4.

 

Quartam fluchte, während ihm der Flugwind um die Ohren pfiff. Das gestohlene Funkgerät weigerte sich hartnäckig, die Frequenz zu wechseln. Militärausgabe, vorprogrammiert darauf, dem Einsatzkommandeur zu berichten. Eigenverantwortliche Kommunikation war auf diesem Level der Befehlskette nicht vorgesehen. Das entsprach zwar Quartams Erwartungen ans arkonidische Militär. Aber es wurmte ihn, dass er das Funkgerät einfacher unter seine nicht legitimierte Fernsteuerung hatte zwingen können, als danach die Frequenzsperre aufzuheben.

Er flog durch die Straßen von Arkonis, dicht an den Hauswänden entlang und so tief, dass die kämpfenden Gleiter über den Dächern keine Notiz von ihm nehmen konnten. Sein Ziel war der Palast des Tato. Der war durch seinen eigenen Energieschirm vor der Luftschlacht geschützt. Diesen würde Quartam nicht so einfach passieren können wie den um die gesamte Stadt. Wollte er zum Gouverneur der Kolonie vordringen, brauchte er eine offizielle Genehmigung.

Also musste er den Tato anfunken. Sobald er die verdammte Programmsperre endlich geknackt hatte ... Wie sich zeigte, war es jedoch nicht ganz einfach, im Flug eine Sicherheitsschaltung niederzuprogrammieren, ohne ungebremst in der nächsten Panoramascheibe zu landen.

Der aktuelle Versuch sah aber vielversprechend aus. Das Display seines Armbands zeigte für das Funkgerät nur noch Werkseinstellung an. Er baute eine Verbindung auf.

»Orbton Tulvar!«, bellte die Stimme von diesem Sek'athor ter Frun. »Ich versuche ...«

Sofort beendete Quartam das Gespräch. Er hatte wohl nur das Display zurückgesetzt. Die Sperre war noch drin. Zu allem Überfluss war nun dieser ter Frun gewarnt, dass etwas nicht stimmte. Damit wuchs der Zeitdruck.

Quartam traute sich etwas höher. Die Kämpfe hatten sich vom Palast des Tatos fortverlagert, sodass er den Anflug in Luftlinie wagen konnte. Überhaupt wurde kaum noch geschossen. Dieser Luftkampf wurde vonseiten der Maahks erstaunlich lustlos und von den Arkoniden völlig inkompetent geführt. Aber ihm sollte es recht sein, solange er dadurch keine Pirouetten zwischen Impulsstrahlen hindurch fliegen musste.

Sein Funkgerät aktivierte sich selbstständig, und erneut erklang die Stimme von ter Frun. »Ich weiß, was Sie getan haben, da Quertamagin! Sie werden den Tato ganz bestimmt nicht belästigen! Das werde ich verhindern!«

»Ach ja?«, höhnte Quartam. »Haben Sie nichts Besseres zu tun? Mit der laufenden Invasion, meine ich? Haben Sie dermaßen Angst um Ihren Ruf?«

»Ich ...« Ter Frun zögerte, nur einen winzigen Moment, aber es bewies Quartam, dass er auf der richtigen Fährte war.

»Sie haben Angst, dass meine kleine Extratour auf Sie zurückfällt, nicht wahr? Sie haben mein Anliegen beim Tato vorgetragen, und gleich werde ich ihn selbst anfunken – mit Ausrüstung aus Ihrer Truppe. Es gibt übrigens nichts, was Sie dagegen tun können, also versuchen Sie es gar nicht erst. Ich sage Ihnen nur eines, wenn Sie Angst um Rang und Ruf haben: Richtig erledigt sind Sie, wenn Sie mich daran hindern, mit dem Tato zu sprechen! Ich habe kriegswichtige Informationen, deren Übermittlung Sie behindern!«

Mit diesem eloquenten Appell an ter Fruns Feigheit brach er die Verbindung ab und machte einen neuen Versuch, das Sperrprogramm im Funkgerät aufzuspüren und auszuschalten.

Als er wieder von seinem Armband hochsah, flog ihm ein Trupp von 20 Soldaten in blütenweißen Kampfanzügen entgegen. Das war nicht gut. Offensichtlich reagierte ter Frun schlecht auf unangenehme Wahrheiten. Und Quartam hatte es zu spät bemerkt, sonst hätte er vielleicht noch ausweichen können. Nun war er schon halb eingekesselt, ohne Fluchtweg.

Ihm blieb nur eine Hoffnung ... Er versuchte es erneut.

»Funkleitstelle Gouverneurspalast«, hörte er.

Die Erleichterung brach sich Bahn. Quartam lachte gellend auf, während sich der Kreis um ihn schloss und sich 20 Waffenmündungen auf ihn richteten.

»Quartam da Quertamagin hier! Ich muss sofort den Tato sprechen! Es geht um Sieg oder Niederlage!«

Das war genau so wenig wahr wie die ersten beiden Male, als er es behauptet hatte. Doch anders als ter Frun glaubte ihm der Funker des Gouverneurspalastes. Eine Zentitonta später wurde seine Audienz bestätigt.

Die Waffen um ihn herum senkten sich. Gegner wurden plötzlich Leibwächter.

Beharrlichkeit und Kreativität zahlten sich eben aus.

 

*

 

Normalerweise empfing Kors da Masgadan seine Bittsteller in einem Thronsaal, der dem Imperatorenpalast auf Arkon I nachempfunden war – nur deutlich kleiner natürlich. An diesem Tag jedoch wurde Quartam von ter Frun und seinen Soldaten in einen ihm unbekannten Raum geführt. Eine Kommandozentrale, wie sich zeigte, von der aus der Tato die Abwehr der Maahkinvasion koordinierte.

Oder besser: zu koordinieren versuchte, denn die aufgelöste Stimmung und das Wirrwarr gleichzeitiger Meldungen machten deutlich, dass es mit einer geordneten Reaktion nicht besonders weit her war.

Quartam interessierte sich nicht für das Militärgebrabbel. Dafür gingen ihm fast die Augen über, als er die Ortungsanlagen sah und insbesondere deren Anzeigen. Da wurde in Frequenzbändern gemessen, die für seine eigenen Forschungen hochrelevant waren – nur hatte er sich die entsprechenden Geräte selbst zusammenschustern müssen, weil sie angeblich nicht lieferbar waren. Nun hatte er den Beweis: Man hatte ihn belogen und mit minderwertiger Ausrüstung abgespeist!

Ihm lag eine entsprechend scharfe Bemerkung auf der Zunge, aber unter dem feindseligen Blick des Tato verstummte er. »Sie haben eine Zentitonta«, sagte da Masgadan. »Wie besiegen wir die Maahks?«

Wenn das so war ... »Die Maahks sind völlig irrelevant«, ließ er direkt die Bombe platzen. »Es gibt eine viel größere Gefahr: das Talagon.«

»Weiß ich«, sagte da Masgadan. »Kümmert sich schon jemand drum. Aber woher wissen Sie davon? Das ist geheim!«

Quartam verschlug es die Sprache.

Sek'athor Darelt ter Frun, der Offizier, den er auf dem Weg zum Tato mehrfach gefoppt hatte, lächelte grimmig. Quartam ahnte, dass er mit ihm ein größeres Problem bekommen würde, wenn ihm nicht ganz schnell etwas einfiel, um die Situation zu retten.

Kors da Masgadan sah ihn an und wartete.

Quartam öffnete den Mund und hoffte, dass geniale Worte hinausfinden würden, doch er wurde enttäuscht. Nur die zunehmend hektischen Meldungen im Kommandoraum waren zu hören: »Immer noch kein einziger Abschuss!«

»Blockadeflotte der Maahks hält Position jenseits des vierten Planeten.«

Da draußen war eine ganze Flotte? Warum hatte ihn niemand informiert? Und er stand da und behauptete, die Maahks seien irrelevant ...

»Start der Fluchtschiffe immer noch unmöglich! Antigrav weiter unbenutzbar!«

»Unterstützung von Larsa bleibt aus! Die können ebenfalls nicht starten!«

Immer noch strömte Stille aus Quartams Mund.

»Wir können sie nicht abhören! Wir haben jetzt zwar die richtige Frequenz, aber ihr Code ist völlig neu für uns!«

Ter Frun hob seine Waffe Richtung Quartam und sah den Tato an. »Sollen wir ...?«

»Das sind keine Maahks!«, rief Quartam.

»Was?«, fragte da Masgadan. »Was reden Sie da? Sind Sie denn völlig verrückt?«

Es konnte nicht anders sein. Es gab nur diese eine Erklärung. Die Grauzwerge unter Logan Darc waren im System aufgetaucht und hatten die OMOTA zum Absturz gebracht. Fast gleichzeitig waren diese Maahks gekommen, die sich aber nicht wie Maahks benahmen und auf anderen Frequenzen in einem völlig unbekannten Code kommunizierten. Das musste miteinander zusammenhängen.

»Es sind graue Zwerge ins System gekommen und haben mir eine Botschaft für Sie mitgegeben, Tato«, rief er. »Sie sind die eigentlichen Invasoren.«

»Graue Zwerge«, wiederholte da Masgadan. Er blinzelte ein paar Mal und nickte ter Frun zu. »Bringen Sie ihn weg, Sek'athor.«

»Die Frequenz!«, rief Quartam. »Ich habe die Grauzwerge abgehört. Die unübliche Frequenz, auf der diese Maahks funken, ist das ...« Er schnappte seinen Datenspeicher und las die Ziffernfolge ab.

Es wurde still im Raum. Erst nach einigen Millitonta räusperte sich ein Funker. »Das stimmt, Tato. Genau auf diesem Kanal kommunizieren die Maahks miteinander.«

Kors da Masgadan seufzte und rieb sich mit beiden Händen übers Gesicht. »Also meinetwegen. Kommen Sie mit, da Quertamagin. Ich höre mir an, was Sie zu sagen haben.«

 

*

 

»Also noch einmal. Graue Zwerge?«

»Ich weiß, wie das klingt.« Zumindest wusste Quartam es jetzt, nachdem er die Reaktion auf die erste Erwähnung erlebt hatte. »Aber ganz ehrlich: eine Invasionsflotte von Maahks, die völlig anders kommuniziert, als wir es vom Feind sonst kennen? Die mit unbekannter Technik dafür sorgt, dass unsere Schiffe auf gleich zwei Planeten am Boden festgenagelt bleiben? Die ergo gleich zwei arkonidische Kolonien binnen Minuten völlig vernichten könnte, aber lediglich ein paar harmlose Angriffe mit einer Handvoll Kampfjäger fliegt? Klingt das viel glaubwürdiger?«

»Ich weiß«, stöhnte der Tato, »ich weiß. Deshalb reden wir ja miteinander. Sie haben gesagt, Sie haben eine Botschaft für mich?«

»Eine Warnung genau genommen, von Logan Darc, dem Anführer der Grauzwerge. ›Niemand soll blind in die Finsternis gehen. Bereiten Sie Ihr Volk darauf vor, dass die Erhabenheit sich ihr Eigentum zurücknimmt. Bereiten Sie es darauf vor, dass sie das Talagon öffnet.‹ Das waren seine Worte.«

»Die Erhabenheit?«

»Ein Wesen namens Tolcai. Offenbar gehört ihm das Talagon, und es wurde gestohlen. Aus Rache will es die Waffe selbst einsetzen. Es darf das Talagon also auf keinen Fall in die Hände bekommen.«

»Wie gesagt, darum kümmert sich schon jemand. Das muss uns nicht mehr beschäftigen.«

»Mit Verlaub, Tato: Ich weiß, dass diese Rowena das Talagon transportiert. Sie ist zweifellos eine fähige Kämpferin, aber sie weiß weder um den Zweck des Artefakts noch um die Gefahr, die von Tolcai ausgeht. Es ist zwingend notwendig, dass wir sie warnen!«

»Und wie? Sämtliche Hypertechnik ist ausgefallen, seit die Maahks das System eingekesselt haben. Unsere Schiffe können nicht starten, und wir können nur lichtschnell funken. Es würde Jahre dauern, bis die Nachricht sie erreicht.«

Das war schlecht, gestand sich Quartam ein. Doch er war nicht bereit, so schnell aufzugeben. »Und wenn wir ...«

»Sie bringt das Talagon zum Kristallprinzen!«, blaffte der Tato ihn an. »Es kümmert sich also der Beste der Besten um die Sache! Geben Sie also endlich Ruhe!«

»Der Kristallprinz ist ...«

»Nein, er ist nicht tot. Die Maahks wollten mit dem Talagon die Arkoniden ausrotten, Atlan verhindert das, Ende der Geschichte. Für uns zählt: Was tun wir gegen die Invasoren in diesem System? Mir ist ganz egal, ob das Maahks sind oder getarnte Grauzwerge. Ich will sie nur loswerden! Wenn wir wüssten, was sie wollen, könnten wir vielleicht ...«

»Das kann ich Ihnen sagen. Sie wollen den Temporaltransmitter in der Unterseekuppel an der Ostküste zerstören.«

»Den was? «

Quartam zuckte bei dem scharfen Tonfall des Gouverneurs zusammen. Hatte er einen Fehler begangen? Es war ihm zwar richtig erschienen, in der aktuellen Krise keine Informationen zurückzuhalten. Aber jetzt, da er den Satz ausgesprochen hatte, wurde ihm erst richtig klar, was er nun alles würde enthüllen müssen.

Also legte er ein umfangreiches Geständnis ab: Wie er ein seltsames Hypersignal aufgefangen hatte, das ihn zu dem Gerät geführt hatte. Wie er beschlossen hatte, es vor dem Zugriff irgendwelcher Kriegsparteien, ob Maahks oder Arkoniden, zu schützen. Dass er deshalb den Kuppelbau angeregt hatte, um es im Fundament unerreichbar zu machen. Dass nun die Grauzwerge gekommen waren, um das Problem auf nachhaltigere Weise zu lösen.

»Auf keinen Fall!«, fuhr der Tato auf. »Diese Technik gehört in die Hände der Arkoniden!«

»Nein«, sagte Quartam fest. »Tato. Sie sehen, was geschieht, wenn zu unverhältnismäßig starke Machtmittel in die Hände von Kriegsparteien fallen. Die Geschichte vom Talagon sollte Warnung genug sein. Stellen Sie sich vor, eine Zeitmaschine würde es Maahks oder Arkoniden erlauben, die Vergangenheit zu verändern. Können Sie sich ausmalen, zu welchen Katastrophen das führen muss?«

Zu Quartams Überraschung lachte da Masgadan. »Quartam. Sie sind so klug, und zugleich ein solcher Idiot. Glauben Sie diesem Darc etwa? Wie kommen Sie darauf, dass er die Zeitmaschine nicht einfach für sich haben will? Was, wenn er Sie nur benutzt, um uns vom Wesentlichen abzulenken?«

Quartam fror plötzlich. Der Tato – ausgerechnet der Tato, die Figur an der Spitze einer Regierung, der er zutiefst misstraute und die in entscheidenden Momenten verlässlich falsch entschied – konnte recht haben. Logan Darc hatte Quartam Angst gemacht. Genug Angst, um eine Zusammenarbeit mit da Masgadan zu erwägen. Was, wenn er damit tatsächlich nur Quartam vom Transmitter fernhalten wollte – immerhin dem einzig interessanten Forschungsobjekt der gesamten Kolonie?

»Sie haben recht«, sagte er mit neu gewonnener Klarheit. »Logan Darc darf den Transmitter nicht bekommen. Er gehört in die Hände von Arkoniden.«

Präziser gesagt: in die Hände von Quartam da Quertamagin höchstselbst. Der Transmitter war zu wichtig, um ihn irgendjemand anderem zu überlassen.

Aber das konnte er dem Tato nicht sagen, denn zunächst einmal brauchte er dessen Hilfe. Arkons Verwaltung war von oben bis unten mit Idioten durchsetzt, aber diese Wirrköpfe geboten über eine gewaltige militärische Macht. Und genau die benötigte Quartam nun, wenn er die Grauzwerge aus der Unterseekuppel vertreiben wollte.

Glücklicherweise musste er den Tato nicht erst mit einer plumpen Andeutung auf die Spur setzen. Quartam sah die Gier in seinen Augen, die ihn präzise zur richtigen Idee inspirierte.

»Wir werden den Transmitter erobern«, verkündete da Masgadan. »Sie werden die Truppe begleiten und ans Ziel führen.«

Quartam zeigte ein Triumphlächeln. »Gut. Ich benötige ...«

»Wir schicken die Evakuierungstruppe«, unterbrach der Tato, ohne ihm zuzuhören. »Die Flucht stockt sowieso, weil die Schiffe nicht starten können. Es fällt dem Feind also nicht auf, wenn wir diese Kräfte abziehen. Sek'athor ter Frun sind Sie schon begegnet, oder?«

Quartams Lächeln erstarb.