Prolog

Kristallprinz

Galkorrax, wenige Wochen zuvor

 

Ich starre Atlan an. Meine Brustplatte schmerzt, als würde sie schrumpfen. Verzweifelt lege ich die Finger auf den Knauf des Dagorschwerts. Muss es so enden? »Was wir getan haben, ist Hochverrat. Was du nun tun willst, ist sogar noch schlimmer.«

Atlan schweigt. Ich fürchte mich vor diesem Schweigen, der unbeugsamen Haltung, dem festen Blick aus den rötlichen Augen.

Wir stehen in einer mit Luft gefüllten Kuppel dicht an glassitartigem Material, an das sich ein Energieschirm schmiegt. Vor mir und Atlan erstrecken sich fliegende Kristallstrukturen aus stabilisierten Salzen, von Antigravfeldern gehalten. Die Maahks haben diesen Ort geschaffen. Sie halten sich dort draußen auf, wenn sie Entscheidungen treffen, so heißt es jedenfalls in der arkonidischen Flotte. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Ich weiß allgemein wenig über die Maahks. Ihre Welt ist mir fremd, und ich wünschte, ich wäre nie an diesen Ort gekommen.

Es ist eine tödliche Welt, zum Sterben schön. Wäre die Schutzkuppel nicht, in der wir stehen, würde uns allein die hohe Gravitation niederdrücken und jeden Atemzug zur Qual machen. Die Atmosphäre ist reines Gift. Und doch ist diese Welt ganz anders, als ich erwartet habe. Wäre das, was wir soeben erfahren haben, weniger furchtbar – ich könnte Galkorrax lieben.

Ich trete dichter an Atlan heran. Sein Gesicht wirkt eingefallen, um Jahre gealtert. Seine Kiefermuskeln sind angespannt. Er ist bereit für diese Schlacht, die nicht im freien Raum ausgetragen wird, sondern in ihm. Sein Kampf neigt sich dem Ende zu. Er hat ihn gewonnen und trotzdem verloren.

Atlans Stimme ist fest. Es ist die Stimme eines Kristallprinzen, der es gewohnt ist, Befehle zu erteilen. »Wir wissen nun, worum es geht. Ich muss es tun.«

»Nein!« Ich fasse seine Hände. Am liebsten möchte ich ihn am Kragen der Uniform packen. »Lass mich es tun! Du bist wichtiger als ich!« Was ich verschweige, ist, dass ich schwach bin. Ich liebe ihn mehr, als Worte es sagen können. Nicht als Mann, sondern als Menschen, als einen Teil, der zu mir gehört, und der geschützt werden muss.

»Du kennst meine Einstellung, Rowena.«

Oh ja. Ich kenne sie: »Ein wahrer Anführer versteckt sich nicht hinter seinen Untergebenen. Er ist an der vordersten Front, und verlangt nichts, was er nicht selbst zu tun bereit wäre.«

Ich möchte mich Atlan zu Füßen werfen und betteln oder auf ihn einschlagen, doch beides würde die Situation schlimmer machen. Es bleibt genau ein Weg, den ich noch gehen kann. Um ihn zu gehen, muss ich klug handeln und meine Gefühle verbergen.

Ich reiße mich zusammen, schlucke Zorn und Furcht hinunter und lasse ihn los. »Dann wirst du es tun? Egal, was ich sage?«

Atlan lächelt. »Ja.«

Seine Tapferkeit kennt keine Grenzen. Genau wie der Himmel über Galkorrax. Atlan ist edel, bereit zu tun, was getan werden muss. Niemals hintergeht er die, die er liebt. Ich wünschte, ich wäre mehr wie er.

»Ich werde dich unterstützen«, lüge ich. Wenigsten das habe ich gelernt, wie jede Adelige. Ich musste es lernen, denn den Ehrlichen und den Naiven droht im Spiel der Kelche der Tod.

»Danke«, sagt Atlan. »Das bedeutet mir viel.«

Ich wende den Blick ab. In meinen Augenwinkeln sammeln sich vor Aufregung Tränen, die ich fort blinzele. Gemeinsam blicken wir hinaus aus der Kuppel auf die magisch schöne, verstörende Welt, die ich am liebsten auseinanderreißen würde, weil Atlan hier seine Entscheidung getroffen hat. Dieser Ort bedroht mich mehr als mein schlimmster Feind.

Was der Kristallprinz plant, darf nicht geschehen. Ich muss es verhindern, selbst wenn es mein Leben kostet.