12.

 

Das Knacken, Bersten, Biegen und Brechen begleitete sie auf dem ganzen Weg in die Zentrale. Irgendetwas tat sich in ihrem kleinen, tapferen Schiff – etwas Gewaltiges.

Dorksteiger lief zu der Station, die auf einem terranischen Raumer am ehesten der Funktionsgruppe Energie/Maschinen entsprochen hätte. Schnell rief sie die Statusanzeigen auf. Tarts da Rhegant lief zur Energieverteilung. Rowena war unterwegs zur Logistik, da schrie Tarts sie an: »Lebenserhaltung! Sofort!«

Dorksteiger wollte ihn anherrschen, dass er ihnen nichts zu sagen hatte. Aber Rowena befolgte das Kommando bereits. Zudem musste Dorksteiger sich eingestehen: Die Anweisung war sinnvoll. Sie mussten herausfinden, was an Bord vorging, und gegebenenfalls eingreifen. Dafür hatten sie nun die drei entscheidenden Stationen besetzt. Ortung, Feuerleitstelle und sogar die Kommandanten- und Pilotenplätze waren im Moment sekundär.

»Meldung!«, forderte Tarts.

»Lebenserhaltung wieder funktionstüchtig«, antwortete Rowena sofort. »Heizkreisläufe sind geschlossen und haben Energie. Sauerstoffpegel nähert sich Idealwert. Nahrungs- und Trinkwasseraufbereitung melden Bereitschaft.«

Dorksteiger zögerte, doch schließlich rang sie sich durch. »Maschinenstatus im roten Bereich, aber ...« Sie las die Holos noch einmal ab, konnte nicht glauben, was sie sah. »Es ist nicht so schlimm wie nach unserer Bruchlandung. Der Ringwulst ist wieder geschlossen. Die Triebwerke melden Einsatzbereitschaft, auch wenn sie nicht voll belastbar sind.«

»Was?«, fragte Tarts zugleich aggressiv und verblüfft.

»Das Schiff repariert sich«, tat Dorksteiger kund. »Oder es wird repariert. Der Rumpf ist auch wieder geschlossen. Laut dieser Anzeige können wir im Vakuum wieder überleben.« Sie lächelte, als sie endlich verstand. »Die Haut der Heilung! Natürlich! Ich habe sie dem Roboter weggerissen, und sie ist verschwunden. Sie muss dafür verantwortlich sein.«

»Sie ist aus demselben Nanomaterial«, erinnerte Rowena, »wie die selbstreparierenden Wände zwischen den Habitaten. Vielleicht hat sie sich zum Teil unseres Schiffes erklärt und heilt da jetzt vor sich hin.«

»Ganz bestimmt sogar«, stellte Dorksteiger fest. »Sofern meine Anzeigen die Wahrheit sagen. Die Geschütze erwachen auch wieder zum Leben.«

»Wie unterbinden wir das?«, fragte Tarts. »Über die Energieverteilung kann ich nicht eingreifen. Der Vorgang läuft unabhängig von den Speichern und Erzeugern unseres Schiffs ab!«

»Was?«, fragte Dorksteiger. »Wieso unterbinden? Unser Schiff repariert sich! Das ist gut!«

»Von wegen«, giftete Tarts. »Ein Raumschiff, das von unbekannten Baustoffen zusammengehalten wird? Ich fliege lieber ein Wrack, mit dem ich mich auskenne, als ein Spitzenschiff, das mir ein Feind vor die Tür gestellt hat und das er jederzeit fernzünden kann!«

Dorksteiger sah Tarts wütend an. Die Wissenschaftlerin in ihr vollzog seine Argumentation nach und unterschrieb das Ergebnis. Als Person wünschte sie ihm die Pest an den Hals und wollte ihm widersprechen – einfach nur, weil er der Mann war, der beinah Caysey in den Tod geschickt hatte.

»Das stimmt«, sagte Rowena schlicht. Damit unterstellte sie sich de facto den Entscheidungen Tarts da Rhegants.

Und sie hatte recht. Tarts war der erfahrene Raumschiffskommandant unter ihnen. Er wusste, wovon er sprach. Für den Augenblick war er am besten geeignet, die Entscheidungen zu treffen.

Dorksteiger wünschte sich ihren Mann an Bord. Er war erfahrener Raumfahrer und ein guter Anführer. Beides zusammen war eine entschieden zu seltene Kombination auf dieser Reise.

Sie gestand sich eine bittere Wahrheit ein: Sie selbst versagte auf beiden Feldern. Sie wusste, wie ein Raumschiff funktionierte, aber nicht, wie man es in höchster Gefahr führen musste. Und sie mochte fachlich brillant sein, aber ihr ging das nötige Charisma ab, damit andere ihr gern folgten.

Sie blinzelte ungläubig, als sich plötzlich die Silhouette Rhodans in der Zentrale abzeichnete. Das Universum neigte sonst nicht dazu, ihre Wünsche so prompt zu erfüllen, doch da war er: So gemächlich, wie RCO-3342/B verschwunden war, tauchten ihr Mann, Atlan, Geektor und einer der Eisjunker nun auf. Die letzteren drei allerdings lagen am Boden.

»Rowena!«, rief Tarts. »Leg auf ihn an!«

Diesen Befehl erfüllte die Arkonidin nicht. Aber Dorksteiger bemerkte ihr Zögern. Die Lage war unübersichtlich und sie konnte sich in jede Richtung entwickeln. Dorksteiger war nur froh, dass Tarts seine Waffe nach dem Handgemenge mit dem Serviceroboter nicht mehr besaß.

Rhodan und seine Begleiter waren vollends materialisiert.

»Was ist passiert?«, rief Sichu sofort.

»Einiges. Kurzfassung: Ich habe einen Pakt mit dem Teufel geschlossen«, sagte ihr Mann. »Aber zu einem guten Preis. Wir bekommen ein Schiff, um die STRAHLKRAFT zu verlassen. Wir behalten das Talagon. Und Caysey können wir erst einmal ohne Gesundheitsrisiko aufwecken.«

»Und was kostet uns das?«, fragte Tarts.

»Einen Serviceroboter.« Rhodan grinste zufrieden.

Dorksteiger nickte anerkennend. Das war wahrhaftig kein schlechter Deal.

»Der Reihe nach«, forderte Tarts. »Was bekommen wir für ein Schiff?«

»Weiß ich nicht«, sagte Rhodan. »Nur, dass es uns mindestens bis nach Galkorrax bringt, und dass wir die BEST HOPE mitnehmen können.«

Tarts stöhnte. »Wir bekommen kein anderes Schiff, sondern sollen dieses nehmen. Ihr Teufel lässt gerade mit unbekannter Nanotechnik dieses Beiboot reparieren!«

»Hmm«, machte Rhodan. »Offenbar ist Tolcai spitzfindig. Ja, so kann man seine Worte auch interpretieren.«

»Wir sind also komplett davon abhängig, dass er die Reparaturen nicht plötzlich mitten im Flug rückgängig macht!«

Das focht Rhodan nicht an. »Weiter als bis zum Maahkstützpunkt hier im System müssen wir nicht fliegen. So lange wird es halten. Los, bringen wir Atlan und die anderen auf die Medostation, und dann starten wir.«

»Nicht nötig«, ächzte Atlan am Boden. »Bin wieder wach. Was ist passiert? Ich habe nur diesen Schatten mit den roten Augen gesehen. Dann ...« Mit verkniffener Miene schüttelte er den Kopf. »Es reißt alles ab.«

»Pakt mit dem Teufel«, sagte Rhodan noch knapper als zuvor. »Schiff wird repariert, Talagon bleibt bei uns, Caysey wird geholfen. Dafür haben wir den Roboter verkauft.«

Atlan nickte, als hätte er den vollen Überblick.

»Wir können mit diesem Schiff nicht starten!«, beharrte Tarts. »Das Risiko ist ...«

Ein Signal vom Funk- und Ortungspult ließ Dorksteiger ihren Platz verlassen. Mit zwei langen Schritten war sie bei der entsprechenden Station. »Das ist nicht unsere Entscheidung«, sagte sie. »Tolcai hat uns gerade aus der STRAHLKRAFT rausgeworfen. Und zwar ...«

Ihr wurde schlecht, als sie sah, was die Außensensoren auffingen. »Und zwar mit dem ganzen Habitat«, sagte sie tonlos. Sie ließ das Bild in einem großen Holo an die Wand projizieren. Die kobaltblaue Walze stand zentral am schwarzen Sternenhimmel und schrumpfte schnell, während sie sich von der BEST HOPE entfernte.

Doch die BEST HOPE selbst war immer noch gelandet. Sie stand auf dem Boden der Welt mit den intelligenten, mobilen Pflanzenwesen. »Die Atmosphäre außen verflüchtigt sich.« Mechanisch las Dorksteiger die Sensordaten ab, ließ keine Gefühle zu. »Das Habitat kühlt aus. Die Außentemperatur liegt bereits sechzig Grad unter dem Gefrierpunkt. Fällt weiter.«

Es war klar, was das bedeutete. Ohne Atmosphäre, ohne Wärmequelle im All – das war das Ende aller Bewohner dieser Welt. Niemand von ihnen würde das überleben.

»Ein Pakt mit dem Teufel, haben Sie gesagt?«, fragte Atlan mit undeutbarer Miene.

»Er hat die Schlacht zwischen den Schierlingsspornen und Dorrkelchen abgesagt«, sagte Rhodan in stillem Zorn. »Das hat er mir versprochen. Er hat Wort gehalten, aber gestorben sind trotzdem alle.«

Dorksteiger kannte diesen Blick bei ihrem Mann. Es mochte dauern, aber irgendwann, irgendwie würde er Tolcai zur Verantwortung ziehen.

»Krankenstation«, sagte Rhodan grimmig. »Zumindest da Marfur braucht Betreuung. Alles Weitere später.«

»Alter Lehrmeister«, wandte sich Atlan an Tarts, »ich gehe mit. Bereite hier schon einmal alles für den Start vor.«

»Ich habe das Kommando über diese Mission«, bemerkte Rhodan. »Oder wollen Sie mich wieder niederschlagen und fesseln?«

Dorksteiger zog die Augenbrauen hoch. Auf der Reise durchs Habitat war wohl einiges passiert, das es nicht in Rhodans Kurzzusammenfassung geschafft hatte.

»Ich habe Ihnen das Kommando zeitweise überlassen, Nadohr Yrrep«, antwortete Atlan. »Weil Sie mir vorgeworfen haben, ich würde leichtfertig Leben aufs Spiel setzen. Und wozu hat Ihr Kommando geführt? Motyra da Pert tot. Givan tot. Sraff tot. Glorborth tot. Und nun eine ganze Zivilisation ausgerottet. Glauben Sie immer noch, Sie seien mir irgendwie moralisch überlegen?«

»Glorborths Tod geht auf Ihre Kappe«, giftete Rhodan. »Und da Pert ist tot, weil sie Ihre Befehle ignoriert hat, nicht meine. Fehler haben wir beide gemacht.«

»Jeder macht Fehler«, sagte Atlan. »Aber Sie haben sich als Anführer disqualifiziert. Sie haben uns Informationen vorenthalten. Woher kennen Sie die Sprache, die an Bord der STRAHLKRAFT gesprochen wird? Woher wissen Sie, dass die Besatzung Zwergandroiden sind? Sie kennen solche Schiffe doch und haben uns darüber belogen!«

»Ich darf darüber nicht sprechen«, entgegnete Rhodan. »Aus wichtigen Gründen.«

»Was ich Ihnen jetzt einfach glauben soll. Ebenfalls aus wichtigen Gründen, über die Sie nicht sprechen dürfen. Nein, Yrrep, so geht es nicht. Geheimnisse kann sich nur leisten, wer Erfolg hat.«

Dorksteiger sah es in Rhodans Gesicht arbeiten. Sie verstand ihn und hatte eine ziemlich genaue Vorstellung, was er diesem jungen Atlan nun zu gern an den Kopf geworfen hätte – wenn er damit nicht ein vernichtendes Zeitparadoxon riskiert hätte.

»Was habe ich verpasst?«, erklang die schläfrige Stimme von Caysey.

Überrascht fuhren alle herum. Die Atlanterin stand, Babybauch voran, in der Tür zur Zentrale.

»Caysey!«, rief Rhodan erleichtert. »Wie geht es dir?«

»Wo ist das Talagon?«, fragte Atlan barsch.

Caysey sah ihn eingeschüchtert an.

»Es ist in Ordnung«, sagte Dorksteiger. »Wir arbeiten jetzt zusammen. Mehr oder weniger.«

»Ich habe es versteckt«, antwortete Caysey bange.

»Das wissen wir«, sagte Rhodan. »Aber wo an Bord? Wir konnten es nicht finden.«

»Weil ich es nicht an Bord versteckt habe«, sagte Caysey fröhlich. »Es steckt im Bauch von dem Roboter, den ihr mir als Aufpasser dagelassen habt.«

In der Stille, die folgte, schien die Zeit einzufrieren.

»Er verzichtet auf die Suche nach dem Talagon, hat Tolcai gesagt«, zitierte Rhodan leise. »Nur auf die Suche. Nicht auf das Talagon selbst. Verdammt!« Das letzte Wort brüllte er heraus.

»Sie haben die gefährlichste Waffe der Welt einem Massenmörder überlassen«, stellte Atlan nüchtern fest. »Meinen Sie immer noch, Sie sollten diese Mission führen?«

Rhodan ließ mit geschlossenen Augen den Kopf hängen und schwieg. Sein Brustkorb hob und senkte sich einmal. Schließlich bot er Atlan stumm, ohne aufzublicken, mit der ausgestreckten Hand den Kommandantenplatz an.

Dorksteiger atmete ebenfalls durch. Sie verstand, dass ihr Mann unter diesen Umständen keine andere Möglichkeit hatte. Doch Atlan – dieser Atlan – war gefährlich. Das hatte er bereits bewiesen.

Zu ihrer Überraschung fand sie jedoch etwas Tröstliches in der Situation. Noch vor Kurzem hatte sie damit gehadert, dass sie keine Anführerin war. Doch wenn sogar ihrem Mann, wenn Perry Rhodan so etwas geschah, wenn er voll und ganz verdient ein Kommando verlor, dann durfte auch ihr so etwas passieren.

Zudem war das letzte Wort noch nicht gesprochen. Dieser Tag endete mit einer Niederlage, in fast jeder Hinsicht. Doch es würde eine neue Chance geben, die Dinge ins Lot zu bringen.

Denn so war es immer. Es ergab sich immer eine Gelegenheit, solange man nicht aufgab. Und aufzugeben: Das taten weder sie noch Perry Rhodan.

Niemals.

 

ENDE

 

 

Nach wie vor sind Perry Rhodan und Sichu Dorksteiger in der Vergangenheit damit beschäftigt, Informationen zu sammeln, die ihnen vielleicht helfen, in ihre Gegenwart zurückzukommen. Immerhin haben sie mittlerweile Atlan getroffen, auch wenn der Arkonide nicht wissen darf, dass sie in seiner fernen Zukunft zu Freunden werden. Es gilt immer noch, ein Zeitparadoxon zu verhindern.

Dem arkonidischen Wissenschaftler Quartam da Quertamagin gelingt es auf Atlantis immerhin, eine Zeitschleife abzuwenden. Zur gleichen Zeit schafft es Perry Rhodan, dem mysteriösen Tolcai wesentliche Zugeständnisse abzuringen – allerdings zu einem Preis, der deutlich höher ausfällt als erwartet ...

Wie sich die Ereignisse auf Atlantis und in der näheren Umgebung des Solsystems weiter entwickeln, das beschreibt Lucy Guth im nächsten Band von PERRY RHODAN-Atlantis. Ihr Roman trägt die Bandnummer 8 und erscheint am 24. Juni 2022 unter folgendem Titel:

 

QUARTAMS OPFER