4.

 

Mit feuernden Triebwerken rasten Gilthenk und Mekkhur zurück zur ETZTHONK.

Kaum waren die Schotten des Beiboothangars geöffnet, jagten sie ihre torpedoförmigen Raumtransporter Seite an Seite in den Bauch des Mutterschiffs. Antigravfelder stoppten ihre rasende Fahrt, leicht federnd blieben die Transporter im Hangar liegen.

Gilthenk atmete aus. Heimatnest!, dachte er zu seiner eigenen Verblüffung. In der ETZTHONK fühlte er sich geborgen, obwohl es für ein trauliches Gefühl der Sicherheit überhaupt keinen objektiven Anlass gab.

Das Raumschiff der Unither verfügte, wie fast alle Raumfahrzeuge der galaktischen Völker, über eine leichte Bewaffnung. Sie war dazu gedacht, sich zur Wehr zu setzen, wenn sie es einmal mit primitiven Völkern auf Hinterwäldlerplaneten zu tun bekamen. Keineswegs konnten sie damit in einer Raumschlacht bestehen oder sich auf den Kampf mit auch nur einem arkonidischen oder maahkschen Kleinstraumer einlassen.

Die ETZTHONK, die aussah wie zwei in der Mitte verbundene Röhren, war im Kern ein Frachter mit großen Laderäumen. Die Unither sammelten darin Weltraumschrott bis zur Größe von Transitionstriebwerken großer Arkonidenpötte. Ihr ganzes Unternehmen war darauf ausgerichtet, die Überbleibsel einer Raumschlacht effektiv auszubeuten und dann so schnell wie möglich wieder zu verschwinden.

Die Ankunft eines Fremdschiffs in der Nähe des Systems der blauen Sonne war genau dazu der richtige Anlass: Bloß weg von hier!, lautete der archaische Reflex, der Gilthenk erfasst hatte. Nur hatte der wahnwitzige Glongg offenbar etwas anderes im Sinn.

Gilthenk tippte mit zitternden Fingern auf den Kontrollschalter für das Fesselfeld, das den Piloten schützte. Ohne sich um die üblichen Protokolle nach einer Landung zu kümmern, sprang er im Raumanzug aus dem Transporter. Am anderen Ende des Hangars tat Mekkhur es ihm gleich. Ihre Stiefel klackerten auf dem metallenen Boden, als sie zu den Antigravschächten rannten. Kurz darauf standen sie schwer atmend im Zentralnest, dem Kommandoraum der ETZTHONK.

Glongg, der älteste der drei Kompagnons, erwartete sie. Wie es die Art der Unither war, schlangen sie zur Begrüßung ihre Rüssel umeinander.

Dann erst platzte es aus Gilthenk heraus: »Was ist mit dem fremden Schiff? Ist es wirklich keine Vorhut einer Bergungsflotte?«

Glongg wedelte beschwichtigend mit dem Rüssel. »Seht es euch an!« Mit einer weiteren Bewegung aktivierte er ein Holo.

Zuerst flackernd, dann glasklar flammten zwischen den Unithern Dutzende kleiner und großer Leuchtkugeln auf. Es war eine schematische Darstellung des sie umgebenden Weltraums. Gilthenk erkannte sofort die blaue Sonne mit ihrem einzigen Planeten. Kleine glänzende Punkte symbolisierten den Raumschiffsfriedhof, den sie auf der Bahn des Gasplaneten angelegt hatten. Über einigen der Kugeln schwebten Textzeilen mit Namen und astrometrischen Daten. Gebogene Linien deuteten Bahnen und Entfernungen an. Etwa eine Armlänge von der blauen Sonne entfernt pulsierte mitten im Raum ein roter Ball. Er wurde mal kleiner, mal größer.

»Das ist der Ort der Strukturerschütterung«, erklärte Glongg und trat an den pulsierenden Ball heran. Die Projektion tauchte sein runzliges Gesicht in Wogen roten Lichts.

Vom roten Ball führte eine gepunktete Linie zur blauen Sonne. Eine helle Einblendung auf der Mitte der Linie besagte, dass die beiden Objekte 7,14 Lichtjahre voneinander entfernt waren. Unnötige Präzision.

Unbehaglich näherte sich auch Gilthenk dem roten Ball. »Was macht das Raumschiff?«

»Im Schneckentempo«, antwortete Glongg. »Es ist mit halber Lichtgeschwindigkeit aus dem Hyperraum gekommen und hat noch nicht zum erneuten Sprung angesetzt. Sie orientieren sich. Seht her!«

Mit einer schnellen Rüsselbewegung zauberte Glongg eine Datenkette über den pulsierenden Ball. »Aus der Stärke der Erschütterung, die der Strukturtaster angemessen hat, können wir auf die Masse rückschließen, die ins Raum-Zeit-Kontinuum gefallen ist.«

»Zwischen hundert- und zweihunderttausend unithische Tonnen«, las Gilthenk ab.

»Ein kleines Schiff!«, erklärte Glongg triumphierend. »Zum Beispiel ein arkonidischer Ultraleichtkreuzer. Ein intakter Ultraleichtkreuzer. Wir werden ihn uns holen.«

Erregt kam nun auch der junge Mekkhur näher. »Du willst nicht ernsthaft ein arkonidisches Schlachtschiff angreifen – mit der ETZTHONK?«

Glongg rümpfte den Rüssel. »Natürlich nicht. Es wird hierherkommen. Wir werden ihm auflauern, den richtigen Moment abwarten und es dann entern.«

Die Kühnheit des Kameraden verschlug Gilthenk für einen Augenblick die Sprache. Er wusste kaum, was er zuerst denken sollte.

»Das ist dein Plan?«, rief er. »Abwarten, auflauern und entern? Schon Hierbleiben ist überhaupt keine gute Idee! Früher oder später kommen die Maahks oder die Arkoniden zurück. Dann sollten wir weit weg sein! Und nicht einem verstreuten Kreuzer auflauern. Woher willst du überhaupt wissen, dass er hierherkommt? Vielleicht ist er ja nur auf einem Zwischenstopp auf dem Weg zu einem anderen Stern.«

»Glaub mir, er kommt in dieses System«, flüsterte Glongg selbstbewusst. »Warum soll er denn sonst sieben Lichtjahre vor der Sonne rematerialisiert sein? Er wird kommen und den Raumschiffsfriedhof orten. Den wird er interessant finden. Und da werden wir auf ihn warten.«

Glongg war wie immer die Ruhe in Person. Jedenfalls tat er so. Wenn es nach Glongg ging, war immer und stets alles unter Kontrolle. Es mussten sich nur einfach alle daran halten, was er ihnen sagte. Das war seine Philosophie.

Glongg ging an den Instrumentenpulten entlang. Ab und zu berührte er eine Fläche, so wie es jemand bei einem Spaziergang im Sommer machte, der an einem Geländer vorbeistrich. »Ihr habt nicht viel aus den Wracks herausgeholt«, sagte er wie beiläufig. »Ich habe die Roboter angewiesen, die Beute zu entladen. Ihr hattet es wohl vergessen.«

Mekkhur wollte aufbrausen, aber Glongg fuhr ungerührt fort. »Zerschmolzene Maschinenteile aus uralten Raumschiffen. Damit werden wir auf den Basaren keinen Gewinn machen, auch wenn die ganze Galaxis nach Ersatzteilen sucht.«

Nun hatte der junge Mekkhur genug. »Und was hast du aus deinen Wracks rausgeholt?«, schnaubte er. »Waren da die Speicher etwa voll von Schwingquarzen und Impulskanonen?«

Bedächtig legte Glongg seine acht Finger aneinander. »Leider nein. Es sieht so aus, als wären wir alle drei auf ganzer Linie gescheitert.«

Verblüfft zuckte Mekkhur zurück.

Gilthenk ahnte bereits, was Glongg als Nächstes sagen würde. »Du meinst, wir haben Verlust gemacht und brauchen noch einen großen Fang, um ins Plus zu kommen?«

Glongg ließ den Rüssel in die Höhe schnellen. »Wir haben nur ausgebrannte Wracks gefunden. Da kommt ein Schiff, das wahrscheinlich neueste Technik an Bord hat. Holen wir es uns!«

Gilthenk war, als würde sein Rüssel austrocknen. Was sollte er dazu noch sagen? Es sah so aus, als würde der verfluchte Glongg sich wieder einmal durchzusetzen. Hatten sie denn eine andere Wahl, als das fremde Schiff anzugreifen? Über das sie noch gar nichts wussten?

Der junge Mekkhur spannte kampfbereit den Rüssel. Vielleicht erfreute ihn sogar die Aussicht, endlich Auge in Auge gegen die verhassten Arkoniden zu kämpfen und nicht nur ihre Kriegsopfer aus zerstörten Raumjägern zu bergen.

»Wo willst du dich verstecken?«, fragte Gilthenk leise. Immer noch hoffte er, eine Schwachstelle zu finden, die Glonggs ganzen Plan zunichtemachte.

Der älteste der drei Unither stellte sich hinter die glänzenden Punkte, die den Raumschiffsfriedhof darstellen sollten. Ein Dutzend kleiner Lichter spiegelten sich auf seinem Rüssel und in seinen Augen.

»Natürlich hier. Die Fremden werden sowieso den Raumschiffsfriedhof ansteuern. Hier treiben Hunderte kaputter Raumschiffe. Wir werden uns totstellen, und sie werden uns für eins der Wracks halten. Und wenn wir eine Möglichkeit sehen ...« Er ließ seine Faust in die andere Hand sausen. »... schlagen wir zu!«

Gilthenk merkte auf. Eine letzte Chance sah er noch, die anderen umzustimmen. »Wer immer da kommt, er wird erkennen, dass es eine Raumschlacht zwischen Maahks und Arkoniden gegeben hat. Die ETZTHONK gehört eindeutig keinem der beiden Völker an. Der Kommandant des fremden Schiffs wird sie sofort erkennen. Sie sticht heraus, egal wie tot wir uns zwischen all den Wracks stellen!«

Hatte er damit den wunden Punkt des Unternehmens getroffen? Würde Glongg nun alles abblasen, und sie würden einfach sang- und klanglos aus dem System der blauen Sonne abziehen?

Oh nein! Siedend heiß durchfuhr es Gilthenk. Er selbst hatte doch bereits daran gedacht, als er mit dem Transporter den Raumschiffsfriedhof durchflogen hatte.

»Einer der großen Maahk-Kreuzer«, krächzte er hilflos. »Die sind so groß, dass wir uns mit der ETZTHONK einfach an ihre Rückseite heften können wie ein ilsebillianischer Flunderfisch, der sich an einen größeren Fisch ansaugt und sich von ihm transportieren lässt. Dort fallen wir überhaupt nicht auf.«

Glongg hob den Rüssel und trompetete zufrieden. »Dort werden wir uns verstecken. Gut beobachtet, Freund. An die Arbeit!«

 

*

 

Die Schrottsammler entfalteten eine hektische Aktivität.

Gilthenk und Glongg fuhren alle verzichtbaren Maschinen herunter, sogar die Generatoren zur Erzeugung der künstlichen Schwerkraft. Schwerelos schwebten sie durch die ETZTHONK, die immer mehr einem Geisterschiff ähnelte. Die großen Reaktoren und Speicher lagen wie gefallene Riesen im Dunkeln, in den Energieleitern floss kein Strom mehr. Nacheinander erloschen alle Lichter an Bord.

Währenddessen bemühte Mekkhur sich irgendwo im Bauch des Schiffs darum, alle Waffen aufzustöbern, die sie an Bord hatten, und er ging dieser Aufgabe mit Feuereifer nach. Mit den Armen voll schwerer und leichter Thermostrahler, Desintegratoren und Nadlergewehre schwebte er ins Zentralnest, wo ihn seine Freunde mit erhobenen Rüsseln begrüßten.

Gilthenk hatte nicht gewusst, dass sie so viel Kriegsgerät an Bord hatten.

»Damit stürmen wir jedes Feindschiff«, prahlte Mekkhur. Stolz präsentierte er ein schweres maahksches Impulsgewehr, das er bei aktivierter Schwerkraft kaum mit zwei Händen hätte heben können. Es war eben doch von Vorteil, wenn man auf einem Schrottsammlerschiff arbeitete.

»Die Roboter auf den Frachtdecks habe ich ebenfalls ausgeschaltet«, verkündete Mekkhur. »Sie können uns beim Kampf keine Hilfe sein. Sie sind wirklich nur für ihre spezielle Aufgabe programmiert.«

Mit Unbehagen dachte Gilthenk daran, dass sie sich mit all dieser Ausrüstung notfalls auf der ETZTHONK verschanzen und einen Abwehrkampf führen konnten. Dann konnten sie immer noch die Roboter reaktivieren und als Schutzschilde benutzen.

Was ihn aber am meisten überraschte, war, dass nicht nur den jungen Mekkhur das Fieber des bevorstehenden Kampfs ergriff, sondern sie alle. Vielleicht war das der entscheidende Vorteil, den sie vor ihren Gegnern hatten: Sie bereiteten sich seit Stunden darauf vor, das Raumschiff der Feinde zu erobern, während diese völlig ahnungslos waren.

Dennoch warf Gilthenk immer wieder einen klammen Blick auf die noch aktiven Orteranzeigen. Er rechnete jeden Moment damit, dass der Strukturtaster anschlug und die Ankunft einer größeren Flotte signalisierte. Die Ankunft des eigentlichen Bergungskommandos, das gekommen war, um die Reste der Raumschlacht zu besichtigen – und stattdessen den Raumschiffsfriedhof und das Schiff der Schrottsammler vorfand.

Glongg streckte zufrieden den Rüssel. »Wir streuen so gut wie keine Energie mehr aus. Wir können noch sehen, aber wir werden nicht gesehen.«

»Empfindliche Ortungsgeräte werden darauf nicht reinfallen«, gab Gilthenk zu bedenken. »Sie werden uns trotzdem finden.«

Glongg wollte etwas entgegnen. Doch in diesem Moment schlugen die Taster tatsächlich an.

Das Heulen einer Alarmsirene erklang. In der Stille und der Dunkelheit und der Schwerelosigkeit ging es Gilthenk durch Mark und Bein.

»Strukturerschütterung!«, rief Mekkhur. »Hier, im System der blauen Sonne! Hunderttausend Tonnen. Ein Schiff. Das Schiff!«

Unwillkürlich duckte sich Gilthenk, als stürzte das Schiff direkt über ihren Köpfen in die ETZTHONK. Er musste daran arbeiten, sich diesen Reflex abzugewöhnen.

In der Dunkelheit baute sich zwischen ihnen ein Holo mit Datenkolonnen auf. Es waren die Ergebnisse der Passivortung. Glongg schwebte heran und studierte begierig die Zahlenreihen. Reflexionen huschten über sein Gesicht.

Zufrieden grunzte der Unither. »Unfassbar«, murmelte er. »Unfassbar!«

»Ist es ein Arkonidenschiff?«, rief Mekkhur.

Glongg wackelte begeistert mit dem Rüssel. »Ein arkonidischer Ultraleichtkreuzer, genau so, wie ich gemutmaßt habe.«

Gilthenk hielt die Luft an. Es hätte auch ein kleines Maahkschiff sein können. Aber mit den Arkoniden war ebenso wenig zu spaßen. Die Weichhäuter, wie Mekkhur sie nannte, waren zähe und brutale Krieger.

Im selben Moment versiegte Glonggs gute Stimmung.

Das Holo zeigte das näher kommende Schiff. Es war eindeutig ein arkonidischer Kugelraumer, aber übersät mit Rissen und Löchern. Einige Platten der Außenpanzerung waren abgerissen.

»Das ist ja auch nur ein Wrack!«, rief Glongg zutiefst enttäuscht.

Waren sie das Risiko der Entdeckung durch eine Bergungsflotte nur eingegangen, um einem schrottreifen Raumschiff aufzulauern, das es aus irgendeinem Grund mit Hängen und Würgen ins System der blauen Sonne verschlagen hatte? War es etwa gekommen, um auf dem Raumschiffsfriedhof zu sterben?

Eine neue Anzeige blinkte mitten im Holo auf und legte sich über das Bild des Raumschiffs. Ein auf und ab waberndes Signal, ähnlich dem Symbol, das die Positronik zur Markierung der Strukturerschütterung gewählt hatte.

»Was ist das?«, frohlockte Glongg. »Wir orten eine ungewöhnliche Hyperstrahlungssignatur unbekannter Herkunft. Was immer die dort drüben an Bord haben, es ist eine starke Hyperenergiequelle. Das Schrottschiff hat also doch Hochtechnologie an Bord!«

»Wenn wir dieses Signal anmessen, können das sicher auch die Arkoniden und die Maahks«, warnte Gilthenk.

Die Gelegenheit, einen Profit herauszuschlagen, war soeben astronomisch angestiegen.

Ebenso die Gefahr, entdeckt zu werden.