Logan Darc
Kurz zuvor
Es ist tröstlich, zu wissen, was deine Aufgaben sind.
Pflichten waren Logan Darc wichtig. Sie gaben ihm Sinn und Struktur. Wer als Diener geschaffen war, den machte es unglücklich, selbst zu entscheiden. Der Drang, dieses Sehnen, seinen Herrn auf den rechten Weg zu bringen und ihn dafür zu hintergehen – es zerriss ihn innerlich.
Aus diesem Grund war er dankbar für das hereinbrechende Chaos.
Der Lärm des Signaltons ließ Tolcai herumfahren. RCO, der Arkonidenroboter, wandte sich in dieselbe Richtung.
Darcs Artgenossen an den umgebenden Terminals und Pulten horchten auf, glotzten aus großen, leeren Augen zu ihrem Commo'Dyr. Rote Hinweisholos flackerten, zeichneten Muster auf ihre bleichen Züge. Wären sie Arkoniden oder Maahks, redete sich Darc ein, hätte der scharfe Geruch ihrer Angst die Zentrale der kobaltblauen Walze gefüllt. Der Alarm war eine Unterbrechung, eine Störung in den Plänen seiner Erhabenheit. Würde er wütend werden, seinen Zorn an einem der ihren auslassen?
Logan Darc hingegen war mit einem Mal ruhig. Dieses Signal, in seiner spezifischen Tonlage und Klangfarbe, hatte eine bestimmte Bedeutung: Die sechsdimensionalen Orter der STRAHLKRAFT hatten angeschlagen. Arkoniden verfügten über keinerlei sechsdimensionale Technologie. Ebenso wenig die Maahks. Irgendeine andere Macht war also im Spiel. Die Besatzung der Walze musste klären, was vor sich ging.
»Sagtest du nicht eben, du würdest nichts unternehmen?« Tolcai stand auf dem Zentralpodest, das AUGE noch immer bereit für den distanzlosen Schritt. In seinen Fingern ruhte das Talagon, doch nun klammerte er sich als Trostspender daran fest. Die winzigen Dellen, mit denen es verziert war, wanderten aufgeregt über die Oberfläche. Darc konnte nicht entscheiden, ob die Farbe ein helles Schwarz oder ein sehr dunkles Grau war.
»Es ist für alles gesorgt«, wiederholte das Schiff seine rätselhafte Aussage von zuvor. »Nur ein Puzzlestück fehlt noch.«
»Und ich wette, was immer die Dakkarorter ansprechen ließ, ist mit diesem Teil identisch.« Natürlich kannte auch Tolcai die audiovisuellen Hinweise des Schiffs.
Darc verließ seinen Platz auf dem Podest und gesellte sich zu dem Kollegen vor der Orteranlage, einen Androiden namens Toroin Golzer. Brüsk schob er ihn beiseite. Für Fälle wie diesen gab es Vorschriften – andere dafür, wenn der Missionsleiter von einem Artefakt der Chaosmächte verdorben und in den Suizid getrieben wurde. Darc stürzte sich in die Untersuchung.
Es ist tröstlich zu wissen, was deine Aufgaben sind.
Während er via Mentalverbindung die Ortungsergebnisse aufrief und sie zu seiner Semimanifestation aufbereitete, spürte er, wie Tolcai sich hinter ihm aufbaute. Das Robotergesicht seiner Erhabenheit spiegelte sich in der blanken Oberfläche der Bedieneinheit. Mimik zeigte es keine. Dennoch bildete sich der Commo'Dyr die Ungeduld auf seinen Zügen ein.
Er beschleunigte seine Handgriffe.
Die Manifestation stellte den Kontinent Talanis dar, anders als die Außenansicht beim Kommandopodest aber in einer Draufsicht. Sie schwebte etwa eine Armlänge über dem Boden, sodass Darc und Tolcai sie beide bequem überblicken konnten. Eine punktförmige Markierung kennzeichnete den Ursprung des sechsdimensionalen Impulses, den die STRAHLKRAFT aufgefangen hatte. Er befand sich im äußersten Osten, dicht vor der zerklüfteten Küste, die bei den Arkoniden »Gonozal-Gebirge« hieß.
»Ich hätte es mir denken können.« Tolcai stieß ein trockenes Lachen aus. Ein Finger in dunklem Gold winkte die Manifestation herbei, durchbohrte die Markierung und das Meer, das darüber zusammenschwappte. Die Abbildung des Kontinents wirkte vollkommen lebensecht. »Ich weiß, was sich dort befindet. Der Zeittransmitter der Schohaaken, den Logan Darc hätte entsorgen sollen. Ist es nicht so, STRAHLKRAFT? Wie angenehm für dich, dass es ihm nicht gelungen ist!«
Das Raumschiff schwieg.
Darcs Fingerkuppen ruhten auf dem Bedienpult. Er widerstand dem Drang, sie nervös gegeneinander zu reiben. Natürlich hatten er und seine Leute die Demontage befehlsgemäß begonnen, aber bei einem Superpositionstor dauerte das eben. Tolcais Spiel mit dem Talagon hatte diese Bemühungen unterbrochen. Immerhin konnte er das als Ausrede anbringen.
Der Meister schloss die künstlichen Lider, und Logan Darc konnte nur ahnen, was er gerade tat, was er sah – zweifelsohne bemühte er das AUGE, um zum Zeittransmitter zu schauen, vielleicht auch in eine der alternativen Zeitlinien, von denen er zuvor gesprochen hatte.
Unschlüssig blätterte Darc durch die Ortungsergebnisse, fügte Daten zu einem Dossier zusammen und reimte sich zurecht, was geschehen war.
Ein Diagramm baute sich vor ihm auf, darin war eine Kurve der Energieentwicklung zu sehen. An ihrem Ende ragte sie steil nach oben, um dann plötzlich in sich zusammenzufallen. Die Zeitskala am unteren Rand war in sich gefaltet und dreidimensional, wie es bei extratemporalen Objekten stets der Fall war, doch insgesamt ließ die Grafik nur einen Schluss zu: Die Zeitmaschine war benutzt worden. Jemand war vor wenigen Augenblicken in der Gegenwart angelangt.
Sicherlich sah Tolcais AUGE in diesem Moment dasselbe, ganz ohne die Ortungsergebnisse zu bemühen. Ungläubig schüttelte der Meister den Kopf. »Ist das dein Plan? Du willst mich aufhalten, indem du das Artefakt von ARCHETIMS Sklaven gegen mich verwendest? Um Geschehenes ungeschehen zu machen?«
»Es ist für alles gesorgt«, sagte das Schiff.
Erneut schüttelte Tolcai den Kopf, wie ein Vater, der von den Flausen seines Kinds enttäuscht ist. Unvermittelt ruhte seine Hand auf Logan Darcs Schulter.
»Herr?« Es kostete den Commo'Dyr alle Energie, unter der Berührung nicht zusammenzuzucken. Der mentale Ansturm zehrte an seiner Kraft. Er war müde.
»Du bist mein treuester Diener, Logan Darc. Du weißt, was mit deinen Vorgängern geschehen ist.«
»Ihre implizite Drohung ist überflüssig. Meine Konditionierung lässt keinen Ungehorsam zu.« Das galt natürlich nicht für Unachtsamkeit, durch die er sich von Tolcais Gegnern absichtlich hatte überrumpeln lassen. Aber das würde er dem Herrn selbstverständlich nicht auf die Nase binden.
Oder wusste er es längst?
Der Herr schien mit seinen Gedanken bereits weiter zu sein. »Der Blick durch das AUGE hat mir verraten, was der Gegner plant. Er hat eine Agentin aus einer anderen Zeitlinie eingeschleust. Ihr Name ist Caysey.«
»Der Name ist mir ein Begriff.« Logan war der Atlanterin nie begegnet, aber er wusste von ihr. Während seines kurzen Aufenthalts auf der TOSOMA waren sie sogar auf demselben Raumschiff gewesen.
»Gut.« Tolcais Griff um Darcs Schulter wurde schmerzhaft. Der geistige Orkan drohte ihn davonzuspülen. »Sie hat einen Datenträger mit Elementen aus kosmokratischer Fertigung bei sich. Darauf befinden sich Inhalte, die mir schaden sollen. Verschaffe dir Zugriff auf die Positronik der Unterseekuppel und vernichte diese Inhalte. Schaffst du das?«
Darc wand sich unter dem brutalen Griff seines Herrn. Er hatte das Gefühl, Tolcai wolle ihm die Schulter brechen, doch sich zu befreien oder zu wimmern wäre einer Rebellion gleichgekommen.
»Selbstverständlich, Erhabenheit!« Noch während er sprach, schob er mit einem weiteren Gedankenbefehl das Orterholo beiseite und belegte das Terminal mit den Funktionen der Funkanlage. Die Datenkanäle der arkonidischen Positronik waren mit mehreren Sicherheitssperren versehen, aber dank der Heuristik der STRAHLKRAFT dauerte es nur einen Atemzug, bis er drin war.
Kurz darauf hatte er sich Zugriff auf den kosmokratisch verbesserten Speicherchip verschafft, durchforstete erst wahllos das Dateisystem, bevor er einen generellen Löschbefehl anwandte. Letztlich spielte es keine Rolle, welche Daten sich auf dem Chip befanden. Der Herr wollte, dass sie zerstört wurden, und das hatte zu reichen.
»Ich sehe, ich kann mich auf dich verlassen.« Urplötzlich verringerte sich der Druck auf seiner Schulter. Als Darc hinter sich sah, waren Tolcai und der Arkonidenroboter verschwunden.
Der distanzlose Schritt hatte sie nach Atlantis gebracht.