7.

Galkorrax: Wildnis

 

»Es tut so weh«, sagte Caysey kläglich – ein Tonfall, das Rhodan in keiner Weise mit ihr in Zusammenhang brachte.

Caysey war trotz aller Herausforderungen immer optimistisch und tatkräftig geblieben. Andererseits hatte sie damit überspielt, dass ihr und ihrem nun bald nicht mehr ungeborenen Sohn der Tod drohte, sobald das Kind zur Welt kam. Wie heikel ihre Verfassung war, zeigte sich schon darin, dass sie nicht hellwach war, sondern in einen Dämmerzustand glitt.

»Ich hoffe, ihre Fruchtblase hält noch«, stellte Sichu leise fest. »Mit Schmerzmitteln müssen wir sehr vorsichtig sein. Ihr Kind ist ohnehin geschädigt, ich möchte nicht auch noch seine Nieren oder seine Leber beeinträchtigen.«

»Durch den Totgebärer-Fluch hat sie keinerlei Chance zu überleben, wenn sie nicht wenigstens in einer Medostation behandelt wird«, sagte Rhodan. »Kannst du die Wehen anders dämpfen?«

Caysey schrie wieder auf.

Sichu wandte sich ihr zu. »Ich wüsste zwar geburtsverzögernde Wirkstoffe, aber in den Anzugvorräten ist so etwas nicht vorhanden, und das simple Medosystem des Anzugs ist nicht in der Lage, gezielt Substanzen zu synthetisieren. Ich gebe ihr Magnesium, eine hohe Dosis, auch wenn das womöglich nicht gut für ihre Leber ist. Das Mineral vermindert die Kontraktionsfähigkeit der Gebärmutter, das zögert die Wehen hinaus, kann später jedoch zu Komplikationen bei der Entbindung führen.«

»Aber das sind doch die gleichen Komplikationen, die das Stresshormon hervorruft, das Cayseys ungeborenes Kind von sich gibt?«, fragte Rhodan.

»Richtig. Es verhindert, dass die Gebärmutter nach Ablösen der Plazenta kontrahiert. Blutgefäße können sich dadurch nicht schließen – sie wird bei der Geburt verbluten.«

»Und selbst wenn wir es in eine Medostation schaffen, hat Cayseys Sohn seine eigenen lebensbedrohenden medizinischen Probleme: ein Loch in der Herzwand und die krankhafte Überproduktion von Hirnflüssigkeit.«

»Ich fürchte, wir müssen von einem Augenblick zum nächsten handeln«, sagte Sichu. Sie drückte einige Tasten am Kontrollpad des Anzugs. »So, Magnesium, dazu ein Schmerzmittel und ein Beruhigungsmittel, niedrig dosiert.«

»Bist du sicher, dass das die richtigen Schritte sind?«

»Ich bin keine Gynäkologin, Perry. Ich tue mein Bestes, um sie zu stabilisieren, bis wir an Bord der BEST HOPE sind. Dort haben wir wenigstens eine atembare Atmosphäre und könnten sie aus dem Anzug holen.«

»In diesem Gleiter wäre es unmöglich, selbst wenn wir unsere Atemluftvorräte zusammenlegen würden, und die Maahks haben keine Sauerstoffvorräte an Bord.«

»Wozu sollten sie auch Giftgas mitführen?« Sichu lächelte ihn an. »Ein terranischer Shift hat ja normalerweise auch keine Druckflaschen mit Chlor dabei. Aber mach dir keine Gedanken. Caysey ist fürs Erste stabil.«

»Das ist gut, aber Gedanken mache ich mir trotzdem. Rowena hat einen gehörigen Teil ihrer Atemluft in die Knallgasexplosion investiert. Eventuell müssen wir ihr bald Sauerstoff spenden.«

»Ich komme zurecht«, sagte Rowena.

Rhodan blickte nach vorn. Auf dem Schirm der Außenbeobachtung, der anstelle eines Cockpitfensters die Bugwand des Cockpits überzog, zeigte sich eine Maahk-Metropole ab. Ein Hinweis in ziviler Kraahmak-Schrift wies die große Ortschaft als Loymnem aus. Die Kirrkos-Werften, wo die BEST HOPE stand, gehörten zu dieser Stadt, aber das bedeutete genauso wenig wie bei den Arkoniden dieser Epoche, dass der Raumhafen mitten in der Metropole lag. Die Werften erstreckten sich auf der anderen Seite Loymnems, ein gutes Stück von den Stadtgrenzen entfernt.

»Du kannst von Glück reden, dass die Kristallfragmente deinen Anzug nicht irreparabel beschädigt haben«, sagte er.

»Die Anzüge halten mehrere Atmosphären Überdruck aus. Ein paar Kristallscherben können uns nicht gefährlich werden.«

»Wo ich herkomme, nennen wir so etwas berühmte letzte Worte.«

»Dann ist unser Gespräch beendet.«

Rhodan hörte ein Knacksen, als sie den Lautsprecher ihres Helms abschaltete. Er musterte sie von der Seite, aber sie begegnete seinem Blick nicht, sondern sah starr nach vorn. Ihre Lippen bewegten sich, als würde sie reden. Was murmelte sie vor sich hin, das er nicht hören sollte?

Aus zusammengekniffenen Augen musterte Rhodan das Infrarotbild der maahkschen Bauwerke, denen sie sich näherten.

Was hatte Rowena vor?

Und würde Caysey lange genug durchhalten?

 

*

 

Rowena drehte unvermittelt ab und ging auf einen Kurs parallel zum Rand der Ansiedlung.

»Wir können die halbwracke LT-IV nicht direkt ansteuern«, sagte sie. »Die Maahks und das arkonidische Kontingent aus Besatzungsmitgliedern der TOSOMA in den Kirrkos-Werften würden sofort erraten, was unser Ziel ist.«

»Kehren Sie auf Ihren ursprünglichen Kurs zurück, steuern Sie die Außenbezirke an, landen Sie dort auf dem zugewiesenen Feld und steigen Sie mit erhobenen Händen aus dem Schweber.« Die Stimme, die jäh aus dem Funkgerät drang, gehörte niemand anderem als Atlan. »Widersetzen Sie sich, haben Sie sich die Folgen selbst zuzuschreiben.«

»Sie wissen, in welchem Schweber wir unterwegs sind.« Während Caysey reglos liegen blieb, kletterte Sichu an die Konsole neben Rowena. »Vielleicht ist es mir möglich, den Transponder abzuschalten. Dann haben sie es nicht ganz so leicht.«

Rhodan schob sich in dem engen Cockpit an Rowenas andere Seite. »Überlass mir die Kontrollen«, verlangte er. »Ich bin der bessere Pilot mit viel mehr Erfahrung.«

»Möglich. Aber ich bin die Pilotin mit dem besseren Flugplan.«

Sichu schlug frustriert auf die Konsole. »Ich bekomme den Transponder nicht abgestellt, nicht über die Steuerung. Ich müsste ihn von Hand vom Bordstrom nehmen. Aber dazu müsste man erst mal wissen, wo in diesem Ding der Positionssender sitzt.«

»Was soll das heißen, besserer Flugplan?«, fragte Rhodan.

Erneut legte Rowena den Schweber in eine Kurve. Durch den Schwerkraftausgleich bemerkte man in der Kabine nichts davon, aber das Bild in der Außendarstellung kippte, neue maahksche Bauten zogen in Sicht. Rowena brachte den Gleiter in die Waagerechte zurück und zog über ganze Stadtviertel hinweg. Schließlich hielt sie genau auf einen auffälligen Turm zu. Vom Boden bis zur Spitze umschlang ihn in mehreren Drehungen eine Rampe.

»Was hast du vor?«, fragte Rhodan. Er merkte selbst, dass er erbittert klang. Er hatte es satt, dass Rowena ständig Tatsachen schuf, ohne an Sicherheitsaspekte auch nur einen Gedanken zu verschwenden.

Die Kralasenin lenkte den Schweber an den Fuß des Turms und setzte ihn unweit einer langen Mauer auf. Vor der Mauer saßen zwei Maahks in langer Robe auf Felsklötzen und starrten unverwandt die Kristalle an, die sich darauf abgeschieden hatten. Durch nichts ließen sie sich anmerken, dass sie den Schweber überhaupt bemerkt hatten.

Andere Maahks beaufsichtigten am Turm Roboter, die im Schein von schwebenden Leuchtsphären einen Frachtgleiter entluden, oder stocherten mit langen stangenartigen Gebilden in den Kristallen auf der Mauer, wobei sie aber gebührenden Abstand zu den reglosen Robenträgern hielten.

»Glaub mir, ich weiß, was ich tue«, sagte sie zu Rhodan und stellte das Triebwerk ab. Sie stand vom Pilotensitz auf, trat zu Caysey und nahm ihr den Strahler ab, der zur Ausstattung ihres Druckanzugs gehörte. Sie steckte ihn in ihr Gürtelholster und betrachtete die Bewusstlose kurz, dann ging sie zur Schleuse. Die Folgen des Paralysestreifschusses schien sie überwunden zu haben.

Rhodan folgte ihr zum Schott. »Willst du es auskämpfen?«

Rowena antwortete nicht. Sie öffnete die Tür, machte einen Schritt hinaus und hob die Hände. Rhodan blieb im Schott stehen.

Die Maahks fassten ihre Werkzeuge fester, als sie näher kam, und bildeten eine geschlossene Reihe. Hinter ihnen sprach ihr Vorarbeiter in ein Handfunkgerät. Die beiden Maahks in den Gewändern blieben stoisch. Im diffusen Licht erschienen die Roben purpurn. Mit den Doppelpupillen ihrer Augen auf den Sichelkämmen hatten beide den Gleiter im Sichtfeld, aber Rhodan hielt es für möglich, dass sie ihn gar nicht wahrnahmen.

Rowena sprach die Arbeiter auf Kraahmak an. Rhodan konnte kaum glauben, was als Nächstes geschah. »Kümmern Sie sich nicht um uns. Wir werden gleich abgeholt.«

»Hat sie den Verstand verloren?«, fragte Sichu, die neben ihn getreten war.

»Sie stand nie auf unserer Seite«, sagte Rhodan. »Die ganze Flucht war nur ein Trick, um unser Vertrauen zu gewinnen.«

»Was hast du davon, uns wieder in die Gefangenschaft der Maahks zu geben?«, fragte Sichu. »Ohne dass Besatzungsmitglieder der TOSOMA in der Nähe sind?«

Rowena wandte sich ihnen zu und richtete Cayseys Strahler auf sie. »Steigt aus und ergebt euch«, sagte sie.

»Was für ein Doppelspiel treibst du?«, herrschte Rhodan sie an.

Am Fuß des Turms öffnete sich eine Tür. Mit Strahlern und Ausrüstungskästen in den Trichterhänden kamen Maahks heraus. Gleichmütig nahmen die Arbeiter ihre Beschäftigung wieder auf: Um die störenden Fremden wurde sich gekümmert.

»Ich habe uns über Funk bei Ninthal angekündigt«, rief Rowena den Maahks zu. »Ihre speziellen Fähigkeiten werden gebraucht. Und ich habe die Talagon-Diebe bei mir!« Sie wandte sich Rhodan und Sichu zu. »Wenn ihr diesen Prago überleben wollt, tut ihr, was ich sage. Euer Raumschiff läuft uns nicht davon.«

Auf Kraahmak sprach Rowena die näher kommenden Maahks an. »Das Exemplar liegt im Schweber. Bringt die Frau zu Ninthal, aber seid vorsichtig.«

Rhodan wurde klar: Unterwegs hatte sie nicht bei abgestelltem Helmlautsprecher vor sich hingemurmelt, sondern die Maahks angefunkt, um ihre Ankunft anzukündigen.

Zwei Maahks verschwanden in dem gelandeten Gleiter. Die übrigen bedrohten Rhodan und Sichu mit ihren Strahlern.

Der Terraner sah, dass ihre Waffen auf Paralyse gestellt waren, und er hätte das Risiko eingehen können, die eigene Waffe zu ziehen. Andererseits kannte er die Reaktionsschnelligkeit der Wasserstoffatmer nur zu gut und hätte sich lediglich die unangenehmen Nachwirkungen eines Paralysestrahls eingehandelt, ohne das Geringste zu erreichen. Seine Verhandlungsposition wäre durch sinnlose Aggressivität sogar geschwächt worden; die Maahks hätten ihn weniger ernst genommen.

Rhodan ließ die Hand von der Waffe. Vermutlich hatte Sichu ähnliche Überlegungen angestellt, denn sie beherrschte sich ebenfalls.

Die beiden Maahks kamen wieder aus dem Gleiter. Einer steuerte eine Antigravtrage mit Caysey. Der andere ging daneben her und überwachte die Atlanterin. Die Gruppe durchschritt das Tor in der Mauer, überquerte den Hof und verschwand in dem Turm mit der Spiralrampe.

»Entwaffnen!«, sagte einer der Maahks, die Rhodan und Sichu in Schach hielten.

Von mehreren Waffen bedroht, blieb ihnen nichts anderes übrig, als sich die Waffen abnehmen zu lassen. Die Maahks führten sie ab.