Kommentar

 

Rowena da Gonozal

 

Welch eine Story voller aufregender Enthüllungen! Wer sich das Vergnügen erhalten will, alles im Zusammenhang einer mitreißenden Handlung zu erfahren, der sollte auf jeden Fall Michelle Sterns Roman vor diesem Atlantis-Kommentar lesen. Aber das ist ohnehin selbstverständlich, oder?

In diesem Band erfahren Perry Rhodan – und die Leser! – die Lebensgeschichte der Arkonidin Rowena da Gonozal, die sich bisher als erbitterte Gegnerin unserer Helden gezeigt hat: In ersten Roman taucht sie unvermittelt bei der Eröffnung des Museums in Atlans ehemaliger Tiefseekuppel auf. Sie schießt Atlan nieder und verschwindet durch einen uralten Torbogentransmitter, von dem die Leser später erfahren, dass er seine Passagiere durch die Zeit befördert. Mit letzter Kraft fordert Atlan seinen Freund Perry Rhodan auf, ein geheimnisvolles Artefakt, das Talagon, auf die andere Seite des Tors zu bringen.

Im Folgenden wird Rowena zur gnadenlosen Verfolgerin unserer Helden, die wiederum versuchen, das Talagon dem Atlan der Vergangenheit zu überbringen. Rowena, die im Larsafsystem als Verbündete Atlans auftritt, scheint in Wahrheit seine Feindin zu sein, die ihr eigenes Spiel treibt. In Band 3 denkt sie über den Tato Kors da Masgadan: »Noch brauchte sie ihn als Marionette – dass sie den Kristallprinzen selbst hinterging, musste er nicht wissen.«

Am Ende von Band 4 steht Rowena überraschenderweise an der Seite Atlans. Anscheinend sind sie gemeinsam den »Dieben des Talagon« auf der Spur. Aber Perry Rhodan muss sich fragen: Wem gilt Rowenas Loyalität wirklich?

Im vorliegenden Roman erfahren die Leser endlich mehr: Das Talagon stellt eine Gefahr für die ganze Galaxis dar. Atlan will sich opfern, um es zu vernichten. Rowena stiehlt es, um einen anderen Weg zu finden, es auf der Welt zu schaffen. Rowena hintergeht den Kristallprinzen also tatsächlich – aber nicht, um ihm zu schaden, sondern um ihn zu beschützen.

Im Rückblick spielt sich Rowenas Werdegang parallel zur Geschichte Atlans ab: Dessen Vater, der arkonidische Imperator Gonozal VII., wird vom Bruder ermordet. Dieser besteigt als Orbanaschol III. den Kristallthron und errichtet eine grausame Diktatur. Die Ereignisse bis zum Tod Orbanaschols lassen sich in den ATLAN-Heftromanen zwischen 88 und 299 nachlesen, die erstmals in den Jahren 1973 bis 1977 erschienen sind. (Als E-Book erhältlich!)

Rowena ist eine Großcousine Atlans – sie haben gemeinsame Urgroßeltern. Da ihr Vater ein Anhänger des ermordeten Imperators war, lässt Orbanaschol ihre Eltern hinrichten. Genau wie Atlan überlebt Rowena im Exil. Dennoch entscheidet sie sich, Kralasenin zu werden, also Angehörige der knallharten Eingreiftruppe des Imperators. Schließlich stellt sie sich jedoch auf die Seite Atlans, nicht zuletzt, weil die Brutalität der Anhänger Orbanaschols sie abstößt.

Rowena geht also konsequent ihren eigenen Weg. Die Atlanterin Caysey, Begleiterin unserer Helden und eine natürliche Empathin, hat es schon in Band 1 erkannt: »Diese Rowena ist nicht böse, aber sie fühlt sich schuldig. Das macht sie zur Bedrohung.«

Eine andere Facette von Rowenas Persönlichkeit zeigen die Autoren und Autorinnen von Anfang an behutsam auf: Sie ist asexuell, das heißt, schlicht auf den Geschlechtsverkehr ausgerichtete Begegnungen sind ihr fremd, ein Kuss hat für sie keine sexuelle Komponente. Das bedeutet keineswegs, dass Rowena keine zärtlichen und bedeutsamen menschlichen Beziehungen formen kann, im Gegenteil: Letztlich handelt sie aus Liebe zu Atlan.

Ebenso versteht Rowena es, ihre weiblichen Reize einzusetzen, sofern es zu ihrem Vorteil ist. In Band 1 zeigt sie sich verwundert, dass sie den Tato mit einer kleinen Berührung auf ihre Seite ziehen kann: »Wie es wohl war, vom eigenen Körper so versklavt zu werden? Wie konnte man so was wollen?«

Die Autorin von Band 5 wird expliziter: »Sie verstand nicht, warum Andiye so unbedingt mit ihr schlafen wollte. Nach wie vor fühlte sie keine Anziehung, weder zu Männern noch zu Frauen. Warum sollte dieses Reiben und Drücken und sinnlose Bewegen, das zu ein paar Millitontas Spaß führte, derart wichtig sein? Und weshalb sollte sie deswegen ihre Freiheit riskieren?«

Am Ende entscheidet Rowena sich zu einer der merkwürdigen Koalitionen, von denen dieser Band unserer Miniserie erzählt: Sie verbündet sich mit Rhodan und seinem Team, um Atlan und die Galaxis zu retten. Auf jeden Fall ist sie eine faszinierende Frauenfigur, wie sie wohl auch der Arkonide Atlan selten erlebt hat.

 

Olaf Brill