Vergangenheit, Larsafsystem
Das ist sie , dachte Kinco da Trohnar und blickte in das Hauptholo. Die TOSOMA.
Der 800 Meter durchmessende Raumer der TUSSAN-Klasse schwebte über dem dritten Planeten des Larsafsystems und reflektierte das satte Blau der Meere. Dieser Schiffstyp war die Hoffnung des Flottenkommandos auf Arkon. Ginge es nach dem Imperator und den hochrangigen Offizieren, sollte er die Wende im Krieg gegen die Methans einleiten, denn er war den Walzenraumern des Feindes in den meisten Belangen überlegen.
Vierundzwanzig schwere Impulsgeschütze, zwanzig Thermokanonen, zehn Desintegratorgeschütze, dozierte da Trohnars Extrasinn.
Und nicht zu vergessen, das überschwere Zwillings-Impulsgeschütz in der oberen Polkuppel, ergänzte er lautlos. Und den beschussverdichteten Arkonstahl, dem nachweislich stabilsten Baumaterial in ganz Debara Hamtar, der Öden Insel.
»Einschleusung in Kürze, Vere'athor«, informierte ihn der Kapitän des Ultraleichten Kreuzers.
Da Trohnar nickte flüchtig. Er freute sich, das Flaggschiff des 132. Einsatzgeschwaders zu betreten. Es würde zumindest für ein Jahr seine neue Heimat werden. Danach würde er selbst so eine Flotte befehligen. Ja, seinen Plan, in einem Jahr vom Zweiten Stellvertreter des Flottenkommandanten zum Admiral 4. Klasse befördert zu werden, hätten manche ambitioniert genannt.
Wohl eher arrogant!, motzte der Extrasinn.
Doch bislang war er in Windeseile durch die militärischen Ränge marschiert, hatte jede Schlacht gewonnen und in knapp zehn Jahren acht Millionen Methans und Zehntausendende von Walzenraumern in den Hyperraum geblasen. Ihn hielt das Flottenkommando nicht lang auf einer Position, denn er war eindeutig zu Höherem berufen.
Tehk'pama, Dreisonnenträger Stabsadmiral im Flottenkommando da Trohnar, hörte er bereits den Imperator während der Verleihungszeremonie in acht Jahren sagen. Und er sah seinen Vater, der vor Stolz nicht zu atmen wagte und ihm zumindest unter vier Augen mit einer kurzen Umarmung gratulieren würde, denn sein Vater belohnte ausschließlich Leistung. Er konnte sich nicht erinnern, dass er ihn je einfach so geherzt hatte.
Zuerst Leistung, dann Lob, war zu dem inoffiziellen Khasurn-Spruch geworden.
Ein echter Arkonide bringt Leistung, war der am häufigsten gehörte Satz seiner Kindheit und Jugend gewesen. Und er hatte sein Leben danach ausgerichtet.
Darum würde seine Uniform zu seinem nächsten Geburtstag mit 29 Jahren der Admiralstitel 4. Klasse zieren – viel früher, als es sein neuer Befehlshaber Atlan da Gonozal geschafft hatte.
Seine Augen begannen zu tränen, denn der Sohn des ermordeten Imperators war nicht irgendwer. Der Kristallprinz würde ihn prüfen, ihm Fallen stellen, aber am Ende einsehen müssen, dass für Kinco da Trohnar nur eine Stelle infrage kam: Thek'athor, Stabsadmiral im Flottenzentralkommando Thektran.
Qualität setzt sich durch, erinnerte er sich an einen Spruch des Kristallprinzen, den er bei seiner Vorbereitung auf die Zusammenarbeit gefunden hatte.
Ein Lächeln umspielte da Trohnars Lippen. Einige Dinge konnte er durchaus von da Gonozal lernen. Seine geschliffene Rhetorik oder sein Umgang mit Vorgesetzten. Außerdem schien er nur sich und seinem Gewissen verantwortlich und artikulierte seinen Ärger über Fehlentscheidungen des Flottenkommandos zumeist lautstark. Andererseits konnte sich der Kristallprinz über ihn freuen, denn er ergänzte die Führungsebene des 132. Flottengeschwaders mit seiner taktischen Stärke.
Doch eine dunkle Wolke schwebte über dem neuen Einsatzgebiet: Kurz vor dem Aufbruch hatte einer der Flottenadmiräle eine geheime Mission befohlen. Er sollte das Gerücht verifizieren, dass der Kristallprinz mit dem Feind kollaborierte.
Allein bei der Vorstellung kribbelte es am ganzen Körper. Atlan da Gonozal war über jeden Zweifel erhaben. Es gab keinen Grund, warum der Admiral ein doppeltes Spiel spielen sollte.
Dennoch hatte er bestätigt, Augen und Ohren offen zu halten. Natürlich hatte er die Gunst der Stunde genutzt und eine raschere, zukünftige Beförderung herausgeschlagen – sofern er die Wahrheit aufdeckte.
Der Ultraleichte Kreuzer glitt in den unteren Hangar der TOSOMA. Da Trohnar sah weder ein Empfangskomitee noch eine seinem Posten entsprechende Ehrenformation. Ein einzelner Arkonide lehnte an der Hangarwand, durch einen Energieschirm vor der tödlichen Kälte des Alls geschützt.
Das Psychospiel hatte begonnen. Falls da Gonozal glaubte, ihn damit zu verunsichern, täuschte er sich. Einem Militär seines Kalibers kam es darauf an, Schlachten zu gewinnen und den Feind zu besiegen – koste es, was es wolle. Der militärische Aufstieg war ihm Lohn genug.
Und eine Umarmung deines Vaters, ätzte der Logiksektor.
Da Trohnar ging nicht auf die Stichelei ein, sondern ließ die Positronik den Namen des Arkoniden einblenden, der auf ihn wartete.
Ocics Gemko.
Mit diesem Thos'athor, einem einfachen Raumsoldaten und Offiziersanwärter, hatte ihm da Gonozal einen Angehörigen des zweitniedrigsten Rangs geschickt. Also wollte der Kommandant wissen, wie er auf so eine »Erniedrigung« reagierte.
Würde er darauf pochen, seiner Herkunft entsprechend behandelt zu werden? Oder würde er sich weigern, den Kreuzer zu verlassen, bevor nicht ein angemessenes Empfangskomitee den Hangar betreten hatte?
Das alles wären adäquate Reaktionen eines Hochadeligen auf die Beleidigung gewesen, dass ihn nur ein einzelner Mann empfing.
Der Kreuzer kam über der Parkbucht des Hangars zum Stillstand. Die Landestützen fuhren aus und berührten federnd den Boden.
Da Gonozal, ich komme!
*
»Der Kommandant wird Sie in Kürze empfangen, Hochedler«, hatte ihn der Offiziersanwärter begrüßt. »Und bietet Ihnen in der Zwischenzeit eine Schiffsrundführung an.«
»Nicht nötig, ich kenne sowohl Schiffsaufbau als auch die technischen Daten. Bringen Sie mich in einen Konferenzraum.«
Schweigend hatte ihn der Soldat durch die TOSOMA geführt. Auf dem ganzen Weg hatte da Trohnar das Gefühl, dass der Junge mit sich rang und etwas fragen wollte, doch er brachte offenbar den Mut nicht auf.
Nun saß er seit einer halben Ewigkeit in dem Vorraum und beobachtete, wie mehrere Männer mit entspannten Mienen an ihm vorbeistapften, in da Gonozals Büro verschwanden und mit gefurchten Stirnen und düsteren Blicken wieder herauskamen. Einer davon verwendete ein streng riechendes Parfum, das mit dem Frühlingsduft von blauen Rosen identisch war.
Du bist hier richtig, analysierte der Extrasinn. Es braut sich etwas zusammen.
Ein Teil von ihm zweifelte daran, dass er am Rand der Öden Insel das nächste Etappenziel erreichte. Um seine Erfolgsbilanz auszubauen, brauchte er den Kampf gegen den Feind samt Abschüssen und gewonnenen Schlachten.
Du brauchst es für dein Seelenheil, legte der Logiksektor den Finger auf die Wunde.
Doch diesen unbedeutenden und entlegenen Raumsektor hatten die Methans bislang gemieden. Also hoffte er, dass sich da Gonozals Geschichte wiederholte, denn er zog Schwierigkeiten magisch an.
Dadurch stiegen die Chancen, dass er sich hier bewähren konnte. Hemmungen zu Eigenmächtigkeiten kannte er ohnehin nicht. Seine Erfolge beruhten darauf, dass Vorgesetzte ausgefallen waren oder sich als unfähig erwiesen hatten. Sobald sich eine Chance ergab, Punkte für den weiteren Aufstieg zu sammeln, schlug er zu. Und eine Befehlsübertretung musste im Licht der Schwächung des Gegners und Stärkung der arkonidischen Position gesehen werden.
Das Schott des Konferenzraumes glitt auf, und ein hochgewachsener, leicht gebeugt gehender Arkonide betrat den Raum. Kurz warf er ihm einen Blick zu, nickte und steuerte auf das Schott zu, hinter dem da Gonozal was auch immer tat.
Da Trohnar schüttelte sich innerlich. Noch nie hatte er einen so durchdringenden und intensiven Blick gesehen. Der Neuankömmling schien jedes Molekül seines Körpers durchleuchtet und jeden Gedanken überprüft zu haben.
Tarts da Rhegant, der Kapitän der TOSOMA und engster Berater von da Gonozal, meldete sich der Extrasinn. Er war maßgeblich am Sturz von Orbanaschol III. beteiligt.
Da Trohnar hatte sich schlaugemacht. Wer zu da Gonozal wollte, musste an da Rhegant vorbei, dessen Äußeres täuschte. Die leicht gebeugte Körperhaltung, die faltige Haut und das schüttere Haar ließen ihn im ersten Moment unbedeutend wirken. Doch ein Blick in seine dunkelroten Augen radierte dieses Vorurteil schleunigst aus.
Nach einer Weile öffnete sich das Schott und da Rhegant winkte ihn zu sich, nachdem er mit der Faust gegen die Brust geschlagen hatte. »Vere'athor da Trohnar, danke für Ihre Geduld.«
Lächelnd erhob er sich und spiegelte die Ehrbezeugung. Auch der Admiral stand auf, nickte jedoch nur, weil er der hochrangigere Offizier war. Er ging um den Tisch und lehnte sich an die Tischkante.
»Ich danke Ihnen, dass Sie sich geduldet haben, Vere'athor.« Der Admiral deutete auf einen der Sessel und wartete, bis er sich gesetzt hatte. Da Gonozals Büro war unspektakulär eingerichtet. Schreibtisch, Couch und Besuchersessel. Mangels persönlicher Gegenstände wie Holobildern oder dergleichen wirkte es kalt.
»Da Trohnar, ich bin ein Freund offener Worte, daher sage ich es direkt: Die Bestellung eines zweiten Stellvertreters für mein Geschwader irritiert mich. Ich halte diese Position für unnötig und denke, dass Sie an anderer Stelle besser eingesetzt wären.«
Das war ein stärkerer Tiefschlag als die Abholung durch den Thos'athor. Da Trohnar war sprachlos. Noch nie war er von einem Gesprächseinstieg derart überfahren worden. Da Trohnar wollte aufbegehren und sich verteidigen, doch die unglaubliche Präsenz da Gonozals und die erhobene Hand hinderten ihn daran.
»Meine offizielle Protestnote wurde vom Flottenzentralkommando zur Kenntnis genommen und abgewiesen.« Kurz blickte er zu da Rhegant. »Ich habe mir daher Ihren Werdegang und militärischen Erfolge angesehen. Deshalb sage ich Ihnen klipp und klar. Ihre ›koste es, was wolle‹-Mentalität toleriere ich unter meinem Kommando nicht. Selbiges gilt für Ihren Hang zur Eigenmächtigkeit. Also halten Sie sich an meine Befehle, dann lobe ich Sie in drei Jahren weg.« Er löste sich von der Tischkante. »Sie können wegtreten.«
Da Trohnar räusperte sich und erhob sich. Dieser eingebildete Einsonnenträger würde nie wieder von oben herab mit ihm sprechen.
»Mit Verlaub, Admiral!«
Da Gonozal drehte den Kopf zu da Rhegant. »Was meinen Sie, Kapitän? Erlaube ich?«
Der Kapitän der TOSOMA nickte. »Jedem Delinquenten sollte man das Recht auf Gegendarstellung einräumen.«
»Nun denn, sprechen Sie, Vere'athor.«
»Da Sie meine militärischen Erfolge kennen, werden Sie nicht abstreiten können, dass ich durch mein strategisches Geschick eine Bereicherung für Ihr Team bin. Und ein Blick auf die offiziellen Abschussstatistiken verrät Ihnen, dass ich der Soldat mit der besten Erfolgsquote bin – und zwar der gesamten Flotte.«
Der Admiral lächelte. »Genau darin sehe ich das Problem.«
»Wie bitte?«
»Ihre Bilanz ist durchaus beeindruckend«, antwortete da Rhegant mit ruhiger, leicht eisern klingender Stimme. »Aber um welchen Preis?«
»Ja, um welchen Preis?«, wiederholte da Gonozal und fixierte ihn mit harten Blicken.
Achtung, das ist eine Falle!, rief der Logiksektor.
»Was nützt Ihre Statistik, wenn dafür drei Millionen Arkoniden gestorben sind?« Da Gonozal ballte die Hände. »Verdammt, Mann, drei Millionen Arkoniden! Drei Millionen!« Seine Augen begannen zu tränen. »Alle hatten Freunde, Familien, Verwandte und manche auch Kinder. Alle sind für Arkon in den Krieg gezogen, aber Ihretwegen gestorben!«
Auch da Trohnar spürte salziges Tränensekret auf den Wangen. »Sie sind für Arkon gestorben!«
»Eben nicht!«, rief der Admiral. »Sie sind gestorben, weil Sie sie ohne Rücksicht auf Verluste eingesetzt haben. Und sie sind gestorben, weil sie Ihnen vertraut haben, dass Sie das Richtige tun.«
»Ich habe richtig entschieden – die Feinde vernichtet und von unserem Heimatsystem ferngehalten!«.
»Sie haben Ihre Leute in den Tod geschickt, obwohl andere Varianten des Angriffs mannschonender gewesen wären.«
»Die Einschätzung der Lage und Strategie während eines Gefechts müssen Sie schon mir als verantwortlichem Offizier überlassen. Ich werfe Ihnen ja auch nicht vor, dass Sie im Unsam-Sektor ein Achtel Ihres Geschwaders verloren haben.«
Da Gonozal blickte ihn kalt an. »Das können Sie mir ruhig vorwerfen, denn ich stehe zu meiner damaligen alternativlosen Entscheidung. Im Gegensatz zu Ihnen bin ich der Direktive für Führungsoffiziere der Flotte verpflichtet: Siege und bring deine Leute heil zurück zu ihren Familien.« Da Gonozal sprach wieder ruhig und beherrscht. »Sie haben Ihre diesbezügliche Verantwortung missachtet, denn die Ihnen vom Imperator anvertrauten Soldaten sind nicht Ihr Eigentum, das Sie für Ihre Karriereziele einsetzen können.«
»Paragraf drei des Diensthandbuchs für Offiziere des Tai Ark'Tussan«, zitierte da Rhegant. »Die Fürsorge des Offiziers umfasst das ständige Bemühen, Soldaten vor Schaden und Nachteilen zu bewahren.«
»Noch Fragen, Hochedler?« Da Gonozals Stimme troff vor Sarkasmus. »In meinem Elitegeschwader sind wir eine Familie. Ja, ich habe die Letztverantwortung und treffe die finale Entscheidung. Und ja, es kommt vor, dass wir Soldaten verlieren. Jeder einzelne Tote ist aber für mich ein Toter zu viel, denn wir achten einander und stehen füreinander ein.«
»Wollen Sie etwa sagen, dass ...«
»Ja, will ich.« Da Gonozal zeigte mit ausgestrecktem Zeigefinger auf ihn. »Den offiziellen Berichten nach waren Sie kein einziges Mal an vorderster Front. Sie haben immer aus sicherer Deckung agiert und von dort Ihre Leute in den Tod geschickt.«
»Ich habe zum Wohl des Tiga Ranton gehandelt.« Kaum hatte er den Satz gesagt, merkte er, dass er endgültig in die Defensive gedrängt worden war und sich verteidigte. »Sehen Sie sich die mit Lob gespickte Letztbeurteilung meiner Einsätze von Keon'athor Alkan da Diyar an. Sie werden ja wohl den Wahrheitsgehalt der Worte eines Admirals 3. Klasse nicht anzweifeln, oder, Admiral 4. Klasse?«
Da Gonozal tippte ihm mit dem Zeigefinger gegen die Brust. »Hören Sie gut zu und stellen Sie sicher, dass der fotografische Teil Ihres Logiksektors auf Empfang geschaltet ist, damit Sie meine Worte immer wieder abrufen können.« Er setzte eine Kunstpause. »Ich entscheide, wie ich Sie innerhalb meines Zuständigkeitsbereichs einsetze. Derzeit muss ich für den Hinterwäldlerplaneten unterhalb der TOSOMA verschiedene Posten besetzen, angefangen vom Baukoordinator bis zum persönlichen Berater des Militärgouverneurs. Sofern Sie dort unten nicht die nächsten Jahrzehnte verrotten wollen, halten Sie sich gefälligst an meine Regeln. Arkon ist weit weg und die Hyperfunkverbindungen sind schlecht. Und dummerweise müssen solche Ferndistanzgespräche ab sofort von mir genehmigt werden.« Er hob die Augenbrauen. »Sie melden sich in der TRAVERSAN zum Dienstantritt.«
»Dem Medoraumer?«
Da Gonozal nickte. »Sie begleiten dort Thantan Sainabou da Traversan und werden den Sitzungen zur Abfederung von posttraumatischen Belastungsstörungen beiwohnen. Und zwar so lange, bis ich meinen Befehl widerrufe.« Erneut tippte er ihm gegen die Brust. Im letzten Moment unterdrückte da Trohnar den Impuls, da Gonozals Arm wegzuschlagen.
»Und bevor Sie mir erklären, das sei eines Zweiten Stellvertretenden Geschwaderkommandanten unwürdig: Ich gebe Ihnen die Gelegenheit, Ihren praktischen Erfahrungsschatz im Bereich der Wiedereingliederung in die aktive Truppe zu verfeinern und Ihre Expertise einzubringen.« Der Admiral verzog keine Miene. »Und Sie dürfen die Zeit nutzen, darüber nachzudenken, wieso Sie Ihre Männer in den Tod schicken, während die Soldaten des 132. Flottengeschwaders inklusive mir füreinander in den Tod gehen würden.« Ohne ein weiteres Wort drehte sich da Gonozal um, ging um den Schreibtisch herum und ließ sich lautstark in den Sessel fallen. »Das Gespräch ist beendet. Wegtreten!«
*
Steifen Schrittes verließ da Trohnar den Konferenzraum, während seine Gedanken wie Überladungsblitze eines Schutzschirms unter höchster Belastung zuckten.
Nach diesem »Gespräch« traute er da Gonozal jede Bösartigkeit und Hinterhältigkeit zu, sogar, dass er mit dem Feind kollaborierte. Wer derart agierte, musste Dreck am Stecken haben.
Er war so wütend, dass er daran dachte, zur Waffe zu greifen und da Gonozal ob der Frechheit und der Beleidigungen zu erschießen.
Das dürfte sich negativ auf deine Karriere auswirken, spöttelte der Extrasinn. Finde eine andere Möglichkeit, ihn in die Schranken zu weisen, ohne dass du wegen Hochverrats angeklagt wirst.
Er konnte auch aus diesem Kaffsystem verschwinden, im Flottenhauptquartier die Situation schildern und um einen anderen Posten ansuchen. Jeder dort würde verstehen, dass er mit so einem oberflächlichen Wichtigtuer nicht zusammenarbeiten wollte.
Du weißt, wie das im Flottenkommando wirkt?
Ja, ich weiß, wie das wirkt, antwortete er. Aber soll ich hierbleiben und mir von Schwächlingen anhören, warum sie nicht mehr an die Front gehen können? Ich brauche Schlachten und Siege.
»Vere'athor da Trohnar!«, hörte er eine jugendlich männliche Stimme.
Da Trohnar schob seine Wut beiseite. Vor ihm stand der junge Soldat, der ihn empfangen hatte. »Ich darf Sie zum Hangar geleiten.«
Die Wut loderte wieder auf. Nur weil er nach Leistung und Perfektion strebte, hieß das nicht, dass er seine Untergebenen verheizte. Er war sehr wohl mitten im Spielfeld und agierte nicht von der Seitenlinie aus.
»Vere'athor, ich bin froh, Sie zu treffen. Ich bewundere Ihren Werdegang«, traute sich Gemko nun doch, ihn anzusprechen. Dabei sah er verlegen zu Boden. »Ich hoffe, ich trete Ihnen damit nicht zu nahe, wenn ich sage, dass ich gern Ihren Mut und strategischen Weitblick hätte.«
Da Trohnar musterte den Jungen. Dem Namen nach war er kein Hochedler, sondern ein Bürgerlicher. Vielleicht konnte er seine Wut an ihm auslassen. Wie er soeben erlebt hatte, gab die Flottenhierarchie jedem Vorgesetzten das Recht, andere zu beleidigen und zu drangsalieren.
Beherrsche dich!, stoppte ihn der Extrasinn. Erstens hat er dir nichts getan, und zweitens erfährt da Gonozal garantiert davon. Du kannst dir also überlegen, welchen hochdekorierten Posten du auf Larsaf III für die nächsten Jahre antrittst.
Manchmal hasste er das durch die ARK SUMMIA aktivierte Gehirnareal, das im Prinzip ein Eigenleben führte.
»Sie interessieren sich für meine Karriere?«
»Natürlich. Immerhin führen Sie die Abschussstatistik an. Jeder kennt Sie und eifert Ihnen nach.«
Vielleicht sollte er da Gonozal mit dem jungen Soldaten bekannt machen, dann würde der Kommandant anders über ihn denken. »Wirklich jeder?«
Gedanklich blieb er beim Admiral. Er wollte sich nicht vorstellen, dass er seine Worte wahr machte. Er hatte weder drei Jahre Zeit, in diesem Seitenarm der Öden Insel zu verrotten, noch hatte sein Vater Zeit darauf zu warten, dass er in der Flottenhierarchie derart langsam aufstieg. Die unheilbare Krankheit würde ihn binnen zehn Jahren in einen lallenden Idioten verwandeln. Sofern er seinen Vater lächeln sehen und von ihm gelobt werden wollte, musste er jedes Jahr eine weitere Offiziersstufe erklimmen. Somit würde er in sieben Jahren dem Flottenhauptquartier angehören – gerade rechtzeitig, dass sein Vater es bei aktivem Geist erlebte.
Du solltest wirklich darüber nachdenken, ob eine kurze Umarmung deines Vaters als Liebesbeweis all die Entbehrungen wert ist, meinte der Extrasinn.
Schweig!, herrschte er ihn an. Davon verstehst du nichts!
»Darf ich Ihnen auf dem Weg zum Hangar ein paar Fragen stellen, Hochedler?«
»Nur zu.« Langsam wurde er neugierig. Vielleicht war es interessant, zu hören, was an der Basis über ihn gesprochen wurde.
Kinco da Trohnar, arkonidischer Superstar.
Du mich auch!, gab er zurück.
»Wie war das Gefühl nach Ihrem ersten Kommando gegen die Monster im Warrix-Sektor?«
»Oh, nach der Schlacht galten meine Gedanken und Handlungen den verletzten und gefallenen Arkoniden«, log er. »Jedes einzelne Schiff war schwer beschädigt, und wir mussten uns beeilen, alle wieder flottzukriegen, bevor die nächste Welle der Methans im System eintraf.« Tatsächlich war es anders gelaufen, als es im Logbuch stand.
»Und Sie haben spontan das Kommando übernommen?«
»Der Kommandant und sein Stellvertreter waren tot, es regierte das Chaos. Jedes Schiff versuchte sein Glück mehr oder weniger selbst.«
»Der Tod für jede Erfolgschance.«
Da Trohnar nickte. Die Fragen des Jungen spülten die Erinnerungen hoch.
»Damals waren Sie erst achtzehn Jahre, richtig?«
Er nickte. Diese historische Parallele teilte er mit da Gonozal. Auch er war im selben Alter aus dem Schatten herausgetreten und hatte den damaligen Imperator gestürzt.
»Ich hatte einfach Glück«, antwortete er. »Aber was anderes: Wie ist da Gonozal als Kommandant?« Er konnte es nicht erwarten, Informationen über da Gonozals Kollaboration mit den Maahks zu sammeln.
»Der Admiral ist hart, aber ehrlich und gerecht. Immer wieder schaut er beim Training vorbei. Und bei seinen Gedankenrunden kann jedes Besatzungsmitglied sagen, was verbessert werden sollte.«
Unglaublich, wie sich da Gonozal verstellen konnte. Das klang wie ein Kommandant, der sich für seine Truppe interessierte. Da Trohnar hielt jede Wette, dass das Gegenteil der Fall war und er gut schauspielerte.
Sie bogen in den Korridor ein, der zum Antigravschacht führte.
»Gab es Auffälligkeiten? Seltsame Befehle?«
Der Junge schüttelte den Kopf.
»Was machen Sie an Bord?«
»Eigentlich gehöre ich zur Infanterie.« Gemko zögerte. »Ich habe eine Regenerationsphase.«
Ja, so hieß nun die Ausrede, von der Front fernzubleiben. Arkon ging langsam, aber sicher den Bach runter. Es bedurfte Männer wie ihn, die das Ruder herumrissen.
»Wie sind Sie damals auf die Idee für die Taktik gekommen?«, fragte der Junge.
»Es war ein spontaner Einfall.« Bilder erschienen vor da Trohnars geistigem Auge. Es wurde immer schwerer, gegen den Erzählzwang anzukämpfen.
»Angesichts Ihrer anderen strategischen Entscheidungen ist das wohl eine Gabe. Wie viele feindliche Walzenraumer waren vor Ort?«
Diese Frage ließ ihn endgültig in die Vergangenheit kippen. Er lehnte sich an die Korridorwand und begann zu erzählen, wie der Feuerleitoffizier aufschrie.
*
Zehn Jahre zuvor
»Schirmauslastung 127 Prozent!«, brüllte der Feuerleitoffizier. »132 und steigend!«
»Vollschub!«, rief der Kapitän, ein fetter, unfähiger Kerl.
In zwei anderen Systemen hatte er es mit Ach und Krach geschafft, in einem Gefecht einen Abschuss zu erzielen. Da Trohnar hasste ihn und wünschte seinem unmittelbaren Vorgesetzten einen Herzinfarkt oder einen Außeneinsatz, der ihn tötete. Dann hätte er als neuer Kapitän das Schiff übernommen und die Mannschaft zum Sieg geführt.
Der Pilot beschleunigte mit Maximalwerten. Er verzögerte, sackte »abwärts« und schüttelte den Schlachtkreuzer der Maahks ab. Die Thermostrahler feuerten im Salventakt, positronisch synchronisiert mit den anderen arkonidischen Kriegsraumern. Doch die Methans waren zu zahlreich und trafen zu oft. Das Flaggschiff hatten sie bereits vernichtet. Auch der in der Rangordnung nachrückende Raumer war zerstört. Es reagierte das Chaos.
Harte, schwere Schläge erschütterten die BHEDAN. Kurz fiel in der Zentrale die Beleuchtung aus, dann sprang das Licht wieder an.
»Wir müssen ...«
Ein weiterer Treffer, ein weiterer Schlag und dann ging rund um da Trohnar die Welt unter. Konsolen barsten. Splitter flogen durch die Zentrale, prallten an den Wänden ab und trafen Arkoniden oder Konsolen. Die auf- und abschwellende Alarmsirene vergrößerte das Chaos.
Jeder brüllte etwas anderes, nur der Kapitän blieb stumm. Da Trohnar löste die Gurte und rannte zu ihm. Im Hals steckte ein metallener Zacken.
Weitere Thermo- und Impulsstrahlen krachten in den ohnehin nicht sehr stabilen Schutzschirm. Das Schiff schlingerte. Im letzten Moment hielt sich da Trohnar an den Gurten des Kapitänssitzes fest und verhinderte, dass er an die Decke geschleudert wurde.
Rasch löste er den Toten aus dem Sitz und glitt hinein.
»Ruhe!«, brüllte er in das Mikrofon. »Hier da Trohnar. Kapitän da Miras ist tot, ich übernehme.« Er wartete nicht auf die Okay-Meldungen der anderen Schiffskapitäne. »Schadensmeldungen an den TO, Info über Verletzte und Tote an den MO.« Er hieb auf den Schalter für die Sirene, die dadurch verstummte. »Alle Energie in die Schutzschirme!«
Die Werte des Schirms stabilisierten sich. Allzu viele Treffer würde er nicht mehr absorbieren, aber für den Moment reichte es.
»Holo vergrößern!«, ordnete er an. »Abbildung auf höchste Detailstufe.«
Die Ortungsgeräte der BHEDAN lieferten immer noch eine Fülle an Informationen. Flussdiagramme erschienen, zuckten und fielen teilweise wieder aus. Grüne Punkte zeigten unbeschädigte Einheiten, blau beschädigte und gelb war für manövrierunfähige Raumer reserviert. Gelb überwog. In Summe blieben ihm zehn halbwegs einsatzbereite Schiffe.
Zehn gegen siebenundzwanzig rote Feindpunkte!
Er warf einen Blick auf die eigene Trefferstatistik und die Beschädigungswerte der Feindraumer. Ein Plan formte sich, dem der Logiksektor eine hohe Erfolgswahrscheinlichkeit einräumte. Doch um eine Chance zu haben, musste er wieder die Kontrolle über die Formation erlangen.
»Da Trohnar an alle!«
Soeben verging ein arkonidischer Kreuzer im Feuer der Methans. »Raumer zusammenziehen und einigeln!«, befahl er.
Die anderen Kapitäne gehorchten und waren offenbar froh, dass einer das Kommando übernahm. Wie erwartet erkannten die Maahks nicht, was er plante, denn sie bildeten eine Kugelschale, die die verbleibenden arkonidischen Raumer vollständig einkesselte. Damit konnten die Feinde jedes seiner Schiffe beschießen.
Vermutlich denkt ihr verdammten Monster, dass ihr gewonnen habt!
»Schutzschirmauslastung bei fünfundachtzig Prozent! Steigend!«
»Alle Energiereserven in die Schutzschirme. Bis auf Widerruf Feuer einstellen!«
Der Feuerleitoffizier starrte ihn an. Auch der Orter, dem Blut über die Wange lief und auf das Pult tropfte, schüttelte den Kopf.
»Dreierformation mit jeweils einem Schweren Kreuzer in der Mitte. Zwei kleinere Einheiten rücken zusammen«, gruppierte er die Flotte um.
Ja, jeder Arkonraumer lag dadurch unter Dauerbeschuss. Doch dank der Kugelschale konnte nur die halbe maahksche Flotte feuern.
Wir hingegen haben freie Schussbahn auf alle!
Er grinste. Für die Methans würde der Tag ganz schlecht zu Ende gehen. Dank der Ortungsergebnisse wählte er neun Schlachtschiffe des Feindes, die beträchtliche Wirkungstreffer erhalten hatten.
»An alle Einheiten. Ich übermittle die Daten von drei Methanraumern. Synchronisiertes Punktfeuer in drei ... zwei ... eins ... los!«
Die Thermokanonen nahmen ihre Arbeit auf und verwandelten drei Feindraumer in sonnenhelle Massen. Kein feindlicher Schutzschirm überstand auf kurze Distanz den synchronisierten Punktbeschuss von drei Arkonraumern.
»Feuer auf die nächsten übermittelten Einheiten!«, donnerte er.
Prompt trieben drei neue Glutbälle durchs All. Nun schalteten die Methans und lösten die Kugelschale hektisch auf. Wieder verwandelten sich drei der Feinde in aufblitzende Bälle. Die übrigen flüchteten, obwohl sie in der Überzahl waren.
Da hat jemand kalte Füße bekommen.
»Nachsetzen und vernichten!«, brüllte er, während Triumphschreie durch die Korridore hallten. Augenblicklich setzten sechs seiner neun Raumer nach.
»Funkanruf!«
Im Haupthologramm erschien das Gesicht eines älteren Arkoniden. Battor da Tomaz, Kapitän der ARKONS FANAL, las da Trohnar die Einblendung.
»Wir sollten uns taktisch zurückziehen, um die Schiffe wieder vollständig einsatzfähig zu machen!«
»Sie wollen die Monster ziehen lassen?«
»Wir haben die Schlacht gewonnen, die Maahks flüchten. Kein einziger unserer Raumer ist zur Gänze funktionsfähig. Falls die Methans Verstärkung erhalten, sind wir geliefert.«
»Abgelehnt! Setzen Sie nach und vernichten Sie den Feind!« Da Trohnar holte sich die Offiziersliste in das persönliche Holo.
»Sie sind nicht der Geschwaderkommandant, da Trohnar. Sie befehlen mir nichts!«
»Ohne mich wären wir alle tot. Und da keiner der Kapitäne – auch Sie nicht – meinem Kommando über das verbleibende Geschwader widersprochen hat, bin ich aufgrund der Flottenordnung interimistisch der Kommandant. Daher enthebe ich Sie Ihres Postens!« Er warf einen Blick auf die Namenliste. »Da Morat, Sie rücken nach.« Der ehemalige Kapitän starrte ihn wütend an. Er kannte natürlich die Gesetzeslage. »Verhaften Sie da Tomaz und kehren Sie in die Formation zurück.«
Grußlos schaltete er ab. Prompt setzten die zögernden Raumer nach und vernichteten die Hälfte der Walzen in einem Atomorkan aus den Impulsgeschützen, bevor diese die Transitionsgeschwindigkeit erreicht hatten. Er selbst hielt die BHEDAN in sicherer Distanz. Falls eine weitere Welle der Methans im System auftauchte, waren die Siegeschancen unter null. Außerdem liebte er sein Leben zu sehr, um es sinnlos zu opfern.
Doch damit man ihm nicht Feigheit vorwerfen konnte, befahl er dem Piloten, langsam nachzurücken – bis die Hypertaster anschlugen.
Da Trohnar schluckte.
Die Ortung zeigte 200 Walzenraumer in den unterschiedlichsten Größen, die zwischen seiner Flotte und den Methanschiffen materialisiert waren.
»Nottransition vor die flüchtenden Schiffe!«, befahl er, um seinen Leuten zumindest eine Chance zu geben. »Beschleunigen auf Transitionsgeschwindigkeit!«, rief er dem Piloten zu.
Hilflos musste er mit ansehen, wie die Methans seine Schiffe in Feuerbälle verwandelten. Zehn Walzen nahmen Kurs auf die BHEDAN.
»Sprunggeschwindigkeit erreicht!«.
»Abgang!«, befahl da Trohnar, und es wurde dunkel.
*
»Vere'athor, kommen Sie zu sich!«
Der Junge rüttelte ihn an den Schultern. Langsam dämmerte ihm, dass er sich nicht mehr in der Vergangenheit aufhielt. Abrupt verschwanden die Bilder des Chaos und das Gefühl des Triumphs aus seiner ersten Schlacht als Befehlshaber.
»Schon gut.« Da Trohnar öffnete die Augen und streifte die Hände des Thos'athors ab.
Mit tränenden Augen saß er auf dem Boden des Korridors und fühlte sich ausgelaugt und müde. Ja, er hatte seine Männer bewusst hinterhergeschickt und riskiert, dass die Methans zurückkehrten. Doch in einem Krieg musste man abwägen und riskieren. Und immerhin hatte er 16 feindliche Raumer samt Besatzung ausgelöscht und nur neun Schiffe verloren. Was also warf ihm da Gonozal vor?
*
Der 100 Meter durchmessende Medoraumer TRAVERSAN roch im Inneren nach Desinfektionsmitteln. Erst vor Kurzem war er dem 132. Einsatzgeschwader zugeordnet worden und besaß eine Sonderstellung. Bereits in der Vorbereitung auf den neuen Posten hatte sich da Trohnar gefragt, welchen Sinn ein eigener Medoraumer haben sollte. Immerhin hatte jedes Schiff eine Medostation, die genügte, um die Verwundeten zu versorgen und zu betreuen.
Kaum hatte er die Leka-Disk verlassen, kam eine Arkonidin quer durch den Hangar auf ihn zu. Das Emblem am Oberarm wies sie als Thantan aus. Der Titel des Dreisonnenträgers war der höchste Titel, den wissenschaftliches Personal erreichen konnte. Das eine Frau in diese Regionen vorstieß, war normal. Doch seit der Methankrieg an Heftigkeit zugenommen hatte und hässlich geworden war, überlegte das Flottenkommando Soldatinnen und Wissenschaftlerinnen aus den kämpfenden Schiffen abzuziehen. Noch hatte sich das Flottenkommando nicht zu diesem Schritt durchgerungen, aber seiner Meinung nach war das nur eine Frage der Zeit. Wenn schon Arkoniden im Feuer der Methans sterben mussten, dann lieber Männer als Frauen.
»Sainabou da Traversan, Leitende Medikerin des 132. Einsatzgeschwaders«, stellte sie sich ohne ihren militärischen Titel vor. Ihre Stimme berührte da Trohnar genauso wie ihr Äußeres. Sie war eine jener Frauen, die selbst in 50 Jahren die Blicke der Arkoniden auf sich ziehen würde.
»Hochedle.« Er verneigte sich. »Es ist mir eine Ehre.«
»Im Krieg haben wir keine Zeit für Schleimer. Sagen Sie mir lieber, wieso Sie sich für meine Schlachttrauma-Behandlung interessieren.«
»Ist das denn ungewöhnlich?« Er musste einen Weg finden, sie unauffällig zu da Gonozal befragen. Sie war nah genug an ihm dran, dass sie mehr wissen konnte.
»Bis auf den Admiral hat sich nie jemand dafür interessiert. Weder die aktuelle Stellvertreterin des Geschwaders Tere'athor da Ariga noch ihre Vorgänger. Also, was ist an Ihnen anders?«
»Ich schätze Ihre Arbeit, und mich fasziniert die praktische Seite«, blieb er vage.
Da Traversan brauchte nichts zu sagen; er spürte, dass sie ihm nicht glaubte.
»Folgen Sie mir!«
Sie hielten auf den Hauptantigrav zu. Nun erst dachte er darüber nach, wozu da Gonozal ihn verdonnert hatte.
Ich gebe Ihnen die Gelegenheit, Ihren praktischen Erfahrungsschatz im Bereich der Wiedereingliederung in die aktive Truppe zu verfeinern und Ihre Expertise einzubringen, wiederholte der Extrasinn. Sie begleiten Thantan Sainabou da Traversan und werden den Sitzungen zur Abfederung von posttraumatischen Belastungsstörungen beiwohnen.
Das hatte ihm noch gefehlt. Er wollte mit solchen Schwächlingen nichts zu tun haben. Sie sollten zu Hause bleiben, statt sich bei der Flotte zu bewerben. Außerdem hielt er es für einen Fehler, jemanden wieder in den aktiven Frontdienst einzugliedern, der zusammengebrochen war. Gegen die Methans brauchte man starke Persönlichkeiten und keine Muttersöhnchen.
»Hat da Gonozal Ihre Arbeit ins Leben gerufen?«, tastete er sich vor.
Abrupt blieb sie mitten im Korridor stehen. »Statt mit Worthülsen um sich zu werfen, sollten Sie mir erzählen, was Sie über Schlachttraumata wissen!« Sie sah ihn provozierend an. »Immerhin sind Sie freiwillig hier.«
Nun hast du ein Problem!, unkte der Extrasinn wenig hilfreich.
Auf der Akademie war das kein Thema gewesen, und die vor einem Jahr erstmals dazu eingetrudelten Memos aus dem Flottenhauptquartier hatte er ignoriert. Er räusperte sich. »Reden wir darüber, nachdem Sie mich auf den neuesten Stand Ihrer Forschungen gebracht haben.«
Nicht schlecht, Hochedler!
Sie schenkte ihm einen verachtenden Blick. »Von wann ist Ihr letzter Wissensstand?«
»Das muss einige Monate zurückliegen.«
»Einige Monate, soso.«
Obwohl er sich erneut durchschaut fühlte, hielt er ihrem Blick stand.
»Sie kennen also das RHAT-Prinzip, das ich im Vorjahr entwickelt habe. Was halten Sie von seiner Effizienz im Vergleich zum Vorgänger?«
Viel fehlte nicht mehr, und seine Augen begannen zu tränen, womit er überführt wäre. »Beeindruckend.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ihr verzweifelter Versuch, zu bluffen, schmerzt«, sagte sie unerwartet direkt. »Wissen vortäuschende Männer kann ich übrigens nicht ausstehen, denn Sie beleidigen meine Intelligenz. Und Sie sollten mich nicht verärgern, denn ich entscheide, ob da Gonozal wieder mit Ihnen spricht.«
Da Trohnar erschrak. Diese Wendung gefiel ihm nicht. »Was meinen Sie?«
»Was haben Sie an dem Satz mit der Intelligenzbeleidigung nicht verstanden?«
»Hochedle?«
Sie schnaufte. »Denken Sie wirklich, da Gonozal hat mich nicht über Sie informiert?«
Treffer! Versenkt!
Da Trohnar schwieg. Jedes Wort hätte ihn nur tiefer in ihrer Achtung abrutschen lassen.
»Das RHAT-Prinzip habe ich soeben erfunden«, schleuderte sie ihm entgegen.
»Hören Sie, ich ...«, startete er einen Rettungsversuch.
Sie hob die Hand. »Sparen Sie sich weitere Peinlichkeiten. Ich weiß, wie ich Sie einzuschätzen habe, und stimme dem Admiral zu. Es wäre besser, wenn Sie nie das Kommando über ein Geschwader übernehmen.«
Es reichte!
Er ließ sich von dieser Psychofrau nicht länger beleidigen und vorführen. Zwar konnte er nicht sagen, was er dachte, aber Gegenwehr schadete nicht.
»Gut, reden wir Klartext! Was erwarten Sie von mir?«
»Na, bitte, geht doch.« Sie lächelte gequält. »Ich erwartete von Ihnen, dass Sie mich zu mehreren Schlachttrauma-Gesprächen begleiten und dabei Ihre Vorurteile beiseiteschieben. Ich möchte, dass Sie zuhören und sich in die Leute hineinfühlen.«
»Und dann?«
»Sofern ich den Eindruck habe, dass Sie für diesen Bereich sensibilisiert sind, informiere ich den Geschwaderkommandanten.«
»Was meinen Sie mit sensibilisiert?«
»Das merken Sie, sobald Sie so weit sind.« Sie drehte sich um und stolzierte in Richtung Antigravschacht.
Seine Laune war am Tiefpunkt. Er hasste Gefühlsduselei und Ziele, die nicht greifbar und damit nicht erreichbar waren.
Das merken Sie, sobald Sie so weit sind, äffte er sie in Gedanken nach. Falls ihre Bewertung wirklich zwischen da Gonozal und ihm stand, musste er sie überzeugen, ein gutes Wort einzulegen.
»Also, was ist der aktuelle Stand Ihrer Forschung?«, rief er ihr nach.
Sie winkte ihn zu sich und wartete, bis er aufgeschlossen hatte. »Mehrere Jahre habe ich Soldaten mit Schlachttraumata untersucht und dabei zur Behandlung das SDT-Konzept entwickelt.«
SDT steht wohl für Sainabou da Traversan, folgerte der Extrasinn. Gar nicht eingebildet, die Dame.
»Sofortige Intervention innerhalb eines Tages in der Nähe des Einsatzgebietes ist bei einem Schlachttrauma von essenzieller Bedeutung, um die Soldaten wieder zu hundert Prozent in die Truppe einzugliedern. Und falls Sie mir mit dem Klischee kommen, dass ein Schlachttrauma ausschließlich schwache Persönlichkeiten trifft: Nur zwei Prozent aller Arkoniden sind vor Zusammenbrüchen bei entsprechender Belastung gefeit.«
Sie stieg in den Antigrav. Er folgte ihr und stieß sich an der Sprosse an der Innenseite ab, damit er neben ihr schwebte.
»Diese zwei Prozent weisen jedoch bereits psychopathische Defekte vor dem Kriegsdienst auf. Es kann somit jeden treffen.« Sie tippte ihm auf den Oberarm. »Sie ebenso.«
Da Trohnar hielt sich auch ohne psychischen Knacks für davor gefeit. Starke und auf ein Ziel fokussierte Persönlichkeiten konnten nicht zusammenklappen.
»Meiner Anregung folgend werden nur noch Arkoniden als Soldaten aufgenommen, die eine geringe Indikation für einen schnellen psychischen Zusammenbruch aufweisen. Auch die Ausbildung wurde um vorbeugende Übungen erweitert.«
Sie schwebten an einem Deck vorbei, auf dem zwei Arkoniden einsteigen wollten, aber warteten, bis sie vorbeigeschwebt waren. Immer noch hatte er keine Gelegenheit gefunden, sie über da Gonozal auszufragen.
»Außerdem habe ich im Flottenkommando durchgesetzt, dass nach zwölf aufeinanderfolgenden Kampftagen eine Pause von mindestens zwei Tagen ermöglicht wird, um der kämpfenden Truppe Zeit zur Regeneration zu geben.«
Da Trohnar hob die Augenbraue. Diese Richtlinie war ein paar Monate alt und hatte für Unmut unter den Kapitänen und Kommandanten geführt. Zwei Tage Standzeit für ein Kriegsschiff waren eine Zumutung und konnte eine kriegsentscheidende Schwächung sein. Wieso hört man auf so kriegsunkundige Frauen?
»Ja, das war ich«, kommentierte sie seinen Gesichtsausdruck. »Und ich weiß, dass es am Ego der Soldaten kratzt. Dabei sollten sie mir danken, dass sie durch mich und diese Einsatzrotation den Kampf aufrechterhalten können, denn diese Regenerationszeit ist genauso wichtig wie die Planbarkeit der Einsätze.«
Er kannte genug Kommandanten, die diese Direktive ignorierten und die Logbücher manipulierten. Keiner wollte zwei Tage Däumchen drehen, während an der Front die Kameraden kämpften. Sie befanden sich im schlimmsten Krieg der arkonidischen Geschichte, da zählte jeder Soldat an vorderster Linie.
»Und damit Sie ein Gefühl für die Wirksamkeit bekommen: Vor der Einführung des SDT-Konzepts betrug der Anteil der psychisch bedingten Ausfälle achtzehn Prozent aller Verwundeten. Mit meinem Konzept sanken die Zahlen binnen kürzester Zeit auf knapp unter drei Prozent. Neunzig Prozent aller Soldaten, die aufgrund eines Schlachttraumas damit behandelt wurden, konnten nach drei Tagen wieder in den aktiven Frontdienst eingegliedert werden.«
Sie erreichten das Deck, in dem sich die Konferenzräume befanden, und stiegen aus.
»Ich erwarte in der Sitzung, dass Sie mit Fingerspitzengefühl agieren. Denken Sie daran, Sie reden mit traumatisierten Soldaten, die Fürchterliches erlebt haben.«
Eifrig nickte er. Was dachte sie, hatte er bislang an der Front gemacht?
»Ihre persönliche Meinung behalten Sie für sich und geben ausschließlich empathische Äußerungen von sich.«
»Moment! Gehen wir heute bereits ...«
»Unterbrechen Sie mich nicht!« Diesmal tippte sie ihm gegen die Brust.
Das nimmt langsam überhand.
»Ja.« Sie deutete auf das Schott. »Sie können aber auch gern schweigen.«
*
Nachdem sie den Raum betreten hatten, richteten sich alle Blicke auf ihn, und die Gespräche der fünf Männer in Freizeitkleidung verstummten. Theoretisch saß hier der einfache Soldat neben dem Kapitän eines Schweren Kreuzers, etwas, das da Trohnar störte. Es gab Unterschiede, schon allein aufgrund der Geburt.
Einer der Schwächlinge riss die Augen auf und sah dann zu Boden. Da Trohnar erkannte ihn sofort. Es war der Junge, der ihn durch die TOSOMA begleitet hatte.
»Das ist Vere'athor Kinco da Trohnar, unser neuer Zweiter Stellvertretender Kommandant«, stellte da Traversan ihn vor.
»Zweiter Stellvertretender Kommandant?«, fragte ein junger Arkonide. Er konnte nicht älter als 20 sein. »Wozu brauchen wir zwei von der Sorte?«
Halte dich zurück!, empfahl der Extrasinn.
Selten, aber doch hörte da Trohnar auf seinen Logiksektor und ließ diese Frechheit ungesühnt.
»Die Wege des Flottenkommandos sind unergründlich«, antwortete da Traversan an seiner Stelle. »Er interessiert sich für meine Arbeit und hört in den nächsten Sitzungen zu.«
»Und wieso spricht er nicht?«
»Weil er nicht zu Wort kommt«, antwortete da Trohnar. »Ich schätze die Arbeit von da Traversan, da wir diesen Krieg nur mit gefestigten Soldaten gewinnen werden. Je rascher ihr Konzept greift, desto rascher können Sie wieder an die Front und unsere Flotte zum Sieg führen. Ich bin tief beeindruckt, dass Sie so ehrlich zu sich sind und sich Unterstützung bei einem Profi wie da Traversan holen. Ich wünschte, diesen Mut hätte die gesamte Truppe.«
Innerlich musste er kotzen. Aber das war jenes weichgespülte empathische Gequake, das die Medikerin von ihm erwartete.
Nun denn, sie würde es erhalten. Immerhin musste er nur ein Jahr durchhalten, dann konnte er wieder sagen, was er dachte: Diese Schwächlinge gehörten aus der Flotte geworfen.
Die Medikerin setzte sich in den Stuhl vor dem Halbkreis und deutete auf den Sessel, der seitlich neben dem Sesselkreis stand. Folgsam nahm da Trohnar dort Platz.
»Alles Gehörte ist wie immer vertraulich. Sie können also offen reden.« Sie wartete auf Einsprüche oder Zustimmung, doch die fünf Soldaten reagierten nicht. »Wer möchte beginnen?«
Alle schwiegen, offenbar gehemmt von da Trohnars Anwesenheit. Da hob ausgerechnet der Thos'athor zögernd den Arm, der da Trohnar durch die TOSOMA geführt hatte.
Ocics Gemko, half ihm der Extrasinn, denn da Trohnar merkte sich keine Namen von derart niedrigen Diensträngen.
»Wir hören Ihnen zu«, ermutigte da Traversan ihn.
»Vor ein paar Tagen war ich im Sephedsystem im Einsatz, denn dort hatten wir eine Station der Monster auf einem Sauerstoffplaneten entdeckt. Während die Flotte die gegnerischen Raumer im All vernichtete, kümmerte meine Einheit sich um die Station. Wir belagerten sie und warteten darauf, dass der Schutzschirm zusammenbrach.«
Vor seinem inneren Auge sah da Trohnar sonnenhelle, weiß glühende Impulsbahnen, die durch die Luft pflügten und auf den Schutzschirm des Stützpunkts einhämmerten. Zusätzlich krachten armlange Desintegratorgranaten in das Schutzfeld und verursachten nach dem Aufprall grün-schwarz klaffende Risse, umwabert von knatternden Lichtbögen.
»Eigentlich wollte ich zur Flotte, denn mein Herz gehört der Fliegerei«, sagte Gemko. »Doch ohne Adelstitel blieb mir nur eine schnelle Leka-Disk der Infanterie.«
Da Trohnar wunderte sich über die selbstmitleidige Stimme. Es gab einfach Unterschiede aufgrund der Geburt. Gewisse Fähigkeiten bekam man nun mal vererbt.
»Sofern ich bei dem Einsatz fehlerfrei bleiben würde, war mir ein fixer Pilotensitz sicher.« Er verzog die Lippen. »Dummerweise gab es einen Konkurrenten, Nopek.«
Da Trohnar ahnte, worauf die Erzählung herauslief.
»Die Monster versuchten mit Beibooten einen Ausbruch, der viele der nachrückenden Jäger in verschiedene Fallen lockte. Ich zum Beispiel flog in eine durch Deflektoren versteckte Minenwand.«
Erneut lief vor da Trohnar ein Film ab. Die Bomben zündeten zeitgleich rund um die Disk. Die Explosionswucht fegte den Schutzschirm beiseite und schleuderte den Diskus quer durch die Luft. Durch den ausfallenden Andruckabsorber wurden die Insassen in ihre Sitze gestaucht. Das Triebwerk gurgelte und versagte. Arkonstahl, das härteste Material in der Galaxis, verformte sich mit einem schrillen Schrei. Der Diskus begann zu rotieren, und Gemko verlor vermutlich mit dem Gedanken das Bewusstsein, dass er den Pilotensitz vergessen konnte.
»Ich baute eine Bruchlandung. Als ich wieder zur mir kam, lag die Leka-Disk auf dem Dach. Rauchschwaden zogen durch das Cockpit und die zwei Kameraden auf der Rückbank brannten lichterloh. Einer war in sich zusammengesackt. Beim anderen wurden das Zucken der Arme weniger, die Schreie leiser, bis beides komplett erstarb.«
Er hielt inne und rang mit sich. Deutlich sah da Trohnar das Entsetzen in den Augen.
»Für einen Moment schienen das Feuer und die Geräusche eingefroren«, sagte Gemko leise. »Es war totenstill.«
Da Trohnar schauderte und dankte den Sternengöttern, dass er seit Jahren in der Sicherheit eines Großraumers in den Kampf zog.
Genau genommen aus der Distanz zum Schlachtgetümmel, korrigierte ihn der Extrasinn.
»Nopek, der im Einsatz mein Co-Pilot war, war bewusstlos, und das Feuer leckte bereits nach ihm. Ich ... ich schäme mich, dass ich darüber nachgedacht habe, meinen einzigen Konkurrenten zurückzulassen.« Er blickte zu Boden. »Doch so bin ich nicht. Also versuchte ich, ihn aus der Bewusstlosigkeit zu holen, doch es ging nicht. Zusätzlich klemmte sein Gurt, und ich fand einfach keine Möglichkeit, ihn zu befreien. Der Feuerlöscher war im Bereich, den die Flammen erobert hatten, und der Notdesintegrator war ohne Magazin. Kurz bevor ich den Gurt mit einer abgerissenen Verstrebung öffnen konnte, erwischten ihn die Flammen an den Haaren. Sofort brannte die Haut im Nacken und griff auf Wangen und Stirn über.« Er schüttelte den Kopf. »Schließlich gelang es mir, ihn ins Freie zu schaffen, aber der Medoroboter konnte nur noch seinen Tod feststellen.« Nachdenklich betrachtete er seine Hände. »Ich weiß nicht, was schlimmer war: Nopek beim Sterben zuzusehen oder die Gesichter seiner Eltern, als ich ihnen die Todesnachricht per Hyperfunk überbracht habe.«
Da Trohnar bekam eine Gänsehaut. Er wäre nie auf die Idee gekommen, die Todesnachrichten selbst zu überbringen. Wofür gab es schließlich die Flottenbenachrichtigungsstelle?
Du könntest mit dem Leid auch nicht umgehen, meinte der Extrasinn. Denk an den Tod deiner Mutter!
Schlagartig erfüllte ihn der Schmerz und die Traurigkeit über ihren plötzlichen Tod. Er war wieder der sechsjährige Junge, der schluchzend vor seiner aufgebahrten Mutter stand und sich nichts sehnlicher wünschte, als von seinem Vater in den Arm genommen und getröstet zu werden. Doch Dhorson da Trohnar blickte starr ins Nichts, statt das Leid seines Sohnes aufzufangen. Seit jenen Tagen hatte sein Vater Gefühle nur in Form einer kurzen Umarmung gezeigt, sofern da Trohnar besondere Leistungen erbracht hatte.
Und du lechzt noch immer danach!
Nachdenklich kaute da Trohnar auf der Unterlippe. Ja, der emotionale Moment der Umarmung bedeutete ihm viel. Sein ganzes Leben war danach ausgerichtet, diese kurze Aufmerksamkeit seines Vaters zu erhalten.
Deinem Vater geht es nicht um dich! Für ihn zählt dein militärischer Aufstieg.
Blödsinn!, antwortete er, ohne es argumentativ zu untermauern. In letzter Zeit fragte er sich jedoch, welche Leistung er hätte erbringen müssen, sofern es keinen Krieg gegeben hätte. Und, ob sein Vater froh über den Großen Krieg war, damit sein Sohn Offiziersränge anhäufen konnte und in der Hierarchie nach oben stürmte.
Da Trohnar schüttelte den Kopf. Er verdrängte das schiefe Gefühl und fokussierte sich wieder auf den jungen Arkoniden. »Zurück im Schlachtkreuzer verschrieb mir der Mediker Pillen, aber nach dem ersten Panikanfall schickte er mich hierher.«
»Und das war gut so, denn Pillen bekämpfen Symptome und dämpfen, heilen aber nicht.« Da Traversan nickte. »Außerdem geht es nicht um den kurzfristigen Erfolg, auf den nach Tagen im Einsatz der Zusammenbruch folgt, sondern um nachhaltige Bewältigung.« Sie legte ein Bein über das andere. »Darüber reden hilft mehr als ein Stimmungsstabilisator. Sie müssen sich verdeutlichen, dass das Erlebte zu Ihrer Vergangenheit gehört und nicht zu Ihrer Gegenwart. Und das geht, indem Sie bewusst darüber sprechen. Wie zum Beispiel heute.«
Nachdenklich blickte da Trohnar den Jungen an. Liebend gern hätte er auf diese plastische Schilderung verzichtet. Die Vorstellung der lebendig Verbrannten schüttelte ihn immer noch. Er war froh, dass er Raumschiffe und bald eine ganze Flotte befehligte. Er war für so einen Kampfeinsatz nicht geeignet, hätte schon nach dem Aufwachen aus der Bewusstlosigkeit bei all dem Feuer die Nerven verloren. Aber er verstand, warum der Junge dieses Drama nicht mit einem Achselzucken abtat. Er war zu jung und unerfahren, um tote Kameraden in seinem Wertesystem richtig einzuordnen.
Aus Sicht der Truppe war seine Einstellung vorbildlich, jedoch trat er damit für die eigenen Ziele auf der Stelle. Da Trohnar hätte in derselben Situation die Karriere priorisiert, weil er Arkon an höherer Position besser dienen konnte.
Du hättest Nopeks Rettung nicht mal in Erwägung gezogen, weil dir deine Haut zu wertvoll ist.
»Wie geht es Ihnen, nachdem Sie es erzählt haben?«, wollte da Traversan von Gemko wissen.
Gemko schwieg und horchte in sich hinein. »Die Erinnerung hat mich aufgewühlt, keine Frage. Dennoch fühle ich mich erleichtert, es ausgesprochen zu haben. Und ich habe erwartet, dass das Neuerleben emotional erschreckender ist.«
»Das ist gut, denn dann beginnen Sie es im richtigen Verhältnis einzuordnen – nämlich als vergangenes, abgeschlossenes Ereignis«, erklärte ihm da Traversan.
»Was ich immer noch habe, sind Schuldgefühle, weil ich überlebt habe und meine drei Kameraden nicht retten konnte. Am Abend vor dem Einsatz waren wir zu viert unterwegs, haben gescherzt und nun sind sie tot. Einfach so!« Er schnippte mit dem Finger. »Es ist nicht fair«, flüsterte er. »Dass ich lebe und sie tot sind.«
»Sie haben es sich nicht ausgesucht. Es ist, wie es ist.«
»Vermutlich haben Sie recht.« Gemko kratzte sich am Oberschenkel. »Dennoch habe ich mich gefragt, ob ich den Absturz hätte verhindern können. Vielleicht hätte ich ausgeschlafen sein müssen. Vielleicht hätte ich besser aufpassen müssen.« Die Augen des Jungen begannen zu tränen. »Wieso ist da diese innere Stimme, die sagt, dass ich mich mehr hätte anstrengen müssen? Hätte ich Nopek früher aus dem Stuhl befreit, wäre er noch am Leben.«
»Wie stehen Sie dazu, sich anzustrengen?«, fragte da Traversan.
»Oh, ich will der Beste sein. Und ein unmöglich gibt es bei mir nicht.«
»Wo kommt das her?«
»Das war immer schon so.« Er hielt inne. »Eigentlich von meinem Vater. Er treibt mich an.« Er stutzte, blickte nachdenklich zur Decke. »Sie meinen, dieser Gedanke, dass ich es hätte besser machen können, kommt von meinem Perfektionismus?«
»Der Verdacht liegt nahe.«
Er kaute auf der Unterlippe. »Darüber muss ich nachdenken.«
Da Trohnar horchte auf. Das erinnerte ihn an seinen Vater. Auch er hatte sein Bestes eingefordert und nur ein für ihn zufriedenstellendes Endergebnis mit einer Umarmung belohnt.
»Wer möchte noch?«, fragte da Traversan, und da Trohnar verdrehte innerlich die Augen. Das würde ein langer Nachmittag werden.
*
Obwohl da Trohnar gähnte, war er zu aufgewühlt, um einzuschlafen. Die Gespräche über die Schlachttraumata wirkten nach und hatten ihn ins Grübeln gebracht.
In den drei Tagen hatte er viele Geschichten von der Front gehört. Alle schrecklich, furchtbar und wenig erbaulich. Alle Soldaten hatten in der einen oder anderen Weise versucht, selbstlos ihre Kameraden zu retten, waren aber kläglich gescheitert. Zu allem Überfluss war sein Extrasinn mehrmals darauf herumgeritten, dass er sich nicht so heldenhaft verhalten hätte.
Und dazu stand er auch. Kameradschaft hin oder her, man durfte das Ziel nicht aus den Augen verlieren: Die Arkoniden mussten den Krieg gegen die Monster gewinnen. Da half es nichts, Schwerverletzte zu retten, die ohnehin nicht mehr einsatzfähig waren und für die Front ungeeignet gewesen wären. Es ging darum, handlungsfähige Soldaten und Offiziere zu retten. Es war die Pflicht jedes einsatzfähigen Soldaten, seinen Hintern aus einer verlorenen Situation zu bringen und den Methans wieder mit Entschlossenheit entgegenzutreten.
Du hast aber schon verstanden, worum es geht, oder?, wies ihn der Extrasinn zurecht. Es geht um den Zusammenhalt in der Truppe und darum, dass man sich aufeinander verlassen kann.
Blah, blah, blah.
Es ging darum, effizient an sich zu arbeiten, um ein besserer Soldat zu werden, der mehr und mehr Feinde in den Hyperraum beförderte. Das war es, was das Flottenkommando goutierte, nicht, dass von einhundert Soldaten einer gerettet wurde. Wer alle hundert rettete, konnte damit rechnen, erwähnt zu werden. Aber wie oft gelang dieses Kunststück schon?
Was ist kriegsentscheidender?, fragte er. Ein geretteter, für die Front unbrauchbarer Soldat oder Hundert tote Maahks?
Der Extrasinn antwortete nicht. Natürlich kniff er, wenn er überführt wurde.
Und wieso spüre ich deine Zweifel, fragte der Logiksektor dann doch.
Quatsch!
Da Trohnar gähnte erneut. Der Extrasinn irrte sich. Obwohl er durch die Traumata-Gespräche begonnen hatte, seinen Vater zu hinterfragen, stand er hinter dem Krieg, den die Arkoniden gewinnen mussten. Er würde sein Leben nicht wegwerfen, um einen Soldaten zu retten, der ohnehin ein paar Tontas später sterben würde.
Die Augen fielen wieder zu und er atmete entspannt aus. Doch der Schlaf war ihm nicht vergönnt.
Ein schrilles Akustiksignal zeigte ihm einen Anruf, dessen Absender da Gonozal war.
Da Trohnar horchte auf. Wollte der falsche Hund mit ihm Frieden schließen und ihn zu der bevorstehenden Schlacht im Grxlirasystem mitnehmen?
An Bord der TOSOMA fand er sicher den einen oder anderen Arkoniden, der ihm Hinweise auf einen möglichen Verrat Atlans geben konnte.
Das Gesicht des Admirals baute sich auf. »Vere'athor da Trohnar«, begann da Gonozal. »Ich habe einen Auftrag für Sie, bei dem Sie sich bewähren können. Sie verlassen mit der ZUSHA das Larsafsystem und unterstützen die Infanterie bei der Einnahme von Parak IV.«. Da Gonozals Gesicht blieb ausdruckslos, aber da Trohnar hielt jede Wette, dass es ihm innerlich ein Vergnügen war. »Sie ordnen sich dem Offizier der Kampftruppe vor Ort unter und befolgen seine Befehle.«
Das Holo verschwand, und da Trohnar saß mit offenem Mund da. Er wusste nicht, was er denken sollte. Statt persönlich mit ihm zu sprechen, hatte da Gonozal eine aufgezeichnete Botschaft geschickt. Aus dieser Form der Befehlsausgabe sprach Verachtung pur.
Dass er im Einsatz einem niedrigeren Dienstgrad untergeordnet war, bereitete ihm Bauchschmerzen. Das konnte nicht da Gonozals Ernst sein.
Hast du ihn wirklich nicht verstanden?
Spar dir blöde Sprüche!, herrschte er den Extrasinn an. Er hat Dreck am Stecken und will verhindern, dass ich etwas herausfinde. Er will, dass ich dort sterbe.
Unabhängig davon halte ich fest, dass da Gonozal bei dir Entwicklungspotenzial im Bereich Kameradschaft und Fürsorge für die zu Führenden ortet. Und so will er es dir beibringen.
Da Trohnar knurrte. Verdammt, er würde diesen Mistkerl in Grund und Boden stampfen, sobald er einen Hinweis für seinen Betrug an Arkon gefunden hatte. Und falls nicht, würde er ihm den Todesstoß versetzen, sobald er im Flottenkommando saß.
Da Gonozal war so gut wie erledigt.
*
Der Kapitän der ZUSHA ließ da Trohnar spüren, dass er in der Zentrale unerwünscht war. Doch sein niedriger Dienstgrad verhinderte, dass er den Vorgesetzten wegschickte. Also saß da Trohnar im Sessel des offiziellen Beobachters und studierte die Daten. Fünf Planeten umkreisten den Roten Riesen, der unter den Namen Parak in den Sternenkatalog aufgenommen worden war.
Raumschiffstrümmer rund um den äußersten Planeten zeugten von einer Raumschlacht, die die Arkoniden gewonnen hatten. Nun galt es, das System mit den Hyperkristallvorräten abzusichern, falls es die Maahks zurückerobern wollten.
Auf dem vierten Planeten hatten die Methans eine zehn Kilometer große Anlage erbaut, die drei Stockwerke in die Tiefe reichte. Dort verschanzte sich eine unbekannte Anzahl Wasserstoff-Methanatmer samt Robotern. Die Ebene an der Oberfläche hatten die Arkoniden mit Paralysatoren bestrahlt und von Methans gesäubert. Doch niemand wusste, wie viele sich in den Ebenen darunter aufhielten.
Ihm wurde übel, wenn er daran dachte, dass er mit den Truppen in das Gebäude eindringen musste, um die Methans aufzuspüren. Zu Beginn seine Karriere hatte er einige Monate in der Infanterie gedient, aber rasch erkannt, dass er dort zu langsam nach oben kam. Da es ihn nicht interessierte, dem Feind in die vier Augen zu sehen, war er zur Raumflotte gewechselt.
»Wir erreichen Parak IV in Kürze«, meldete der Kapitän.
Da Trohnar verstand den Rauswurf. Bewusst wartete er, bevor er sich erhob. »Danke für die Gelegenheit, Ihre Führungskünste zu erleben. Ich werde Sie im Bericht an Admiral da Gonozal zu würdigen wissen.«
Der Kapitän wurde blass, wollte etwas sagen, doch da Trohnar winkte ab. Auf dem Weg zu den Quartieren der Infanterietruppen suchte er erneut vergebens nach einer Ausrede, sich diesen Einsatz zu ersparen. Vor Ort fragte er sich durch und landete bei einem Pal'athor, dessen Namensschild ihn als Selan da Hilnirds auswies.
»Vere'athor da Trohnar, es ist mir eine Ehre, den Mann zu treffen, der die höchste Abschussquote der Flotte hat.« Der Zweiplanetenträger salutierte.
Wie ist es, wenn man dir wieder zu Füßen liegt?, fragte der Extrasinn.
»Danke für diese Worte«, sagte er ehrlich und salutierte ebenfalls.
»Ich habe Sie einer Einheit zugeteilt, die einer unserer erfahrensten Männer leitet.«
Du weißt, was das bedeutet, oder?
Dass der Kerl sich ständig beweisen muss und Feindkontakt sucht.
»Ihre Einheit wird sich um versprengte Kameraden kümmern.«
Ihm wurde erneut übel. Diese Versetzung wurde mehr und mehr zu einem Albtraum.
Sie betraten die Mannschaftsräume, in denen die Soldaten ihre Kampfanzüge anzogen, die Waffen ins Holster steckten und die Ausrüstung gegenseitig überprüften.
Vor einem vierschrötigen Kerl mit einer roten Narbe, die quer durchs Gesicht lief, blieben sie stehen. Neun weitere Männer kontrollierten Strahler, Granaten, Waffenmagazine und ihre Vibratorwaffen. Innerlich stöhnte er, denn einer der Männer war der Junge aus den Psychogesprächen. Er wollte gar nicht wissen, ob da Traversans Methode wirklich innerhalb von wenigen Tagen wirkte.
»Braror, ich darf Ihnen Vere'athor da Trohnar vorstellen. Er begleitet Ihre Einheit.«
Der Mann kniff die Augen zusammen. »Sie unterstehen meinem Befehl?«
»So will es Admiral da Gonozal.«
»Gut, denn ich will keine Diskussionen im Einsatz.«
»Ich werde tun, was Sie befehlen«, sagte da Trohnar mit gefährlich leiser Stimme. »Ich gehe davon aus, dass Ihre Entscheidungen aufgrund Ihrer langjährigen Erfahrung sich auch in der Nachbetrachtung als die beste Option herausstellen.«
Braror blickte ihn kalt an. »Ich habe unzählige Versuche der Methans überlebt, mich zu töten. Glauben Sie ernsthaft, ich scheiße mich wegen Nachbetrachtungen ein?« Er lachte auf. »Halten Sie sich an meine Befehle, dann überleben Sie ebenfalls.«
»Ich erinnere Sie an Ihre Worte. Wo sind die Kampfroboter?«
»Gleich links hinten.«
Da Trohnar blickte in die Richtung, konnte jedoch keinen erkennen.
Braror schlug ihm auf den Oberarm. »Wir gehen ohne Roboter rein. Und falls Sie mobile Energiefeldprojektoren suchen – die sind genauso ortbar wie die Blechkameraden.«
Da Trohnar bemühte sich, sein Entsetzen zu verbergen. »Einen Kampfanzug kriege ich aber schon?«
»Einen in Ihrer Statur könnten wir noch haben.« Er drehte sich um. »Gemko, zeigen Sie ihm die Anzüge.«
»Vere'athor!« Der Junge strahlte über das ganze Gesicht. »Freut mich, dass wir uns wiedersehen!«
Und das wird dein Kampfpartner? Na, dann gute Nacht!
*
Eine Leka-Disk setzte sie mitten in der Anlage ab. Da die Tanks zur Erzeugung der Giftgasatmosphäre an der Oberfläche standen, waren sie längst desaktiviert worden und alle Ebenen mit normaler Luft geflutet worden.
Durch ein von mehreren Robotern gesichertes Tor ging es hinein und in einem Antigravschacht nach unten.
»Ebene eins ist zu drei Vierteln geräumt!«, informierte ein Arkonide, dessen Kampfanzug Spuren von Stahlerschüssen aufwies. »Ebene zwei zur Hälfte und Ebene drei ..«
»... wird unser Einsatzgebiet«, ergänzte Braror. »Wir suchen vier Kameraden, die versprengt wurden.«
Auf Ebene drei empfing sie ein Trupp nicht mehr frisch wirkender Soldaten. Mehrere davon waren an Armen und Beinen verletzt, zwei lagen auf einer Medotrage.
Da Trohnar wollte am liebsten flüchten.
»Ab Korridor vier betreten Sie Feindesland«, sagte einer der Offiziere.
Braror winkte seine Leute zu sich. Sie stellten sich im Kreis auf und legten die Arme gegenseitig auf die Schultern.
»Wen hassen wir?«
»Methans!«, dröhnte es aus neun Kehlen.
»Wen töten wir?«
»Methans!«
»Wer stirbt heute?«
»Methans!«
»Wer gewinnt heute?«
»Arkoniden!«
»Wenn ich angreife ...«
»Folgen wir Ihnen!«
»Wenn ich im Kampf zögere ...«
»Töten wir Sie!«
»Wenn ich sterbe ...«
»Rächen wir Sie!«
»Eine letzte Frage: Wer will ewig leben?«
Da Trohnar biss sich auf die Lippen.
»Keiner!«
»Dann mischen wir die Methans auf und holen unsere Leute raus!«, verlangte er. »Für Arkon!«
»Für Arkon!«
Sie zückten ihre Waffen und marschierten los. Es juckte da Trohnar in den Fingern, den Individualschirm sofort zu aktivieren, statt auf die Automatik der Positronik zu vertrauen. Aber erstens war die Energie begrenzt und zweitens leuchteten sie mit Schirm in der gegnerischen Ortung wie ein Pulsar im Weltall.
An Korridor vier warteten mehrere Soldaten und Kampfroboter, die mit erhobenen Waffen in den weiterführenden Gang zielten. Das Licht flackerte. Glasierte Streifen auf den Wänden zeugten von Schusswechseln.
Jeweils zu zweit hintereinander traten sie in den Korridor. Da Trohnar blinzelte. Die zuckende Beleuchtung nervte. Zusätzlich verhinderte sie den Einsatz der Nachtlichtfunktion des Kampfhelms. Gemeinsam mit Gemko bildete er das Schlusslicht und setzte auf Sicherheit.
Du belügst dich.
Er gab dem Extrasinn recht. Spätestens nachdem sie ein paar Räume passiert hatten, war er genauso gefährdet wie Braror, der voranschritt.
Braror ist halt ein Vorbild!, meinte der Extrasinn. Der verkriecht sich nicht wie du auf dem Feldherrenhügel.
Denk daran: Wir gehen gemeinsam drauf! Manchmal nervte der vorlaute Kerl. Konzentriere dich auf die Umgebung und warne mich rechtzeitig vor Methans.
Jawohl, Vere'athor!
Nach einem Seufzer blickte er in den Korridor. Der Lichtwechsel zwischen hell und dunkel zerrte an den Nerven. Gemko neben ihm wirkte nicht, als hätte er vor Kurzem ein Schlachttrauma gehabt. Ohne zu zögern, ging er hinter den Kameraden her.
»Methans!«, rief Braror.
Sonnenhelle Waffenstrahlen rasten auf die Truppe zu. Die Individualschirme aktivierten sich, während der Korridor sich in eine Feuerhölle verwandelte. Braror und die vordere Reihe der Soldaten knieten nieder, damit die Soldaten in der zweiten Reihe ebenfalls auf die Angreifer schießen konnten.
Die letzten zwei Reihen wirbelten herum und sicherten nach hinten. Da Trohnar kniete nieder, zielte in den Korridor.
»Granate!«, brüllte Braror, während die Männer, die die Decke sicherten, zu schießen begannen. Da Trohnars Schutzschirm lenkte erste Strahlschüsse ab. Zeitgleich zog er die Schultern ein und wartete auf die Detonation der Granate.
Jetzt!
Die Explosion donnerte durch den Korridor und schleuderte ihn gegen die Wand. Ein scharfer, spitzer Schmerz raste durch seine Hüfte, während sein Kopf dröhnte. Benommen rutschte er zu Boden und sein Blick verschwamm.
»Ausfall Individualschirm. Autoreparatur läuft an«, meldete der Anzug.
Aus weiter Ferne hörte er Schreie, Befehle, Krachen und Donnern.
Wo ist dein Strahler?, fragte der Extrasinn.
Automatisch griff er zum Holster.
Leer!
Such ihn, verdammt!
Eine wuchtige Gestalt tauchte vor ihm auf, und er erkannte vier Augen.
Wehr dich!, kreischte es in seinem Inneren. Nimm das Messer!
Der Maahk hob den Waffenarm. Die Abstrahlmündung glühte dämonisch rot.
Er spürte, dass er etwas tun sollte, und wollte das auch. Aber er bewegte sich wie in Zeitlupe. Die Geräusche erstarben und für einen Herzschlag war es totenstill. Er stand wieder vor seiner verstorbenen Mutter und kämpfte mit dem Verlustschmerz, der ihn zu zerreißen drohte.
»Papa«, sagte er mit flehender Stimme. Er hob die Arme, weil er sich danach sehnte, umarmt zu werden. Der Schmerz, dass sein Wunsch ignoriert wurde, war fast noch schlimmer als der Tod der geliebten Mutter.
Da Trohnar sah sein Leben vor sich und erkannte, die Lüge, die er lebte. Alles hatte mit dem Sieg bei einem arkonweiten Schulwettbewerb begonnen. Die Gratulationsumarmung des Vaters hatte sich tief in seine Erinnerungen eingebrannt. Für einen Moment hatte er sich angenommen gefühlt und war glücklich gewesen. Und diesen Moment wiederholte er seit damals. Zuerst über schulische Erfolge und nun über den militärischen Aufstieg. War er gar eine Marionette seines Vaters?
Du bist zu langsam!, holte ihn der Extrasinn zurück zum Sterben.
Etwas sprang den Schemen an und brachte ihn ins Wanken. Es fauchte, dann erhob sich dieses Etwas und bekam langsam Details.
»Gemko.« Der Schleier über seinem Bewusstsein verwehte.
»Wir sind in Sicherheit, die Methans sind tot.«
Schlagartig setzte sein Hirn wieder ein. Er sprang auf, suchte nach dem Strahler und fand ihn ein paar Schritte weiter. Nun sah er auch das Ausmaß des Dramas. Drei Arkoniden und acht Methans lagen in ihren Blutlachen, und es stank nach Ammoniak. Ohne Gemko läge er nun auch dort.
Wie wär's mit Dankesworten, fragte der Extrasinn. Immerhin hat dir der Kleine das Leben gerettet.
Er schlug Gemko auf die Schulter. »Danke.«
»Sie hätten für mich dasselbe getan, Vere'athor.«
Da Trohnar rang sich ein Nicken ab. Er war immer noch gefangen in der Erkenntnis rund um seinen Vater.
»Männer!«, rief Braror. »Sammelt die Energiemagazine ein. Es geht weiter!«
Er konzentrierte sich auf die Gegenwart. Dass sie dezimiert weitermachten, war für da Trohnar ein Irrsinn. Wie sollten sie zu acht den Bereich durchkämmen, um Versprengte zu finden? Sie stocherten blindlings herum.
Du weißt ja, wer dich in dieses Loch geschickt hat.
Da Gonozal musste von seinen Fragen erfahren haben und hatte ihn hierher zum Sterben geschickt.
Du kriegst mich nicht!, dachte er wütend.
»Da Trohnar, brauchen Sie eine Extraeinladung?«
Es juckte ihn in den Finger, diesen kampflüsternen Idioten zu erschießen. Dann hätte er das Kommando übernommen und wäre zum Eingang zurück.
Vorsichtig gingen sie vorwärts und erreichten jene Stelle, von der aus sie zuerst beschossen worden waren. Von den Methans lagen vereinzelte Körperteile auf dem Boden.
Da Trohnar würgte, auch wegen des stechenden Ammoniakgeruchs, der aus den aufgeplatzten Kampfanzügen austrat.
Hier sah der Krieg anders aus als in den Taktik-Holos der Raumschiffe. Hier sah er das wirkliche Elend: zerfetzte Gliedmaßen, blutüberströmte Leiber und weggeworfene Leben.
Und das alles, weil sich Arkoniden und Maahks nicht an einen Tisch setzten und die Hyperkristalle aufteilten.
Auch aus Kriegssicht waren diese Toten wertlos. Ein Kampf Mann gegen Mann entschied niemals eine Schlacht und schon gar keinen Krieg. Diese Scharmützel dienten nur den Egos von Soldaten und Offizieren.
Nein, abgesehen von Verhandlungen gewann man so einen Krieg nur in Raumschiffen.
Er stutzte. Waren das seine Gedanken oder die des Vaters?
Sie marschierten weiter und erreichten das verschlossene Schott am Ende des Korridors.
»Öffnen!«, befahl Braror.
Einer der Soldaten huschte nach vorn und platzierte fingerdicke Sprengladungen. Der Trupp wich zurück, dann zündeten die Minibomben.
Blöderweise nicht nur die am Schott, sondern auch die von den Methans versteckten am Boden. Die Arkoniden fielen abwärts in die Dunkelheit und prallten hart auf. Noch bevor sie sich aufrappelten, brach die Hölle los.
*
Da Trohnar rannte gemeinsam mit Gemko um sein Leben. Als Einzige aus der Einheit hatten sie den Hinterhalt der Maahks überlebt. Auch Braror würde nie wieder prahlen, Angriffe der Methans überstanden zu haben.
»Wo sind wir?«, keuchte Gemko an seiner Seite. Bewusst verzichteten sie auf die Antigravs, um nicht geortet zu werden.
»Keine Ahnung!«
Längst hatte da Trohnar die Orientierung verloren. Der Funkverkehr und die Standortbestimmung wurden von den Maahks gestört. Eigentlich stolperten sie nach dem Zufallsprinzip durch die Korridore.
Ihr müsst einen Weg hinausfinden.
Ach, gab er genervt zurück. Der Auftrag, versprengte Kameraden aufzuspüren, interessierte ihn längst nicht mehr. Fest stand, sie mussten nach oben. Doch sie wussten nicht, in welche Richtung sie sich wenden mussten.
Werft eine Münze!
In einer Maschinenhalle fanden sie eine ungesicherte Positronik, die ihnen den Weg Richtung Ausgang wies.
»Zu Fuß sind es knapp drei Tontas bis zu unseren Leuten«, stellte da Trohnar fest.
»Und auch nur ohne Feindberührung«, ergänzte Gemko.
»Wir schalten unsere Anzüge ab, dann sind wir für die Methans nicht mehr zu orten.«
»Dafür bei einem Überraschungsangriff ungeschützt.«
»Fällt Ihnen eine Alternative ein?«
Der Junge verzog die Lippen und schüttelte den Kopf. Da Trohnar zeigte in Richtung des Korridors. Nachdem das Stand-by des Individualschirms desaktiviert war, fühlte er sich nackt und verwundbar. Im Fall des Falles musste er ihn manuell einschalten.
Sie schlichen los. Drei Korridore ging das gut, dann trafen sie auf einen Methan, der sofort feuerte.
Da Trohnar warf sich zur Seite und aktivierte den Schutzschirm. Prompt schlug ein Desintegratorstrahl darin ein. Funkenkaskaden liefen über den hochgespannten Schirm, grünlich irrlichternde Fehlschüsse krachten in die Wände des Korridors. Der Desintegratorstahl produzierte eine verwehende Feinstaubwolke.
Er selbst feuerte mehrmals. Die sonnenheißen Plasmabälle hatten den Vorteil der enormen Auftreffdetonation. Dutzende Explosionen orgelten durch die Luft, die Metallplastik zerfetzten und Kunststoffe zu brodelnden Seen werden ließen. Schwarzer, fetter Rauch zog durch den Korridor.
Instinktiv duckte sich da Trohnar, als eine Miniraksalve den Gang entlangraste und hinter ihnen einschlug. Die Explosionswucht holte ihn von den Beinen und wirbelte ihn durch die Luft. Hart schlug er auf dem Boden auf und japste.
Sein erster Kontrollblick galt dem Schutzschirm, der sich weiter an ihn schmiegte. Mit dem zweiten Blick vergewisserte er sich, dass sein Kamerad ebenfalls wohlauf war. Zum Glück hatten sie es nur mit einem Gegner zu tun, der in jeder Hand eine Waffe trug und auf Dauerfeuer geschaltet hatte.
»Punktbeschuss!«
Gemkos und seine Impulsstrahlen fanden punktuell zusammen und überlasteten das Individualfeld des Methans. Abrupt brach er zusammen, und das Monster starb in einer Glutwolke.
Noch im Tod warf der Methan eine Granate, die vor da Trohnar auf den Boden fiel. Geistesgegenwärtig kickte er sie weg, doch die Granate explodierte in unmittelbarer Nähe.
Ein tödlicher Feuerball mit 50 Metern Durchmesser entstand. Die folgende Druckwelle schleuderte da Trohnar gegen die Korridorwand. Der Aufprall trieb ihm erneut die Luft aus der Lunge, doch im Gegensatz zur allerersten Explosion hielt er die Waffe fest und kam gleich auf die Beine.
Da soll noch einer sagen, du bist nicht lernfähig!
Die Deckenleuchten waren zerplatzt und nahmen dem Korridor die einzige Lichtquelle. Der Flackerschein der brennenden und schmorenden Plastikverkleidungen half den Augen nur unwesentlich.
»Gemko?«, fragte er.
Der Junge antwortete nicht, also aktivierte er die Anzuglampe. Die Explosion hatte eine Mulde in den Korridor gedrückt, in der Gemko zusammengesunken lag, den Kopf bei den Knien.
Blut sah da Trohnar keines, auch alle Extremitäten waren an der richtigen Stelle. Er stupste Gemko an. Der Junge reagierte nicht, also stellte er eine Verbindung zur Anzugpositronik her. Die Medoeinheit berichtete nichts Gutes. Gemkos Zustand war kritisch. Neben einer Gehirnerschütterung hatte er mehrere Frakturen und schwere, innere Verletzungen. Prophylaktisch war ihm ein Beruhigungsserum injiziert worden. Obwohl die Medoeinheit einiges durch Medikamente abgefangen hatte, musste Gemko rasch in eine Medostation. Am besten auf einer Antigravtrage, denn gehen konnte er aufgrund der Bein- und Hüftfrakturen nicht.
Es war wirklich tragisch, dass es den Jungen erwischt hatte. Es war ein weiteres Indiz für die Sinnlosigkeit dieses Gemetzels.
Da Trohnar nahm Gemkos Kombistrahler und alle Energiemagazine samt Granaten an sich. Allzu lang würde er damit im Falle einer Entdeckung nicht durchhalten, aber manchmal entschied ein volleres Energiemagazin über Leben und Tod.
Er wollte sich umdrehen, doch etwas hinderte ihn daran. Es fiel ihm schwer, den Jungen zurückzulassen. Sie hatten gemeinsam gekämpft, und Gemko hatten ihm das Leben gerettet. Es wäre schade, wenn er in dieser Anlage verrecken würde.
Was sind die Alternativen?, fragte der Extrasinn.
Die sind alle gleich beschissen!
Er konnte sich neben Gemko setzen und darauf hoffen, dass kein Methan sie entdeckte, sondern dass sie ein arkonidischer Nachfolgetrupp fand und evakuierte. Er konnte seinen Anzug mit jenem des Jungen koppeln, den Antigrav aktivieren und damit die Ortung durch die Maahks riskieren, während er mit ihm zum Ausgang flog.
Somit volles Risiko.
Ihn über die Schulter zu legen und ohne Technik durch den Korridor zu stapfen, verbot sich aufgrund der Verletzungen.
Blieb noch, ihn zurücklassen.
Also ein Feigling oder ein Kamerad, fasste der Extrasinn zusammen.
Unwillkürlich nickte da Trohnar. Durch seine neue Erkenntnis berührte ihn das Schicksal des Jungen. Sicherheitshalber aktivierte er den Funk, doch das Störfeld arbeitete noch.
Wehmütig tätschelte er Gemkos Schulter und erhob sich. »Danke, dass du mir das Leben gerettet hast.«
Das ist nicht dein Ernst!
Sobald ich in Sicherheit bin, schicke ich einen Rettungstrupp!
Die Wahrscheinlichkeit einer Rettung liegt bei unter einem Prozent.
Damit ist sie gegeben.
Der Logiksinn schwieg, während er sich die ersten Schritte von Gemko wegbewegte. Da Trohnar fluchte, denn er spürte, dass es nicht richtig war.
Verdammt, das hier bewies, dass im Krieg Soldaten verletzt wurden und an ihren Verletzungen starben. Und er konnte sich aussuchen, ob er lebte oder ob er gemeinsam mit Gemko starb.
Schweren Herzens ging er weiter und hoffte, dass ein Rettungsteam den Jungen später lebend bergen würde.
Du hast dich also entschieden, ein Feigling zu sein. Was wohl Atlan da Gonozal dazu sagen wird?
Wie sollte er es erfahren?
Na, du musst dem Rettungsteam erklären, wieso du ihn zurückgelassen hast.
Da Trohnar blieb stehen und schloss die Augen. Er war überfordert, wusste nicht einmal mehr, ob er an der Stellvertretung des Geschwaders interessiert war. Die Todesnähe hatte die Perspektive verschoben. Wer war er als Arkonide? Und was wollte er eigentlich für sein Leben?
Er drehte sich um, koppelte Gemkos Anzug mit seinem, aktivierte den Antigrav und raste in Richtung Ausgang. Überraschenderweise fühlte sich diese Entscheidung richtig an.
*
Da Trohnar stand unter der Dusche und konnte sein Glück nicht fassen. Er hatte es mit dem Jungen ohne Feindkontakt zurück in den arkonidischen Bereich geschafft. Gemko lag mittlerweile auf der Medostation und wurde versorgt. Die Chancen waren gut, dass seine Frakturen und die Gehirnerschütterung zur Gänze geheilt werden würden.
Er schob den Kopf unter den Wasserstrahl und ließ sich den Nacken massieren.
Die zweite gute Nachricht konnte er nicht glauben. Admiral Atlan da Gonozal war in der Schlacht im Grxlirasystem ums Leben gekommen. Damit war er zum Ersten Stellvertreter des 132. Einsatzgeschwaders Kristallprinz aufgerückt.
Aber das war nicht mehr so wichtig, denn die Gedanken vor dem vermuteten Tod hallten in seinem Inneren nach. Er musste darüber nachdenken, wer er eigentlich war und was er wirklich wollte.