3.

Straßenkampf

 

»Wir haben sie! Dieses Mal haben wir sie!«

Yldra klang weitaus optimistischer, als sich Saltak fühlte. Yldra war immer optimistisch, daran hatten drei Jahre in der arkonidischen Flotte nichts ändern können. Im Gegensatz zu Saltak war der Dienst genau das, was sie wollte. Was sie immer gewollt hatte.

Saltak hingegen war nur aus einem Grund hier. Dieser Grund waren garantiert nicht die Maahks, die Arkonis in ein Kampfgebiet verwandelt hatten. Es war auch nicht diese göttervergessene Kolonie, und ganz sicher nicht »sein Leben für Arkon«. Er hatte diesem Patriotismus nie viel abgewinnen können. Die vergangenen Wochen hatten ihm bewiesen, dass er damit vollkommen im Recht war. Er hatte zahlreiche Kameraden sterben sehen, erst bei den sinnlosen Schlachten im All, dann auf Larsaf.

Und alles nur wegen Yldra. Weil er sie nicht allein hatte gehen lassen wollen, als sie ihren Traum vom glorreichen Kampf für Imperator und Imperium ausleben wollte.

»Was macht dich so sicher?«, fragte er flüsternd und schob sich neben die Frau, die er seit seiner Kindheit liebte. Sie lagen flach auf dem Dach eines Gebäudes, in dem bis vor Kurzem mehrere Siedlerfamilien gelebt hatten.

Die warme Nacht lag wie eine bleierne Decke über Atlantis, und die Sterne, zwischen denen sie sich so mühelos bewegt hatten, schienen zum Greifen nah.

Wer würde auf den Gedanken kommen, dass uns ein geheimnisvolles Kraftfeld davon abhält, zu ihnen zurückzukehren?

Die Transitionsantriebe funktionierten ebenso wenig wie der Hyperfunk. Zusätzlich verhinderte eine Blockade im Orbit von Larsaf III, dass Verstärkung von Larsa zu ihnen vorstoßen konnte. Auch die Raumschiffe auf dem Raumhafen saßen fest – niemand konnte Atlantis verlassen. Sie waren Gefangene in einer Stadt, die vom Feind besetzt war. Und dieser spielte mit ihnen wie ein übermütiger Booboo mit einer Dremetze.

Yldra zeigte vorsichtig mit dem Abstrahlpol ihres Strahlers auf die Gasse, in die sich der Feind zurückgezogen hatte. Ihre kinnlangen Haare waren dort, wo sie unter dem Helm hervorschauten, schweißverklebt. »Die Methans sind dort hinein. Das ist eine Sackgasse, sie entkommen uns nicht!«

Saltak verzog das Gesicht. Das glaube ich erst, wenn es so weit ist!

Die Maahks hatten die Arkoniden in einen seltsamen Bodenkrieg verwickelt, der die Soldaten in die Straßen der Stadt zwang. Saltak war es gewohnt, von einem Raumschiff aus zu kämpfen und moderne Technik zu benutzen, um das Recht des Imperiums durchzusetzen. In Arkonis jedoch waren er und seine Kameraden gezwungen, durch die Straßen zu streifen und die Besatzer aufzuspüren – was ihnen nie gelang.

Die Maahks waren in ständiger Bewegung, um den Arkoniden auszuweichen. Sie behielten stets die Entscheidung darüber, an welchem Ort, zu welcher Zeit und unter welchen Bedingungen die militärischen Konfrontationen stattfanden. Auf diese Weise war es ihnen gelungen, den Gouverneurspalast zu besetzen. Er war mittlerweile von einem undurchdringlichen Energieschirm umgeben, dessen Technologie den arkonidischen Fachleuten Rätsel aufgab.

Und wir können nichts anderes tun, als die Besatzer zu verfolgen. Sie scheinen überall zugleich zu sein und sind dennoch immer verschwunden, wenn wir sie erreichen.

Insofern hatte Yldra recht: In der Sackgasse bestand die Möglichkeit, endlich einige von ihnen zu erwischen. Saltak gab seinen Leuten, die sich auf den umliegenden Dächern befanden, ein Zeichen. Auf ein Kommando seilte sich ein Teil von ihnen ab, der Rest sollte sich der Gasse von den Dächern her anpirschen.

Saltak und Yldra näherten sich der Gasse von der Straße aus. Kaum waren sie nahe genug herangekommen – Saltak wollte gerade die Hand heben und den Befehl geben, zu stürmen –, rollte eine Granate vor ihnen auf die Straße.

»Deckung!«, brüllte Yldra und riss ihn zu Seite.

Die Granate detonierte – doch es war nur eine Rauchbombe, die die Gasse und die Straße in dichten Nebel hüllte.

»Helme schließen!«, befahl Saltak, obwohl die meisten seines zwölf Mann starken Trupps wohl von selbst darauf gekommen waren. »Lasst sie nicht entkommen! In breiter Aufstellung stürmen!«

Mit Yldra und den Soldaten drang er in die Gasse vor und ignorierte dabei den dichten Rauch. Saltak schaltete die Infrarotsicht seines Helmes an und befahl seiner Truppe, ihre Strahler auf Paralyse zu schalten. Zwar hätte er gut Lust gehabt, diese elenden Methanatmer einfach zu verdampfen, aber das würde sie nicht weiterbringen.

Die Befehle waren eindeutig: Sie brauchten Gefangene, um die Taktik ihrer Gegner zu ergründen. Maahks waren zwar nicht unbedingt bekannt dafür, in Gefangenschaft kriegswichtige Geheimnisse auszuplaudern, aber eine andere Chance hatten sie nicht.

Doch obwohl ihnen schon nach wenigen Schritten Strahlerschüsse entgegenzuckten, zeigte ihm die Infrarotsicht nichts an.

Saltak fluchte. Die Maahks mussten über Individualschirme verfügen, die sie völlig abschirmten. Nach dem, was dieses seltsame Kraftfeld um Larsaf leistete, wunderte ihn gar nichts mehr. Die Technik der Methans war weitaus fortgeschrittener, als das arkonidische Oberkommando bislang zugegeben hatte.

Endlich tauchten ein paar Wärmesignaturen auf – vielleicht hatte der arkonidische Beschuss die Schilde geschwächt? – und Saltak konzentrierte sein Feuer darauf. Neben ihm schrie Yldra auf, als ein Schuss sie in die Brust traf und ein paar Schritte zurückschleuderte, sodass sie im Rauch verschwand.

Saltaks Herz gefror. Nein! Nicht Yldra! Warum war ihr Schirm nicht aktiv?

Er war ziemlich sicher, dass die Maahks nicht so rücksichtsvoll waren, mit nichttödlichen Waffen zu schießen. Wutentbrannt legte er seinen Finger auf den Schalter, der seine Waffe auf tödliche Desintegration umstellen würde. Ihm war sehr wohl bewusst, dass sich damit die enge Gasse in eine Hölle verwandeln würde.

Sein Finger zuckte. Er ließ es sein. Wenn Yldra nicht tot, sondern schwer verletzt war, ihr Schirm jedoch versagt hatte, würde er sie damit vielleicht umbringen.

»Schnappt sie euch!«, schrie er stattdessen.

Der Straßenkampf artete wegen der schlechten Sichtverhältnisse in Chaos aus. Um Saltak herum schrien Soldaten und brachen zusammen.

Die Schirme versagen alle! Warum? Die zuckenden Strahlerschüsse schienen von überall zu kommen.

Ein paar Zentitontas später löste sich der Nebel auf. In der Gasse standen und lagen ausnahmslos Arkoniden.

»Verdammt! Wo sind sie hin?«, fluchte einer der Männer.

»Das würde ich auch gerne wissen.« Verwirrt sah sich Saltak um. Er erkannte, dass die Soldaten am Boden nicht tot, sondern paralysiert waren. Im Moment schien es, als seien niemals Maahks in der Gasse gewesen.

Er rannte zu Yldra, die ebenfalls betäubt war. Die Erleichterung, dass sie lebte, fühlte sich so gut an wie ein K'amana am Morgen. Er befahl ihrer Anzugpositronik, die Paralyse mit einem Gegenmittel zu bekämpfen; das war zwar gefährlich für Yldras Kreislauf, aber er wusste nicht, ob ihnen weitere Maahks auflauerten. Und in so einem Fall musste sie wach und einsatzfähig sein.

Wie immer war Yldra sofort bei sich – sie brauchte nie lange, um aufzuwachen. Ihr hellroten Augen sahen sich lebhaft um. »Was ist passiert? Habt ihr sie erwischt?«

»Du hast mir einen Heidenschrecken eingejagt, das ist passiert!«, schnauzte Saltak sie an. »Warum war dein Individualschirm inaktiv, sodass der Paralyseschuss dich einfach so treffen konnte?«

Verständnislos blinzelte Yldra ihn an und ließ sich von ihm auf die Beine ziehen. »Was meinst du? Hast du nicht gemerkt, dass die Rauchbombe die Schirme desaktiviert hat? Das muss ein Hyperschock gewesen sein, oder so etwas Ähnliches.« Sie schaltete ihren Schirm an. »Da, jetzt geht er wieder.«

Saltak wurde kalt. Diesen Effekt hatte er tatsächlich nicht bemerkt. Ein unverzeihlicher Fehler. Er hatte seine Leute schutzlos in eine Straßenschlacht geschickt.

Yldra knuffte ihn in die Seite. »Hey, wir alle waren uns des Risikos bewusst. Wir wussten, dass das unsere einzige Chance war, mal ein paar der Mistkerle zu schnappen.« Sie sah sich um. »Aber sieht so aus, als hätten sie uns wieder an der Nase herumgeführt. Ich wette, wir haben uns in der Nebelsuppe munter gegenseitig paralysiert.« Sie lachte trocken. »Gut, dass du nicht-tödlichen Schaden befohlen hast, Kumpel.«

Kumpel. Ja, das bin ich für Yldra. Nicht mehr, nicht weniger.

Ehe er etwas entgegnen konnte, meldete sich das Oberkommando per Funk. »Sofort in der Einsatzzentrale sammeln.«

»Was ist los?« Yldra runzelte die Stirn.

Saltak schluckte. »Ich glaube, Kommando Lakhros beginnt bald ...«