Wahrheit und ihr Preis
Ich beendete meine Erzählung. Die Erinnerung regte mich zu sehr auf. Ich spürte, wie meine Augen feucht wurden.
Perry Rhodan sah mich ernst an. »Atlan hat sich entschieden, das Talagon selbst zu entsorgen. Das passt zu ihm. Aber du warst dagegen, richtig?«
»Ja. Ich habe versucht ihn zu überreden, diese Aufgabe abzugeben. Aber er ließ sich nicht umstimmen. Also habe ich das Einzige getan, was mir geblieben ist.«
»Du hast das Talagon gestohlen«, schlussfolgerte Rhodan. »Du warst schneller als Atlan und hast es dir geholt. Wie hast du es geschafft, dass Atlan und Tarts nicht sofort bemerkt haben, dass du es warst?«
Mich störte es, dass mich Rhodan vertraulich ansprach. Gleichzeitig redete er über Atlan, als würde er ihn schon lange kennen. Wenn er wirklich ein Freund Atlans aus der Zukunft war, passte das zusammen.
Ich atmete tief, aber unhörbar ein. Inzwischen hatte ich Rhodan so viel erzählt, dass ich ihn schon töten müsste, um wirklich sicher vor ihm zu sein. Doch ich wollte ihn nicht töten. Ich brauchte einen Verbündeten. Tarts und Atlan ahnten beide, dass ich nie wirklich auf ihrer Seite gewesen war, sobald es um die Vernichtung des Talagons und Atlans Opfer gegangen war.
»Ein simpler Trick. Ich trug im Empfangssaal Geektors einen Schutzanzug mit Positronik. Anhand der Aufzeichnungen habe ich mir eine Kopie des Talagons gedruckt. Die habe ich gegen das echte Talagon ausgetauscht und mir so ein paar Tontas Zeit verschafft. Außerdem habe ich eine Wissenschaftlerin der TOSOMA bestochen und sie in einer angeblich geheimen Mission zurück nach Larsaf geschickt. Es sollte so aussehen, als hätte sie das Talagon gestohlen, weil sie es untersuchen und seine Geheimnisse erforschen wollte.
Ich habe mir in der Zwischenzeit überlegen können, was ich tue. Unter dem Vorwand, sie zu jagen, bin ich wenig später ebenfalls nach Larsaf III zurückgekehrt und habe dort Kontakt mit Quartam da Quertamagin aufgenommen. Ich wusste um ihn und seine verrückten Forschungen. Er ist verfemt, aber legendär. Als Wissenschaftler soll er bereits Außerordentliches geleistet haben.«
»Ich verstehe«, sagte Rhodan. »Du hast gedacht, er könnte eine weniger selbstmörderische Art finden, das Talagon aus der Welt zu schaffen.«
»Und das hat er auch.« Ich meinte plötzlich, mich verteidigen zu müssen, und das ärgerte mich. »Er hat mir den Weg durch den Torbogen gezeigt.«
»Es war ein Transmitter. Du bist in der Zukunft gelandet und hast Atlan angegriffen.«
»Ich musste das tun! Ich musste diese Wahnsinnstat verhindern. Woher sollte ich wissen, dass ich in der Zukunft gelandet bin?«
»Dann glaubst du mir?«
Ich schwieg. Glaubte ich Perry Rhodan?
Ein klarer Ton unterbrach das Gespräch. Tarts meldete sich über das Gerät an meinem Handgelenk.
Ich war froh darüber, dass ich die Antwort schuldig bleiben konnte, also nahm ich das Gespräch an. »Ja?«
»Ich habe es geschafft«, teilte Tarts kühl mit. »Ich habe die Barbarin bestochen. Du findest mich bei Atlan. Ich weiß, wo das Talagon ist.«
»Aber ...«
Tarts hatte die Verbindung einfach beendet. Das war schlecht. Sehr schlecht sogar. Er hatte mir von Anfang an misstraut, trotz der Finte mit der vorgeschobenen Wissenschaftlerin und ihren angeblichen Verbündeten. War er nun endgültig überzeugt, dass ich eine Verräterin war? Oder lag es daran, dass er seinen Triumph mit Atlan so schnell wie möglich teilen wollte?
Ich sprang auf. So oder so: Ich musste zu Caysey!
»Was ist passiert?«, fragte Rhodan, der das Gespräch dank eines akustischen Abschirmungsfelds nicht hatte hören können.
»Sie hat geredet.« Ich drehte sich zum Zellenausgang. Ich wusste, was ich zu tun hatte. »Die schwangere Barbarin ... Ich bringe sie um!«
Zornig ließ ich Perry Rhodan hinter mir zurück. Wie hatte es so weit kommen können? Lag es daran, dass dieser Rhodan mich mit seinen Lügen eingelullt hatte?
Die Wut pulsierte in mir und brachte mich dazu, den Strahler zu ziehen, noch bevor ich in der Zelle bei Caysey angekommen war.
Draußen lag die Nacht über Galkorrax. Die Lichter waren erloschen und die schwebenden Kristalle gelandet. Alles versank in Dunkelheit.
Caysey hatte sich hingesetzt und blickte mir ruhig und scheinbar furchtlos entgegen.
»Was hast du getan?«, fragte ich barsch. »Wie konntest du Tarts das Versteck des Talagons verraten?«
»Wieso denkst du, dass ich das getan habe?«, fragte Caysey zurück.
Ich ließ den Strahler ein Stück sinken. »Soll das heißen, du hast Tarts angelogen?«
»Ja. Und ich habe damit gerechnet, dass du kommst. Ich habe dich durchschaut, Rowena.«
Nun sank der Strahler ganz nach unten. »Inwiefern?«
»Ich sehe in deinem Gesicht die Sorge um Atlan. Du liebst ihn mehr als alles, wenn auch nur mit dem Herzen und dem Verstand. Ich weiß, dass das Talagon böse ist und dass du es gestohlen hast. Du hast es nicht für dich geraubt, sondern um deinen Freund davor zu beschützen. Deswegen hast du Jagd auf uns gemacht: damit wir ihm den Anhänger nicht zurückbringen.«
Die Klarheit in Cayseys Schlussfolgerungen raubte Rowena den Atem. »Wie kommst du darauf?«
»Spielt das eine Rolle? Wir müssen uns beeilen! Jede Minute, die verstreicht, ist vergeudete Zeit. Noch ist nichts verloren. Ich habe Tarts angelogen, aber ich weiß, wo das Talagon ist, und zwar als Einzige. Ich verrate dir das wahre Versteck. Wenn wir uns beeilen, finden wir es vor Atlan und Tarts. Doch du musst mich und meine Freunde freilassen. Das ist meine Bedingung.«
»Ja, sicher, und nun wirst du behaupten, dass die Lüge vom Zeitreisetransmitter wahr ist, und es Atlan war, dem ich auf der anderen Seite des Torbogens begegnet bin.«
»Zeitreise?«, echote Caysey. »Ich weiß nicht, was du meinst. Können wir in der Zeit reisen, so wie mit Booten?«
Die gefühlte Woge, die über mir zusammenschlug, war so heftig, dass ich in die Knie ging, als könnte ich das Gewicht des Wassers tatsächlich spüren. Caysey wusste es nicht. Perry Rhodan und Sichu Dorksteiger hatten es der Barbarin verheimlicht.
Doch nun war da Verstehen in Cayseys dunklen, klugen Augen! Die Barbarin begriff schnell, vielleicht schneller als ich.
»Oh«, sagte Caysey. »Dann kommen Perry und Sichu also aus der Zukunft!«
Draußen drückte der Wind gegen die energetische Barriere. Es war nicht zu hören, doch ich sah es anhand einer ganz leichten Verwirbelung auf der Oberfläche. Es war so still, dass ich meinte, selbst einen Tritt von Cayseys ungeborenem Kind gegen deren Bauchdecke hören zu müssen.
»Es ist die Wahrheit«, murmelte ich. »Es stimmt beides.«
Es sieht ganz danach aus , bestätigte der Extrasinn. Sowohl die Barbarin als auch Perry Rhodan sagen die Wahrheit. Wenn dir Atlans Leben tatsächlich wichtiger ist als dein eigenes, solltest du schnell reagieren und auf den Vorschlag der Barbarin eingehen.
Mein Misstrauen hielt mich zurück. »Warum hast du Tarts angelogen? Dir bedeutet Atlan wenig.«
»Das stimmt. Ich kenne Atlan nicht. Aber ich weiß, dass dieser Tarts unehrlich mit mir war. Er wollte mir nie wirklich helfen. Du dagegen wirst es vielleicht tun, wenn wir erst Freundinnen geworden sind.«
»Wir werden niemals Freundinnen werden.«
»Wie wäre es mit Verbündeten?«
»Wie wäre es, wenn ich dich erschieße?«
»Jetzt lügst du.«
Gib endlich auf! , zischte der Extrasinn. Und dieses Mal gab ich nach.
»Komm mit«, sagte ich zu Caysey. »Wir holen die anderen.«
*
Perry Rhodan staunte nicht schlecht, als nur wenige Minuten später Sichu, Caysey und Rowena in seine Zelle kamen. Ebenso überraschte es ihn, dass Caysey ihn in perfektem Satron begrüßte. Er ließ sich rasch erklären, wie es dazu gekommen war.
»Folgt mir!«, befahl Rowena. »Wir besorgen uns Schutzanzüge und Ausrüstung!«
Rhodan schloss zu ihr auf. »Du willst das Talagon holen, richtig?«
»Ja.«
»Du weißt, dass es in dieser Zeit bleiben muss. Es war Atlans ausdrücklicher Wunsch.«
»Du wiederholst dich. Ich habe verstanden, worum es geht. Aber bei den Maahks darf das Talagon auch nicht bleiben. Denn dann steht die Galaxis und damit unser beider Zukunft auf dem Spiel.«
»Hast du einen Plan?«
»Zuerst holen wir das Talagon. Ich werde so tun, als ob ihr mich als Geisel genommen habt und geflohen seid. Sobald die Maahks aufmerksam werden, setze ich einen Funkspruch an Atlan ab, der das nahelegt. Das könnte uns einen Vorteil verschaffen.«
»Falls Tarts dich nicht bereits durchschaut hat.«
Rowena funkelte ihn wütend an, auf eine Art, die Rhodan an eine längst vergessene Zeit erinnerte: an Thora und deren Stolz.
»Hast du eine bessere Idee? Die Maahks sollen denken, dass ihr mich entführt habt.«
»Das wird uns wenig helfen«, sagte Rhodan nüchtern. Er hatte nicht vor zu lügen, um Rowena zu beschwichtigen. Nur wer der Wahrheit und den Tatsachen ins Auge sah, war auf das vorbereitet, was kommen würde. »Sie sind Maahks. Ich glaube kaum, dass sie darauf Rücksicht nehmen werden.«
»Dann sollten wir schnell sein und einen Vorsprung gewinnen!«
Rhodan betrachtete die hochschwangere Caysey besorgt. Er hätte gern ein Versteck gehabt, in dem er sie hätte unterbringen können, bis sie das Talagon hatten, doch selbst wenn es das gegeben hätte – Caysey war die Einzige, die wusste, wo das Talagon war.
»Schaffst du das?«, fragte er Caysey besorgt.
Caysey nickte tapfer. »Ja! Wir müssen zur BEST HOPE!«
Rhodan und Sichu stützten Caysey. Im Notfall würden sie die junge Frau ins Schlepptau nehmen.
Sie zogen sich arkonidische Schutzanzüge an und rafften zusammen, was an Ausrüstung vorhanden und sinnvoll war.
Rowena wartete bereits am Ausgang des Tunnels und öffnete die Schleuse, die hinaus in die tödliche Atmosphäre führte. »Beeilt euch!«, rief sie nach hinten. »Oder wollt ihr an Langsamkeit sterben, noch ehe die Maahks den ersten Schuss auf uns abgeben?«
»Ich fange bereits an, sie zu lieben«, sagte Sichu sarkastisch. »Sie scheint Atlan in nichts nachzustehen, was das Antreiben angeht. Und als Bonus hat sie eine absolut positive Einstellung zum Verlauf dieser Mission. Konntest du keine sozial verträglichere Verbündete finden?«
»Die waren leider Mangelware. Ganz davon abgesehen – sie klingt ein wenig wie du, wenn du aus einer Liga-Sitzung kommst.«
»Das halte ich für ein Gerücht. Wenn es um die Liga Freier Galaktiker geht, bin ich stets die Ruhe und Ausgeglichenheit in Person.«
»Sie hat einen guten Kern«, beharrte Caysey. »Tun wir, was sie sagt.«
Rhodan nickte und packte Caysey fester. Sie liefen los, hinaus in die Methanhölle.