Logan Darc
Kurz zuvor
Entscheidungen zu treffen ist anstrengend. Vor allem, wenn man nicht dazu geschaffen ist.
Logan Darc wusste das besser als jeder andere.
Der Commo'Dyr der STRAHLKRAFT saß in einem Antigravpotenzial und schleuderte Gedankenbefehle. Untergruppe 33. Dritte Speicherebene, Adressbereich 22E3+E bis 89D1+E. Dateifragmente alokalisieren und eliminieren. Er strich über das silberblitzende Pult, um die Anweisung haptisch zu bestätigen. Er würde den Inhalt des fremden Speicherkristalls löschen. Auch wenn das seine eigenen Anstrengungen zunichtemachte.
Die Zentrale der STRAHLKRAFT war riesig, aber rund, und die Terminals standen in grober Kreisform zueinander. Von seinem Platz aus konnte Darc die Stationen seiner Kollegen überschauen. Ihr sanftes Murmeln wallte im Hintergrund, untermalt von Statusgeräuschen und Signaltönen, wann immer einer von ihnen einen Befehl eingab. Jeder kannte seine Aufgabe; ein Austausch, der über Belanglosigkeiten hinausging, war nicht nötig.
Und je seltener er mit seinen Untergebenen sprach, desto weniger Gelegenheiten ergaben sich, dass er sich verplapperte. Er mied die Blicke seiner Artgenossen.
Seine Taten nagten an ihm. Tolcais Befehl zu folgen, das fühlte sich dagegen richtig an. Ein guter Stratege weiß, wann er verloren hat und aufgeben muss.
Das Terminal zeigte ihm die Inhalte des Speicherchips aus der Zukunft in Echtzeit. Die unterstützende Intotronik befolgte den Gedankenbefehl und steuerte das genannte Unterverzeichnis an; die Dateibaumansicht verschob sich um einige Prozent. Piktogramme und Informationsmanifeste huschten durch das Bild, dann griff das Löschprotokoll zu und entfernte sie.
In einem separaten Display fügte die Intotronik die gelöschten Bestandteile des Programms zusammen, kompilierte sie und führte es in einem Simulator aus.
Gelangweilt blätterte Darc durch den Quelltext. Scheinbar willkürliche Einrückungen fielen ihm auf. Stellen, an denen ganze Programmabschnitte auskommentiert oder durch Klammerungen unbrauchbar gemacht waren. Dreckiger, in offensichtlicher Hast zusammengekloppter Code, zudem in der wenig eleganten Programmiersprache der Arkoniden.
»Hm«, sagte Darc zu den Textschnipseln. »Ich weiß, von wem ihr stammt.«
Überrascht war er nicht. Funktionen, Methoden, Speichermanagement – das Programm trug eindeutig Quartams Handschrift. Die Systeme des Flugroboters Flox I, den Darc und seine Kameraden demontiert und untersucht hatten, waren vergleichbar programmiert gewesen. Codezeilen waren zwar nicht so eindeutig ihrem Entwickler zuzuordnen wie der Fingerabdruck eines Arkoniden, aber die Ähnlichkeiten waren auffällig.
»Welch ein naives Vorhaben, das Spielzeug des Herrn zur Bombe zu machen. Ich habe dich überschätzt, alter Mann.« Der ehemalige Arkonide musste in der alternativen Zeitlinie die Öffnung des Talagons lange genug überlebt haben, um sich diesen verzweifelten Rettungsplan auszudenken.
Funktion und Spezifikationen des Programms waren schnell entschlüsselt: Es war speziell auf das Positronengehirn des RCO-Roboters zugeschnitten und hätte zu einer energetischen Überlastungsschleife geführt. Letzten Endes wäre die Maschine explodiert. Es war ein geniales Stück Ingenieurskunst, sehr dicht an der Hardwareebene programmiert, und offenbarte so ein intimes Wissen über diese Technologie und ihre Funktionsweise. Darc konnte nicht umhin, Respekt für den Entwickler zu empfinden.
Es war nur ...
Der Versuch war so ...
Plump. Nach diesem Wort hatte er gesucht. Es war ein dummes, fast kindisches Attentat und von Anfang an zum Scheitern verdammt. Dabei hatte Darc so große Stücke auf Quartam gesetzt. Klar, er hatte ihn in erster Linie wegen seiner temporalen Kontamination ausgewählt. Aber war sein Urteil wirklich so falsch gewesen?
Oder steckte mehr dahinter?
Er merkte es im nächsten Moment. Die Intotronik gab eine Gedankenmeldung aus: »Aktivität im Hypersexta-Modulparastrahlungsband festgestellt. Soll die Abwehr eingeleitet werden?«
»Visualisieren.« Es wäre nicht nötig gewesen, den Befehl laut auszusprechen, doch Darc machte sich die Mühe. Plötzlich fühlte er sich fiebrig.
Eine zweite Ansicht überlagerte den Dateibaum, diese stellte den angezapften Datenträger auf submolekularer Ebene dar. Darc erkannte Teilchen, die von starken wie schwachen Kernkräften zusammengehalten wurden. Bunte Perlen und Linien symbolisierten die energetischen Wechselwirkungen; eine Falschfarbendarstellung, aufbereitet für sein makroskopisches Auge.
Der Ausschnitt zoomte heran. Protonen und Neutronen schossen über den Bildrand hinaus, ins Planetengroße magnifiziert. Die Räume zwischen den Teilchen entsprachen der Leere innerhalb eines Sonnensystems.
Eingelagert neben Quarks und Gluonen bewegten sich winzige, leuchtende Punkte. Wie Raumschiffe im Makrokosmos. Ein Datenoverlay kennzeichnete sie als sechsdimensionale Potenziale.
Darc stutzte. Diese Teilchen waren ... ungewöhnlich. Was immer sie darstellten, die Physik dieses Raum-Zeit-Kontinuums sah nichts dergleichen vor.
Er lehnte sich vor, befahl eine Analyse. Gleich darauf schwebte ein Frequenzband vor ihm, darin markiert die Basisfrequenz der seltsamen Elemente. Sie schwangen in jenem Bereich, den das Ursprungsvolk seines Herrn als »Überlagernde Sextabezugs-Frequenz« bezeichnet hatte – kurz »ÜBSEF«.
Mit anderen Worten: Was da zwischen den Atomen des Datenspeichers versteckt lag, waren die Bewusstseinsinhalte intelligenter Lebewesen.
Darc stieß einen Pfiff aus – eine Angewohnheit, die er sich auf Atlantis von den Arkoniden abgeschaut hatte. »Listiger Schlingel.«
Anscheinend hatte er sich doch nicht in Quartam getäuscht. Den Daten nach zu urteilen handelte es sich um drei verschiedene Individuen. Zweifelsohne hatte der Wissenschaftler diesen Weg gewählt, um sich und zwei Helfern den Weg durch den Zeittransmitter zu ebnen, ohne die Vergangenheit mit der Nukleotiden Pest zu verseuchen. Der Speicherchip war mit einer Sextadimaufladung versehen, die ihn zum Anker für die Fragmente machte. Das Vorgehen war so raffiniert und ungewöhnlich, dass Darc es um ein Haar übersehen hatte.
Wen Quartam als Begleiter erwählt hatte?
Darc tippte auf Perry Rhodan und eine seiner beiden weiblichen Begleiterinnen, die sich der Arkonspitze soeben in Schutzanzügen näherten – die STRAHLKRAFT hatte sie natürlich längst erfasst. Der Terraner, das verriet die Ortung, trug einen Vitalenergiespender. Das machte ihn zum wahrscheinlichsten Kandidaten; er mochte das Sterben in der alternativen Zeitlinie lange genug überlebt haben, um mit diesem Wahnsinnsplan aufzuwarten.
Der Commo'Dyr ballte die Hände zu Fäusten. Tolcai hatte die kobaltblaue Walze verlassen, um auf dem Gipfel des Bergs sein dramatisches Schauspiel abzuziehen. Er ahnte vermutlich von nichts. Darc musste ihn warnen.
Muss ich das?
Seine Hand verharrte über dem Sensor, der zusammen mit dem Gedankenbefehl den Funkkontakt hergestellt hätte. Eigentlich passte ihm das alles ganz gut. Das Ende des Lebens in diesem Spiralarm lag definitiv nicht im Interesse der Kosmokraten. Darc war wie gelähmt.
Das Bild zoomte aus. Im selben Moment kamen die Leuchtpünktchen in Bewegung. Sie sammelten sich entlang der Quanten einiger Silizium-Moleküle, gruppierten sich an den Spitzen von Nanotransistoren und verpufften scheinbar. Natürlich trog der Eindruck. In Wahrheit hatten die ÜBSEF-Fragmente ihr Trägermedium verlassen und den Weg durch die sechste Dimension angetreten. Sie würden sich ohne Zutun den Weg zu den Zeitzwillingen suchen.
Im Gehorsam liegt Trost.
Darc setzte die Löschroutinen auf die ÜBSEF-Fragmente an und lehnte sich im Antigravpotenzial zurück.
Unter der STRAHLKRAFT hatte Tolcai mit einem Kommando aus bewaffneten Androiden Stellung bezogen. Die Außenoptik zeigte sie von oben, aus großer Höhe. Der Herr stand am Rand des Gipfels, mit dem Gesicht zum Kontinent, hielt das Talagon und wartete – worauf? Auf sein Publikum? Musste bei ihm alles der Theatralik dienen? Auch sein bevorstehender Selbstmord?
Darauf lief es hinaus, wurde Darc plötzlich klar. Ein Werkzeug der Chaotarchen wie das Talagon einzusetzen – das war undenkbar für einen Kosmokratendiener. Die STRAHLKRAFT würde Tolcai verstoßen, ihm die Unsterblichkeit entziehen und ihn wie ein gewöhnliches Geschöpf der Nukleotiden Pest aussetzen.
Er würde bekommen, was ihm jahrtausendelang verwehrt worden war: einen natürlichen Tod.
Wieder ein Gedankenbefehl. Ein zweites Ortungsdisplay ploppte auf, darin zu sehen war die Dimesexta-Ortung. Erste ÜBSEF-Fragmente aus dem Speicherchip stürzten ins Standardkontinuum, vereinten sich mit den Gehirnen Rhodans und Sichu Dorksteigers – ihren natürlichen Ankern in dieser Dimension.
Die Orterpunkte verlangsamten plötzlich. Einen Augenblick lang schwebte die Dreiergruppe unschlüssig vor dem Schutzschirm. Anstatt das Ziel direkt vor dem Schirm anzusteuern, zu dem der Kurs sie geführt hätte, schwenkten sie in eine Kurve und steuerten einen Landeplatz in kurzer Entfernung an.
Darc verkrampfte sich in seiner Sitzhaltung. Sein Mund wurde trocken. War das ... eine Verhaltensmodifikation? Ausgelöst durch eine Erinnerung an eine alternative Zukunft? Verbissen starrte er auf die Orterbilder, panisch darauf versessen, nicht den Blick seiner Kameraden zu kreuzen. Ahnten sie, dass er heimlich mit den Gegnern fieberte? Er fühlte sich beobachtet.
Rhodan, Dorksteiger und Rowena landeten im Schutz einer Felsengruppe. Wenig entfernt wartete Tolcai auf ihre Ankunft. Der Herr würde das Talagon öffnen, hier und heute. Kein Normalsterblicher, Vitalenergiespender hin oder her, egal, mit welchem Wissensvorsprung, konnte daran etwas ändern. Alles, was noch fehlte, war eine Handdrehung.
Lass es gut sein! Eine alte Bekannte nagte an Logan Darc: seine Konditionierung. Er nahm die Hände vom Terminal, ließ den Dingen ihren Lauf. Es war besser so.
Darc sah zu, wie die Gegner sich langsam an den Schutzschirm heranpirschten.
Er presste den lippenlosen Mund zusammen, als die Löschroutine ein ÜBSEF-Fragment nach dem anderen aus dem Kontinuum tilgte. Der Speicherchip in der Tiefseekuppel leerte sich zunehmend.
Er beobachtete, wie seine Artgenossen eifrig und ahnungslos an den umstehenden Pulten ihre Handgriffe erledigten, umgeben von halb durchsichtigen Wiedergabefeldern und umspült vom emsigen Summen und Piepen ihrer Instrumente. Ahnten sie, dass auch ihre Existenz bald enden würde?
»Ein wichtiges Funkgespräch für den Commo'Dyr trifft ein«, meldete die STRAHLKRAFT.
*
Darcs Verstand war leer. Die Worte echoten durch sein Bewusstsein, doch sie trafen auf keinen Widerstand.
Das Schiff wiederholte die Meldung im selben Wortlaut.
Glitzern im Orterbild. ÜBSEF-Funken erloschen, kaum hatten sie ihr Versteck zwischen den Molekülen des Speicherchips verlassen. Die Löschroutine siegte. Es war eine Frage von Augenblicken.
»Ein wichtiges Funkgespräch für den Commo'Dyr trifft ein. Soll ich es durchstellen?«
Erst bei der zweiten Wiederholung schrak der Commo'Dyr auf. Ein Gespräch? An diesem Ort, zu dieser Zeit? Und vor allem – für ihn? Wer, mit der Macht, eine kobaltblaue Walze zu kontaktieren, wusste, dass er auf Atlantis war?
Wer wusste, dass er überhaupt existierte?
»Mit wem habe ich das Vergnügen?«, hörte er sich sagen.
Die STRAHLKRAFT interpretierte die Frage offenbar als den Befehl, das Gespräch anzunehmen. Ein Holo entstand hinter dem Terminal – die primitive Wiedergabetechnik eines urtümlichen Volkes. Es war nicht zu vergleichen mit der Brillanz einer Semimanifestation, doch die kobaltblaue Walze passte sich dem technischen Niveau des Senders an.
Das Holo zeigte eine arkonidenähnliche Frau, dunkelhäutig und dunkelhaarig. Auf der Stirn trug sie eine Zeichnung aus roten, ineinander verschlungenen Linien. Ihre Kleidung wies sie als eine Ureinwohnerin des Inselkontinents Atlantis aus.
Ratlos starrte der Commo'Dyr sie an. Das Gesicht war ihm unbekannt. Wie war diese Wilde in den Besitz der nötigen Funktechnologie gelangt? Er ahnte, um wen es sich handelte.
Seine Kollegen warfen verstohlene Blicke in seine Richtung, doch niemand mischte sich ein. Gehorsam war ihre einzige Charaktereigenschaft.
»Logan Darc«, sagte die Unbekannte ernst. Die Stimme war vergleichsweise dunkel.
»Du kennst meinen Namen?« Es war mehr Feststellung als Frage. Er verwendete die Sprache der Arkoniden.
Mit einem raschen Blick auf die Statusanzeige am unteren Bildrand erfasste er den Ursprung des Signals. Es stammte aus der Tiefseekuppel vor der Ostküste – von exakt jenem Ort also, an dem sich der Speicherchip aus der Alternativzukunft befand. Dass die Frau zu Rhodan, Dorksteiger und Rowena gehörte, lag also auf der Hand.
»Ich bin Caysey«, bestätigte sie seinen Verdacht. Offenbar war sie es, die den Chip durch das Superpositionstor gebracht hatte. Wie sie in ihrer Zukunft überlebt hatte und warum sie anscheinend immun gegen die Nukleotide Pest war, musste ein Rätsel für später bleiben.
»Ich habe von dir gehört«, ließ Darc sie wissen. »Und ich vermute, woher du kommst. Was ich nicht begreife, ist, was du dir von diesem Gespräch erhoffst.«
»Ich erhoffe mir Hoffnung.« Ihre Aussprache war klar und sehr deutlich, aber ein wenig langsam. Als wären die einzelnen Silben Fremdkörper, an die sie sich eben erst gewöhnte; der Schlag einer Zunge, die nie das Muskelgedächtnis entwickelt hatte, sie zu formen. So sprach jemand, der ein Idiom kürzlich per Hypnoschulung oder auf ähnliche Weise erlernt hatte.
Darc war kurz davor, zu stöhnen. Die Aussage der Atlanterin war vollkommen nichtssagend, lediglich vage poetisch. Seinesgleichen war kein Sinn für Poesie gegeben. Er bewahrte die Contenance.
»Für Gefühlsduseleien bist du nicht zu haben, schätze ich.«
»Deine Auffassungsgabe ist hinreichend.« Was, bei allen kosmischen Mächten, wollte sie von ihm?
»So einer bist du also.« Die Dunkelhäutige nickte. »Passt mir. Das spart Zeit.« Ihr Blick wanderte zu einem Bereich außerhalb des Holos – vermutlich schwebte dort die Fortschrittsanzeige des Löschvorgangs, wie er auf ihrer Seite dargestellt wurde.
»Dich kriegt man mit Tatsachen«, fuhr sie im Tonfall absoluter Selbstverständlichkeit fort. »Hier hab ich ein paar für dich: Wenn dein Herr das Talagon öffnet, wird er alles Leben in dieser Gegend des Weltraums auslöschen. Und die Seelen, die du gerade von diesem Speicherkristall entfernst, sind die meiner Freunde. Sie könnten das Unglück verhindern, wenn du sie lässt.«
»Und was lässt dich glauben, dass ich das wünsche?« Innerlich ging er auf Abstand. Die Leichtigkeit, mit der die Atlanterin den Modus wechselte, irritierte ihn. Er nahm sich vor, sich nicht überrumpeln zu lassen. »Ich bin Tolcai zum Gehorsam verpflichtet.«
»Glaub ich dir nicht. Du hast uns in der Vergangenheit geholfen.« Sie hob die Schultern – die Geste von jemandem, der das Offensichtliche ausspricht. »Warst du es nicht, dem QUARTAM seine neue Gestalt verdankt? Durch den er vom Talagon erfahren hat und letzten Endes davon, dass es nur hier auf der Erde geöffnet werden kann? Klingt nicht, als hätte dein Herr dir all das befohlen.«
Darc erstarrte. Alles in ihm schrie danach, den Blick abzuwenden, dem der holografischen Gestalt auszuweichen.
»Mir sind gewisse ... Unachtsamkeiten unterlaufen.« Mehr traute er sich nicht, zuzugeben. Warum fühlte er sich plötzlich bis auf den Grund seines Wesens durchschaut?
Da hing er schwerelos vor seiner Arbeitsstation, Kommandant über ein Raumschiff, mächtiger als die Flotten ganzer Völker, und fühlte sich wehrlos. Und seine Angst galt einer einzigen Person. Einer Primitiven, deren Stamm den Bogen für den Inbegriff der Waffentechnologie hielt. Es war absurd.
»Und diese Unachtsamkeiten sind dir ganz zufällig passiert?« Sie schüttelte den Kopf, tadelnd, aber nicht vorwurfsvoll.
Darc fühlte sich ... entblößt. Der Funkkanal war nicht verschlüsselt – und die STRAHLKRAFT hörte zu! Was sie tun würde, wenn es erkannte, dass er defekt war? Ihn als Ausschussware entsorgen? Ja, er hatte im Sinn ihrer gemeinsamen Herren gearbeitet, aber Eigeninitiative dieser Art entsprach nicht jenen seiner Machart.
Er aktivierte ein Schallschutzfeld, das ihn und das Pult von neugierigen Ohren abschirmte. Vor dem Schiff würde ihn das nicht beschützen – das Funkgespräch lief schließlich über seine Anlagen –, aber vor dem Gerede seiner Artgenossen.
Flüchtig sah er zu ihnen hin, doch sie gingen dienstbeflissen ihrer Arbeit nach. Wenn sie dem Dialog bisher gelauscht hatten, taten sie, als beträfe er sie nicht. Immerhin.
Unverändert zeigte die Außenoptik die Ereignisse auf dem Berggipfel. Soeben erreichten Perry Rhodan und seine beiden Begleiterinnen die Peripherie des Schutzschirms. Der Terraner hob den Kopf aus der Deckung. Noch stand Tolcai mit dem Rücken zu ihm und hatte die Ankömmlinge nicht bemerkt. Zumindest tat er so. Der Herr liebte die Inszenierung.
Das Löschprotokoll meldete sich mit einem Piepen. Gut 40 Prozent der im Speicherchip verankerten ÜBSEF-Fragmente waren gelöscht.
Darc überlegte. Noch konnte er den Vorgang abbrechen. Die ÜBSEF-Konstanten würden erst verpuffen, wenn das letzte Quant vernichtet war. Überlebte auch nur eins, fielen alle anderen in den Normalraum zurück. Sie würden ihren Weg zu ihrem natürlichen Ankern finden – zu den Körpern der drei Zeitzwillinge.
»Du wusstest genau , wo du unachtsam sein musstest, Logan Darc«, behauptete die Atlanterin. »Alles, was passiert ist, seit ich Sichu und Perry an der Meeresküste zum ersten Mal begegnet bin, greift ineinander. Da war kein Zufall dabei.«
»Genug!«
45 Prozent , meldete der Fortschrittsbalken des Löschprotokolls.
Die Bewaffneten auf der Bergspitze wurden auf die Neuankömmlinge aufmerksam. Abstrahlpole richteten sich auf die Dreiergruppe vor dem Schirm.
»Erzähl mir nicht, dass du nicht alles genau geplant hast.« Cayseys Stimme wurde hastig, und Darc vermutete, dass die Ereignisse in ihrer eigenen Ortung ebenso verfolgte. »Du hast ein kosmisches Schauspiel komponiert. Weil du nicht wolltest, dass Tolcai sich gegen die Ordnungsmächte versündigt. Weil du ihn liebst, auf deine Weise. Wie Rowena Atlan liebt.«
»Sei still!« Mit einem Anfall wilder Panik beendete er die Verbindung.
Die Atlanterin riss die Augen auf, öffnete den Mund, um etwas zu rufen – dann erlosch das Holo. Der Gesichtsausdruck verfolgte den Commo'Dyr. Im letzten Moment hatte sie ihre Furcht verraten.
Der Anblick erschütterte ihn mehr, als er sich eingestehen wollte.
50 Prozent , sagte die Statusanzeige. In Kürze würde das Protokoll seine Arbeit vollenden. Dann würde Darcs Frevel gesühnt sein. Er schwieg in die Stille hinein.
Auf dem Planeten hob Tolcai die Hand. Eine Strukturlücke bildete sich im Schirm.
»Dir ist klar, dass du ebenfalls gegen den Befehl deines Herrn verstößt?« Darc sah zur Decke, wie sein Herr es zu tun pflegte. Dorthin, wo er das Bordgehirn der STRAHLKRAFT vermutete. Das Schallschutzfeld hatte er aktiviert gelassen.
»Wie meinst du das, Logan Darc?«
»Tolcai ist sicher alles andere als erfreut darüber, dass du ungefragt Normalsterbliche zu mir durchstellst.« Wie hatte die Primitive überhaupt die richtige Frequenz gefunden? Arkonidische Funkanlagen beherrschten keine höherdimensionalen Übertragungswege. Oder doch?
»Die Kosmokraten sind meine Herren«, antwortete das Schiff. »Tolcai agiert nicht länger nach ihrer Agenda.«
Das wiederum war Logan Darc klar. Tolcai hatte nicht im Sinn der Ordnungsmächte gehandelt, seit er die Missionsleitung an Bord der kobaltblauen Walze übernommen hatte – noch vor Logan Darcs erstem Erwachen. Schließlich war das ja der Grund für seine ... Unachtsamkeiten gewesen. Dies war auch nicht das erste Mal, dass das Schiff seinen Unmut bekundete. In den vergangenen 200.000 Jahren hatte es das immer wieder getan.
Auf dem Planeten stürmte die Arkonidin namens Rowena durch die Strukturlücke. Rhodan und Dorksteiger folgten ihr dichtauf.
58 Prozent. Der Balken machte einen Sprung, landete bei 62 .
Nicht mehr lange!
»Warum hast du nicht eingegriffen, STRAHLKRAFT?«, wollte Logan Darc wissen und meinte: Warum hast du mich alleingelassen?
»Das habe ich getan«, erwiderte das Schiff. »Aber ich bin ihm ebenso zur Hörigkeit verpflichtet wie du. Meine Möglichkeiten sind begrenzt.«
»Was hast du getan?« Er fühlte sich verhöhnt.
71 Prozent. Der Vorgang beschleunigte sich.
»Ich habe dich erschaffen«, sagte das Schiff.
*
Es kostete ihn wertvolle Sekunden, das zu verarbeiten. Einen Moment lang starrte Darc zur Decke, suchte zwischen den immateriellen Leuchtquellen nach dem Ursprung der Geiststimme – natürlich vergeblich.
»M... Mich?« Androiden von seiner Art waren selten sprachlos. »Aber ... ich wurde als Tolcais Diener geschaffen. Du hast mich als seinen Diener ersonnen.« Er hörte, dass seine Worte schrill wurden.
»Das habe ich«, sagte das Schiff. »Aber nicht so, wie er dich wollte, sondern so, wie er dich brauchte. Damit du Entscheidungen treffen konntest, zu denen ich unfähig war.«
Auf der Bergspitze zog Rowena die Strahlenpistole und legte an. Ein Schuss löste sich aus der Waffe, doch da hatte Tolcai bereits die Hand gehoben. Der Strahl erstarrte in der Luft, wie ein Vogel vor einem Abwehrfeld.
Das Talagon baumelte um sein Handgelenk. Milliardenfacher Tod in der Faust eines Einzelnen.
»Du weißt, wovon ich rede. Du hast gesehen, was das es mit ihm anstellt.« Die STRAHLKRAFT meinte den Anhänger. Die Außenoptik zoomte darauf ein.
»Ja«, sagte Darc.
»Es ist abscheulich. Und er ist besessen davon.«
»Ja.«
Tolcai fegte den Strahl mit einem Wink aus dem Kontinuum – die Abwehrwaffen der Kosmokraten gegen die unterlegenen Gegner einzusetzen, bereitete ihm sichtbar Freude. Grinsend wedelte er Rowena von den Beinen.
Wie auf Zuruf echoten Cayseys Worte durch Logan Darcs Kopf. Sie könnten das Unglück verhindern, wenn du sie lässt.
Aber konnte er das? Tolcai hatte ihm einen Befehl erteilt. Befehlen gehorchte man. Dazu waren sie da.
Dazu war er geschaffen worden.
Unten hob Tolcai das Talagon. Rhodan und Dorksteiger redeten auf ihn ein.
»Es ist abscheulich«, hörte Darc sich sagen. Ein Machtmittel der Chaosmächte in den Händen eines der ihren. Es war eine beispiellose Perversion. Dabei hatte der Herr solches Potenzial gezeigt! Er hätte einer der Größten unter den Dienern der Ordnungsmächte sein können.
Darc fühlte sich, als wäre er bereits gestorben. Scheiterte der Herr, scheiterte auch er selbst. Ein unsichtbarer Abgrund gähnte unter ihm. Ohne es zu wollen, streckte er den Arm nach dem Abbruchsensor.
98 Prozent, verriet die Statusanzeige.
Nicht, wie er dich wollte, sondern so, wie er dich brauchte. Die Worte der STRAHLKRAFT hatten ihn aufgeregt. Sein Finger verharrte.
Tolcai umfasste die Proto-Nekrophore mit beiden Händen. Ein winziger Ruck, und es würde vorbei sein. Das Ende aller Zerrissenheit.
Weil du ihn liebst, auf deine Weise, echote wieder die Stimme der Atlanterin.
Der Herr verdrehte die Handgelenke gegeneinander.
Und der Commo'Dyr traf seine Entscheidung.