Voller Faszination sah Tolcai auf seinen nackten Arm herab. Langsam drehte er ihn und betrachtete ihn von allen Seiten. Die mattbraune Haut aus einem unzerstörbaren Material der Kosmokraten schimmerte im Sonnenlicht.
Aber diese mattbraune Haut löste sich ab. Bald hing sie in Fetzen hinunter, kringelte sich und fiel vom Körper wie welke Blätter.
Darunter, etwas gerötet und aufgedunsen, erschien eine hellere Haut. Die Haut des Cappins, der Tolcai einmal gewesen war. Joshirons Haut. Der Kosmokratenroboter erinnerte sich kaum mehr daran, wie es war, eine solche Haut zu besitzen. Plötzlich spürte er den eisigen Wind auf der Höhe der Arkonspitze.
Selbstverständlich konnten seine robotischen Sinne ihm bis ins kleinste Detail alles über den Wind mitteilen, seine genaue Temperatur, die Richtung, aus der er kam, seine Geschwindigkeit und Beschleunigung, die Zusammensetzung und den Druck der Luftschichten und die genaue Formel, die ihre Bewegung beschrieb. Tolcais robotisch aufgewertetes Gehirn wusste alles über die Druckgradientkraft und den Einfluss atmosphärischer Zusammensetzungen und der Corioliskraft auf planetare Winde.
Aber es fühlte sich anders an, den Wind auf der Haut eines takerischen Jugendlichen zu spüren, der vor 200.000 Umläufen dieser unbedeutenden Sonne aufgehört hatte, ein niederes, sterbliches Lebewesen zu sein.
Die Erkenntnis verblüffte Tolcai. Es gab also etwas, das der takerische Jugendliche dem unsterblichen Kosmokratenroboter voraushatte. Damit hatte er nicht gerechnet.
Immer größere Schuppen seiner alten Haut lösten sich und fielen zu Boden. Tolcai fasste in sein Robotergesicht, in dem Mund und Nase nur angedeutete Schlitze waren. Das Gesicht schmolz. Tolcai konnte es nicht glauben, und dennoch war er entzückt.
Er berührte das AUGE – das eigentliche Wunder seiner kosmokratischen Existenz. Das AUGE, mit dem er überallhin sehen konnte, in jeden Winkel des Universums, in Raum und Zeit, in Höhe und Tiefe, hinter die Materiequellen und ins Innerste der Atome. Das AUGE war das Machtinstrument, das ihn nicht nur zu einem übermächtigen, sondern auch einem allwissenden Wesen gemacht hatte. Es verfügte über eine Energiequelle, die einem Schwarzen Loch in nichts nachstand. Und es stand im Begriff, sich aufzulösen! Noch konnte er damit sehen, aber schon fiel es ihm immer schwerer.
Tolcai fühlte, wie kaltes Grauen in ihm hochstieg. War er zu weit gegangen? Konnte er seinen Plan noch verfolgen, wenn er das AUGE verlor? Oder war genau dies der Moment, in dem der Plan aufging?
Der arkonidische Dienstroboter, der die Ereignisse der letzten Minuten stumm verfolgt hatte, trat kühn einen Schritt vor. »Was werden Sie jetzt tun, Erhabener?«, fragte er mit erstaunlich sanfter Stimme, die leicht metallisch klang. »Sie haben nicht mehr viel Zeit.«
Voll Staunen drehte Tolcai sich herum und starrte ins Plastikgesicht des Roboters. Hatte er denn immer noch nicht begriffen? Er war eben nach wie vor nichts anderes als eine Maschine, die weit unter Tolcai selbst stand, der ein göttergleiches Leben geführt hatte.
Erneut sah Tolcai auf seine Arme. Er machte eine kraulende Bewegung mit allen Fingern der intakten Hand. Es waren nur noch fünf, statt der sechs Finger, die der Kosmokratenroboter an jeder Hand gehabt hatte. Aber es fühlte sich gut an. Es fühlte sich lebendig an.
Die andere Hand war ein zerfressener Stumpf. Sie sah genau so aus wie damals, nachdem er mit ihr in den Schutzschirm gefasst hatte, der den versteinerten Piloten der ZIBORAL umgeben hatte.
Endlich antwortete er dem Roboter. »Ich bin immer noch dein Herr. Aber ich bin nicht mehr die Erhabenheit, als die du mich kennengelernt hast. Die STRAHLKRAFT sucht nach einem neuen Missionsleiter. Sie hat diesen Planeten verlassen und mich hier ausgesetzt, am gleichen Ort, an dem damals meine Reise mit ihr begann. Damit hat sie mein Todesurteil gesprochen. Du denkst bestimmt, ich müsse in Panik verfallen, nicht wahr?«
In einer Bewegung, die den Humanoiden dieses Planeten nachempfunden schien, legte der Dienstroboter den Kopf schief. »Sie machen nicht den Eindruck des Verlusts Ihrer Selbstbeherrschung. Im Gegenteil, Sie wirken ungewöhnlich ruhig und friedlich. Sie haben sogar gelacht – eine Regung, die normalerweise Wohlgefallen ausdrückt. Darf ich fragen, warum?«
Tolcai spürte, wie die Roboterhaut von seinem Gesicht schmolz und sein birnenförmiger Kopf eine neue Form annahm. Es musste die von Joshirons Kopf sein, an die er sich kaum erinnerte. Er versuchte, mit seinem neuen Mund zu lächeln. Er hatte keine Ahnung, ob es ihm gelang, und ein arkonidischer Dienstroboter war gewiss nicht das richtige Publikum, es zu beurteilen.
»Du hast recht«, sagte er, ohne auf die Frage des Roboters einzugehen. Seine Stimme krächzte wie die eines Pubertierenden. »Ruhe und Frieden sind es, die mich erfasst haben. Wie hast du es genannt? Wohlgefallen. Oh, wie lange musste ich auf diesen Augenblick warten! Endlich bin ich erlöst. Die STRAHLKRAFT hat genau so reagiert, wie ich es vorausgesehen habe. Mein Plan ist aufgegangen.«
»Ich versuche zu begreifen«, behauptete der Dienstroboter. »Ich habe Ihre Geschichte gehört. Aber was soll das für ein Plan gewesen sein?«
Tolcai schmunzelte. An den Seiten seines Kopfes wuchsen die lächerlich abstehenden Ohren des takerischen Jugendlichen. »Errätst du es nicht, mein schlauer, dummköpfiger, nichtsnutziger Freund?«
Der Roboter ließ nicht erkennen, ob er Tolcais Worte als Beleidigung begriff. Er antwortete, ohne zu zögern. Seine Prozessoren arbeiteten mit Lichtgeschwindigkeit. »Sie haben seit vielen Tausend Jahren nach einem Weg gesucht, die STRAHLKRAFT wieder ins Larsafsystem zu führen, das Sie damals Tranatsystem nannten. Sie konnten es als Missionsleiter nicht einfach befehlen, denn auch Sie waren an die Aufträge der Kosmokraten gebunden, und Sie hatten schlicht keinen Auftrag, an diesen Ort zurückzukehren. Aber es ist Ihnen gelungen. Ihr Plan war offenbar, das Artefakt, das Sie in all der Zeit behalten haben, auf der Arkonspitze zu öffnen, dem einzigen Ort, an dem dies möglich war. Auch das ist Ihnen gelungen, und als Resultat haben Sie das Leben auf diesem Planeten und im ganzen Spiralarm dieser Galaxis ausgelöscht, inklusive Ihres eigenen. Denn nachdem Ihr Körper nicht mehr von der STRAHLKRAFT geschützt wird, sind Sie nicht mehr unsterblich.«
Der Roboter machte eine Pause, die bewusst gesetzt sein musste. Denn er brauchte keine Zeit, um nachzudenken. »Wahrscheinlich werden Sie sogar bald von den Auswirkungen der Nukleotiden Pest erfasst werden, wie jedes Lebewesen auf diesem Planeten. Das wird vermutlich der Fall sein, nachdem sich Ihr Körper vollständig zurückverwandelt hat. Die Frage bleibt: Warum haben Sie das getan? Warum wollten Sie zu diesem Planeten zurückkehren, um das Talagon hier zu öffnen?«
Tolcai lachte lauthals. Seine eigene Stimme hörte sich ungewohnt an. »Du hast alle Teile beisammen. Aber du hast es noch immer nicht verstanden? Dann will ich es dir erklären.«
Die dumme Maschine war immerhin gut dafür, ihm zuzuhören. In diesem Moment, da sein Werk getan war, konnte er mit dem Roboter ein Gespräch führen, wie er es mit den Androiden der STRAHLKRAFT und seinem Commo'Dyr nie in dieser Offenheit hatte machen können.
»Ich habe lange gelebt«, sagte Tolcai nüchtern. »Als Missionsleiter der STRAHLKRAFT habe ich überall im Universum im Sinne der Hohen kosmischen Mächte gewirkt. Mal war ich grausam, mal war ich gnädig, je nachdem, was den Zielen der Kosmokraten am ehesten diente. Dabei erlaubten sie es mir, an Bord meines Raumschiffs meinen Neigungen zu frönen. Es war ein phantastisches Leben.«
Er trat ganz nah an den Roboter heran und sah ihm direkt in die Mechanoaugen, die emotionslos zurückstarrten. »Aber es war ein Leben, das ich nie gewollt habe. Es hat mich damals nicht glücklich gemacht, als die STRAHLKRAFT mich zu Tuun Yomorikons Nachfolger bestimmt hat, und ich war gewiss nicht glücklich, ein Sklave der Kosmokraten zu sein. Der Sinn meines Lebens war lediglich, ihren Wünschen zu folgen. Die STRAHLKRAFT hätte nichts anderes akzeptiert. Das einzige Kleinod, das ich mir entgegen ihrer Wünsche bewahrt hatte, war das Medaillon, das ich in der ZIBORAL gefunden hatte. Die Proto-Nekrophore. Eine Erinnerung daran, wo ich hergekommen war, und ein Ausblick darauf, wie ich mein Ende finden würde.«
Sein Blick fand auf dem Felsen die beiden Teilstücke des Talagons, die nutzlos geworden im Staub lagen. Vielleicht würde ein Archäologe aus einer fernen Galaxis sie in 10.000 oder 100.000 Jahren ausgraben und sich fragen, was ihre Geschichte war. Der Roboter sah ihn nach wie vor starr an.
Tolcai stampfte mit dem Fuß auf. Er schrie seinen ganzen Zorn heraus. »Die Kosmokraten haben nie gefragt, was ich eigentlich wollte. Sie gingen jederzeit davon aus, dass es die größte Ehre wäre, den Hohen Mächten des Kosmos zu dienen. Hätte ich das Talagon in der STRAHLKRAFT öffnen können, ich hätte es auf der Stelle getan. Es wäre mir eine Freude gewesen, mich und das Raumschiff in Flammen aufgehen zu sehen.«
»Ich verstehe«, sagte der Roboter nur.
Aber Tolcai war noch nicht mit ihm fertig. Er schrie den Roboter an. Dabei spritzten Tropfen aus Speichel aus seinem Mund und besudelten das Gesicht des Gegenübers. »Du verstehst? Hast du einmal zweihunderttausend Jahre lang im Dienst von Mächten gestanden, die dir nichts, aber auch gar nichts bedeutet haben? Du verstehst gar nichts!«
Tolcai wischte sich mit dem Unterarm über den Mund. Fetzen der Roboterhaut lösten sich und fielen hinab. Er wimmerte. Gleich darauf wurde er wieder ruhiger. Es war ein Wechselbad der Gefühle. »Meine Existenz zu beenden, erschien mir das einzig erstrebenswerte Ziel im Leben. Und wenn ich Jahrtausende dazu brauchte, es zu erreichen. Die STRAHLKRAFT hätte es niemals zugelassen, wenn ihr Missionsleiter sich einfach das Leben genommen hätte. Sie hätte es verhindert. Also musste ich einen Weg finden, das Schiff zurück ins Tranatsystem zu leiten, damit ich das Talagon öffnen konnte. Das war die einzige Möglichkeit, mein Leben zu beenden – so gegen die Gesetze der Kosmokraten zu verstoßen, dass sie mich dafür bestrafen würden. Durch den Einsatz einer Chaotarchenwaffe. Ich musste es geschickt einfädeln, sodass die Androiden und das Schiff keinen Verdacht schöpften, worin mein wahrer Plan bestand.«
»Die Öffnung des Talagons entvölkert die halbe Galaxis«, hielt der Roboter ihm emotionslos entgegen. Er gab nicht zu erkennen, ob er seine Worte als moralische Missbilligung verstanden wissen wollte.
Diesmal blieb Tolcai ruhig. Er stützte die Arme auf die Oberschenkel und atmete schwer. Atmete die Luft dieses Planeten, die ihm auf einmal würzig und lebendig vorkam. »Das interessiert mich nicht«, flüsterte er. »Dich würde es auch nicht interessieren, wenn du so lange auf deinen Tod gewartet hättest.«
Er richtete sich wieder auf. Endlich spürte er wirklich die Ruhe und den Frieden, nach denen er sich so lange gesehnt hatte. Seine Geschichte war zu Ende erzählt. »Endlich hatte ich einen Weg gefunden. Um das Temporale Superpositionstor zu vernichten und dem Zugriff der Chaosmächte zu entziehen, war die STRAHLKRAFT bereit, nach Lotron zurückzukehren. Warum sie das Zeittor nicht gleich bei ihrem ersten Aufenthalt auf dem Planeten vernichtet hat, weiß ich nicht. Vielleicht hatte es in den vergangenen zweihunderttausend Jahren noch eine Rolle zu spielen. Aber diesmal war die Zeit reif. Hier, wo alles begonnen hat, konnte ich das Talagon öffnen. Hier werde ich endlich sterben.«
Tolcai hustete. War das die Nukleotide Pest, die schon nach ihm griff? Noch immer waren in seinem Körper kosmokratische Elemente aktiv. In seinem Innern wirkten viele verbliebene Funktionen des Kosmokratenroboters Tolcai, inklusive Teile des AUGES. Aber falls es so war, dass die Pest ihn in diesem Moment erfasste, würde er den Tod mit Freude begrüßen.
»Oder Sie werden ewig leben«, sagte der Roboter ungerührt.
Tolcai sah ihn in grenzenloser Verblüffung an. War der dumme Roboter vollkommen verrückt geworden?
Der Roboter stand völlig still. »Falls es nämlich meinen ehemaligen Begleitern gelingt, die Öffnung des Talagons doch noch zu verhindern.«
Tolcai öffnete den Mund in völligem Unverständnis und betonte jedes Wort. »Was ... redest ... du ... da?«
Beinahe glaubte er, so etwas wie Bedauern in der Stimme des Roboters zu hören. Aber da musste er sich irren. Roboter dieser Bauart hatten keine Emotionen. »Ich war in der Lage, die Emissionen des Raumschiffs zu verfolgen, das Sie haben entkommen lassen.«
»Welches Raumschiff?«, fragte Tolcai verstört. »Dieses Fluggerät, das deine ehemaligen Begleiter weggebracht hat? Was interessiert mich das? Sie werden sowieso alle sterben. Und das Talagon ist bereits geöffnet. Sie können nichts mehr ausrichten.«
Ihm wurde mulmig zumute. Mit aller Kraft versuchte er ein letztes Mal, auf das AUGE zuzugreifen. Das AUGE, das ihm alles zeigen konnte. Es funktionierte nicht mehr so zuverlässig, wie er es gewohnt war. Aber er sah die Geschichte eines arkonidischen Wissenschaftlers namens Quartam da Quertamagin. Unglaublich! – Logan Darc hatte diesem Wissenschaftler die Transformation in ein kosmokratisch geprägtes Raumflugwesen ermöglicht. Das war das Fluggerät gewesen, das Perry Rhodan und Sichu Dorksteiger abgeholt hatte. Tolcai verfolgte den Kurs QUARTAMS, seit er den Tradracu verlassen hatte. Er hatte offenbar versucht, in den Weltraum zu fliehen. Aber dann war er nach Atlantis zurückgekehrt. In diesem Moment überflog er den Nordzipfel des Kontinents.
Mit einem Mal wurde Tolcai eiseskalt. Im selben Moment verstand er, was der dumme Roboter ihm hatte sagen wollen. »Das Temporale Superpositionstor«, flüsterte er. »Sie wollen zum Zeittransmitter!«