Atlan
»Dieser verdammte ...« Ich hob die Fäuste, als die hellblaue Energiebahn von der STRAHLKRAFT durchs All auf den Planeten zuraste. Sie hatte denselben Durchmesser wie Zharokon, der Militärstützpunkt auf Galkorrax.
»Unbekannte Energiesignatur, Admiral!«, meldete der Orter.
Es hätte mich gewundert, hätten wir die Waffe zuordnen können. Der Zweck hingegen war unmissverständlich. Der Waffenstrahl setzte an den Rändern von Zharokon auf und schob sich zusammen, bis er an einem einzigen Punkt angekommen war. Danach gab es keinen Flottenstützpunkt mehr. Jegliche Materie und alle Lebewesen hatten sich aufgelöst, als wären sie niemals vorhanden gewesen. Nur die Planetenoberfläche war davon nicht betroffen.
Stille kehrte in der Zentrale der TOSOMA ein. Ich war geschockt. Auch meine Kameraden starrten in das Hologramm und verloren kein Wort. Im ersten Moment drängte sich mir der Vergleich zu einer Totenfeier auf. Es war ... ja, totenstill.
Im jahrelangen Krieg gegen die Maahks hatten wir schlimme Sachen getan und noch schlimmere gesehen. Aber Tolcais sinnloses Gemetzel suchte seinesgleichen. Wir hatten wenigstens eine Rechtfertigung, denn wir bekriegten uns wegen Hyperkristallvorräten, der Basis unserer fünfdimensionalen Technologie. Aber Tolcai?
Warum tut er das?, fragte ich mich. Was steckt dahinter?
Sogar mein Extrasinn, sonst nie um Antworten oder eine Hypothese verlegen, schwieg.
»Admiral«, unterbrach mich der Orter. Er wirkte verunsichert. »Ich orte eine Impulsspitze im Bereich harter Hyperstrahlung.« Nachdenklich überprüfte er wohl zum wiederholten Mal die Messergebnisse. »Sie gleicht einer Arkonbombe.«
Neben meinem Volk hatten auch andere Völker diese Planetenzerstörungsbombe entwickelt. Bei ihnen hieß sie natürlich weniger pathetisch nach der Hauptwelt, sondern schlicht Fusionsbrandbombe. Ich wusste, dass die Maahks dazugehörten; nur hatte ich keine Informationen, ob und wann sie diese jemals eingesetzt hatten. Im Großen Krieg hüteten sich sowohl die Maahks als auch wir uns, diesen ultimativen Schritt zu tun. Der Einsatz der Arkonbombe gegen einen bewohnten Planeten würde den Krieg auf eine Ebene hieven, die zwei Verlierer und keinen Gewinner kannte. Sie hinterließ nur aufgelöste Planeten.
Die Arkonbombe regte die Atomkerne hyperenergetisch an, damit sie fusionierten, um nach dem Schneeballprinzip eine Kettenreaktion auszulösen. In Nullzeit sprang der Zündimpuls dann von Atomkern zu Atomkern und verursache einen unlöschbaren Atombrand.
Mit anderen Worten: Galkorrax war dem Untergang geweiht und die Bevölkerung zum Tode verurteilt.
»Admiral, wir müssen die Maahks evakuieren!«, sagte Yrrep. »Und wir dürfen keine Zeit verlieren!«
Wieso war klar, dass er das fordern würde?, fragte der Extrasinn.
Bei einem Planeten wie Galkorrax dauerte die Fusion jeglicher Materie nicht einmal einen Prago. Dennoch genug Zeit, um zumindest einen Teil der Bevölkerung zu retten. Doch mit welchen Schiffen?
Die Maahks befanden sich in einer Abwehrschlacht, die obsolet geworden war. Sie hätten längst abdrehen und sich um die Leute kümmern müssen. Und Tolcai in der kobaltblauen Walze hätte es auch gut sein lassen können.
Doch nichts davon geschah. Die rochen- und eiförmigen Beiboote der Walze schossen die Maahks weiter schrottreif oder tilgten sie aus dem Universum. Sie gingen sogar einen Schritt weiter und beschossen die ersten von Galkorrax flüchtenden Schiffe.
Was für ein Problem hatte dieser Tolcai? Immerhin hielt er das Talagon wieder in Händen.
»Hat Tolcai die Bombe geschickt oder war sie im unterirdischen Waffenarsenal der Maahks?«, fragte Tarts in die Runde.
»Vermutlich Letzteres«, antwortete Yrrep. »Tolcai hätte den Planeten mit einem Fingerschnippen zerstört. Aber das ist irrelevant. Wir müssen so viele Maahks wie möglich retten.«
Erneut hatte ich das Gefühl, das Yrrep mehr wusste.
»Die Maahks sollen ihre Leute gefälligst selbst retten!«, rief Tarts aufgebracht. »Warum sollen wir uns in Gefahr bringen, wenn sie selbst sich nicht darum kümmern?«
»Weil es Lebewesen sind, die essen, trinken und mit ihren Kindern spielen.«
»Sie reden von den Methans, Mann! Das sind kaltherzige, rein logisch denkende Wesen, die Eier legen. Die haben keinen Spaß!«
Ich starrte auf die flüchtenden Schiffe, die abgeschossen wurden. Krieg hin oder her, es war eine Tragödie.
Sobald Tolcai das Talagon öffnet, sterben sie ohnehin.
Diesen Umstand blendeten wir aus, denn wir gingen davon aus, das Talagon zurückzuerobern. Folglich mussten wir die Maahks vor dem Irrsinn retten.
»Sie sind ein altgedienter Militär«, entgegnete Yrrep. »Sie können humanitäre Gedanken nicht verstehen!«
»Das Wort höre ich zum ersten Mal!« Tarts' Wangen waren rot. »Ist wohl eine Neuschöpfung vom Rand der Galaxis, wo Sie herkommen!«
Ich konnte mir lebhaft vorstellen, wie es in meinem Mentor aussah. Während die beiden weiter stritten, stellte ich mir die Reaktion des Flottenkommandos vor, falls sie jemals davon erfuhren, dass wir den Feind vor dem Tod gerettet hatten, statt bei jedem abgeschossenen Schiff zu applaudieren und Jubelschreie auszustoßen.
Eine Degradierung wäre als Reaktion das Harmloseste gewesen. Wer den Feind unterstützte oder gar half, konnte sich gleich mit der Todesstrafe anfreunden.
Du wanderst ohnehin nach Celkar, weil du mit Geektor gemeinsame Sache gemacht hast.
Zum Wohle Arkons!
Erzähl das dem Richter.
»Sie und Ihre schwachsinnigen Ideen!«, rief Tarts von seinem Kapitänspult aus. Offenbar hatte Yrrep ihm erklärt, was »humanitär« bedeutete. Und meinem alten Mentor gefiel die Definition ganz und gar nicht. »Wir sind mit den Maahks im Krieg, daher haben sie kein Mitgefühl verdient.« Er schnaufte. »Jeder tote Maahk ist ein Kämpfer weniger!«
»Dort unten sterben unschuldige Zivilisten!«, beharrte Yrrep.
»Sie haben gehört, was Geektor zum Thema Zivilisten gesagt hat?«
»Ich bezweifle, dass eine Maahkfrau, die nicht für das Militär arbeitet, von sich behauptet, sie sei im Krieg mit den Arkoniden.«
Ich horchte auf. Eigentlich hätte ich von einem Kolonialarkoniden das Wort uns erwartet.
»Abgesehen von der militärischen Komponente – wie sollen wir mit einem Schiff mit Sauerstoffatmosphäre ganz Galkorrax evakuieren?«, versuchte ich, die Diskussion auf das Wesentliche zu fokussieren.
»Wir nutzen auch die Beiboote«, hielt Yrrep dagegen. »Und wir ziehen uns Kampfanzüge an und fluten das Schiff mit einem für die Maahks atembaren Gemisch.«
»So weit kommt es noch!«, rief Tarts dazwischen.
»Eine naheliegende Idee, Vere'athor Yrrep. Doch auch damit schaffen wir es nicht.« Ich schüttelte den Kopf. »Wir haben Geektor mehr als einmal dazu aufgefordert, seine Leute zu retten. Es war ihm nicht wichtig genug.« Ich zuckte mit den Achseln. »Ich werde daher meine Männer und Frauen nicht der Gefahr aussetzen.« Energisch schüttelte ich den Kopf. »Vergessen Sie den Gedanken!«
»Dann geben Sie mir ein Beiboot, ich fliege selbst.«
Da war er wieder, dieser unbeugsame Blick. Dieser Mann würde erst ruhen, wenn er seinen Willen durchgesetzt hatte.
Wieso erinnert mich das an dich?
»Vere'athor, es reicht!«
Er drehte sich zu mir. »Wie viel hat Ihnen Ihre Großcousine bedeutet?«
Traurigkeit erfasste mich. Rowena war wie Yrrep mit drei anderen Arkoniden mit technisch abgespeckten Jägern im Zuge der Operation Nadelstich in den Einsatz gegangen, um die Hypervakuolenprojektoren zu unterlaufen und aus dem System herauszufliegen. Sie galt als tot.
»Was hat Rowena damit zu tun?«, fragte ich verärgert. Ich traute ihm jede moralische Sauerei zu, um sein Ziel zu erreichen.
Und wieder eine Gemeinsamkeit.
»Sie hat sich für mich verbürgt. Ihr Befehl hat sie in einem Raumjäger in die Vakuole getrieben – aber sie gehorchte letztlich auch, um die Bevölkerung von Galkorrax zu retten. Soll der Tod Ihrer Großcousine umsonst gewesen sein? Wollen Sie wirklich Rowenas letzten Wunsch ignorieren, dass Sie mir vertrauen sollen – indem Sie meinen Wunsch abschmettern?«
Du hattest recht: Er zieht wirklich alle moralischen Register, kommentierte der Extrasinn.
»Sie kommen mir ernsthaft mit dieser Tränendrüsennummer?«
»Ja«, sagte er tatsächlich. »Admiral, ich spüre, dass Sie ein Mann von Ehre sind. Leben bedeutet Ihnen etwas. Ja, Sie sind in einem Gefecht beinhart, aber Sie würden niemals ein Schiff vernichten, sofern Sie es schrottreif schießen könnten.«
Innerlich staunte ich. Yrrep war ein guter Arkonidenkenner. Noch nie hatte mich jemand nach so kurzer Zeit durchschaut.
Du huldigst ihm, während er dich moralisch vorführt?
Ehre, wem Ehre gebührt.
»Können Sie es mit Ihrem Gewissen vereinbaren, dass auf Galkorrax unschuldige Lebewesen sterben?« Er zeigte zum Holo. »Gleichgültig, welche Atmosphäre sie atmen?«
Ich lehnte mich zurück und suchte nach einem Ausweg, den ich vor mir und der Mannschaft vertreten konnte.
»Geben Sie sich einen Ruck, Admiral. Für Rowena!«
Der ist wirklich gut!, zog der Extrasinn nun auch den unsichtbaren Hut.
Vor meinem geistigen Auge sah und hörte ich Rowena, wie sie mir Yrrep und Skrod-Uhcis als Berater schmackhaft gemacht und damit untergejubelt hatte. Ich streckte mich.
»Wir treffen uns in einer Zentitonta im Besprechungsraum A und dann will ich sinnvolle Vorschläge hören, wie wir einen Teil der Maahks evakuieren können, ohne uns in Gefahr zu bringen.«