11.

Perry Rhodan

 

Atlan begegnete Atlan. Einer lag blutend am Boden, der andere wirkte ratlos.

»Ist das ein Trick?« Wie versteinert stand der Arkonide vor dem Torbogen und blickte seinem reglosen Ebenbild entgegen. Sein Gesichtsausdruck war leer. »Eine Fabrikation oder dergleichen? Wenn Rowena glaubhafte Bilder einer explodierenden TOSOMA erzeugen kann, die der Bevölkerung von ganz Arkonis glaubhaft schienen, dann können Sie sicher auch ein solches Trugbild schaffen.«

Perry Rhodan gab sich Mühe, nicht allzu salbungsvoll zu klingen: »Was du siehst, ist real. Wann hätten wir uns den Aufwand auch machen sollen, so etwas herzustellen? Seit du die Wahrheit weißt, waren wir ununterbrochen zusammen, Beuteterraner.«

»Beute-... wie bitte?«

Rhodan winkte ab. Auch nach all den gemeinsamen Abenteuern fiel Rhodan es noch immer schwer, zu akzeptieren, dass dieser Atlan ein anderer war. Dabei fußte sein ganzer Plan darauf. Verrannte er sich in etwas?

Zu siebt standen sie im »Foyer« unter der späteren Tiefseekuppel des Arkoniden. Neben Atlan selbst war die Vierergruppe aus Rhodan, Dorksteiger, Rowena und Caysey anwesend. Die Atlanterin kniete im Sichtschutz einer Analysekonsole und säugte ihr Kind.

QUARTAM, in derselben Leuchtgestalt, die er in der verworfenen Zeitlinie eingenommen hatte, hantierte an seinen Geräten. Wieder ging die Ator ihm zur Hand. Das Equipment stammte noch von seinen ursprünglichen Untersuchungen und war nach Logan Darcs erstem Auftauchen hier zurückgeblieben.

Der Roboter Rico hielt sich im Hintergrund.

Erschöpft rieb Rhodan sich die Augen. Zahllose Strapazen lagen hinter ihm; die letzten Stunden aber hatte er mit Diskussionen verbracht.

Zuletzt hatte Caysey ihn bekniet, sie und Rowena in seine Gegenwart mitzunehmen. Sichu war vehement dagegen gewesen, aus den üblichen Gründen. Letztlich aber hatten sie beide zugestimmt. Rhodan war klar, dass Caysey sie mit ihrer ans Paranormale grenzenden Empathie überzeugt und, wenn man so wollte, mit unfairen Mitteln gekämpft hatte. Dennoch hatten ihre Argumente stichhaltig geklungen. De facto war sie in dieser Zeitlinie gestorben – sie hätte also gar nicht existieren dürfen.

Was Rowena betrifft ... Rhodan musterte die Kralasenin, wie sie mit verschränkten Armen neben Rico stand und den Blick immer wieder zwischen beiden Versionen Atlans hin und her wandern ließ. Diese Diskussion ist noch nicht zu Ende geführt.

Zukunfts-Atlan hatte seine Großcousine nie erwähnt. Rhodan hatte keine Ahnung, welche Rolle sie in dieser Zeitebene noch zu spielen hatte.

Davor hatten sie an Bord der Leka-Disk eine gute Stunde lang mit Atlan und Tarts gesprochen. Rhodan hatte dem Kristallprinzen ausführlich berichtet, wie Rowena das Talagon ins Jahr 2069 NGZ gebracht, Zukunfts-Atlan sie erkannt und damit die Ereignisse angestoßen hatte.

»Wenn du mir nicht glaubst«, hatte er schließlich vorgeschlagen, »begleite uns zur Kuppel und begegne deinem späteren Selbst. Wenn ich lüge, kannst du uns immer noch verhaften.«

Darauf hatte der Kristallprinz sich eingelassen. Tarts hatte er sicherheitshalber zur Verschwiegenheit verdonnert. Der alte Recke war auf der Arkonspitze geblieben und sollte sich darum kümmern, nach Tolcais Abzug die Trümmer aufzulesen und das Geschwader zu koordinieren.

»Warum liege ich blutend am Boden? Und wer ist diese Gestalt, die über mir kniet?« Atlan trat näher an den Torbogen, ging in die Knie und kniff die Augen zusammen. Das Bild auf der anderen Seite war verschwommen, als blickte man durch eine falsche Brille. »Warum zeigen Sie mir das alles? Wie soll das helfen, die Zeitlinie zu schützen?«

Rhodan räusperte sich. Dass Rowena ihren Großcousin in der Zukunft niedergeschossen hatte, war eines von zwei Details, die er bislang verschwiegen hatte.

Das zweite war Tolcais Anwesenheit auf der anderen Seite. Inzwischen war er überzeugt, dass ihnen diese letzte Konfrontation mit dem Gegner noch bevorstand. Eins nach dem andern. Vorsichtig betastete er die Waffe, die er im Holster an seiner Hüfte trug.

Der Terraner kniete sich neben Atlan, betrachtete den Verletzten ebenfalls. Weißer Overall, rote Streifen an den Armen – waren das die Klamotten, die Atlan bei seinem Besuch in Kelen da Masgadans Museum getragen hatte? Aus Rhodans Warte war es Wochen her. Er erinnerte sich nicht.

Er setzte zu einer Antwort an.

Dann sah er Rowenas flehende Miene – und schwieg.

»Der Kontakt zur Torintelligenz ist hergestellt.« QUARTAM trat vor das tragbare Terminal, an dem er und Sichu Dorksteiger arbeiteten.

Kabel und Datenverbindungen ragten schlauchförmig aus der Lichtgestalt, schlängelten sich über den Boden und verschwanden im Pult sowie in Sensorkontakten, die auf der Toreinfassung klebten. Wie sie in seinem Kopf verankert waren, erkannte Rhodan nicht. Sichtbare Buchsen oder Anschlüsse gab es keine. Der Anblick war bizarr.

»Wie lange, bis Sichu, Caysey und ich hindurchgehen können?« Rhodan war über die Unterbrechung dankbar. Wie immer Rowena ihre Schuld sühnen wollte – sie musste es mit Atlan ausmachen. Das ging ihn nichts an. Auch, wenn alles in ihm brannte, zu vermitteln.

Der ehemalige Wissenschaftler tippte gegen die Kabel. »Die ›Zielzeit‹, wenn Sie so möchten, ist schon eingestellt. Diesmal haben wir weniger Eile als zuvor, das Tor kann sich in aller Ruhe mithilfe seiner Hyperzapfer aufladen. Aber die Intelligenz hat uns nur einen weiteren Transfer genehmigt, und den hat Caysey absolviert. Wir müssen es überzeu...« Er hielt inne. »Oh.«

»Was heißt ›oh‹?« Rowenas Linke wanderte wie ferngesteuert zum Griff der Waffe.

Dorksteiger fuchtelte plötzlich wie wild an den Bedienelementen.

Caysey hob verwirrt den Kopf, das Kind auf ihrem Arm quengelte.

Die Fraktalmuster auf der Toreinfassung gerieten in Bewegung. Sie wirbelten durcheinander, umschlangen sich, bildeten Figuren. Im Bogen selbst gewann das Spiegelbild des Raums an Klarheit.

QUARTAM hielt sich das, was bei einem Menschen der Kopf gewesen wäre. »Das ist nicht gut. Gar nicht gut!«

»Klartext, QUARTAM!« Rhodan lief unruhig vor dem Tor auf und ab. Was hatte das Chaos zu bedeuten?

»Was unser kosmokratisch aufgewerteter Freund zu sagen versucht«, rief Dorksteiger dazwischen, »ist, dass das Tor eine starke Aktivität entwickelt. Es stellt eine Verbindung zur Zielzeit her.«

Sie faltete ein Holo mit einer stark ansteigenden Energiekurve aus, warf es Rhodan zu. Der fing es und betrachtete es fragend.

»Jemand kommt hindurch«, erklärte QUARTAM.

»Jemand? « Rhodan schüttelte die Hand. Das Holo löste sich von seinen Fingerspitzen und kehrte zur Konsole zurück.

Bewegung entstand auf der anderen Seite. Der Schatten, der sich über den blutenden Zukunfts-Atlan beugte, hob den Kopf und richtete sich auf. Die Gestalt wirkte zierlicher, als in Rhodan sie in Erinnerung hatte, doch das mochte der Verzerrung im Transmitterfeld geschuldet sein. Deutlich waren seine Augen zu sehen.

Ein rotes und ein schwarzes. Das Timing war unglücklich.

»Tolcai«, hauchte der Atlan der Vergangenheit. Hastig wich er zurück. »Sie wussten, dass er auf der anderen Seite des Torbogens wartet, Rhodan, oder? Dann haben Sie ihn auf der Arkonspitze nicht wirklich besiegt?«

Der Terraner kam nicht zu einer Antwort. Das Bild von der anderen Seite gewann zunehmend an Schärfe. Der Schatten trat auf das Tor zu – und hindurch.

Beinahe gleichzeitig zogen Rhodan, Atlan, Rowena und Sichu ihre Waffen.

Übergangslos stand der Gegner im Raum, noch immer nur als Schatten mit verschiedenfarbigen Augen zu erkennen, und viel winziger, als er hätte sein sollen. Er machte einen beiläufigen Wink.

Die Waffen wurden Rhodan und seinen Mitstreitern aus den Händen gerissen, bevor der erste Schuss sich löste. Sie knallten an die Wände, zerbrachen von der Wucht.

Das Baby schrie.

»Bis hierher!« Rowena nahm eine Dagorgrundstellung ein und postierte sich schützend vor Caysey.

Rhodan fragte sich, welches Verhältnis die beiden Frauen zwischenzeitlich entwickelt hatten.

Nicht jetzt! Er konzentrierte sich auf den Angreifer. Was würde er unternehmen? Warum war er in die Vergangenheit gekommen, anstatt sie einfach in der Zielzeit zu erledigen? Rhodan war überzeugt, dass es Tolcai um Rache ging.

Der Schatten trat vor – und stand plötzlich im Licht. Vermutlich hatte er sich zuvor unter einer Art Tarnfeld verborgen. »Ich grüße Sie«, sagte er mit Samtstimme.

Rhodan stutzte. Der Angreifer ... war nicht Tolcai.

Stattdessen stand eine schmächtige, menschenähnliche Gestalt mit kantigem Schädel und auffälligen Segelohren vor ihm. Das Gesicht mit den verschiedenfarbigen Augen war das eines Jugendlichen. Oberkörper und Gliedmaßen waren dünn und steckten in einem dunkelbraunen Overall.

»Joshiron!« Abwartend trat Rhodan vor, ignorierte Atlans verwirrten Blick. Er kannte diesen Jungen. Noch vor wenigen Stunden hatte er gegen ihn gekämpft – in ebendiesem Raum, verunstaltet von der Nukleotiden Pest und am Ende ihrer beiden Kräfte.

Joshiron war Tolcais ursprüngliches Selbst – jener takerische Knabe, den sich die STRAHLKRAFT als Kommandanten ausgesucht und über rund 200.000 Jahre hinweg zum Kosmokratenroboter umgewandelt hatte. Was also ging hier vor? Der Terraner runzelte die Stirn. Er wusste keine Erklärung.

Und Joshiron ... grinste. Nicht boshaft oder abschätzig, sondern jungenhaft und warm. Der Schalk blitzte in seinen Augenwinkeln.

Vor Jahrtausenden hatte einmal jemand über Rhodan behauptet, er könne »mit den Augen lächeln«. Unvermittelt kam dem Terraner diese Formulierung wieder in den Sinn.

Niemand sprach ein Wort. Keiner außer dem Jungen regte sich. Ratlosigkeit machte sich breit.

Ohne sich um einen der Herumstehenden zu kümmern, durchmaß Joshiron das Foyer. Er hielt schnurstracks auf Rico zu und blickte an ihm empor. »Du bist weit gekommen, mein Sohn, und du wirst noch weiter kommen – ich bin stolz auf dich!«

Der Roboter legte den Kopf schräg.

Joshiron passierte QUARTAMS Gerätschaften, machte einen Schritt über die am Boden liegenden Schläuche. Caysey und Rowena nickte er anerkennend zu. »Ihr habt euch wacker geschlagen. Eure Rolle in dieser Zeit ist gespielt, ihr könnt sie beide getrost und ohne Konsequenzen verlassen. Aber passt aufeinander auf!«

Auf den Terraner wirkte die Bemerkung kryptisch, doch Caysey erwiderte das Grinsen zaghaft. Wie üblich schien sie mehr zu wissen.

In Rhodan kochte die Nervosität. Was braute sich da zusammen? Offenbar verfügte Joshiron über die Fähigkeiten des Kosmokratendieners Tolcai, dafür sprachen das Schattenfeld, die Beiläufigkeit, mit der er sie entwaffnet hatte und nicht zuletzt das AUGE. Jederzeit mochte der Junge sich zu einer Gemeinheit hinreißen lassen.

»Auch für dich ist gesorgt.« Im Vorbeigehen schlug Joshiron Atlan auf die Schulter, was dieser mit einer irritierten Geste goutierte.

»Mach dir keine Gedanken über dein kommendes Selbst. Euch beiden steht eine große Zukunft bevor. Auch wenn es im Moment nicht danach aussieht.« Joshiron stellte sich neben den verdatterten Arkoniden, legte ihm den Arm um die Schulter und drehte ihn so, dass sie durch das Tor dem Verletzten zusahen.

Rhodan tat es ihnen gleich – und spürte den Stein, der ihm vom Herzen fiel. Zukunfts-Atlan regte sich. Kraftlos versuchte er, sich aufzustemmen, schaffte es aber nur wenige Zentimeter vom Boden, bevor er in die Lache seines eigenen Bluts zurückfiel. Farbe kehrte in sein Gesicht zurück.

»Ist das der Grund, aus dem du dich über mich gebeugt hast?« Der Arkonide machte sich von Joshiron los, ging auf Abstand. »Du hast meine Wunden versorgt und mein Überleben gesichert. Warum?«

Der Junge antwortete nicht. Stattdessen setzte er lächelnd seinen Weg durch das Foyer fort. Sichu winkte er im Vorbeigehen zu. Es war ein denkwürdig trivialer Auftritt.

Und Caysey lächelte noch immer.

Rhodan ballte die Hände zu Fäusten.

Dann erreichte Joshiron QUARTAM. »Logan Darc hat sich nicht in dir geirrt, alter Mann.« Sein Grinsen wuchs in die Breite. »Du warst sehr nützlich bei meiner Heilwerdung. Aber natürlich hat mein alter Commo'Dyr ein paar offene Enden hinterlassen. Ich bin hier, um sie aufzuräumen. Sicher brauchst du diese kosmokratischen Fähigkeiten nicht länger.«

Joshiron hob die Hand und hielt sie dem reglos dastehenden QUARTAM vor die Schläfe.

Heilwerdung , echote es hinter Rhodans Stirn. Er wollte nachfragen, war aber zu fasziniert von dem Schauspiel. Mit einer Geste bedeutete er Atlan und Rowena, sich zurückzuhalten.

Es war ein surrealer Vorgang, wie alles, was sich in diesen Minuten im Foyer unter der Kuppel abspielte. Zu sehen war nichts – sah man von QUARTAMS Gesichtsausdruck ab, der sich allmählich von ängstlich zu hilflos, dann zu panisch wandelte. Das Leuchten, das ihn umhüllte, wurde allmählich schwächer und erlosch schließlich ganz. Die Schläuche fielen von ihm ab, als hätten sie nur auf seiner Haut gehaftet und als hätte sich der Klebstoff gelöst. Sie glitten an ihm herab und sammelten sich in Schlaufen zu seinen Füßen.

»Was ... wieso ...?« Er tastete sich ab, ein ältlicher Kerl mit weißem Fusselbart und langem Haar. Auf seltsame Weise wirkte er geschrumpft. »Das darf nicht ...«

»Es muss sein«, unterbrach Joshiron in unerwartet mitfühlendem Tonfall. »Ich weiß, was ich dir nehme. Aber meine Herren dulden nicht, dass dieses Machtmittel ihre Arsenale verlässt. Fortan wirst du wieder der Arkonide Quartam da Quertamagin sein. Es gibt erniedrigendere Schicksale, wenn du mich fragst.«

Als der Junge die Hand senkte, hielt er darin eine kleine, blaue Pille. Eine ebensolche hatte die Eisjunkerin Motyra da Pert an Bord der STRAHLKRAFT geschluckt und sich in eine tödliche Kampfmaschine verwandelt. QUARTAMS Transformation basierte offenbar auf derselben Technologie. Nun hatte Joshiron sie aus dem Körper des Arkoniden extrahiert und nahm sie in Verwahrung, wie auch immer er das gemacht hatte.

Der Ausdruck der Empörung auf da Quertamagins Miene war herzerweichend. Geschlagen sank er in sich zusammen und kauerte sich auf den Boden.

Dorksteiger bückte sich zu ihm, berührte ihn sanft am Oberarm.

Caysey drückte der verdatterten Rowena das Kind in den Arm, eilte ebenfalls hin und raunte ihm etwas zu. Die Ator und die Atlanterin spendeten dem alten Mann Trost, während die Kralasenin das Kind vor sich hielt wie eine tote Katze und ein unglückliches Gesicht zog.

Rhodan fühlte mit da Quertamagin, doch er hatte keine Chance, sich selbst ebenfalls Trost zuzusprechen. Joshiron wandte sich ihm zu. Frech und mit in die Hüften gestemmten Armen baute er sich vor ihm auf.

»Falls du dich wunderst, was das Theater soll, Perry Rhodan: Ich bin hier, um meinen ursprünglichen Auftrag zu erfüllen. Diesen Zeittransmitter darf es nicht geben.« Das Grinsen kehrte auf seine Lippen zurück, doch es trug eine Ahnung von Wehmut. »Nach ARCHETIMS Tod haben die letzten Schohaaken ihn gebaut, um durch die Zeit zu pilgern und ihrer Superintelligenz zu deren Lebzeiten huldigen zu dürfen. Die Geschichte ist eher traurig als dramatisch, und vielleicht erfährst du irgendwann mehr darüber. Aber wie du selbst erlebt hast, führt diese Maschine nur zu Problemen.«

»Wieso mussten Sie dazu in diese Zeit zurückkehren?«, platzte es aus Atlan heraus. »Sie hätten den Transmitter auch in der Zukunft demontieren können.«

»Das Superpositionstor ist ein extratemporales Objekt.« Dorksteiger untersuchte da Quertamagins wiederhergestellten Arkonidenleib mit ihrem Armband. Aus dem Augenwinkel erkannte Rhodan die Anzeigen einer medizinischen Analyseanwendung. Sie referierte, ohne aufzusehen. »Das wissen wir durch Logan Darc. Sie hätten es von jedem Punkt des Zeitstrahls aus demontieren können, und es wäre aus der Zeitlinie getilgt gewesen. Die damit absolvierten Zeitreisen werden dadurch nicht ungeschehen gemacht, soweit ich es verstehe. Wieso also sind Sie hier?«

Der Junge warf ihr stirnrunzelnde Blicke zu. »Um mich zu bedanken, natürlich. Ist das nicht offensichtlich?«

Dorksteiger löste sich widerstrebend aus der Untersuchung und belegte Joshiron mit fragender Miene.

Die Fraktale auf der Toreinfassung wirbelten lautlos durcheinander. Da Quertamagins unterdrücktes Schluchzen war das einzige Geräusch.

Perry Rhodan fühlte sich geohrfeigt, wie schon öfter in den vergangenen Stunden.

»Offensichtlich«, wie Tolcai oder Joshiron oder wen immer er da vor sich hatte behauptete, war gar nichts. Anscheinend drohte von dieser Version des Kosmokratendieners keine Gefahr; dennoch traute der Terraner dem Frieden nicht.

»Vor dreizehntausend Jahren«, fuhr der Knabe fort, »habt ihr mir aus einer dunklen Phase geholfen. Ohne euch hätte ich mich auf der Arkonspitze umgebracht und einen Teil der Milchstraße dazu. Ein finsterer Einfluss hat mich von meiner Aufgabe entfremdet.«

»Er meint das Talagon. Und er sagt die Wahrheit.« Caysey kehrte zu Rowena zurück und nahm ihr das Kind ab. Die Kralasenin stöhnte vor Erleichterung, als sie den Säugling loswurde.

Die Atlanterin nickte Joshiron zu. Sie schaukelte den Säugling, bis er Bäuerchen machte. »Ich habe das Artefakt aus der Nähe gesehen und diesen Einfluss gespürt, von dem du sprichst. Es war verdorben, nicht wahr?«

»Es stammte von einem Wesen namens Seth-Apophis. Perry Rhodan kennt es aus seiner Vergangenheit – deiner Zukunft, Caysey. Er war es, der diese Entität einst in seine Schranken wies. Eigentlich wäre das meine Aufgabe gewesen.« Unvermittelt wirkte er niedergeschlagen.

Rhodan schluckte. War das Reue, die er da heraushörte?

Er suchte im Gesicht seines Gegenübers, fand Unsicherheit darin. 13.000 Jahre lagen zwischen Tolcai und diesem Jungen. Waren sie noch dasselbe Wesen? Vor ihm stand eine geläuterte Gestalt. Joshiron hatte seine Menschlichkeit zurückerhalten.

»Ich weiß, was du denkst, Perry Rhodan.« Traurig stellte der Junge sich vor das Tor. »Ich mache mir nichts vor. Es wird Jahrtausende dauern, meine Schuld abzuarbeiten. Leider wird euch dieses Superpositionstor nicht länger zur Verfügung stehen. In Kürze werden meine Androiden eintreffen und die letzten Handgriffe verrichten, um es endgültig zu demontieren. Aber du und deine Freunde dürfen es ein letztes Mal benutzen. Sieh es als einen winzigen Teil meiner Wiedergutmachung.«

Rhodan blinzelte. Etwas stimmte nicht mit der Gestalt des Kosmokratendieners. Während er sprach, wurde Joshiron durchscheinend. Eine Teleportation oder ein distanzloser Schritt, aber in Zeitlupe. Auf dieselbe Weise war die STRAHLKRAFT zuvor aus dem System verschwunden.

»Ich verbiete Ihnen, ohne weitere Erklärungen zu verschwinden, Joshiron.« Zorn mischte sich in Atlans Stimme. Seine Wangen färbten sich rot. »Ich werde in der Zukunft überleben, na schön. Dafür haben Sie gesorgt. Aber wieso? Warum ist mein zukünftiges Ich überhaupt verletzt? Haben Sie es angegriffen?« Was immer Rhodans klärendes Gespräch an Bord der Leka-Disk ihm an Klarheit gebracht hatte, schien sich in Rauch aufgelöst zu haben.

Der Kristallprinz sollte keine Antwort erhalten.

»Ihr habt eine eurer Stunden, Liegengebliebenes zu erledigen, Perry Rhodan.« Joshiron musterte Atlan – erst jenen, der zusammengesunken auf der anderen Seite des Tors lag, dann das jüngere Ebenbild. Inzwischen war der Kosmokratendiener vollkommen durchsichtig. Sein Umriss zeichnete sich kaum mehr vor dem grünen Sechseckmuster der Wände ab. »Danach wird der Transmitter aufhören, je existiert zu haben. Eine Rückkehr in diese Zeit steht euch nicht zu, egal, was euch auf der anderen Seite dieses Tors erwartet. Also versucht es gar nicht erst.«

Mit diesen Worten entmaterialisierte er. In Rhodan blieb das unbestimmte Gefühl zurück, dass er ihm nie wieder begegnen sollte.