Gischt spritzte auf, als QUARTAM vor der Küste des Kontinents Atlantis ins Meer stürzte.
Im selben Moment, als das Raumschiff ins Wasser traf, wurde es erneut transparent. Die Außenhaut und die Geräte im Innern verschwanden. Rhodan sah nur noch sich, seine Frau und Caysey mit ihrem Kind. Er befürchtete schon, QUARTAM würde mitten im Tauchvorgang auseinanderfallen und aufhören zu existieren. Aber etwas aufgeregt versicherte die Stimme des arkonidischen Wissenschaftlers, dass QUARTAMS Energie ausreichte, um die Mission zu Ende zu führen.
Umso faszinierender war der Anblick, der sich den vier Passagieren auf der Tauchfahrt bot. Sie glitten wie in einer durchsichtigen Seifenblase durch die Unterwasserwelt des Meeres. Auch wenn es in diesem Meer, das doch die Wiege des Lebens auf diesem Planeten war, keine lebenden Wesen mehr gab. Die Nukleotide Pest hatte alle innerhalb von Minuten und Stunden ausgerottet.
QUARTAM schützte seine Insassen. Ebenso Rhodans kosmokratischer Zellaktivator. Aber Rhodan spürte, wie die Pest ihn immer mehr auslaugte. Er keuchte, sein Atem rasselte.
Sichu saß verkrümmt in ihrem unsichtbar gewordenen Sitz und atmete flach.
Nur Caysey stand aufrecht zwischen ihnen, in dem engen Platz, den das Cockpit QUARTAMS bot, das Kind fest im Arm. Ergriffen ließ sie die scheinbar unendliche, azorengrüne Welt auf sich einwirken, die die Insassen der QUARTAM vollkommen einschloss. Die Atlanterin hatte das Staunen noch nicht verlernt.
Rhodan war erleichtert, dass sie sich letztlich bereit erklärt hatte, sie auf dieser Mission zu begleiten. Sie hatte tapfer genickt und ihm fest in die Augen geschaut. Wahrscheinlich würde sie noch eine ganze Weile brauchen, bis sie den Gedanken vollständig erfasst hatte, dass sie die Hauptperson dieser Mission werden musste.
Er dachte zurück an die junge Einheimische, die sie vor etwas mehr als vier Wochen am Strand von Atlantis kennengelernt hatten. Damals war Caysey hochschwanger gewesen, mit einem prallen Bauch. Nun war sie eine junge Mutter mit Kind. Sie hatte viel erlebt. Sie hatte den Tod gesehen und das Ende ihrer Heimat. Nicht zuletzt war das ganze Weltbild der jungen Steinzeitfrau vollkommen auf den Kopf gestellt worden.
Aber in diesem Moment, in dem Caysey fasziniert auf den Ozean blickte, der sie umgab – in diesem Moment, da sie gleichzeitig wohl auch über die unsichere Zukunft nachdachte, die ihr und dem Kind bevorstand ... da wirkte sie vollkommen gefasst und mit sich im Reinen. Rhodan konnte praktisch zusehen, wie in ihr die Entschlossenheit zunahm, die Zukunft des Spiralarms zu retten – selbst wenn ihre eigene Heimat am Ende untergehen musste. Caysey hatte sich auf die Seite ihrer Freunde gestellt – sie würde die Mission zu Ende bringen.
In der Tiefe kam die Unterseekuppel der Arkoniden in Sicht. Der bläuliche Arkonstahl ließ das Gebäude im Wasser fast unsichtbar erscheinen. Aber je näher QUARTAM und seine Insassen kamen, desto mehr zeichnete sich die gewaltige Größe der Halbkugel ab, die majestätisch aus einem unterseeischen Plateau herausragte. Dieses halbkugelförmige Dach der turmartigen Rettungsstation war etwa so hoch wie die ganze BEST HOPE.
Aber Rhodan wusste, dass das Bauwerk noch einmal 100 Meter tief in den unterseeischen Felsen hineinragte. Wenn sie mit ihrer Mission keinen Erfolg hatten, würde das unfertige Bauwerk für immer eine Ruine bleiben. Nach dem Untergang Atlantis' würde es noch weiter ins Meer absacken. Kein Atlan oder irgendein anderer Arkonide würde es je mehr betreten.
An der Unterseite des Kuppeldachs gerade über dem Felsen gab es Landebuchten für Tauchboote, wie Rhodan und Sichu eins nach ihrer Ankunft in dieser Zeit benutzt hatten.
Darauf steuerte QUARTAM zielbewusst zu. Der arkonidische Wissenschaftler Quartam da Quertamagin hatte sich schon in der Unterseekuppel aufgehalten. Auf Rowenas Anweisung hatte er höchstpersönlich mit dem Zeittansmitter experimentiert. Das und Sichus Fachwissen über sechsdimensionale Physik, das QUARTAM fehlte, gab Rhodan Hoffnung. Sie würden es schaffen, den Schaden zu reparieren, den die Zwergandroiden der STRAHLKRAFT im Transmitterraum angerichtet hatten.
Aber ihre Zeit lief ab. Mit Entsetzen sah Rhodan, wie sich neue Geschwüre aus Sichus Haut gruben. Sein Zellaktivator pochte stärker als zuvor. Lange konnten der Chip und QUARTAMS kosmokratische Vitalenergie sie nicht mehr am Leben halten.
Außerdem war Tolcai ihnen dicht auf den Fersen.
Es konnte nicht mehr lange dauern, dann würde er mit seiner Leka-Disk ebenfalls ins Meer tauchen und Kurs auf die Unterwasserkuppel nehmen.
*
Die Rettungskuppel der Arkoniden war eine Stadt unter Wasser.
Allerdings eine Stadt, die noch im Bau war. Überall im Innenraum ragten Gerüste aus Arkonstahl in die Höhe wie leere Gerippe. Hier sollte das Fleisch erst noch hinzukommen in Form von Deckplatten und dem technischen Innenleben, das sich später zwischen den Wänden verbergen sollte – sofern Rhodan und die anderen es schafften, den alten Verlauf der Geschichte wiederherzustellen.
Ein Raum, der bereits zu einem großen Teil erbaut worden war, war die kreisrunde Schalt- und Kommandozentrale der Rettungskuppel. Sie war groß wie die Zentrale eines Superschlachtschiffs. Überall waren in perfekter funktionaler Abstimmung Pulte und Sitze aufgestellt. Bei voller Besetzung mochten hier gut und gerne 100 Besatzungsmitglieder Platz finden. Atlan musste sich wahrlich einsam vorgekommen sein, als er an diesem Ort 10.000 Jahre allein verbracht hatte. Ein terranischer Schriftsteller hatte ihn einmal den Einsamen der Zeit genannt.
Der Raum war groß genug, dass das ganze Raumschiff QUARTAM darin Platz fand. Der neue Körper des ehemaligen arkonidischen Wissenschaftlers schwebte mitten in der Zentrale. Er war immer noch transparent. Aber ab und zu flackerte der Schiffskörper, und Teile seiner Außenhaut wurden sichtbar.
Caysey stillte ihr Kind und wanderte langsam durchs Zentralerund.
»Pass auf, Caysey, das ist wichtig«, brachte Sichu hervor. Sie stützte sich an einem der Kommandopulte ab, zog einige Schalter herab und drückte Knöpfe, worauf das Pult mit verschiedenfarbigen blinkenden Lampen reagierte.
Die Technik dieser Zeit wirkte archaischer und gröber, als Rhodan sie aus seiner Zeit kannte. Überall gab es mechanische Schalter und Regler.
Zwar benutzten die Arkoniden bereits interaktive Holos, die beliebig und individuell konfiguriert werden konnten, aber es gab immer ein Redundanzsystem aus echter Hardware, auf das sie notfalls zurückgreifen konnten. Misstrauisch wie ein Arkonide war in der Galaxis Jahrtausende in der Zukunft ein geflügeltes Wort. In diesem Fall würde die altertümliche Technik Caysey helfen, die Handgriffe zu lernen, die sie auszuführen hatte, sobald sie in der Vergangenheit ankam.
»Dies ist die Funkanlage«, erklärte Sichu keuchend. »Du musst sie bedienen können, um unsere Hilfe zu holen, falls etwas schiefläuft. Ich zeige sie dir nachher. Außerdem bekommst du das hier.«
Sichu löste das Mehrzweckarmband von ihrem Handgelenk, das sie in der Zukunft von Kelen da Masgadan bekommen hatte, dem Betreiber des Tiefseemuseums. Sie band es ums Handgelenk der Atlanterin. »Es hat mir in den vergangenen Wochen gute Dienste geleistet. Aber das Wichtigste zuerst.«
Mit schwacher Geste wies Sichu auf ein anderes Gerät. »Das Positronikpult, in das du den Speicherkristall stecken musst, den wir dir mitgeben. Das Pult wird auch in der Vergangenheit genau an dieser Stelle existieren. Aber du musst daran einige Schaltungen vornehmen. Ich erkläre es dir.«
Sie hielt eine kreisrunde Speicherplatte von der Größe einer Münze in die Höhe. »Das ist der Chip, auf den es ankommt. Darin eingeschlossen ist der Speicherkristall, und darauf befindet sich das Programm, das du RCO überspielen sollst. Dazu Aufzeichnungen aus dieser Zeitlinie, die wir unterwegs gesammelt haben – für alle Fälle, falls der Transfer unserer Geistesinhalte scheitert.«
»Meine Aufzeichnungssysteme werden bis zum letzten Augenblick weiter aufnehmen«, ergänzte der ehemalige Wissenschaftler.
Sichu fuhr fort: »Wenn alles so klappt, wie wir es vorgesehen haben, wird Quartam mit einem kleinen Programm und kosmokratischer Technik unsere ÜBSEF-Konstanten extrahieren und an den Kristall binden.« Die Ator hustete und hielt sich an dem Pult fest.
Caysey kam näher. Besorgt legte sie Sichu eine Hand auf die Schulter. Aber die machte eine freundliche Schon-gut!- Geste.
Ernst fragte Caysey: »Wie war das noch mit diesen Konstanten, die ihr auf den Kristall übertragen wollt? Es sind eure Bewusstseine?«
Sichu wandte den Kopf zur Atlanterin. »Ja, so etwas wie unsere Seelen. Quartam wird sie von unseren sterbenden Körpern lösen und im Kristall speichern. Wenn sie in der Vergangenheit ankommen, werden sie mit den Bewusstseinen unserer früheren, gesunden Körper verschmelzen.«
Caysey runzelte die Stirn und zeigte auf den Speicherkristall. »Da passen eure Seelen rein?«
»Eine Seele ist groß. Aber sie braucht nicht viel Platz.«
Rhodan, der dem Gespräch der Frauen stumm zugehört hatte, wurde wieder einmal bewusst, wie sehr er seine Frau liebte.
*
Tief unten im Fundament des Kuppelbaus lag der schmale, zylinderförmige Schacht, der hinunterführte zum Transmitterraum. Er bot gerade genug Platz, dass eine oder zwei Personen darin hinabschweben konnten.
Dort unten hatten sie also nichts weiter zu erledigen, als das Temporale Superpositionstor wieder in Betrieb zu nehmen und damit Caysey, den Speicherkristall und ihre ÜBSEF-Bewusstseine auf die Mission in der Vergangenheit zu schicken, während ihre eigenen geschundenen Körper in der Gegenwart der Nukleotiden Pest zum Opfer fielen. Wenn Rhodan so darüber nachdachte, kam ihm der Plan vollkommen wahnsinnig vor. Trotzdem würde er bis zu seinem letzten Atemzug dafür kämpfen, ihn möglich zu machen.
QUARTAM vollzog eine phantastische Transformation. Das zum Teil transparente, zum Teil blau schimmernde, ovale Raumschiff bog sich und schob sich zusammen. Seine beiden Kammern, die jeweils einen Sitzplatz für einen Passagier enthalten hatten, wurden eins. Hatte QUARTAM zuvor die Größe eines kleinen Gleiters besessen, erinnerte er bald an eine entfernt menschenähnliche Gestalt von der Wucht eines Haluters. Arme und Beine bildeten sich aus, dick wie die Landestelzen einer Space-Jet. Der Kopf war ein massiver abgerundeter Kegel. Der ganze Körper leuchtete blau, als bestünde er aus reiner Energie.
Rhodan dachte unwillkürlich an die STRAHLKRAFT und seine Erlebnisse in ihrem Innern. Warum hatte das Kosmokratenschiff den Planeten verlassen, und sein Missionsleiter Tolcai jagte allein hinter Rhodan und seinen Kameraden her? Gewiss brauchte ein Gefährt, das so mächtig war wie eine kobaltblaue Walze, sich nicht vor der Nukleotiden Pest zu fürchten. Aber dem Raumschiff konnte es nicht gefallen, dass Tolcai auf der Erde eine Waffe der Chaotarchen zum Einsatz gebracht hatte. Vielleicht hatte sie ihn alleingelassen und die Erde ohne ihren Missionsleiter verlassen.
Aber dennoch ... Warum hatte die STRAHLKRAFT nicht dafür gesorgt, dass der Zeittransmitter endgültig zerstört wurde? Immerhin war das die Aufgabe, zu der sie auf die Erde zurückgekommen war. Wollte sie diese Aufgabe wirklich allein Tolcai überlassen? Oder vertraute das Raumschiff gar darauf, dass die Zwergandroiden ihre Arbeit beendet hatten?
Rhodan kam ein kühner Gedanke, und nach einer Weile fand er ihn gar nicht mehr so abwegig: Was, wenn die STRAHLKRAFT die Erde verlassen und Tolcai und den Zeittransmitter sich selbst überlassen hatte, damit Rhodan die Chance bekam, in die Zeit einzugreifen und die Öffnung des Talagons nachträglich zu verhindern? War das die Drecksarbeit, die die Kosmokraten ihm überlassen hatten?
»Diese Kosmokratentechnik ist ein wunderbares Spielzeug«, kommentierte der arkonidische Wissenschaftler seine Verwandlung. Inzwischen hatte er sich in einen Energiemenschen verwandelt, der etwas größer und breiter als Rhodan war und von innen heraus strahlte. Mund, Nase und Ohren waren nicht zu erkennen, aber aus Richtung des Kopfs ertönte eindeutig die Stimme des exzentrischen alten Wissenschaftlers. »Ich werde ein gravomechanisches Feld aktivieren, so können wir nacheinander in die Kammer hinabschweben.«
Gesagt, getan. Die beiden Menschen und die Ator vertrauten sich dem Antigravfeld an, das QUARTAM ausstrahlte. Er selbst schwebte über ihnen hinab zum Transmitterraum. Sein strahlend blauer Körper beleuchtete die enge Röhre und warf die Schatten der Menschen auf die Seitenwände. Cayseys Kind gluckste vergnügt.
Dann waren sie da.
Der Transmitterraum, den Rhodan, als er ihn zum ersten Mal betreten hatte, Foyer genannt hatte, war inzwischen ein Ort des Todes geworden. In der grob würfelförmigen Kammer, die durch Einsprengsel im polierten Stein sanft grünlich leuchtete, lagen die Leichen arkonidischer Soldaten, die um den Transmitter gekämpft hatten. Daneben erkannte Rhodan Zwergandroiden aus der Besatzung der STRAHLKRAFT, die QUARTAM Grauzwerge genannt hatte.
Die kahlköpfigen Zwerge waren im Auftrag der Kosmokraten zur Demontage des Transmitters gekommen. Dann aber hatte die Nukleotide Pest sie überrascht. Sie reichte also auch bis in diesen versteckten unterseeischen Raum. Die kleinen, verschrumpelten Körper der Kosmokratendiener waren zu erbärmlichen Häuflein zusammengefallen, denen man kaum noch ihre humanoide Form ansah. Nur die großen Augen starrten noch blicklos in die Höhe und erinnerten daran, dass die kleinen Körper einmal gelebt hatten.
War Logan Darc unter ihnen, oder hatte die STRAHLKRAFT ihren Commo'Dyr aufgelesen, bevor Tolcai das Talagon geöffnet hatte? Rhodan konnte ihn unter den verunstalteten Leichnamen nicht erkennen.
Seiten, Boden und Decke des Foyers bestanden aus sechseckigen Marmorkacheln, die durch Blutspritzer und Rußspuren besudelt waren. Dennoch erzeugten die grünlich schillernden kristallinen Einsprengsel ein Gefühl der Erhabenheit.
Dieser Raum war, wie Quartam da Quertamagin bei seinen Forschungen herausgefunden hatte, zwanzig Millionen Jahre alt. Sichu Dorksteiger hatte bei ihrer ersten Inspektion des Foyers in der Zukunft festgestellt, dass die grünen Einschlüsse mindestens PEW-Metall, aber auch Spuren anderer Elemente enthielten, die sie mit den ihr zur Verfügung stehenden Mitteln nicht hatte analysieren können. Auch QUARTAM, trotz seiner kosmokratischen Prägung, hatte keine Ahnung von den Materialien, die den Hohen Mächten des Kosmos zur Verfügung standen. Zu QUARTAMS Zeit gab es schlicht noch kein Messgerät, das einen Stoff wie Carit oder ein ähnliches Material hätte anmessen können.
Das Foyer selbst hatte ursprünglich keine weiteren Gerätschaften, Steuerpulte voller Schalter oder sichtbare Maschinen enthalten. Es standen allerdings einige kastenförmige Geräteblöcke mit Bedienpulten herum, die Quartam da Quertamagin bei seiner Untersuchung des Zeittransmitters mitgebracht hatte.
An der Stirnwand des Raums ruhte starr das Transmittertor. Fünf Meter hoch und drei Meter breit ragte es vor ihnen auf. Es hatte die Form eines gotischen Spitzbogens.
Der Rahmen, etwa so breit wie ein Mensch, bestand aus einem rotblauen Metall, das belebt gewirkt hatte, als sie in der Zukunft den Transmitter unter Kelen da Masgadans Tiefseemuseum vorgefunden hatten. In diesem Moment war es einfach nur ein Torbogen aus Metall.
Dahinter, auf der anderen Seite, war vormals ein undeutlich waberndes Spiegelbild des Foyers zu sehen gewesen. Wie sie selbst bei ihrem Zeitsprung erlebt hatten, hatte es sich in Wahrheit um das Foyer der Zielzeit gehandelt, auf die das Temporale Superpositionstor justiert war. Der Transmitter wirkte tot. Es war im Tor nur die dahinterliegende Wand zu sehen. Die Androiden hatten ganze Arbeit geleistet.
*
Fieberhaft arbeitete die leuchtende Gestalt, die QUARTAM geworden war, an den Geräten, mit denen der Wissenschaftler Quartam da Quertamagin einst versucht hatte, hinter die Geheimnisse des Zeittransmitters zu kommen.
Sichu unterstützte ihn als Hyperenergie-Expertin, die über Wissen verfügte, das dem der arkonidischen Wissenschaft dieser Zeit um 13.000 Jahre voraus war. Die Vertiefung in die Arbeit und die Nähe zu QUARTAMS leuchtender Gestalt schien ihr gutzutun. Der Wissenschaftler strahlte geradezu Vitalenergie aus, auch wenn seine Erscheinung manchmal genauso flackerte, wie es das Raumschiff QUARTAM zuvor getan hatte. Dennoch musste Sichu sich manchmal schwer atmend an dem Pult abstützen.
Caysey mit dem Kind an ihrer Brust schien auf zauberhafte Weise immer ruhiger zu werden. Die junge Frau war sich ihrer Aufgabe bewusst und bereute offenbar nicht, sich darauf eingelassen zu haben. Rhodan vertraute ihr. Er war sicher, Caysey hatte sich genau eingeprägt, welche Schritte Sichu ihr am Positronikpult in der Kuppelzentrale gezeigt hatte.
QUARTAM hatte Flox oben im Kuppelbau mit einem einzigen Auftrag gelassen: Der Flugroboter sollte die Ankunft von Tolcais Leka-Disk abwarten und eine Beobachtungsposition beziehen. Sobald dem Kleinraumschiff der Kosmokratenroboter Tolcai entstieg, sollte Flox die Gruppe im Transmitterraum alarmieren. Dann war es höchste Zeit, Caysey in die Vergangenheit zu schicken, egal, wie weit Sichu und QUARTAM mit ihren Arbeiten waren.
Rhodan wiegte den Impulsstrahler in seiner Hand, mit dem er vor wenigen Stunden auf die Arkonspitze gestürmt war, um Tolcai aufzuhalten. Rowena hatte sofort auf den Kosmokratenroboter geschossen, aber ohne Erfolg. Tolcai hatten ihren Strahlenschuss einfach in der Zeit eingefroren.
Beklommen fragte sich Rhodan, wie es ihnen in der Vergangenheit diesmal gelingen sollte, den mächtigen Gegner zu besiegen. Aber wenn Caysey ihre Bewusstseine mindestens 24 Stunden in die Zeit zurückversetzte, wie sie es geplant hatten, würde ihren früheren Ichs mit dem Wissen der Zukunft schon etwas einfallen.
Das Leuchten der grünen Einsprengsel in den Marmorplatten des Transmitterraums intensivierte sich. Im selben Moment stellte Sichu mit erstaunlich klarer Stimme fest: »Wir haben Kontakt zur Torintelligenz.«
*
Die Fraktalmuster auf der Einfassung des Zeitbogens leuchteten in einem sanften Rhythmus.
»Die Torintelligenz kommuniziert nonverbal«, erklärte QUARTAM. »Aber ich habe sie ja bereits eine gewisse Zeit analysiert und ein spezielles Translatorprogramm installiert. Hören Sie!« Stolz justierte er eins seiner Geräte nach.
Aus dem Pult des Wissenschaftlers ertönte eine dunkle Frauenstimme. »Sie sind nicht autorisiert, das Temporale Superpositionstor zu benutzen. Die Kosmokraten haben Zeitreisen in diesem Sektor des Kosmos untersagt.«
Rhodan warf Sichu, die mit QUARTAM am Instrumentenpult stand, einen alarmierten Blick zu.
Die Lichter am Zeitbogen wechselten wieder in schneller Folge.
»Das Tor ist ein extratemporales Objekt«, übersetzte die Computerstimme. »Es existiert außerhalb der normalen Zeit und nur dort. Nach seiner Demontage durch die Diener der Kosmokraten war und wird es zu allen Zeiten demontiert sein. Zeitreisen finden nicht statt.«
»Eine kleine Zeitreise kann doch nicht schaden«, warf QUARTAM jovial ein. »Ich habe selbst schon eine mit dem Tor unternommen. Na ja, ich habe eine Nachricht in die nahe Vergangenheit geschickt, ganz ähnlich wie wir es jetzt vorhaben. Der Commo'Dyr der STRAHLKRAFT Logan Darc hat mich damals gewarnt, dass Zeitreisen eine unkontrollierbare Gefahr für das Universum darstellen. Aber schließlich war selbst er einverstanden, mit einem kleinen Eingriff die Veränderung rückgängig zu machen, die von einem größeren Eingriff ausging.«
Während er das sagte, arbeitete er fieberhaft weiter an den Geräten. Es war ein surreales Bild, die leuchtende Gestalt an einem Instrumentenpult hantieren zu sehen, als wäre er ein gewöhnlicher Techniker.
»Wir versuchen gerade, einen Energiespeicher des Tors wieder aufzuladen«, flüsterte Sichu Rhodan zu. »Es ist nicht einfach. Dieses Ding arbeitet mit Hyperenergiezapfung aus dem Korpus ARCHETIMS in der Sonne. Aber die Torintelligenz muss zustimmen, sonst geht gar nichts.«
Rhodan verstand. Zu dieser Zeit machte der Leichnam der Superintelligenz ARCHETIM die Sonne Sol zu einem sechsdimensional funkelnden Juwel. Seine besondere Hyperstrahlung hatte das Sonnensystem zu einem Tummelplatz für allerlei kosmische Mächte gemacht. Wahrscheinlich war genau das der Grund, warum das Temporale Superpositionstor ausgerechnet auf der Erde errichtet worden war, welchem Zweck auch immer es ursprünglich dienen sollte.
Rhodan trat vor und sprach zur Torintelligenz. Er benutzte dabei die Sprache der Mächtigen und hoffte, sie würde ihn verstehen. »Wir sind gekommen, um die kosmische Ordnung wiederherzustellen, die durch die Öffnung einer Proto-Nekrophore auf diesem Planeten in Unruhe geraten ist. Die Kosmokraten sind mit dem Einsatz einer Waffe der Chaosmächte in diesem Sektor nicht einverstanden. Ich habe Grund zu der Annahme, dass die STRAHLKRAFT mich als Beauftragten der Kosmokraten geschickt hat. Meine Aufgabe ist, mit dem Temporalen Superpositionstor in die Vergangenheit zu reisen, um das abscheuliche Verbrechen gegen die Ordnung des Kosmos rückgängig zu machen.«
Die Lichter am Torbogen leuchteten besonders intensiv. Es war eindeutig eine Reaktion auf Rhodans Ansprache.
»Kannst du dich als Beauftragten der Kosmokraten ausweisen?«, ertönte die Computerstimme aus QUARTAMS Pult.
Rhodan merkte, wie es ihm immer schwererfiel zu sprechen. Stöhnend setzte er sich auf den Boden des Foyers. »Analysiere das Gerät in meiner linken Schulter. Es trägt eine kosmokratische Prägung.« Rhodan zögerte. Es konnte nicht schaden, ein wenig Eindruck zu schinden. »Ich bin ein ehemaliger Ritter der Tiefe.«
»Du hast den Orden der Ritter verlassen?«
»Ist eine lange Geschichte.« Rhodan ächzte. Er spürte seine Kraft schwinden. »Ich habe keine Zeit mehr, sie zu erzählen.«
Verzweifelt blickte er hinüber zu Sichu, die neben QUARTAMS Gerät ebenfalls hinabgesunken war zu Boden. Auch sie war am Ende.
Die Fraktalmuster am Zeitbogen glommen, aber sie bewegten sich nicht mehr. Erst nach einigen Augenblicken leuchteten sie in kurzer Folge auf. Der Computer übersetzte. »Unter diesen Umständen scheint ein einziger Zeitsprung legitim.«
»Sonnenzapfer springt an«, rief QUARTAMS Lichtgestalt aufgeregt, nur um im gleichen Moment ungläubig auf die Geräte zu starren. »Was ist das?«
»Was?«, brachte Rhodan hervor.
»Der Zapfer hat ordentlich einen abgekriegt«, stellte die Lichtgestalt fest. »Oder die Grauzwerge haben da was gedreht. Jedenfalls arbeitet der Sonnenzapfer viel zu langsam. Wenn wir siebzehn Tontas in der Zeit zurückreisen wollen, müsste er über zwei Tontas lang aufgeladen werden.«
Rhodan stöhnte. Das entsprach etwa drei terranischen Stunden. »Die Zeit haben wir nicht!«
Er spürte, wie seine Kräfte nachließen. Er versuchte, wieder hochzukommen, aber es gelang ihm nicht. Keuchend stützte er sich mit den Händen am Boden ab.
Caysey kam heran und versuchte ihm aufzuhelfen. Aber sie schaffte nicht.
QUARTAM schwieg. Sein leuchtender Körper flimmerte. Dann ging plötzlich ein Ruck durch ihn, und in einem Stakkato kurzer, schneller Bewegungen glitten seine energetischen Finger über die Geräte.
»Was macht er?«, keuchte Rhodan.
»Er schließt seinen Körper an den Sonnenzapfer an.« Sichus Stimme war nur noch ein heiseres Krächzen. »Er will seine kosmokratische Vitalenergie in den Speicher laden.«
»Dann sind wir am Ende! Wenn QUARTAM erlischt, wird uns die Nukleotide Pest auf der Stelle dahinraffen.«
»Sextadimaufladung und Übertragung der ÜBSEF-Konstanten auf den Speicherkristall beginnt«, meldete QUARTAM entschlossen. »Meine Vitalenergie wird reichen, den Speicher des Temporalen Superpositionstors ausreichend zu laden. Das Tor wird Caysey einen Tag in die Vergangenheit bringen, so wie wir es vorgesehen haben. Wir sehen uns auf der anderen Seite!«
Im selben Moment geschah etwas, mit dem Rhodan nicht gerechnet hatte.
Durch den Zugang in der Decke schwebte ein Roboter mit annähernd humanoidem Aussehen hinab.
Caysey schrie auf. »RCO!«
Rhodan nahm den Roboter nur noch schemenhaft wahr. Über seinem Auge bildete sich ein schorfiges Geschwulst. Aber da, hinter RCO, kam noch eine Gestalt herunter, für deren Existenz Rhodan im ersten Moment keine Erklärung hatte.
Es war ein schlaksiger Jugendlicher.
Eine seiner Hände war verstümmelt. In der anderen hielt er einen Strahler. Er richtete ihn auf Rhodan.