Das Portal spuckte sie in einem großen, kreisrunden Raum aus, 50 Meter im Durchmesser, mit einer mindestens 20 Meter hohen Decke. Alle Wände waren vom Boden bis ganz nach oben mit sinnverwirrenden, vielfarbigen bewegten Bildern übersät, teils mit dreidimensionalen Holos, teils mit flachen Projektionen. Manches sah nach Ortungsholos und Hyperstrahlungsmessungen aus, die meisten wirr tanzenden Zackenlinien und Farbverläufe sagten Rhodan jedoch überhaupt nichts.
Einige Zwergandroiden standen herum und betrachteten die Veränderungen der dargebotenen Informationen. Arbeitsstationen, mit denen sie irgendwelche Kommandos hätten geben können, entdeckte Rhodan nicht. Überhaupt war der einzige sichtbare Einrichtungsgegenstand ein knapp sechs Meter hoher Obelisk im Zentrum des Raums.
Rhodans Nackenhaare stellten sich auf. Er kannte solche Steine. Ohne die Felsnadel aus der Nähe zu betrachten, wusste er, dass sie keinen Schatten werfen würde. So sah die Form aus, welche Cynos im Moment ihres Todes annahmen – jenes Volk von Gestaltwandlern, dessen rätselhafte Geschichte eng mit ihrem Dienst für die Kosmokraten verknüpft war.
Insofern war es keine Überraschung, dass sie auch auf kobaltblauen Walzen agierten. Dass einer von ihnen in deren Zentrale gestorben war, hingegen schon. Ihre Lebenserwartung lag bei 10.000 Jahren aufwärts. Ein Rätsel mehr, das es aufzuklären galt ...
Hinter dem Stein bewegte sich etwas. Eine humanoide Gestalt trat hervor; eine dunkle Silhouette mit einer blendend strahlenden roten Lichtquelle auf dem oder im Kopf. Im selben Moment fühlte Rhodan einen mentalen Sturm anbranden, der ihn beinah in die Knie zwang. Wut, Hass, Verbitterung, in einer Intensität, die weit über das hinausging, was ein Normalsterblicher ertragen konnte.
Nur Rhodans Mentalstabilisierung erlaubte es ihm, bei Bewusstsein zu bleiben. Atlan, Geektor und der ohnehin geschwächte da Marfur hatten keinen solchen Schutz. Sie keuchten kurz und brachen alle drei bewusstlos zusammen, als sie die Silhouette sahen.
Die Gestalt kam näher, und um Rhodan herum wurde es dunkel. Die Wände des Raums verschwanden hinter einer fast materiellen Finsternis. Groteske Formen in Anthrazit wallten auf absolut schwarzem Grund.
Mit jedem Schritt, den sein Gegenüber auf Rhodan zu machte, zog sich der Kreis enger, bis die Welt nur noch aus Rhodan, seinem Gegenüber und den drei Bewusstlosen bestand. Das rote Glühen wurde schwächer, und endlich konnte Rhodan erkennen, wer da auf ihn zukam. »Laire!«, entfuhr es ihm überrascht.
»Tolcai«, korrigierte die Gestalt. »Wer oder was ist Laire?«
Rhodan schalt sich einen Narren. Natürlich war es nicht Laire, auch wenn dieses Kunstwesen dem äonenalten kosmokratischen Roboter verblüffend ähnlich war: zweieinhalb Meter groß, elegant und geradezu ideal ästhetisch gebaut. Die langen Arme endeten in sechsfingrigen Händen. Der Kopf war birnenförmig, Mund, Nase und Ohren waren als Schlitze angedeutet. Die Haut war stumpf braun und stand in starkem Kontrast zu den leuchtend roten, wie Diamanten schillernden Augen, die Rhodan im ersten Moment so geblendet hatten.
Und das war auch schon der entscheidende Unterschied: Rhodan wusste, dass Laires linkes Auge ein machtvolles Artefakt war, das seinem Träger fast unglaubliche Fähigkeiten verlieh. Laire hatte dieses Auge eingebüßt. Es war ihm vor Jahrmillionen gestohlen worden und würde erst in etwas mehr als zehntausend Jahren wiederentdeckt werden.
Mit Tolcai gab also noch einen weiteren Roboter derselben Bauart. Das war verblüffend – und tragisch, denn Laire hatte unter seiner Existenz gelitten: Er war mächtig gewesen, aber unfassbar einsam, und das über Jahrmillionen. Die Sehnsucht nach Gesellschaft hatte ihn zu einigen tragischen Fehlentscheidungen von galaxisweiten Konsequenzen verleitet. Wenn er gewusst hätte, dass es einen zweiten seiner Art gab ... Wie anders hätte die kosmische Geschichte verlaufen können?
Auch Tolcai wusste offenbar nicht, dass sie ein Gegenstück hatte, sonst hätte sie ihre Frage nicht gestellt. Rhodan war in die Zentrale gekommen, um eine Schwachstelle bei ihr zu entdecken. Hatte er sie etwa schon gefunden?
Vorsicht, mahnte er sich. Lass dich nicht von der Ähnlichkeit täuschen. Obwohl optisch identisch, unterschieden die beiden Roboter sich offenkundig stark in ihren Verhaltensweisen. Die grausamen Jagdspiele in den Habitaten hätte Laire nie angeordnet.
»Lass dich ansehen«, sagte Tolcai.
»Ich ...«
»Still!«, donnerte der Roboter mit Stentorstimme, um dann geradezu säuselnd fortzufahren: »Du bist eine Kuriosität. Ich will dich erst einmal in Ruhe betrachten, bevor ich entscheide, ob du ein Gespräch wert bist.«
Während Tolcai genau das tat und Rhodan musterte, tat der umgekehrt genau dasselbe. Laires Auge hatte seinem Träger erstaunliche Macht verliehen. Eine Weile lang hatte Rhodan es selbst besessen, hatte aber nie auf all seine Funktionen zugreifen können. Laire hingegen hatte damit bis hinter die Materiequellen vordringen können, in die Heimstatt der Kosmokraten. Er hatte Geschehnissen fast überall im Kosmos zusehen können, als wäre er selbst vor Ort. Genauso hatte er mit einem distanzlosen Schritt jeden Ort in Nullzeit erreichen können, wenn er das für nötig hielt. Und das war noch lange nicht alles gewesen.
Wenn Tolcais Auge dasselbe vermochte, stand Rhodan einem allsehenden, potenziell allgegenwärtigen Gegner mit der Lebenserfahrung von Jahrmillionen gegenüber. Wie sollte man vor so einer Herausforderung bestehen? Er fühlte sich klein und machtlos ...
Er biss sich kräftig auf die Zunge. Der Schmerz klärte seinen Verstand. Trotz Mentalstabilisierung: Ganz spurlos ging der mentale Sturm, dem er immer noch ausgesetzt war, nicht an ihm vorbei. Doch davon würde er sich nicht unterkriegen lassen. Bisher hatte noch jeder Gegner, mit dem er es zu tun gehabt hatte, irgendeine Achillesferse gehabt. Bei Tolcai würde es nicht anders sein.
Tolcai verharrte auf ihrer Runde und beugte sich zu dem bewusstlosen Atlan herab. Rhodan hatte ein starkes Gefühl von Déjà-vu. Dann verstand er: Er hatte diese Szene wirklich schon einmal gesehen, fast identisch. Als Dorksteiger und er durch den Zeittransmitter nach Atlantis gegangen waren, hatte sich eine schattenhafte Gestalt mit einem glühenden roten Auge über den sterbenden Atlan gebeugt. Das musste Tolcai gewesen sein!
Ein Widerspruch irritierte Rhodan. Atlan hatte ihnen vor dem Aufbruch die Warnung mitgegeben: Bringt das Talagon auf die andere Seite des Tors! Bewacht es! Verhindert, dass er es bekommt! Rhodan war immer davon ausgegangen, dass der Schatten und dieser er dieselbe Person waren. Doch jeder an Bord der STRAHLKRAFT hatte von Tolcai als einer sie gesprochen. Das war einer der Gründe, warum Rhodan eine Übergabe des Talagon überhaupt erwogen hatte.
»Wer bist du?«, fragte ihn Tolcai. »Wieso sprichst du die Sprache der Mächtigen?«
»Ich bin Perry Rhodan«, stellte er sich vor. »Ich bin ein Helfer der Kosmokraten und habe viele Aufträge für sie erfüllt.« Das entsprach nicht ganz der Wahrheit – er hatte sich von den Kosmokraten losgesagt. Aber das musste er dem Kommandanten einer kobaltblauen Walze nicht auf die Nase binden. Es reichte, dass er überhaupt erklären musste, warum er sich an Bord eines Kosmokratenschiffs verständigen konnte, trotz der damit verbundenen Gefahr eines Zeitparadoxons.
»Wer bist du?«, stellte Rhodan die Gegenfrage. Vielleicht ließen sich dem Roboter ein paar zusätzliche Informationen über den Namen hinaus entlocken.
»Ich bin Tolcai«, kam die Antwort. »Die Erhabenheit. Herr über die STRAHLKRAFT.«
Herr über die STRAHLKRAFT. Also verstand die Maschine sich als männlich. Rhodan ließ das Ultimatum der Zwergandroiden und die Gespräche mit Glorborth und den anderen Kriegerblumen Revue passieren – dort war immer von sie die Rede gewesen. Aber immer in Kombination mit dem wahrscheinlich selbst verliehenen Titel die Erhabenheit. Darauf hatte sich die weibliche Form also stets bezogen!
Ein ärgerliches Missverständnis. Hätte Rhodan von Anfang gewusst, dass Atlans Warnung sich auf Tolcai hätte beziehen können, wäre er wahrscheinlich anders vorgegangen. Nun stand also das Schicksal der halben Milchstraße auf dem Spiel, weil viele an Bord der STRAHLKRAFT ein falsches Pronomen für ihren Kommandanten verwendeten. Das Universum hörte nie auf, Rhodan zu erstaunen.
»Erzähl mir von dir, Perry Rhodan«, forderte Tolcai. »Du könntest unterhaltsam sein, und so etwas kommt mir selten unter. Wir wollen unser Treffen daher nicht ohne Not beschleunigen.«
Das war interessant, und es weckte weitere Erinnerungen an Laire. Obwohl Rhodan nicht voreingenommen sein wollte, drängten sich Vergleiche auf. Laire hatte unter Einsamkeit gelitten. Tolcai kämpfte offenkundig mit Langeweile.
»Ein solches Gespräch ist vermutlich in deinem Sinne«, dozierte der Kosmokratenroboter und beäugte Rhodan wie ein exotisches Tier in einem Terrarium. »Jedenfalls, wenn du über einen Selbsterhaltungstrieb verfügst, der vielen biologischen Intelligenzen ja angeboren ist. Solange du mein Interesse wachhältst, atmest du weiter. Hättest du nicht die Sprache der Mächtigen benutzt, hätte ich dich schon beim Diebstahl der Haut getötet.«
Rhodans Plan ging insofern auf, als dass er wirklich Informationen über Tolcai gewann: Der Kommandant der STRAHLKRAFT hatte keinerlei Respekt vor dem Leben, und er hörte sich selbst gern reden. Es wurde Zeit, dass Rhodan die Initiative übernahm, bevor der Roboter sich mit seinem Geplapper selbst auf eine dumme Idee brachte.
»Warum eigentlich?«, hakte er deshalb ein. »Der Diebstahl der Haut ist doch gar kein Problem für dich. Du kannst problemlos Ersatz schaffen. Das hast du sogar schon getan.«
»Muss ich das wirklich erklären?« Tolcai klang enttäuscht. »Strafe muss natürlich sein, wenn sich jemand in meine Pläne einmischt. Man sieht ja, wohin das führt: Erst wird das Talagon gestohlen, dann Tuglans Haut der Heilung. Stimmst du mir nicht zu, dass man angemessen reagieren muss, bevor das zur Gewohnheit wird?«
»Angemessen, ja«, sagte Rhodan. »Das ist das entscheidende Wort. Hältst du die Todesstrafe bei Diebstählen für angemessen?«
»Darüber kann man wohl uneins sein«, gestand Tolcai ein. »Allerdings ist die Maßnahme erfreulich effizient, da sie noch einem weiteren Zweck dient.«
»Und der wäre?«, fragte Rhodan verdutzt. »Was willst du noch erreichen außer Abschreckung?«
»Oh, wie interessant!«
»Wie bitte?« Rhodan war sich nicht sicher, wovon Tolcai sprach. Er durfte die Kontrolle über dieses Gespräch nicht verlieren!
»Tuglans Haut der Heilung wurde benutzt «, rief Tolcai überschwänglich. »Das ist hocherfreulich!«
Er streckte die Hand aus. Darüber bildete sich ein Hologramm oder etwas Ähnliches. Rhodan erkannte die Zentrale der BEST HOPE und darin ...
Er musste zweimal hinsehen. Das war RCO-3342/B, der Serviceroboter, den Sichu Dorksteiger hatte reparieren wollen. Er sah aus wie neu, abgesehen von ein paar Verfärbungen am Torso. Wie hatte seine Frau das geschafft?
Dann sah er den grünen Umhang um die Schultern der Maschine und verstand. Dorksteiger hatte damit gar nichts zu tun. Die Haut der Heilung hatte das vollbracht. Es passte auch irgendwie – in einem von einem Roboter kommandierten Schiff verstand man unter Heilung nicht dasselbe wie unter einer Mannschaft biologischer Lebewesen.
»Was ist der zweite Zweck deiner Todesstrafen?«, erinnerte Rhodan an die offengebliebene Frage. Noch immer suchte er nach einem Ansatzpunkt, um sich mit Tolcai zu einigen. Je besser er die Ziele des Kosmokratenroboters verstand, desto besser standen die Chancen dafür.
»Was? Oh, ja«, sagte Tolcai. »Die Tode amüsieren mich. Für einen kurzen Moment fühle ich mich dann lebendig. Deshalb freue ich mich auch so darauf, die Proto-Nekrophore zu öffnen. Es ist mir völlig unerklärlich, dass ich etwas so Wunderbares vernichten soll, wenn ich es auch einsetzen kann.«
Rhodan rieselte es eiskalt den Rücken hinunter. Eine Nekrophore? Tolcai verfügte über eine Nekrophore? Das waren Massenvernichtungswaffen der Chaotarchen und hatten an Bord eines Kosmokratenraumschiffs keine Existenzberechtigung! Sie konnten die Nukleotide Pest über die Gravitationslinien einer ganzen Galaxis verbreiten und jedes Leben dort ausrotten.
Was, wenn Rhodan darüber nachdachte, in etwa dem entsprach, wie Geektor die Wirkungsweise des Talagon beschrieben hatte. Aber Nekrophoren waren riesig: 15 Meter hohe und acht Meter durchmessende Fässer. Das Talagon hatte er wie ein Amulett um den Hals getragen.
Er schüttelte kurz den Kopf, um seine Gedanken zu klären. Sein Verstand wollte sich in solche Detailfragen flüchten, um sich nicht mit der Ungeheuerlichkeit auseinandersetzen zu müssen, die Tolcai ihm gerade so beiläufig serviert hatte. Diesen Luxus konnte er sich aber nicht leisten. Er musste sich aber auf das Wesentliche konzentrieren.
»Du willst eine Nekrophore öffnen?«, flüsterte er heiser. »Als Strafe für einen einfachen Diebstahl?«
»Wie wahrhaft interessant ... Ich bin gespannt, was er als Nächstes tut!« Tolcai starrte noch immer auf das Hologramm des Serviceroboters über seiner Hand.
Rhodan ärgerte sich. Sie sprachen über den Plan, alles Leben in der Milchstraße auszulöschen – und der Roboter blieb nicht einmal bei der Sache, so egal war ihm das Thema. »Ich habe dir eine Frage gestellt!«, herrschte Rhodan ihn an.
»Ich habe sie vernommen. Und die Antwort heißt: nein. Das Talagon ist keine vollwertige Nekrophore, sondern leider nur eine Miniaturausgabe. Das habe ich doch gesagt.«
Rhodans Entsetzen verstärkte sich. Tolcai ging auf den zu erwartenden Massenmord überhaupt nicht ein, als wäre dieser völlig bedeutungslos. Stattdessen diskutierte er Begrifflichkeiten!
Mühsam zwang Rhodan sich zur Ruhe. Zumindest etwas Gutes hatte die Nachricht, die er soeben erhalten hatte: Nekrophoren gehörten definitiv nicht ins Kriegsinstrumentarium der Kosmokraten. Tolcai selbst hatte gesagt, dass man ihm das Artefakt zur Vernichtung übergeben hatte. Es war also nicht davon auszugehen, dass er ein ganzes Arsenal davon zur Verfügung hatte. Gelang es Rhodan und seinen Begleitern, mit dem Talagon aus der STRAHLKRAFT zu verschwinden und das Artefakt zu vernichten, war das Problem endgültig gelöst.
Nur war das wahrscheinlich leichter gesagt als getan.
RCO-3342/B in dem Holo war inzwischen in der Medostation der BEST HOPE angekommen. Rhodan sah, wie er Dorksteiger rüde beiseiteriss, die sich an Cayseys Kryokapsel zu schaffen machte. Was geschah dort an Bord des Schiffes?
»Er ist wie ich!«, sagte Tolcai geradezu entzückt. »Oder er wird es sein!« Er klang tief ergriffen. Ehrlich unverstellt emotional. Zum ersten Mal, seit Rhodan sein Gespräch mit ihm begonnen hatte.
Rhodan horchte auf. Bisher hatte er die wundersame Reparatur des Serviceroboters als ärgerliche Ablenkung gesehen. Aber möglicherweise hatte die Sache mehr Bedeutung. Vielleicht lag sogar eine Chance darin. »Was genau tut diese Haut der Heilung?«, fragte er.
»Sie kann defekte Technik reparieren und durch kosmokratische Aufladung auf ein neues Niveau heben.« Wieder sprach Tolcai, ohne von dem Holo hochzublicken. »Wie wir es gerade sehen. Dort entsteht etwas Wunderbares! Wir bezeugen das Wunder einer Geburt!«
Rhodan erahnte nun die Hintergründe von Tolcais Geisteskrankheit. Ohne Zweifel hatte er es mit einem Psychopathen zu tun. Aber Tolcai war sicher nicht mit dieser Störung geschaffen worden, sondern sie hatte sich irgendwann entwickelt. Und so, wie er sich über die Entstehung eines kosmokratisch aufgeladenen Roboters freute, konnte Rhodan sich plötzlich vorstellen, weshalb. Tolcai litt doch an demselben Problem wie Laire: äonenlanger Einsamkeit!
Nun sah er die Chance auf einen Gefährten. Das war der Ansatzpunkt, den Rhodan die ganze Zeit gesucht hatte. »Der Roboter ist mein Eigentum«, erklärte er. »Er gehört zu dem Schiff, das mich als seinen Kommandanten anerkannt hat. Ich kann ihn dir überlassen, wenn wir zu einer Einigung finden.«
In der Medostation der BEST HOPE eskalierte die Situation. Der Serviceroboter attackierte Tarts da Rhegant, entwaffnete ihn und verletzte ihn augenscheinlich. Tolcai fand das jedoch nicht abschreckend, sondern wirkte noch begeisterter als zuvor. Amüsiert sah er zu Rhodan auf. »Du stellst Forderungen? Ich kann ihn mir einfach nehmen.«
»Nein«, sagte Rhodan fest. »Er gehört zum Inventar meines Schiffs. Außerhalb davon wird er nicht einmal mit jemandem sprechen, wenn ich ihm das nicht gestatte.«
»Und du meinst nicht«, höhnte Tolcai, »dass ich diese Programmierung aufheben kann?«
»Doch«, gab Rhodan offen zu. Jetzt musste es sich entscheiden – er hoffte, dass er die Lage richtig einschätzte. »Aber wenn du das tust, ist er kein ebenbürtiger Partner mehr für dich, sondern nur noch ein Geschöpf, das du manipuliert hast und jederzeit wieder manipulieren kannst. Kein Gegenüber, sondern ein Spielzeug, wie du schon so viele an Bord hast. Und die dich alle langweilen. Ist es das, was du willst?«
Er hatte kaum fertig gesprochen, da gleißte Licht in dem kleinen Holo auf. Rowena beschoss die RCO-Einheit! Was tat sie da nur? Wenn sie den Roboter zerstörte, verlor Rhodan seine einzige Verhandlungsmasse!
Doch die kosmokratische Aufladung, von der Tolcai gesprochen hatte, war offensichtlich leistungsfähig. Der Roboter trug nicht einmal einen Kratzer davon, und das sogar, obwohl Dorksteiger ihm die Haut der Heilung weggerissen hatte.
»Nenn deine Bedingungen«, sagte Tolcai, als er sich im Holo von der Unversehrtheit der Ware überzeugt hatte.
»Erstens: Freier Abzug aus der STRAHLKRAFT für mich und meine überlebenden Begleiter. Inklusive des Beiboots, mit dem wir gekommen sind. In einem funktionierenden Transportmittel, das uns mindestens bis zurück nach Galkorrax bringt.«
»Gewährt.«
»Zweitens: Wir übernehmen deinen unerfüllten Auftrag und zerstören das Talagon.« Das war natürlich der eigentlich wichtige Punkt. Tolcai mochte eine Weile mit RCO beschäftigt und vielleicht sogar glücklich sein. Aber irgendwann würde ihn die Schwermut wieder heimsuchen, und bis dahin musste das Talagon Geschichte sein.
»Wenn euch das gelingt«, sagte Tolcai. »Dabei dürfte es einige Schwierigkeiten geben. Aber ich kann gern darauf verzichten, euer Schiff nach dem Talagon zu durchsuchen.«
»Gut«, sagte Rhodan. »Den Rest lass unsere Sorge sein.« Das erste Problem dabei kannte er schon: Noch immer wussten sie nicht, wo an Bord der BEST HOPE Caysey das Unheilsei verborgen hatte. Die Suche konnte Wochen dauern. RCO-3342/B kannte das Versteck möglicherweise, aber ihn hatte Rhodan gerade verkauft.
Also brauchte er Caysey, um das Talagon zu finden, bevor Tolcai es sich möglicherweise wieder anders überlegte und sich nicht mehr an den Handel gebunden fühlte. »Drittens: ein Heilmittel für unsere Begleiterin in der Kryokapsel«, forderte er deshalb. »Sie leidet an ...«
»Weiß ich«, unterbrach Tolcai. »Geh davon aus, dass ich alles weiß, was auf eurer Einheit besprochen wurde, seit ihr an Bord der STRAHLKRAFT seid, und dass ich sämtliche aufgezeichneten Daten analysiert habe. Ich kann ihr einstweilen Linderung verschaffen, sodass die tödlichen Konsequenzen ihres Gendefekts erst später auftreten. Die Entwicklung des Kindes wird zeitweilig gestoppt, die Geburt verzögert. Die Wirkung hält jedoch nicht ewig an. Irgendwann muss sie zurück in die Kryokapsel.«
»›Ein Heilmittel‹, habe ich gesagt«, wiederholte Rhodan.
Tolcai sinnierte einen Augenblick. »Auch das ist möglich«, sagte er fast wehmütig. »Es erfordert allerdings eine längere Behandlung hier an Bord der STRAHLKRAFT. Wenn es das ist, was du wünschst ...«
Nein, das war es nicht. Rhodan wollte mitsamt dem Talagon so schnell wie möglich fort aus der Reichweite dieses Irren. Und Caysey konnte auch in Arkonis Hilfe finden, wenn die ganze Krise vorbei war. »Ich folge deinem Vorschlag«, sagte er daher. »Wir verzögern die Geburt, verlassen die STRAHLKRAFT ...«
»Ja, ja«, sagte Tolcai angeödet. »Zuletzt wirst du noch fordern, die Schlacht um die Haut der Heilung abzusagen. Auch das sei dir gewährt. Du bist ermüdend berechenbar. Verschwinde, in deinem eigenen Interesse. Ich habe den Transfer bereits eingeleitet.«
RCO-3342/B erschien neben ihm, erst durchscheinend wie ein Hologramm bei starkem Licht, dann immer deutlicher, bis er materiell vor Ort stand.
»Gib deinen Befehl«, forderte Tolcai.
»RCO-3342/B«, sagte Rhodan. »Du gehst hiermit in das Eigentum von Tolcai über, dem Kommandanten des Raumschiffs STRAHLKRAFT. Bestätigen.«
»Eigentumsübertragung. Weisungsbefugnis wechselt zu Tolcai.«
»Gut«, sagte Tolcai. »Und jetzt fort mit dir.« Er wedelte mit einer Hand.
Rhodan wurde schwarz vor Augen. Er fühlte sich, als stürzte er in einen unendlichen Abgrund.