Arkoniden und lahmgelegten Robotern. Auch den Positroniker hatte es erwischt. Er war ungünstig gefallen und hatte sich eine Platzwunde am Hinterkopf zugezogen.

Dorksteiger fand ein Medokit bei einem der Soldaten und versorgte den blutenden Hautriss. »Sie können sich beglückwünschen. Nicht jeder Fachmann hätte die versteckten Codereihen ausgemacht. Aus Ihnen kann noch was werden.«

Als Nächstes nahm sie einen Kombistrahler an sich und trat an die Konsole, um zu kontrollieren, ob alles funktionierte, wie sie es vorgesehen hatte. Den Thermostrahler, den die Soldaten ihr zuvor abgenommen hatten, steckte sie ebenfalls wieder ein.

Zu ihrer Erleichterung war alles in Ordnung. In dem Moment, in dem sie ihre eigene Sicherheitssperre überwunden hatte, war die Kommandogewalt über die Festung auf sie übergangen. Das Wissen der Zukunft schlägt das der Vergangenheit.

In dem versteckten Unterprogramm, das sie zusammengeschrieben und im Code verborgen hatte, waren Anweisungen hinterlegt, die zeitgleich aktiviert werden sollten. Die Abschaltung des Schirms war eine davon. Und die Anweisung für die Selbstschussanlagen der Station, alle biologischen Einheiten – außer ihr selbst – zu betäuben.

Derzeit bewegten sich außerdem Kampfroboter in der riesigen Anlage. Sie würden diejenigen, die sich vor dem Beschuss verborgen hatten, nach und nach ausschalten. Natürlich ging es dabei nur um eine Betäubung. Aber die Ator hatte keine Lust, auf dem Weg zum Flugfeld böse Überraschungen zu erleben.

»Ankunft des Ultraleichtkreuzers in fünf Zentitonta«, meldete die Positronik per Holoeinblendung. Dorksteiger rechnete nach. Das waren etwa vier Minuten terranischer Zeitrechnung. Sie musste sich beeilen, um das Landefeld rechtzeitig zu erreichen.

Aber zuvor musste sie noch etwas erledigen. Etwas, zu dem sie in der Aufregung noch gar nicht gekommen war. Einhändig gab sie den Befehl ein – und desaktivierte den Traktorstrahl, der die LT-IV nach wie vor erfasste.

Dann stellte sie über ihr Armband eine Funkverbindung zu ihrem Mann her. »Keine Zeit für Erklärungen. Ich habe die Situation unter Kontrolle. Öffnet die Schleuse mit der Bodenrampe, sobald ihr landet und startet sofort, wenn ich an Bord bin. Ich will nur noch weg von diesem Planeten.«

Perry lachte. »Wir sehen uns gleich. Und glaub mir: Das geht uns ganz genauso!«

 

*

 

Dorksteiger hastete durch die Gänge in Richtung Landefeld. Die Korridore der Venusfestung waren übersät mit reglosen Körpern. Hin und wieder begegneten der Ator Gruppen von Kampfrobotern, die auf ihren vorprogrammierten Befehl hin systematisch Raum für Raum nach weiteren potenziellen Opfern absuchten. Davon abgesehen war die Ruhe in der gigantischen Anlage gespenstisch.

Die Geräuschkulisse änderte sich deutlich, als sie nahezu zeitgleich zur Landung der LT-IV das Freie erreichte.

Der Raumer schien arge Probleme zu haben, die Position zu halten. Und die Geräusche, die der Antrieb und der Antigrav von sich gaben, waren alles andere als vertrauenerweckend.

Das Schiff setzte gar nicht erst auf. Die Rampe zum Hangardeck fuhr aus und pendelte wie eine riesige Zunge etwa zwei Meter über dem Boden hin und her.

Funken sprühten dort, wo sich Teile der Außenhülle gelöst hatten und die Energieleiter frei lagen. Mit infernalischem Scheppern knallte ein undefinierbares Stück Metall neben Dorksteiger hin. Ein weiteres Teil bohrte sich wie ein Speer in die Landefläche.

Wenn das mal gut geht. Aber es war zu spät, darüber nachzudenken.

»Los, beeil dich!« Die Stimme ihres Manns dröhnte aus dem Armbandgerät. »Inzwischen hat man in Amonaris gemerkt, was wir vorhaben, und uns einige Verfolger nachgeschickt.«

Sie zögerte nicht länger. Trotz der Befürchtung, dass sie an Bord dieses Schrotthaufens in nicht allzu ferner Zukunft das Zeitliche segnen würde, nahm sie Anlauf, sprang und zog sich auf das untere Ende der Rampe. Ihr linker Arm kribbelte noch vom Streifschuss des Paralysators, war aber schon wieder zu gebrauchen.

Sie rannte die leichte Steigung hinauf. Sobald sie das Hangardeck erreicht hatte, schloss sich die Schleuse hinter ihr.

Die Ator orientierte sich. Der Boden unter ihren Füßen schwankte und das Brummen des Antriebs intensivierte sich. Rhodan machte Ernst und setzte direkt zum Start an. Die Lichter an den Wänden flackerten.

Riesige, beladene Container, die niemand mit einem Fesselfeld fixiert hatte, rutschten mit metallischem Kreischen über den Boden. Dorksteiger entging nur knapp einem Zusammenstoß, indem sie sich nach vorn und damit aus der Bahn warf.

Sie suchte einen der Antigravlifte auf und ließ sich nach oben tragen. Sie hatte bereits mehrere Decks hinter sich gebracht, als auch im Schacht die Lichter zu flackern begannen.

Eine Detonation, irgendwo unter ihr, schickte Flammen in die Liftröhre. Sie spürte plötzlich ein unangenehmes Ziehen in der Magengegend.

Dann fiel sie. Der Antigravlift versagte von einem Augenblick zum anderen.

Dorksteiger ruderte mit den Armen. War da nicht eine Notfallleiter gewesen, irgendwo an der Wand? In ihrer Panik streckte sie die Hände aus und – stand still in der Luft.

Sanft wurde sie wieder emporgehoben und schwebte in die Richtung, in die sie ursprünglich unterwegs gewesen war.

Dorksteiger stieg aus dem Schacht und betrat die Zentrale, in der Perry und Caysey auf sie warteten. Ihr Herzschlag normalisierte sich nur langsam.

»Dieses Schiff wird uns töten!«, rief sie Caysey und Perry entgegen. »Wenn nicht sofort, dann ganz sicher, sobald wird in den Orbit eintreten.«

Perry ließ das Beiboot weiter aufsteigen. Er lachte freudlos. »Da müssen wir erst einmal hinkommen.«

»Es ist auch schön, dich zu sehen!« Caysey stolperte mit einem kleinen Prallfeldgenerator in der Hand zu einer brennenden Konsole. Beißender Gestank und schwarzer Qualm stiegen daraus hervor.

Die automatische Löschanlage funktioniert demnach ebenfalls nicht mehr, erkannte Dorksteiger. Wir sind verloren.

Ein Roboter mit einem unbeweglichen »Gesicht«, den Rhodan wieder in Betrieb genommen haben musste, nahm der Schwangeren den Generator ab. Er übernahm es, die Flammen mit einem exakt austarierten Prallfeld zu ersticken.

»Die Bordpositronik meldet mehrere Brände auf anderen Decks«, sagte er. »Die Reparaturroboter sind im Einsatz, um die Gefahr zu beseitigen.«

Perry deutete auf ein freies Terminal. »Ich brauche dich an der Ortung, Sichu. Unsere Verfolger werden nicht lockerlassen, bis wir Sprunggeschwindigkeit erreicht haben.«

Dorksteiger nahm Platz und legte einen Gurt an. Wenigstens etwas, das funktionierte.

Die Orter empfingen Signale von fünf Verfolgern, die noch nicht in Schussweite gelangt waren, sich aber schnell näherten. Ob es ihnen gelingen würde, rechtzeitig und in einem Stück ins All zu gelangen, war nach Berechnungen der Bordpositronik derzeit eher fraglich.

»Wie kann ich helfen?«, fragte Sichu.

»Sobald wir die Atmosphäre verlassen, brauchen wir einen möglichst störungsfreien Kurs zum Beschleunigen«, antwortete Perry.

Sie nickte. »Ich schaue, was möglich ist.« Während sie die Fernorter neu ausrichtete und sich einen Überblick verschaffte, berichtete sie mit knappen Worten davon, was ihr in der Venusfestung widerfahren war.

Caysey und Perry brachten sie im Anschluss ebenfalls auf den neuesten Stand.

»Der Blechmann dort drüben ist übrigens RCO«, stellte Caysey den Roboter vor. »Er hilft uns. Es gibt auch noch andere Roboter im Schiff, die Dinge reparieren und so weiter.«

Dorksteiger schaute sich das Servicemodell an. Das starre, jedoch extra modellierte Metallgesicht fand sie ungewöhnlich, aber vielleicht war diese Ausführung seiner ursprünglichen Funktion geschuldet.

»Ein interessantes Exemplar.« Sichu wandte sich an Perry. »Wo habt ihr ihn gefunden?«

»Der gehörte zum Inventar. Wie sieht es aus mit unserem Fluchtkurs?«

Die Höhenmesser zeigten an, dass der Kreuzer soeben die obersten Atmosphäreschichten der Venus durchstieß. Der aktivierte Schirm schützte die Hülle vor dem Reibungswiderstand. Trotzdem hielt die Ator unwillkürlich den Atem an, als sie wenige Augenblicke später in den Weltraum vordrangen.

Ein Ächzen durchlief die Schiffshülle. Die restliche Luft, die außerhalb der Kraftfelder und verschlossenen Schleusen noch vorhanden gewesen war, entwich. Die Orterholos zeigten eine dreidimensionale Karte des Kugelraumers. Die Bereiche ohne Atmosphäre waren rot gekennzeichnet.

Sieht aus wie ein von allen Seiten angenagter Apfel, ging es Dorksteiger durch den Kopf.

Sie programmierte den Kurs, den sie aufgrund der Orterdaten ermittelt hatte, und schickte ihn zur Freigabe an Rhodan.

Das Schiff gewann an Geschwindigkeit. Die Verfolger von der Venus blieben im Orbit zurück – offenbar, weil sie erkennen mussten, dass der Antrieb des Ultraleichtkreuzers leistungsfähiger war und sie spätestens jenseits der Marsbahn abgehängt waren.

Sie gönnte sich einen Moment der Entspannung.

Kaum zu fassen: Es war ihnen tatsächlich gelungen, ein überlichtschnelles Raumschiff zu kapern. Sie löste den Gurt, stand auf und trat an Perrys Sitz.

Sie legte ihm die Hände auf die Schultern. »Es hat sich mal wieder bewiesen: Raumschiffe klauen ist eines deiner größten Talente.« Der zarte Spott in ihrer Stimme war beabsichtigt.

»Ihr habt so was schon öfter gemacht?« Caysey hatte offenbar ihre Zweifel.

Die Haut der Schwangeren war stark gerötet. Sobald sie in Sicherheit waren, wollte Dorksteiger sich das mal genauer ansehen. Nicht, dass das Robbensekret, von dem Caysey zuvor knapp berichtete hatte, schädlicher war, als die Atlanterin tat. Auch dass diese immer wieder das Gesicht vor Schmerzen verzog, wenn sie sich bewegte, gefiel Sichu nicht.

Die LT-IV passierte soeben die Erdbahn und hatte die Sprunggeschwindigkeit für eine Nottransition beinahe erreicht. Wohin der blinde Sprung sie auch führen würde, es würde weit genug weg sein, um ihren Häschern im Solsystem zu entkommen. Und das war vorerst das Wichtigste.

»Da es nun unser Schiff ist, sollten wir ihm vielleicht einen neuen Namen geben«, schlug Dorksteiger vor. »Wenn wir gewissen Traditionen folgen wollen ... Wie wäre es mit GOOD HOPE IV? Oder doch lieber LAST HOPE II?«

Rhodan schüttelte den Kopf. »Du denkst in die richtige Richtung, aber den Kern hast du noch nicht ganz getroffen.« Seinen Blick hatte er auf die Orterholos gerichtet. Vermutlich hatte er schon das nächste Ziel im Sinn. »Dieses Schiff ist unsere größte Hoffnung, dass wir Atlan finden, ihm das Talagon übergeben und herausfinden, warum es eine Gefahr darstellt.«

Er betätigte den Auslöser für die Nottransition. »Dies ist unsere erste Reise – auf der BEST HOPE!«