Joshiron konnte sein Glück kaum fassen. Der geräumige Gleiter, in dem er saß, hatte Lemu, den zweitgrößten Kontinent des Planeten, auf dem Matronis lag, hinter sich gelassen. Sie hatten einen schmalen Landstreifen überquert und flogen nun auf den unbekannten Kontinent zu. Mit ihm saßen acht Erwachsene in dem Antigravschweber, Toshik eingeschlossen, sechs Männer und zwei Frauen. Diese Leute trübten seine Freude ein wenig: Er hatte sich ihnen vorgestellt, und zwei hatten ihn daraufhin nicht einmal angesehen. Den anderen war er immerhin ein Nicken wert gewesen, und nur ein Mann und eine Frau hatten sich herabgelassen, Joshiron ihre Namen zu nennen.
Doch der Einsatzanzug, in dem er steckte, war eigens für ihn angefertigt worden, nichts Besonderes, wenn man über automatische Fabrikatoren verfügte, aber trotzdem – er fühlte sich dadurch bedeutender, als er vermutlich war.
Gleichzeitig lag ihm einiges auf der Seele, und er hatte niemand anderen als seinen Vater, um darüber zu reden. Zumindest etwas davon hatte mit Toshik direkt zu tun, und er sprach ihn an, als er allein an dem Nahrungs- und Medikamentenspender im hinteren Teil der Kabine stand.
»Warum hast du bei Lasallo so rumgeschleimt?«, fragte er absichtlich provokant. Immer wieder trat ihm vor Augen, wie sein Vater vor dem unerträglichen Alten gebuckelt hatte, und jedes Mal drehte es ihm den Magen um.
Sein Vater wandte ihm das schmale Gesicht mit der hohen Stirn zu, aus der sich die schwarzen Haare bereits zurückzogen. Selbst wenn er auf einer Höhe mit ihm saß, hatte Joshiron immer das Gefühl, dass er auf ihn herabblickte. »Du meinst, das belanglose Geplauder zu Beginn?«
»Damit hast du bloß Zeit verschwendet.«
Toshik schüttelte den Kopf. »Nur scheinbar. Im Gegenteil hätte es anders länger gedauert: Zwar hätte ich Zeit gespart, wenn ich auf die einleitenden Floskeln verzichtet hätte, aber dafür wäre Lasallo später sperrig gewesen.«
»Trotzdem, muss man solchen Leuten nicht sagen, was Sache ist?«
»Man muss es gewiss nicht. Man möchte es gern. Dazu sollte man aber selbst in einer Machtposition sein. Hätte ich es auf eine Konfrontation mit Lasallo ankommen lassen, wäre ich vielleicht nicht einmal Angehöriger des Forschungstrupps, geschweige denn, dass ich dich mitnehmen könnte. Indem ich ihm entgegenkam, habe ich mein eigentliches Ziel erreicht: Ich habe keine Zeit mit ausufernden Diskussionen verschwendet.«
Joshiron überlegte kurz. »Dann war es also Strategie?«
»Strategie ist ein zu großes Wort für das, was ich tue.«
Da war sie wieder, diese intellektuelle Überheblichkeit, als Bescheidenheit getarnt. Joshiron musste an sich halten, um nicht loszubrüllen.
»Gesprächstaktik wäre treffender«, fuhr Toshik fort. »Wähle deine Worte mit Bedacht, und du wirst dein Ziel leichter erreichen. Lasse dir niemals von deinen Gefühlen diktieren, was du sagst.« Er sah zu den Leuten auf den Kontursesseln im vorderen Teil des Gleiters. »Auch nicht, wenn du mit ihnen zu tun hast. Wir Takerer haben keinen Respekt vor jemandem, der sich emotional hinreißen lässt. Die Vernunft ist unsere Lebensweise.« Damit schnitt er von selbst ein anderes Thema an, das Joshiron beschäftigte.
»Und wir führen den geheimen Krieg, um unsere Lebensweise beibehalten zu können?«
»Das ist richtig. Wir haben das Recht, uns frei zu entfalten.«
»Und deshalb bekommt jeder von uns, sobald er erwachsen ist, das Tryzom und wird dadurch zum Pedotransferer?«
»Wie ich sehe, hast du bei deinen Lektionen doch etwas gelernt.«
Am liebsten hätte Joshiron dem Alten seinen wenn auch milden Spott in den Rachen gestopft. Immerhin war dieses Gespräch nicht so schal und spannungslos wie die meisten ihrer Unterhaltungen. Und er tat genau das, was sein Vater ihm geraten hatte: Er behielt sein Ziel im Auge. »Um gute Zielwesen für den Pedotransfer zu haben, züchten wir die Pedopole und quälen harmlose Konu wie Loboposch?«
Sein Vater verzog leicht das Gesicht zu einer Miene hämischer Überlegenheit, die Joshiron nur zu gut kannte. »Wir schaden niemandem ohne triftigen Grund. Wir unterwerfen ihr Leben dem höheren Ziel, so wie wir es auch mit uns selbst tun.«
»Wir entscheiden uns für unsere Ziele, aber die Konu nicht. Dabei haben sie genauso ein Recht auf ihr Leben wie wir. Loboposch hat das Recht, sein Leben zu Ende zu leben!«
»Dass Wesen sterben, damit andere leben, ist ein Eckpfeiler der Zivilisation«, sagte Toshik.
»Und das mit jeder Menge Schmerzen.«
»Schmerz gehört zu jedem Leben. Er ist Teil der Existenz. Du hast schon Schmerz erduldet, und leider steht dir wohl noch mehr Schmerz bevor in deinem Leben.«
»Loboposch sollte aber nur Schmerz haben in seinem Leben, und zu guter Letzt sollte er von diesen ... Kreaturen zerfetzt werden.«
»Der Fütterungsroboter hätte ihn ihnen nicht lebendig vorgeworfen.«
»Aber er wäre umgebracht worden!«
»Altes muss verschwunden, damit Neues entstehen kann, Joshiron. Das ist der Lauf der Welt.« Toshik lächelte schmallippig. »Einigen wir uns darauf, dass das Leben ungerecht ist.« Er kehrte Joshiron den Rücken zu und wollte zu den anderen Wissenschaftlern zurückgehen.
Mit solch einem Spruch wollte sich Joshiron nicht abspeisen lassen. »Wenn wir Takerer bereit sind, solche schrecklichen Experimente zu unternehmen, damit wir uns frei entfalten können, wäre es vielleicht besser, wenn wir uns nicht frei entfalten würden, oder?«
*
Seit dem verbalen Schlagabtausch fühlte sich Joshiron noch kälter behandelt, aber er ließ es sich nicht anmerken. Er biss die Zähne zusammen und befasste sich bei einer Tasse heißem, bitterem Scaluc am Positronikholo seines Sitzes mit Schullektionen, die er ohnehin zu erledigen hatte. Er merkte allerdings, dass er damit nicht so rasch vorankam wie gewohnt.
Zu Joshirons Erleichterung erreichte der Gleiter den unbekannten Kontinent schneller als erwartet. Als die Küste in Sicht kam, nahm er es zum Anlass, die Karte abzurufen.
Die Landmasse war klein und hatte eine grob dreieckige Form. Sie näherten sich aus Westsüdwest und brauchten den Kontinent gar nicht zu überfliegen, denn ihr Ziel lag knapp südlich der westlichen oberen Ecke des Dreiecks in Ufernähe.
Dabei stand der Berg am äußersten Ende eines Hochplateaus, das etwa dreieinhalb Kilometer über dem Meeresspiegel lag. Die Positronik hinter der Karte gab an, dass dort die Bedingungen einer Kältesteppe herrschten, und als Joshiron abrief, was das bedeutete, erfuhr er, dass Kältesteppen offene, baumfreie Landschaften waren, oft mit Permafrostböden. An Vegetation herrschten Flechten, Moose, Gräser oder sommergrüne Zwergsträucher vor.
Von dieser Ödnis ragte der kegelförmige Berg noch einmal dreieinhalb Kilometer hoch auf, und selbst Joshiron war klar, dass er eine ungewöhnliche geologische Formation vor sich hatte. So spitz, wie der Berg war, nannte Joshiron ihn bei sich Tradracu , Saurierzahn.
Im gleichen Moment überkam ihn Heimweh. Auf Takera hatte er mit seinen Freunden oft in Simuspielen fremde Welten erkundet und geologischen Formationen, Tieren und Monstern schräge Namen gegeben. Was hätte er darum gegeben, mit ihnen sprechen zu können. Aber er befand sich auf einem Geheimplaneten, von dem die meisten Takerer überhaupt nichts wussten.
Das hatte natürlich auch etwas, aber der Reiz nutzte sich schnell ab.
Die Pilotin, eine der beiden Wissenschaftlerinnen im Team, landete den Gleiter am Fuße des Tradracu. Die Leute verließen die Maschine und luden ihre Instrumente aus. Als Erstes wurde ein Kordon um den Gleiter mit einem Prallschirm abgeriegelt, der eventuelle unangenehme Besucher abhalten sollte. Auf Lemu konnte es passieren, dass ein Draco , ein tonnenschwerer Saurier, auf einen zurannte, und so etwas in Wirklichkeit zu erleben war etwas anderes als in einem Simuspiel. Sein Vater hatte zwar gesagt, dass es solche Wesen auf dem kleinen Kontinent, auf dem sie waren, nicht gebe, aber vielleicht waren sie nur noch nicht entdeckt worden. Und auch kleines Viehzeug konnte mit Giftstacheln und allergenen Haaren sehr unangenehm werden. Joshiron hatte es alles schon erlebt – in Simuspielen natürlich.
Kurz überlegte er, wie gern er Loboposch dabeigehabt hätte, aber vielleicht wäre er von den Wissenschaftlern gequält worden. Takerer glaubten das Recht zu haben, mit den Konu zu machen, was ihnen gerade in den Sinn kam. Vermutlich war es also besser, dass Loboposch in ihrer Station geblieben war und von der neuen Mitarbeiterin seines Vaters versorgt wurde, die Alida hieß.
Joshiron war froh, dass er sich bewegen und beim Ausladen helfen konnte. Nachdem die Wissenschaftler die wichtigsten Geräte aufgebaut hatten, begannen sie mit ihrer Arbeit und überließen die niederen Tätigkeiten den Robotern, aber Joshiron fasste weiter mit an.
Schon bald stand fest, was bislang nur angenommen worden war: Die Störimpulse stammten aus dem Innern des Bergs.
Joshiron trug gerade eine Metallplastikkiste mit Kleinteilen aus dem Gleiter, als Tranat die nächste Dakkarkaskade aussandte.
*
Der kugelförmige Roboter, der mit einer schweren Kiste mit irgendeinem Resonator in den Tentakeln vor Joshiron schwebte, stieg unversehens in die Höhe und begann zu rotieren. Gleichzeitig beschrieb er eine Korkenzieherrolle um den Flugvektor und erinnerte ein wenig an einen Kinderballon zum Aufblasen, der davonwirbelte, kaum dass man ihn losließ.
Allerdings explodierten Luftballons nicht auf dem Scheitelpunkt ihrer Flugbahn. Der Roboter aber zerbarst mit einem grellen Blitz, der grünliche Nachbilder auf Joshirons Netzhäuten hinterließ. Ein Knall zerriss die Stille, und mehr aus Instinkt als Überlegung ließ Joshiron die Kiste fallen und warf sich hinter einem Felsbrocken in Deckung. Splitter pfiffen heran und schlugen in den Boden.
Eine Apparatur, die fast fertig zusammengebaut war, löste sich fauchend in einer violetten Feuererscheinung auf, die von schwarzen Adern durchfurcht war. Der Wissenschaftler, der daran gearbeitet hatte, schrie auf und wich zurück, Gesicht und Hände von Verbrennungen überzogen.
Endlich stand der Schutzschirm, und die Effekte ließen nach. Ganz still wurde es um sie. Nur der Verletzte stöhnte noch, bis ihm jemand eine Sprühinjektion mit einem Schmerzmittel verabreichte, und die Feuer knisterten.
*
Die Wissenschaftler arbeiteten die ganze Nacht hindurch. Bei jeder Dakkarkaskade wurden die Instrumente gestört, und eilig musste der Schutzschirm aufgebaut werden, der wiederum keine Messungen zuließ. Als Joshiron sich hinlegte, hörte er im Schlaf manchmal, wie nicht nur einer der Leute den Sonnensatelliten verwünschte.
Die Sextadimstörstrahlung sank am nächsten Tag auf ein »vernachlässigbares Niveau«, wie Toshik es ausdrückte, weil die Justierung des Sonnensatelliten abgeschlossen war und Tranat keine neuen Dakkarkaskaden von sich gab. Dafür zeigten sich andere Probleme: Hin und wieder bebte der Boden, einmal war sogar ein leises Grollen zu hören.
»Tektonische Phänomene sind nichts, was unsere Systeme nicht ausgleichen könnten«, sagte Toshik beruhigend zu seinem Sohn.
Joshiron nickte nur knapp und machte mit seinen Hilfsarbeiten weiter. Seit dem Disput im Gleiter hatten sein Vater und er über nichts Persönliches mehr gesprochen. Joshiron war es nur recht. Er vertrieb sich die Zeit, indem er den Robotern zur Hand ging. Etwas Sinnvolleres gab es für ihn nicht zu tun. Anfangs war es ihm merkwürdig vorgekommen, Maschinen zuzuarbeiten, aber nach einer Weile störte es ihn nicht mehr. Und die Roboter stellten sich darauf ein: Sie schufen ihm Möglichkeiten, sich nützlich zu machen.
So verging die Zeit, während die Wissenschaftler ihre Messungen vornahmen. Als sie damit fertig waren, berief Toshik eine Besprechung ein. Joshiron wurde zwar nicht hinzugebeten, aber als er sich an den Rand setzte, um zuzuhören, erhob niemand Einwände.
»Je tiefer unsere Messimpulse in den Berg eindringen«, sagte ein Wissenschaftler, dessen Namen Joshiron nie erfahren hatte, »desto stärker werden sie abgeschwächt.«
»Immerhin konnten wir die Störungsquelle durch Nullpunktpeilungen lokalisieren«, sagte Toshik.
»Sie liegt im Innern des Bergs.« Die Feststellung stammte von Lidate, einer von den beiden, die Joshiron ihren Namen genannt hatten. Sie war klein und untersetzt und trug ihre tiefschwarzen Haare zu feinen Stoppeln gestutzt. Joshiron hatte sich überlegt, wie es wohl wäre, ihr näherzukommen, aber dann war ihm aufgefallen, dass sie nur Augen für die andere Frau in der Gruppe hatte. »Und das bedeutet, dass wir bohren müssen. Unsere technisch hochgezüchtete Ausrüstung eignet sich dafür allerdings nur begrenzt. Die Quelle lässt alles versagen, was höherdimensionale Energie nutzt.«
»Wir sollten aus Matronis ein Bohrgerät anfordern, das ganz konventionell arbeitet«, sagte der erste Wissenschaftler. »Für die Fabrikatoren wird das kein Problem darstellen.«
*
Und so kam es. Von einem starken Elektromotor angetrieben, fraß sich zwei Tage später ein Bohrkopf in den Fels des Tradracu. Das durchdringende Betriebsgeräusch bereitete Joshiron fast Zahnschmerzen und verfolgte ihn bis in den Schlaf. Das Gerät kam langsam, aber stetig voran und erzeugte einen mannshohen Stollen, der schräg hinauf in den Berg führte und mechanisch abgestützt werden musste, weil die üblichen energetischen Verstärkungen versagten.
Joshiron empfand eine leichte Verzweiflung über die Verzögerung. Er hatte gehofft, dass der Einsatz in ein, zwei Tagen erledigt wäre. Nun musste er Loboposch viel länger in Alidas Obhut zurücklassen, als ihm recht war. Aber eine Anfrage bei Toshik endete mit Ablehnung. Es würde kein Gleiter kommen, der Joshiron wieder zur Station zurückschaffte, und so lenkte dieser sich mit Arbeit von seinen Sorgen ab.
Auf dem letzten Teilstück blieb der vorderste der Roboter, von denen die Stützpfeiler eingesetzt wurden, unvermittelt stehen und rührte sich nicht mehr. Er versperrte den engen Gang und musste von zwei seiner Kameraden abgeschleppt werden, die nur knapp dem gleichen Schicksal entgingen. Bei den Kompaktpositroniken, die sie steuerten, konnte nicht ganz auf Hypertechnik verzichtet werden.
Danach mussten die Wissenschaftler und Joshiron die Arbeit der Roboter übernehmen. Ihm machte es wenig aus, er war mittlerweile daran gewöhnt und stieß sich nicht an der Vorstellung, aber die Wissenschaftler ließen sich nur widerwillig darauf ein und murrten ständig bei der ungewohnten körperlichen Anstrengung. Joshiron grinste insgeheim über die Männer und Frauen, die sich so sehr dagegen sperrten, von ihrem gewohnten Verhalten abzuweichen. Er schwor sich eines: Nie im Leben wollte er so werden wie sie.
Einen Tag lang arbeiteten sie so, und als sie am Abend aufhörten, merkte Lidate an, dass sie am nächsten Morgen in einen Hohlraum durchbrechen würden.
Beim Frühstück konnte Joshiron es kaum abwarten, zu erfahren, was die Quelle der Störimpulse war. Auch die Wissenschaftler waren aufgeregt und voller Vorfreude, und er fühlte sich ihnen wieder stärker verbunden. Er freute sich, dass in ihnen doch noch etwas von den neugierigen Jugendlichen steckte, die sie einmal gewesen sein mussten.
Der Enthusiasmus der Gruppe erlitt einen starken Dämpfer, als sich zeigte, dass der Motor des Bohrkopfs nicht mehr ansprang. Den ganzen Tag lang stießen sie nicht zum Hohlraum vor, sondern demontierten das Gerät und schafften es in Einzelteilen aus dem Stollen. In einiger Entfernung konnten die Roboter übernehmen, aber die eigentliche Schwerarbeit musste von den Wissenschaftlern geleistet werden. Gegen Mittag hatte sich deren Begeisterung vollkommen verflüchtigt.
Als die Passage wieder frei war, verbrachten sie den Nachmittag und frühen Abend damit, den Stollen in den Berg hinein voranzutreiben. Die anstrengende Arbeit musste mit Spitzhacken und anderen primitiven Werkzeugen von jeweils einer Person ausgeführt werden, während die übrigen den Abraum fortschafften. Wenigstens funktionierten die elektrischen Lampen noch, auch wenn sich ihre Batterien schneller entluden als üblich. An den Betrieb eines effizienten Stromerzeugers war vor Ort nicht zu denken: Nicht einmal ein schlichter Fusionsreaktor ließ sich betreiben. Die Störstrahlung war zu stark. Über ein Notstromaggregat auf Grundlage der Verbrennung fossiler Kohlenwasserstoffe, das Lidate sich herbeiwünschte, verfügten sie nicht.
Am Abend gelang der Durchbruch. Eine Stelle mit weicherem Gestein gab nach. Toshik, der im Vortrieb arbeitete, stolperte zwei Schritte vor. Joshiron, der gerade eine Metallplastikkiste mit Abraum volllud, stand hinter seinem Vater und hörte, wie Steinchen auf der anderen Seite einen Hang hinunterkullerten. Aufgeregt sah er zu, wie Toshik mit neuer Energie auf das Gestein einschlug. Das Loch, das er gehauen hatte, wurde noch ein wenig größer, aber dann machte Joshirons Vater keine weiteren Fortschritte mehr, und seine Kraft erlahmte.
»Der Felsen rings um das Loch ist zu hart. Ich glaube, das schaffen wir heute nicht mehr.« Toshik wies die Übrigen an, zusammenzupacken und sich zur Nachtruhe zu begeben. »Morgen können wir mit frischer Energie das Gestein wegschlagen. Freuen wir uns auf den bevorstehenden Durchbruch.«
Während Joshiron gehorchte und Werkzeug auf den Schutt in seiner Kiste legte, nahm er den Blick nicht von dem Loch, das sie geschlagen hatten. Für einen Erwachsenen war es zu eng. Für einen Jungen wie ihn ...
*
Joshiron schien es eine halbe Ewigkeit zu dauern, bis die Wissenschaftler endlich alle schliefen. Fast wäre er beim Warten selbst eingenickt, so erschöpft, wie er von der körperlichen Arbeit war. Zum Glück galt Letzteres auch für die Erwachsenen, von denen keiner bemerkte, wie er aufstand, seinen Einsatzanzug überstreifte, sich ausrüstete und zum Stollenmund schlich.
Unter seinen Füßen knirschte feiner Schutt. Der Lichtkreis der Lampe zuckte über die zunächst gerundeten Wände des Stollens, der sich von der Stelle an, wo der Bohrkern ausgefallen war, immer weiter verengte, bis nur noch ein Erwachsener dort stehen konnte. Als er an das schmale Loch gelangte, das Toshik gehauen hatte, begann Joshirons Lampe zu summen. Er hielt es für ein schlechtes Zeichen. Noch eine Lampe holen? Nein. Aber er musste sich beeilen. Vermutlich hatte er nicht mehr viel Zeit, bevor ihm das Licht ausging.
Er kauerte nieder und schob sich seitwärts durch die Öffnung. Sein Einsatzanzug schabte über den Fels, aber das Material riss nicht. Er gelangte ins Freie, verlor das Gleichgewicht und schlitterte einen Hang hinunter. Mit dem Oberkörper prallte er gegen etwas. Der Aufschlag war dumpf, aber vom Hall her merkte Joshiron, dass er in einer weiten, hohen Kammer war.
Sollte der ganze Fuß des Bergs hohl sein?
Die Frage wäre nicht leicht zu klären. Beim Aufprall hatte er seine Lampe verloren, und sie war ausgegangen.
Joshiron umgab tiefste Schwärze.
*
Toshik fuhr aus dem Schlaf, ohne sagen zu können, wieso. Vielleicht hatte ihn ein Erdstoß geweckt, wie er am Fuß des Bergs immer wieder einmal auftrat. Er drehte sich in seinem Lager um und warf einen Blick in Joshirons Richtung, mit dem er sich das Zelt teilte. Das Lager kam ihm seltsam flach vor. Er nahm seine Handlampe und leuchtete hin. Das Lager war leer. Vielleicht war Joshiron nur noch einmal austreten gegangen?
Nein, auch sein Einsatzanzug war verschwunden.
Im Gegensatz zu den Wissenschaftlern alter Zeit verachtete Toshik die Intuition keineswegs. Allgemein war bekannt, dass es sich bei psionischen Erscheinungen um hyperenergetische Phänomene handelte, und der Dakkarraum hing eng mit Vorgängen zusammen, die man früher als seelisch bezeichnet hatte. Wieso sollte er nicht in der Nähe eines starken Dakkar- und Sextadimstrahlers einen übernatürlichen Einblick in die Umstände einer Person erhalten, die ihm wichtig war – die ihm am Herzen lag?
Toshik stand auf, zog sich rasch den eigenen Einsatzanzug über und rüstete sich aus. Vor allem wählte er mehrere gute Lampen. Als er das Zelt verließ, schweifte sein Blick nur kurz über die Bergflanke und zum Rand der Steppe, dann richtete er sich auf den Stollenmund.
Während er überall ringsum mögliche Zielkörper für einen Pedotransfer spürte, waren der Stollenmund und die Höhle darunter ein schwarzes Loch in seiner Wahrnehmung.
Daher bestand für Toshik kein Zweifel, wo sein Sohn steckte.
Er rief Joshiron mit dem Kommunikator des Anzugs, erhielt aber keine Antwort.
Ohne seinen Sohn zu entdecken, folgte er dem Stollen in den Berg bis an das Ende mit dem engen Durchbruch. Als sein Blick auf das Loch fiel, verstärkte sich sein ungutes Gefühl.
Joshiron passte dort hindurch. Er nicht.
Toshik kauerte sich an der Öffnung nieder und rief nach seinem Sohn.
Erleichterung und Angst zugleich ergriffen ihn, als er die Antwort hörte.
»Ich bin hier unten, aber ich habe kein Licht. Ich bin einen Hang hinuntergerutscht.«
Toshik streckte den Arm mit der eingeschalteten Handlampe durch die Öffnung. »Siehst du etwas?«
»Ja.«
»Dann komm wieder rauf.«
Eine Weile hörte er nur Scharren und das Kullern von Steinen. »Ich schaffe es nicht«, sagte Joshiron.
»Ich lasse dir ein Seil herunter.«
»Kann ich erst eine Lampe haben?«
»Natürlich.« Toshik band eine Leuchte an das Seil und schob sie durch die Öffnung. Sie scharrte innen über die Wand, aber sie erlosch nicht. Hand über Hand gab er Seil nach, bis Joshiron rief, dass er die Lampe habe.
»Gut, binde dich an und reiße dreimal am Seil, dann hole ich dich hoch.«
Er bekam keine Antwort. Der Lichtschimmer, der von unten heraufdrang, schien zu wandern.
»Joshiron?«
»Ich habe eine Kamera dabei, Vater. Ich werde Daten sammeln, solange ich es kann.«
*
Joshiron hob die Lampe seines Vaters und drehte sich langsam um. Die Höhle, in die es ihn verschlagen hatte, war so groß, dass der Lichtschein die Decke und die gegenüberliegende Wand nicht brauchbar beleuchten konnte.
Was sich aber aus der Finsternis schälte, war keine Felsformation, sondern ein gewaltiger Klotz mit geraden glatten Wänden und einem abgerundeten Ende. Die Farbe der metallisch schimmernden Außenhaut sah hellblau aus, und das Ding hatte die Form eines umgedrehten Trogs. Er schätzte seine Länge auf etwa 200 Schritt, und für Joshiron bestand kein Zweifel, dass er ein Raumschiff vor sich hatte.
Ein Raumschiff, das nicht von Cappins gebaut worden war.
Arkonspitze – 17. April 8005 v. Chr.
Perry Rhodan biss die Zähne zusammen. Während die Zwergandroiden einer nach dem anderen starben, erzählte Tolcai ungerührt seine Lebensgeschichte. Wenn er RCO so verachtete, warum produzierte er sich dann derart vor ihm? Weil Tolcai es genoss, ein Publikum zu haben. Nicht ohne Grund sprach er so laut, dass sein Feind ihm zuhören musste.
Tolcai war also ein Takerer, entweder Toshik oder sein Sohn Joshiron. Oder beide? Fest stand jedenfalls, dass Rhodan längst nicht alles für bare Münze nehmen durfte, was er hörte: Es war durch die verzerrte takerische Weltsicht gefärbt. Auf Tolcais Behauptungen und Aussagen konnte man sich nicht verlassen, ganz gleich, wie sehr er die große Geste bemühte, etwa in seiner prätentiösen, pathetischen Einleitung.
Fast lachte er bei dem Gedanken, dass er bei der Reise mit dem Nullzeitdeformator in Ovarons Epoche die beiden nur knapp verpasst hatte. Wäre ihm damals bekannt gewesen, was er inzwischen wusste, hätte er nicht nur gegen den Sonnensatelliten vorgehen, sondern auch dieses Übel mit der Wurzel ausreißen können.
Sichu ging es immer schlechter, und der Zellaktivatorchip in Rhodans linker Schulter pochte. Seine Sicht verschwamm. Tränen? Sichu war nicht die erste Frau, die er verlor, aber in seinen Armen gestorben war noch keine, nicht Thora, nicht Mory, nicht Orana und weder Gesil noch Mondra. Und diesmal stand zu befürchten, dass er sie nicht lange überleben würde.
Dass es so enden sollte.
Rhodan blinzelte.
Ein bläuliches Schiff erschien am Horizont, eine kleine Einheit.
QUARTAM kam in Sichtweite. Ein kosmokratisches Wunderwerk in Form einer blauen Pille hatte den arkonidischen Wissenschaftler Quartam da Quertamagin in ein Raumschiff umgewandelt.
Leise Hoffnung regte sich in Rhodan. Hatte QUARTAM die Möglichkeit, Sichu in sich aufzunehmen und mithilfe kosmokratischer Technik am Leben zu erhalten?
Sichu schrie auf. Ihr fehlte schon die Kraft, sich auf den Beinen zu halten. Ihr Kopf ruhte auf Rhodans Schoß. Ihre Biomolplastmaske war bereits abgestorben, und als er sein eigenes Gesicht befühlte, stellte er fest, dass es bei ihm genauso war.
Rhodan zog sich die Reste von der Haut und wischte auch Sichus Gesicht sauber. Schweiß stand ihr auf der Stirn und rann ihr in dicklichen Tropfen die Wagen hinunter. Ein übler Geruch stieg von ihr auf, ihre hellgrüne Haut hatte einen fahlen, kränklichen Ton angenommen.
QUARTAM war noch einen halben Kilometer entfernt. Er schien sich wie durch Gelee zu bewegen. Würde er rechtzeitig eintreffen, um Sichu zu helfen? Wenn jemand die Macht dazu hatte, dann QUARTAM mit seiner kosmokratischen Technologie. Aber selbst falls es ihm gelang: Was war mit allen anderen Lebewesen, die in diesen Sekunden der Nukleotiden Pest zum Opfer fielen und elend starben? Machte er sich nicht schuldig, wenn er eine Person vor allen anderen rettete?
Währenddessen hatte Tolcai keine Sekunde innegehalten. Immer weiter ging die Schilderung seines Lebens vor fast 200.000 Jahren.