Dorksteiger wurde herumgewirbelt, gegen ihren Willen. Doch der vermeintliche Angreifer hatte es gar nicht auf sie abgesehen – sie war ihm nur im Weg. Sie sah sich einem RCO-Serviceroboter gegenüber, der sie robust zur Seite drängte.
Er nahm ihren Platz an der maahkschen Kryokapsel ein und ließ seine langen, schlanken Metallfinger über die Steuerelemente tanzen, die Dorksteiger vor unlösbare – oder zumindest nicht rechtzeitig lösbare – Rätsel gestellt hatten.
Dorksteiger war verwirrt. Sämtliche Roboter an Bord waren längst zerstört. Woher kam dieser ...
Dann verstand sie, wen sie da vor sich hatte. Die Schmauch- und Schmelzspuren auf seinem Torso – das war RCO-3342/B, in dessen offenem Schädel sie gerade erst Leitungen verlegt hatte!
Doch bis auf die oberflächlichen Kampfspuren am Rumpf war die Maschine nun völlig intakt. Das konnte nicht sein! Und doch war es so. Dorksteiger wollte nicht leugnen, was sie mit eigenen Augen sah.
Was dem Anblick das letzte Quäntchen Absurdität verlieh: Der Roboter hatte Kleidung angelegt. Um seine Schultern trug er das grüne Stück Stoff, das Rowena mit an Bord gebracht hatte.
»Tuglans Haut der Heilung.« Rowena wagte einen kurzen Blick über die Schulter, bevor sie wieder Tarts durch das Visier ihres Strahlers fixierte. »Das Ding hat seinen Namen verdient.«
Tarts öffnete den Mund, doch Rowena schnauzte ihn an: »Halten Sie das Maul, Sie Mörder! Sie haben genug angerichtet!«
Der Roboter trat derweil von der Steuerung zurück und wandte sich an Dorksteiger. »Der Aufweckvorgang wurde zurückgesetzt«, meldete er. »Die Patientin ist sicher.«
»Danke«, presste Dorksteiger heiser hervor. Ihre Schulter schmerzte noch immer, wo der Roboter sie gepackt hatte. Auch wenn es einem guten Zweck gedient hatte.
Rowena entfuhr ein kleines Triumphgeheul, das sich jedoch sofort als Fehler erwies: Tarts da Rhegant nutzte den winzigen Moment der Ablenkung, sprang vor – mit einer Kraft, die Dorksteiger und offensichtlich auch Rowena dem älteren Mann nicht zugetraut hatten – und schlug Rowenas Arm mit dem Strahler beiseite.
Jetzt rächte sich, dass keine Zeit gewesen war, den Mann zu entwaffnen. Auf einmal war es Tarts, der die Arkonidin bedrohte, statt umgekehrt. Rowena legte ihren Strahler vorsichtig auf den Boden und hob die Hände.
Dorksteiger fürchtete, dass Tarts erneut versuchen würde, Caysey aus der Stasis zu holen. Aber stattdessen winkte er RCO-3342/B zu sich. »Bist du wieder intakt?«, fragte er den Roboter.
»Wie neu«, stellte der Roboter fest, »und besser.«
»Kompliment.« Tarts schenkte Dorksteiger ein anerkennendes Nicken. »Wer hätte gedacht, dass Sie die Kiste noch hinkriegen. Hätte ich das gewusst, wäre diese unerfreuliche kleine Eskapade hier unnötig gewesen. Immer vorausgesetzt, die Speicher dieser RCO-Einheit funktionieren.«
»Das tun sie«, versicherte der Roboter freundlich. »Meine Erinnerungen sind vollständig und unversehrt.«
»Beweis es. Wo auf dem Schiff hat die Atlanterin das Talagon versteckt?«
»Das hat sie nicht getan.«
Dorksteiger verengte irritiert die Augen. Was erzählte der Roboter da?
Tarts war ebenso verstimmt. »Natürlich hat sie es versteckt.«
»Ja«, kam die Antwort. »Aber nicht auf dem Schiff.«
»Du lügst«, schnappte Tarts. »Sie war nirgendwo anders!« Er wandte sich an Dorksteiger. »Oder sind seine Speicherbausteine doch hinüber? Müssen wir ...« Er brachte den Satz nicht zu Ende.
RCO-3342/B attackierte ihn mit einer exakten Wiederholung des Manövers, das Tarts zuvor bei Rowena angewendet hatte. Nur schlug er den Strahler nicht einfach zur Seite, sondern traf ihn so kräftig, dass er Tarts aus der Hand flog und an der Wand der kleinen Medostation in mehrere Teile zerbrach. Dann presste er den Arkoniden gegen die Wand und fixierte ihn. Der Arkonide hielt ächzend sein Handgelenk.
Rowena gab einen erschreckten Laut von sich. Dorksteiger warf ihr einen erstaunten Blick zu. Als Kralasenin und Leibwächterin des Kristallprinzen hatte sie mit Sicherheit üblere Szenen miterlebt. Doch Rowena lächelte schon wieder, als sei nichts gewesen.
»Leg Tarts auf eine Medoliege«, wies Dorksteiger den Roboter an. »Wir untersuchen seinen Arm. Pass auf, dass er nicht wieder jemanden angreift.«
Bei dem Befehl zuckte Rowena zusammen. Was hatte sie nur?
RCO-3342/B legte Tarts auf die freie Liege neben Dorksteiger und trat einen Schritt zurück.
»Runter!«, schrie Rowena in diesem Moment. Dorksteiger reagierte instinktiv. Noch bevor sie am Boden lag, fauchten Strahlen über sie hinweg. Die Kralasenin beschoss den Roboter. Der ignorierte die Attacke vollständig.
»Was soll das?«, schrie Dorksteiger über den Waffenlärm hinweg.
»Das ist ein Serviceroboter!«, kam die gebrüllte Antwort. »Er kann niemanden angreifen! Das ist gegen seine Programmierung!«
Verdammt! Das hätte Dorksteiger auffallen müssen, obwohl sie sich mit altarkonidischen Programmstandards genauso wenig auskannte wie mit maahkscher Medotechnik ...
Und ein arkonidischer Serviceroboter hätte diese Technik auch nicht verstehen dürfen! Wer hätte ihm dieses Wissen einprogrammieren sollen und wofür? Die Zeichen hatten auf der Hand gelegen, dass mit der wundersam reparierten Maschine etwas nicht stimmte – und Dorksteiger hatte sie einfach nicht gesehen!
Was auch immer für die Auferstehung und Wandlung RCO-3342/Bs gesorgt hatte, es war mit Sicherheit Kosmokratentechnik und stand damit höchstwahrscheinlich unter Tolcais Kontrolle. Dadurch wurde der Roboter zu einem Unsicherheitsfaktor, den sie definitiv nicht an Bord der BEST HOPE brauchen konnten. Rowena hatte das Problem als Einzige rechtzeitig erkannt und versuchte nun, es auf eine sehr arkonidische Weise zu lösen, mit ihrem Impulsstrahler ...
... allerdings ohne jeden Erfolg. Ihre Strahlen trafen die breite Metallbrust, ohne den geringsten Schaden anzurichten.
Dorksteiger hatte am Boden Deckung gefunden, unterhalb von Tarts' Medoliege. Der Serviceroboter stand keine zwei Meter von ihr entfernt. Der absurde, grün-rindige Umhang baumelte um seine Schultern ...
Irgendjemandes Haut der Heilung hatte Rowena das Ding genannt. War dieses Cape für die Reparatur und die unerklärliche Widerstandskraft der Serviceeinheit verantwortlich?
Und konnte ihm Dorksteiger mit einem beherzten Griff seinen Unverwundbarkeitsmantel entreißen? Sie kam auf alle viere, krabbelte etwas vorwärts und streckte die Hand nach einem Zipfel der Haut aus.
Rowena sah, was sie vorhatte, und stellte das Feuer ein.
Dorksteiger packte zu, zog ...
... und hatte die Haut der Heilung in der Hand! Sie warf sie über die Schulter hinter sich, nur fort aus der Reichweite des Roboters.
Rowena schoss wieder.
Nein. An der Haut lag die Unverwundbarkeit des Roboters nicht. Oder wenn, dann hatte er sie nicht verloren, nur weil Dorksteiger ihm den Umhang weggerissen hatte.
Völlig unbeeindruckt von dem Impulsfeuer wandte RCO-3342/B sich der Kralasenin zu und übertönte das Zischen der Strahlen in der Luft. »Ich bin mir unsicher, wie ich diesen unfreundlichen Akt provoziert habe«, sagte er. »Ich würde am ehesten vermuten, Sie handeln auf Basis eines Missverständnisses, das sich mit gutem Willen beider Seiten aufklären ließe. Ich schlage vor, die Klärung zu einem späteren Zeitpunkt zu vollziehen. Im Moment werde ich anderweitig benötigt.«
Damit wurde er erst durchscheinend, immateriell, sodass Rowenas Strahlen einfach durch ihn hindurchgingen. Sie stellte das Feuer ein. Dann verschwand der Roboter völlig, wie in einer sehr langsamen Teleportation.
Gespenstische Stille erfüllte die Medostation.
»Wo ist die Haut?«, fragte Rowena plötzlich.
Dorksteiger blickte in die Richtung, in die sie den grünen Stoff geworfen hatte. Sie war fort.
Ein lautes, unheilvolles Knacken verriet, dass sich irgendetwas in ihrem halb zerstörten Schiff bewegte.