18.

Die Metamorphose

 

Ich spürte sofort, wie die Wirkung einsetzte. Es ist schwer zu beschreiben – mit einem Mal fühlte ich mich der Welt entrückt. Nein, nicht was Sie denken. Ich war auch einmal jung und kenne Pillen, die einen der Welt entrücken. So eine Pille war es nicht.

Nein, es war vielmehr so, als ob Darc, der Raumhafen und die vielen Raumschiffe plötzlich sehr weit von mir entfernt waren. Stattdessen war ich völlig auf meinen Körper fokussiert.

Ich habe mir nie viel aus meinem Körper gemacht. Andere Arkoniden trainierten ihre Muskeln, achteten auf ihre Haare und solchen Schnickschnack. Mich hat so was nie interessiert. Schon in meiner Jugend war es das Wissen, das mich anzog. Während andere Jungen Trainingsapparate geschenkt bekamen und sie stundenlang benutzten, um sich zu stählen, zerlegte ich sie, um zu sehen, wie sie funktionierten.

Deswegen war es ungewohnt für mich, meinen Körper derart intensiv zu empfinden. Und ich meine das im konkreten Wortsinn: Ich fühlte die Spitzen meiner Haarwurzeln, die Sohlen meiner Füße, die einzelnen Härchen auf meinen Armen. Ich spürte das Pulsieren des Bluts in meinen Adern, die Kommunikation der Synapsen in meinem Gehirn, das Brausen des Atems in meiner Lunge. Ich schloss meine Augen und sah trotzdem alles. Es war, als hätte jemand meinen Körper auf einen Versuchstisch gelegt und ich konnte nun jede Einzelheit in aller Ruhe betrachten, wie durch ein Mikroskop. Ich nahm ihn mit all seinen Stärken und Schwächen wahr. Und ich verabschiedete mich. Ich ahnte, dass ich ihn in dieser Form nie wiedersehen würde.

Ich hatte keine Ahnung, was das für eine Pille gewesen war, die ich so bereitwillig wie ein Hustenbonbon geschluckt hatte. Aber ich ahnte, dass sie aus der gleichen Quelle stammte wie die wundersame Technik von Logan Darc.

Wenn Sie erwarten, dass ich Ihnen die Wirkungsweise der blauen Wunderpille beschreibe, muss ich Sie enttäuschen. Ich habe wirklich keine Ahnung, wie sie funktioniert hat. Ich habe nicht einmal den Ansatz einer Erklärung dafür. Ich kann Ihnen lediglich berichten, was mit mir geschehen ist. Und das ist wundersam genug.

Wundersam – ein Wort, das ich früher niemals benutzt hätte. Aber für diese Technik fehlen mir die Begriffe. Ich finde es höchst bedauerlich, dass ich wohl nie mehr die Gelegenheit erhalte, sie selbst zu erforschen.

Der von mir geschilderte Zustand schien Tontas anzuhalten. In Wahrheit waren es wohl nur wenige Millitontas. Aber was hat Zeit nach dieser Erfahrung für eine Bedeutung?

Ein Kribbeln durchlief meinen ganzen Leib; ich spürte, wie die Veränderung begann. Zunächst verformte sich mein Körper. Arme, Beine, Torso, Kopf: Alles verschob sich, dehnte sich aus, zog sich zusammen und erhielt eine neue Qualität.

Für Außenstehende hätte es mit Sicherheit befremdlich, wenn nicht sogar beängstigend gewirkt. Doch außer Logan Darc war niemand in der Nähe, und er schien über das Spektakel nicht besonders überrascht zu sein. Nun wurde mir klar, warum er mich hierhergebracht hatte: Auf dem Landefeld war genug Platz und es gab kaum Zuschauer. Es mag sein, dass der eine oder andere Kolonist am Fenster des Abfertigungsgebäudes stehen mochte, oder ein als Wache zurückgelassener Soldat an der Luke eines Raumschiffes. Wenn es so gewesen sein sollte, mag sich derjenige voller Entsetzen abgewandt haben. Verstanden, was dort vor sich ging, hat sicher keiner von ihnen.

Ich war in diesem Moment ohnehin viel zu sehr mit mir selbst beschäftigt, um auf mögliche Zuschauer zu reagieren. Die Kleidung, die ich bis zu diesem Zeitpunkt getragen hatte, fiel ab von mir, als sei sie eine Schlangenhaut. Meine Extremitäten verschmolzen, formierten sich neu.

Als dieser Teil der Metamorphose beendet war, fand ich mich in einer komplett neuen Form wieder. Mein Äußeres hatte nichts Arkonoides mehr an sich. Mein Körper hatte vielmehr eine vage rund-ovale Form angenommen, unterteilt in zwei Hälften. Wer wollte, konnte darin das Abbild eines Gehirns sehen, was mir natürlich äußerst gut gefiel. Ich habe mein Wesen schließlich schon immer als Verkörperung des Geistes wahrgenommen. Endlich spiegelte er das äußerlich wider.

Zudem war ich gewachsen und hatte nunmehr die Größe eines bescheidenen Gleiters angenommen. Mir war vollkommen unverständlich, wie diese Pille es bewerkstelligt hatte, meine Masse derart zu vervielfältigen. Nichts, was ich kannte, könnte etwas Derartiges veranlassen. Und trotzdem war es so.

Das war erst der Beginn der Transformation, die mir eigentlich erschreckend und fürchterlich hätte vorkommen müssen. Ich empfand sie hingegen als faszinierend und inspirierend und war geehrt, etwas Derartiges erleben zu dürfen. Mit Sicherheit war ich der einzige Arkonide, dem jemals eine solche Erfahrung zuteilgeworden ist – falls es andere gibt, haben sie sich bislang erstaunlich bedeckt gehalten.

Als Nächstes fühlte ich, wie sich meine Haut zu verändern begann. Natürlich hatte sie sich bereits zuvor verändert, sonst wäre die Wandlung meines Körpers gar nicht möglich gewesen. Sie hatte sich gedehnt, gestreckt und verformt. Die Haut ist das größte Organ des Körpers, und so war das Ganze mit erheblichen Schmerzen verbunden. Ach, was sage ich, es war die reinste Qual! Dennoch war ich viel zu fasziniert von dem, was mit mir vorging, um ernsthaft darunter zu leiden.

Das muss jedem, der das hört, seltsam vorkommen, aber es ist so: Ich schrie gleichzeitig vor Qual und vor Ekstase, Überraschung und Freude. Als die zweite Stufe der Verwandlung begann, waren die Schmerzen bereits zur Nebensache geworden, die ich kaum noch bemerkte.

Die Veränderung hingegen nahm ich bis ins Detail wahr. Meine Haut löste sich zunächst in ihre Bestandteile auf. Es ist nicht so, dass Epidermis, Lederhaut, Fettzellen und Bindegewebe auf einmal nicht mehr existierten. Sie zerlegten sich vielmehr in ihre Atome und mischten sich neu.

Die Pille trug dazu bei, dass andere Bestandteile hinzukamen, deren Herkunft ich nicht kenne. So wurde meine Haut zu einer Art Legierung, die sich um meinen Körper schmiegte: blau schimmernd, hart und widerstandsfähig wie der beste Arkonstahl. Das Material war fremdartig und gleichzeitig vertraut. Es war, als hätte ich mir einen neuen Wintermantel gekauft, der wie angegossen passte und nach den Haaren einer Geliebten duftete.

Ja, auch ich hatte Geliebte im Laufe meines Lebens. Zahlreiche. Aber das ist eine andere Geschichte.

Bald war meine äußere Verwandlung abgeschlossen, meine innere Metamorphose dagegen noch lange nicht. Meine Muskeln und Knochen bildeten sich zu einem stabilen Rahmen – vielleicht könnte man es auch als Gerüst bezeichnen –, der in den beiden Hälften meines Körpers zwei identische Kammern formte. Sie hatten jeweils genug Kapazität, um einen ausgewachsenen Arkoniden aufzunehmen – stehen konnte derjenige jedoch nur in der Mitte. Eine dünne, durchsichtige Membran trennte die beiden Kammern voneinander. In ihrem Zentrum formten sich aus Knochen und Sehnen zwei Sessel. Auch hier überzog bald die blaue Legierung alle Oberflächen.

Meine Lunge wurde zu einem Katalysator, der ein geschlossenes System versorgte. Das Wundervolle daran war, dass ich nur eine gewisse Menge an Sauerstoff als Grundlage benötigte, um daraus in einem ewigen Kreislauf erneut Sauerstoff und Wasser herstellen zu können – denn natürlich brauchte auch ich selbst weiterhin Sauerstoff, Wasser und Nahrung, um zu existieren. Schließlich war ich nach wie vor ein Lebewesen.

Mein Herz wandelte sich zu einem Raumschiffsantrieb. Ich habe mich in meinem Leben viel mit Raumschiffen und ihren Antrieben beschäftigt. Aber das, was die blaue Pille aus meinem Herzen machte, war mit keiner Technik vergleichbar, die ich kannte. Ich wusste sofort: Kein Antigravantrieb und kein Hyperantrieb konnten es damit aufnehmen.

Dieser Antrieb war in der Lage, große Distanzen zu überbrücken und unwahrscheinliche Geschwindigkeiten zu entwickeln. Es war ein Wunderwerk, das ewig laufen würde, solange ich in regelmäßigen Abständen mit Energie versorgt würde. Und dabei war es völlig gleichgültig, ob ich diese Energie in Form von Sonnenenergie, Plasma, Treibstoff, Nahrungsmittelkonzentraten, Sherkklößen oder K'amana zu mir nehmen würde.

Mein Gehirn schließlich – Sie haben es sich wahrscheinlich schon gedacht – wurde zur Positronik des Schiffes QUARTAM. Aber bei einem Gehirn wie dem meinen war zu erwarten, dass es keine gewöhnliche Positronik sein würde. Da das ganze Schiff ein Gehirn war – wenn man, wie gesagt, eines darin erkennen wollte –, war die Positronik in der gesamten organischen Substanz des Schiffes verteilt.

Und überall waren Sensoren: Ich sah, hörte, roch und fühlte alles, was im Schiff und rund um das Schiff war. Mehr noch: Ich konnte auf Flox als Satelliten zugreifen, um etwas zu sehen, das weiter entfernt von mir geschah – oder um mich selbst zu sehen. Das war der Grund dafür, dass ich die ganze Pracht, in der die QUARTAM nun auf dem Raumhafen von Arkonis stand, wahrnehmen konnte.

Ich muss sagen, ich war von mir selbst mehr als beeindruckt.

Logan Darc wusste genau, wann die Metamorphose beendet war, denn er sprach mich an. »Wie fühlst du dich, QUARTAM?«

»Sehr gut. Ich glaube fast, dass ich mich in meinem Leben nie so gut gefühlt habe.« Ich sprach. Aber womit? Ich habe keine Ahnung. Meine Stimme klang wie immer.

»Dann bereust du nicht, dass du dieses Opfer gebracht hast?«

Ich überlegte. Meine Denkprozesse waren um das Tausendfache beschleunigt, sodass meine Antwort dennoch sofort erfolgte. »Was für ein Opfer? Ich bin auf eine neue Ebene der Existenz gewechselt. Mein Dasein hat eine neue Stufe erreicht, und ich bin dankbar, dass du mich dafür ausgewählt hast.«

Logan Darc wirkte zufrieden. »Dann lass uns losfliegen.«

Ich bildete eine Tür aus, durch die Darc und Flox die QUARTAM betreten konnten. Flox schien nicht besonders erstaunt über meine Wandlung zu sein. Aber warum sollte er auch? Er war ein kleiner Roboter mit einer mäßig entwickelten Positronik. Was ich geworden war, musste für ihn die Krone der Schöpfung darstellen: zur Technik gewordene Intelligenz.

Nachdem Darc in einem der beiden Sessel Platz genommen hatte, schloss ich die Luke und hob ab. Natürlich musste Darc nicht steuern oder Ähnliches. Meine Positronik übernahm all dies. Ich wusste sehr gut, dass mir die Energiebarriere um Larsaf III keine Probleme bereiten würde. Ein Schiff wie ich konnte einfach hindurchfliegen.

Während wir das Sonnensystem verließen, fühlte ich mich glücklich. Ich wusste, dass ich meine Aufgabe erfüllen würde: Ich würde zum Sturz Tolcais und zur Vernichtung des Talagons beitragen. Zwar ahnte ich nicht, wie das geschehen sollte. Aber ich war mir sicher, dass ich den Schlüssel dazu in mir trug.

Ich nahm Kurs auf das Tunniumsystem.