11.

Larsaf III: OMOTA

 

Quartam aktivierte den Deflektorschirm seines Fluganzugs. Zwar war er nun unsichtbar und mit normalen Mitteln nicht zu orten, doch angesichts der technischen Überlegenheit, den der unbekannte Gegner bislang an den Tag gelegt hatte, musste er damit rechnen, dass die Eindringlinge ihn dennoch aufspüren konnten. Gleichzeitig war es seine Arkonidenpflicht, so viel wie möglich über ihre Pläne in Erfahrung zu bringen.

In der Öffnung des Antigravschachts, die nur wenige Meter von ihm entfernt lag, sah er einen Schatten. Sie kamen herunter, lautlos, weil sie nicht die Notleiter benutzten, sondern ihre Flugaggregate. Wollte er weiter zur Luftschleuse, musste er an ihnen vorbei. Das Risiko war zu groß.

Quartam machte kehrt und betrat wieder die Kommandozentrale. Er hastete auf das andere Schott zu, doch in diesem Moment bewegte es sich. Grauzwerge kamen aus zwei Richtungen!

Er sah sich um. Er brauchte ein Versteck. Die einzige Möglichkeit war der noch offen stehende Ausrüstungsspind. Quartam huschte hinein und zog die dünne Metallplastiktür hinter sich zu.

Gewiss hätte er versuchen können, sich aus der OMOTA zu schleichen und in sicherem Abstand das Flugaggregat zu starten. Aber nun bot sich ihm die einmalige Gelegenheit, Beweise für eine feindliche Aktion gegen das Imperium zu sammeln.

Die Situation war recht ironisch. Nachdem er sich endlich ein Mittel zur Flucht und ein Funkgerät verschafft hatte, konnte er beides nicht benutzen. Kombistrahler reihten sich in den Ständern. Sie enthielten mehr Energie, als er aus den ausgeschlachteten Wartungsrobotern gewonnen hatte, aber von ihnen ließ er besser die Finger. Er war allein und ohne nennenswerte militärische Schulung; er hätte keine Chance gegen einen Trupp ausgebildeter Kämpfer. Und starb er oder geriet erneut in Gefangenschaft, konnte er Arkonis nicht über die Situation unterrichten.

Trotzdem konnten ihm die Kombistrahler nützlich sein. Er verband den Energiespeicher seines Fluganzugs mit einer zweiten Waffe. Er wollte möglichst lange darauf verzichten, den Fusionsreaktor des Anzugs zu aktivieren, der zwar emissionsarm, aber nicht emissionsfrei arbeitete.

Das Schott zischte, und Schritte erklangen in der Kommandozentrale. Auf der anderen Seite der dünnen Tür redeten die Grauzwerge in einer Sprache miteinander, die Quartam unbekannt war. Was hätte er jetzt für einen Translator gegeben ... Er hielt inne. Als Erstes schaltete er den Audiorekorder seines Fluganzugs ein. Kein Wort sollte verloren gehen.

Der Translator seines Fluganzugs brauchte nur die Sprache zu erlernen ... und das gelang ihm besser, wenn er mit einer größeren Positronik kommunizieren konnte. Zur Bordpositronik nahm Quartam besser keinen Kontakt auf; er musste damit rechnen, dass die Grauzwerge sie bereits kontrollierten. Aber wenn er eine Funkverbindung zu der Notpositronik einrichtete, die noch auf Batteriestrom lief ...

 

*

 

Die Entschlüsselung der Sprache, in der sich die Grauzwerge unterhielten, dauerte an. Sie schien recht komplex zu sein, und die Rechenleistung der Notpositronik gelangte an ihre Grenzen. Hoffentlich reichte der Batteriestrom, bis sie fertig war. Die Aufzeichnung ihres Gesprächs lief ebenfalls weiter.

Als endlich die ersten verständlichen Satzfragmente in Quartams Ohren drangen, war es zum Verzweifeln: »Wir erreichen sie nicht von hier. Gehen wir zum ...«, gefolgt von einem unverständlichen Wort.

Er hörte leise Schritte in der Kommandozentrale und das Zischen, mit dem sich ein Schott öffnete. Bevor es sich wieder schloss, schob Quartam die Tür des Depots ein Stück zur Seite und spähte hinaus. Er sah noch, welches Schott sich wieder schloss. Die Kommandozentrale war, wie er gehofft hatte, bis auf die Leichen leer.

Er verließ den Spind und überlegte fieberhaft. Wenn er den Grauzwergen folgen wollte, musste er das Zentraleschott ebenfalls öffnen. Hatte er Pech, standen sie gleich dahinter und hörten es. Wegen seines Deflektors würden sie ihn vermutlich nicht sehen, aber auch in einem Geisterschiff wie der OMOTA öffnete sich kein Schott ohne Grund. Er hätte sich verraten, die Grauzwerge wüssten, dass an Bord noch jemand lebte, und er rechnete damit, dass sie Geräte besaßen, mit denen sie einen Deflektor anmessen konnten.

Er musste ihnen anders folgen.

Seine Überlegungen hatten keine Zehntel Millitonta gedauert. Quartam eilte zu dem Schott, durch das die Grauzwerge die Zentrale verlassen hatten, aktivierte den Antigrav, bis er vor der Verkleidung des Lüftungsschachtes schwebte, öffnete den Molekularverschluss, schwang sich hinein und schloss den Zugang hinter sich wieder. Er desaktivierte den Antigrav und musste sich winden, damit sein Kopf in Kriechrichtung zeigte. Dabei freute er sich nicht zum ersten Mal, nicht so hoch aufgeschossen zu sein wie andere Arkoniden; in beengten Räumen war das sehr von Vorteil.

Quartam kroch vorwärts, bis er erneut die Stimmen hörte. Wenn er sich nicht irrte, befanden sie sich vor dem Antigravschacht. Sie stiegen hinein.

Nach oben oder nach unten?

Sie waren von oben gekommen, hatten irgendetwas in der Kommandozentrale nachgesehen, also stand zu erwarten, dass sie ihre Inspektion, oder was immer sie taten, in den tieferen Decks fortsetzten.

Quartam suchte sich den nächsten Lüftungsschacht, der abwärts führte, und schwebte mit dem Flugaggregat darin hinunter. Er gelangte auf das Deck mit der Bordpositronik, machte halt und schaltete sein Aggregat wieder ab. Die Grauzwerge schienen den Antigravlift zu verlassen; möglich, dass sie in den Terminalraum wollten. Quartam schlug den Weg dahin ein und kauerte sich an die Öffnung, deren Verkleidung durch den Aufprall heruntergerissen worden war.

Zwei Grauzwerge traten ein. Im Moment schwiegen sie, und Quartam musterte sie ruhig. Die Wesen waren etwas über einen Meter hoch, und das Grau ihrer Haut wies einen deutlichen Gelbstich auf. Die großen, fast kindlich anmutenden runden Augen hatten einen starren Blick, der zu den flachen, ausdruckslosen Gesichtern passte. Viel Körpersprache zeigten sie nicht, und ihre Bewegungen wirkten hölzern.

»Mach dich an die Arbeit«, sagte der eine. »Du weißt, was du zu tun hast.«

Quartam hätte seine Hand dafür nicht ins Feuer gelegt, aber er war sich sicher, dass es sich bei dem Zwerg um Logan Darc handelte.

Was sollte er tun? Er ahnte, was die Zwerge vorhatten: alle Spuren ihrer Umtriebe aus den Positronikspeichern zu löschen. Zu diesem Zweck waren sie in der Kommandozentrale gewesen, und jetzt kam die Bordpositronik an die Reihe.

Wenn er seinen Anzugcomputer mit der Bordpositronik koppelte, konnte er die Daten speichern, aber die Grauzwerge würden die Verbindung bemerken und wüssten, dass er an Bord war.

Er brauchte eine Ablenkung.

Quartam funkte RCO-54236/G an. Der Wartungsroboter stand noch immer in Bereitschaft. Er gab Infiltrationsalarm und befahl der Maschine, Kampfroboter zu aktivieren, die die Grauzwerge angreifen sollten.

RCO-54236/G befolgte die Anweisung unverzüglich.

Vom Korridor näherten sich schwere Schritte. Die Grauzwerge hielten in ihrem Tun inne und fuhren herum. Quartam verband den Anzugcomputer mit der Bordpositronik und wies sie an, die Logbuchdaten zu übertragen.

Das Schott fuhr beiseite, und die erste Kampfmaschine stapfte herein. Um sie flirrte die Luft, ein Zeichen für den Schutzschirm, in den sie sich gehüllt hatte. Beim Anblick der beiden Grauzwerge winkelte sie die Waffenarme an. In den Abstrahlmündungen leuchtete es rot auf, und Quartam befahl seiner Anzugpositronik, den Individualschirm aufzubauen, sollte die Temperatur gefährliche Werte erreichen.

Der Kampfroboter glitt zur Seite, um seinem nachrückenden Kameraden Platz zu machen. Zu beiden Grauzwergen zuckte ein gleißender Thermostrahl, erreichte sie jedoch nicht: Unvermittelt umgab beide ein stahlblau leuchtendes Schirmfeld, das die Energie der Strahlwaffen in sich aufnahm. Die Grauzwerge richteten jeweils einen schlanken Stab auf die feuernde und die nachfolgende Mordmaschine, und beide verschwanden in einem sinnverwirrenden Wabern aus schwarzen gezackten Blitzen. Sie erinnerten Quartam an hyperenergetische Aufrisslinien, wie er sie bei einigen seiner Experimente beobachtet hatte.

Er duckte sich unwillkürlich in seiner Schachtöffnung zusammen, als die Grauzwerge auch RCO-54236/G vernichteten. Danach wandten sie sich wieder dem Positronikterminal zu.

In den wenigen Sekunden, die der Schusswechsel gedauert hatte, waren die Logbuchdaten überspielt worden, und Quartam trennte die Verbindung.

Der Grauzwerg nahm Schaltungen an dem Terminal vor, während Logan Darc zuschaute. Nachdem der ihm untergebene Fremde seine Arbeit beendet hatte, erloschen die Anzeigen der Positronik, und er wandte sich ab, ging zum Schott und verließ den Raum.

Darc blieb allein zurück. Er drehte sich in Quartams Richtung und sah zu dem Lüftungsschacht hoch.

»Ich weiß, dass Sie da sind, Wissenschaftler«, sagte er tonlos. »Sie haben gehört, was Sie hören mussten. Sie haben gesehen, was Sie sehen sollten. Was gedenken Sie, nun zu tun?«