1.

Katastrophe im All

 

Es war ein seltsames Gefühl, direkt neben einem Maahk zu stehen. Der Kommandant der kleinen Staffel hieß Torrek und war ein Gigant, selbst in maahkschen Maßstäben. Er war bestimmt zweieinhalb Meter groß – zumindest kam es Rhodan so vor. Viele seiner blassgrauen Schuppen waren durch Narbengewebe ersetzt worden. Das linke seiner vier Augen war nur eine dunkle Höhle. Seine dünnen Lippen wurden von einer weiteren Narbe geteilt.

Torrek war ein Veteran, dem man eine besonders wichtige Mission anvertraut hatte. Welchen Status der Kommandant hatte, erkannte Rhodan an dem Respekt, den ihm seine Mannschaft entgegenbrachte – es war Verehrung, fast schon Anbetung.

»Die Staffel hat Formation angenommen, Raka-2«, meldete ein jüngerer Maahk an der Ortung.

»Sehr gut.« Torreks Stimme war ein dunkles, krächzendes Grollen.

Mit einer Handbewegung rief er ein Holo auf, das Rhodan neben ihm gut einsehen konnte. Eine stilisierte Darstellung ihrer Einheit, die neun Schiffe umfasste. Die anderen Schiffe umschlossen Torreks Schiff. Eine gute Taktik, fand Rhodan. So war das Schiff, das die Informationen trug, geschützt.

Es hatte Diskussionen darüber gegeben, ob alle Schiffe der Staffel die Daten über das Talagon und die Gefahr, die von dem Artefakt ausging, bekommen sollten. Das hatte Geektor abgelehnt. Je mehr Besatzungen diese Daten hatten, desto höher war schließlich die Gefahr, dass sie in falsche Hände gerieten.

Dennoch war es wichtig, dass das Oberkommando diese Informationen erhielt. Und da das fremde Schiff, die STRAHLKRAFT, das Tunniumsystem mit fremdartigen Mitteln abgeschirmt hatte, war es ein Versuch, der Blockade zu entkommen.

Typisch für Maahks, es sofort mit roher Gewalt anzugehen. Andererseits wusste Rhodan sehr gut, dass mit Diplomatie derzeit niemand im Tunniumsystem weiterkam. Die STRAHLKRAFT reagierte nicht auf Kommunikationsversuche. Das Manöver der Maahks war eine Verzweiflungstat, mehr nicht.

Rhodan beobachtete Torrek bei den letzten Handgriffen und Kommandos, und mit jeder Sekunde, die verstrich, wuchs seine Anspannung. Das kann nicht gut gehen, das muss doch allen hier klar sein.

Tatsächlich machte sich sogar bei den Maahks eine gewisse Nervosität breit. Er war kein Fachmann für die Psychologie dieses Volkes, aber ihre Gesten wurden knapper, ihre Dialoge kürzer. Diese Mannschaft wusste sehr wohl, dass sie auf einem Himmelfahrtskommando waren. In den Zentralen der übrigen Staffel sah es sicher ähnlich aus.

»Auf Transitionsgeschwindigkeit beschleunigen!«, befahl Torrek.

Der Befehl ging an die komplette Staffel. Alle Maahkschiffe nahmen Fahrt auf in Richtung des Sonnensystemrandes.

»Zwanzig Prozent Lichtgeschwindigkeit«, meldete einer der Maahks, der mit der Steuerung befasst war.

Rhodan wurde es zunehmend unwohler. Er spürte das Nahen einer Tragödie.

Die Maahks hingegen schienen Hoffnung zu schöpfen. Torrek presste die hornigen Lippen aufeinander.

»Wir erreichen vierzig Prozent Lichtgeschwindigkeit – jetzt!«, rief der Pilot.

Schlagartig fielen alle fünfdimensional arbeitenden Aggregate der Schiffe aus.

Der Maahk an der Ortung wurde panisch. »Wir haben die Schutzschirme verloren ... die Impulstriebwerke ... den Antigrav ...«

Beim letzten Wort setzte die Schwerkraft aus. Wer sich nicht festhielt, verlor den Halt. Auch Rhodan griff automatisch nach der Konsole vor Torrek.

Die Katastrophe nahm ihren Lauf.

Der Maahk an der Ortung klammerte sich mühsam an seinem Sessel fest. »Die hypermagnetische Abwehrkalotte ist ausgefallen.«

Torrek, der die Konsole umklammert hielt und mit der Beharrlichkeit eines Felsbrockens seine Position verteidigte, rief eine Videoprojektion auf. Bilder wechselten in rascher Folge und zeigten eine zunehmende Zerstörung der Raumschiffswände durch die winzigen Materiebrocken und das interstellare Gas, das gegen sie prallte – Rhodan kam es vor, als werde die Hülle weggeschmirgelt.

»Ein fremdes Schiff materialisiert vor uns«, meldete die Ortung.

Das entsprechende Hologramm tauchte direkt vor Torrek und Rhodan auf. Es zeigte einen Raumer, der Rhodan in seiner Form an einen Tiefseerochen erinnerte.

»Hat jemand so etwas schon einmal gesehen?«, blaffte Torrek.

Keiner antwortete. Auch Rhodan schwieg, obwohl ihm sehr wohl etwas einfiel. Das ist mal was anderes – exotisch ... Es erinnert mich an einen Manip. Und wenn ich wetten dürfte: ein Beiboot der STRAHLKRAFT.

Übergangslos umgab den Raumer vor dem Kommandoschiff ein grünes Glühen.

»Raka-2, die Staffel wird angegriffen ... glaube ich ...« Der Maahk an der Ortung klang gleichzeitig panisch und verwirrt.

Rhodan verstand, warum: Es war keinerlei Beschuss zu sehen gewesen, keine Strahlen oder Projektile. Trotzdem war das Glühen da. Rhodan erkannte, dass es sich um ein Desintegratorfeld handelte, dem die Raumschiffe schutzlos ausgeliefert waren.

»Wir müssen etwas tun!«, forderte Torrek wütend.

Doch sie waren zur Untätigkeit verdammt, konnten nichts anderes, als zuzusehen. Ihnen waren im übertragenen Sinne die Hände und Füße gebunden, ihre Raumschiffe waren praktisch nichts anderes als nutzlose Blechbüchsen.

Stückweise lösten sich die Einzelteile des Raumers auf: Schale für Schale, bis zum Skelett und der Panzerschicht der Zentrale. Diese verging zuletzt. Der Normalfunk, der über die Ortungsstation zu hören war, übertrug ein unheimliches Rauschen und Wehen, das mit der Zerstörung der Zentrale schlagartig abbrach.

Mit der Zerstörung des ersten Schiffes war es nicht vorbei: Das Desintegratorfeld wechselte zum nächsten Schiff und zerlegte dieses ebenfalls wie eine Zwiebel, die geschält wurde.

Das Sterben der Maahks dauerte eine halbe Stunde. Torreks Toben wich einer von Wut gezeichneten Starre – lange, nachdem seine Mannschaft bereits vor Entsetzen verstummt war. Ein Schiff nach dem anderen – und mit ihnen die Besatzung – wurde durch das grüne Glühen dem Tod übereignet. Es war unerträglich – vor allem für jemanden wie Rhodan. Sein Herz raste vor Anspannung. Er atmete so rasch, dass ihm fast schlecht wurde. Trotzdem konnte er rein gar nichts tun.

Schließlich blieb nur noch das Kommandoschiff in der Mitte übrig.

Rhodan rechnete damit, dass das Desintegratorfeld auf Torreks Schiff übergriff. Stattdessen sprangen die Impulstriebwerke wieder an. Die Schwerkraft kehrte ebenfalls zurück. Rumpelnd fielen die schweren Maahk-Körper zurück auf den Boden.

»Nottransition, sofort!«, befahl Torrek geistesgegenwärtig.

Ein gleißender Strahl löste sich aus dem Rochenschiff – und das war das Letzte, das Rhodan gemeinsam mit Torrek sah, ehe die 800.000 Tonnen molekülverdichteten Spezialstahls der 400 Meter langen Walze mit einem einzigen Schlag zerquetscht wurden. Die Explosion nahm er bereits nicht mehr wahr.