Loymnem: Xenomedizinsche Klinik
Nachdem die Entscheidung gefallen war, hatte im Empfangsbereich von Ninthals Klinik oder Forschungsanstalt Schweigen geherrscht. Endlich räusperte sich Sichu.
»Ich bin überrascht von deinem Entschluss«, sagte sie.
Zwischen Rowenas Brauen entstand eine feine Linie. »Du bist doch ein logisch denkendes Wesen. Ich sehe nicht, was an meiner Entscheidung fehlerhaft sein könnte.«
»Außer der Tatsache, dass du wieder einmal vorgeprescht bist und sie ohne Absprache mit uns verkündet hast«, warf Rhodan ein.
Trotz seiner tadelnden Worte stimmte er Rowenas Entscheidung zu. Er hätte sie nur nicht leichten Herzens getroffen.
Leben gegeneinander abzuwägen hatte schon so oft zu seiner Existenz gehört, vor allem als er Großadministrator des Solaren Imperiums gewesen war. Hin und wieder holte ihn das Alte wieder ein.
Verübelte er Rowena, dass sie ihm die Gelegenheit entrissen hatte, die Verantwortung dafür auf sich zu nehmen?
»An der Logik gibt es nichts auszusetzen«, sagte Sichu.
»Die Logik macht mir auch nicht zu schaffen«, gab Rowena zu. »Ich halte sehr viel von Caysey, und wie gesagt hat sie sich mehrmals auf meine Seite gestellt. Mir täte es sehr leid um das Kind – aber wir brauchen Caysey und ihr Wissen um das Versteck des Talagons.«
Die Luftschleusenschotten fuhren auf, und Ninthal trat heraus. »Die Logik Ihrer Überlegungen ist makellos«, sagte sie.
Rhodan zog eine Braue hoch. Er hatte damit gerechnet, dass sie abgehört wurden. Nun war seine Vermutung von Ninthal bestätigt worden.
»Trotzdem erweisen sie sich als gegenstandslos«, fuhr die Maahk fort. »Sowohl die Mutter als auch das Kind leben – vorerst. Wenngleich die nachteilige Stresshormonauschüttung durch eine von mir entwickelte Substanz unterdrückt werden kann, ist eine Heilung im Sinne des Wortes nicht möglich. Bei jeder Entbindung der Probandin werden folglich die gleichen Komplikationen auftreten. Ich empfehle eine angemessenere medizinische Betreuung, die Verwendung eines Kontrazeptivums oder Enthaltsamkeit. Die genetische Disposition zu beseitigen ist mir bei unserem aktuellen Kenntnisstand nicht möglich gewesen. Die Probandin Caysey ist stark geschwächt. Um ihr Leben zu bewahren, habe ich entschieden, sie in ein künstliches Koma zu versetzen. Wenn Sie vorher noch mit ihr reden möchten, wäre nun der geeignete Zeitpunkt.«
Rhodan erhob sich. Rowena und Sichu standen ebenfalls von ihren Plätzen auf. Diesmal hinderten die wachehaltenden Maahks sie nicht daran, mit Ninthal in die Luftschleuse zu treten. Die Medikerin schloss ihren Helm, und die Pumpen begannen zu arbeiten.
*
Rhodan genoss es, nach so vielen Stunden den Helm zu öffnen und frei zu atmen. In der Luft im Behandlungsraum war nicht die geringste Spur Ammoniak zu registrieren, ein Zeichen dafür, von welcher Qualität die maahksche Technik war, die hier verwendet wurde. Daraus ließ sich die Bedeutung ableiten, die das xenomedizinische Projekt für die Wasserstoffatmer besaß.
Als er Caysey sah, verflog sein Behagen augenblicklich.
Er hatte keine glückliche junge Mutter vor sich, die sich auf die Entbindung und auf ihr Kind freute. Sie lag, von maahkschen Geräten unbekannter Funktion umgeben, auf einer Liege. Ein schimmerndes, undurchsichtiges Feld, von dem Rhodan annahm, dass es eine Decke ersetzte und sie wärmte, hüllte sie ein und ließ nur den Kopf frei. Cayseys Augen waren trüb und stierten ins Leere, ihr Gesicht war grau und eingefallen. Schweiß perlte auf ihrer Stirn. Sie drehte den Kopf langsam hin und her.
»Caysey.« Als Rhodan sie ansprach, hielt sie inne, und ihr Blick schärfte sich.
»Nadohr.« Selbst in ihrem Zustand war sie so geistesgegenwärtig, den Tarnnamen zu verwenden. Sie hatte gelernt, was das Wort abhören bedeutete.
»Wie geht es dir?«
»Bescheiden. Mir ist, als wollte das Leben aus mir entschwinden, und nur diese seltsamen Maschinen hielten es fest.« Sie wies mit einer schlaffen Kopfbewegung auf die weich konturierten Apparaturen, die sie umgaben, ineinander verwundene organische Formen, bei denen man sich nicht sicher sein konnte, was biologisch war, was mechanisch und was bionisch.
»Seit ich weiß, wer ihr seid und woher ihr kommt, weiß ich, dass es dem Weltenschoß gut gehen wird. Erzählt mir doch, wie er sich entwickelt.«
Rhodan biss die Zähne zusammen. Selbst wenn sie nicht belauscht worden wären, wie hätte er ihr erzählen sollen, dass Atlantis in der Zukunft nicht mehr existierte – und dass dem Kontinent keine fünf Jahre bis zu seinem Untergang blieben?
Auf sein anhaltendes Schweigen lächelte sie, dann verdrehte sie die Augen. Eine Maschine neben ihr gab ein warnendes Summen von sich.
Ninthal trat neben ihn. Aus den Lautsprechern ihres Druckanzugs drang ihre Stimme. »Es ist so weit. Wir müssen die Kryostase einleiten.«
Sie betätigte einige Tasten an einem anderen Gerät. Das undurchsichtige Feld legte sich auch über Cayseys Kopf und entzog ihn Rhodans Blick. Lamellen schoben sich aus den Seiten der Liege und umschlossen die Atlanterin wie ein Kokon.
»Die Körperfunktionen der Probandin werden nun stark verlangsamt. Wir können nun nur noch abwarten, wie sich ihr Zustand entwickelt«, sagte die Xenomedikerin. »Wie man es in Ihrer Sprache ausdrückt: Hoffen wir das Beste.«
*
»Damit stehen wir wieder vor dem Nichts.« Rhodan rieb sich über die Narbe an seinem Nasenflügel, eine Angewohnheit, die er seit Jahrtausenden nicht loswurde. »Wo das Talagon ist, weiß allein Caysey.«
»Es ist an Bord der LT-IV«, wandte Rowena ein. »Wir müssen sie nur gründlich durchsuchen.«
»Eine sechzig Meter durchmessende Kugelzelle mit zehn Decks«, entgegnete Sichu. »Machst du dir überhaupt eine Vorstellung, wie viele Verstecke es in solch einem Schiff gibt?«
»Wir müssen nur Verstecke untersuchen, die Caysey erreichen konnte«, erwiderte Rowena. »Das grenzt die Auswahl ein.«
»Die Frage ist vor allem: Können wir uns in der BEST HOPE frei bewegen?«, sagte Rhodan. »Wenn Atlan sie mit seinen Leuten schon erreicht hat, wird das schwierig. Wir haben keine Zeit zu verlieren.«
»Wir können Sie an Bord Ihres Schiffswracks schmuggeln«, sagte Ninthal. »Ich weiß über das Talagon und Geektors Plan Bescheid und bin grundsätzlich damit einverstanden. Leben sollte erhalten und nicht unterschiedslos vernichtet werden. Wenn Sie das Artefakt an sich bringen können, entfernen Sie es von diesem Planeten und vernichten es. Diese Zusage genügt mir, und ich helfe Ihnen.«