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Es wird Zeit, dass du heiratest“, verkündete Ericas Vater hinter seinem massiven Schreibtisch. Er war ein großer Mann, dessen maßgeschneiderter Anzug die Tatsache verbarg, dass seine Muskeln längst zu Fett geworden waren. Er war der Inbegriff eines erfolgreichen Anwalts. Jedes teure Detail seines imposanten Büros sprach von seinem Erfolg.

Er machte diese Aussage auf dieselbe Weise, wie er alles sagte – als gäbe es keinen Zweifel an seiner Richtigkeit. Diese Zuversicht kam ihm bei seinen Auftritten vor Gericht zugute, aber bei ihr hatten sie den gegenteiligen Effekt.

Sie starrte ihn mit entsetztem Gesichtsausdruck an. „Warum sagst du das? Ich bin noch nicht einmal mit jemandem zusammen.“

„Das könntest du aber sein.“ Sein Blick wanderte abschätzig über ihren Körper. „Würdest du dir etwas Mühe geben, attraktiver zu sein.“

Sie bohrte ihre Fingernägel in ihre Handflächen. Er meinte, wenn sie sich stundenlang um ihre Haare, ihre Fingernägel und ihre Schminke kümmern würde, so wie seine vierte Frau – die, die genauso alt war wie Erica. Er ignorierte die Tatsache geflissentlich, dass sie fast jede wache Stunde mit ihrer Arbeit verbrachte. Für ihn.

Sie schenkte dem altbekannten Streit keine Beachtung. Und kehrte zu seiner ursprünglichen Aussage zurück. „Warum willst du, dass ich heirate?“

„Ich brauche einen Erben. Jemanden, der die Firma weiterführt, wenn ich nicht mehr da bin.“

Sie knirschte mit den Zähnen. „Was ist mit mir?“

Er winkte abweisend mit der Hand. „Ich meine, einen männlichen Erben.“

„Warum bringst du nicht Melody dazu, dir einen zu schenken?“, fragte sie und hielt ihre Stimme neutral.

Er runzelte die Stirn. „Sie ist in dieser Hinsicht eine Enttäuschung gewesen.“

Da Erica vermutete, dass seine junge Frau die Pille nahm, konnte sie sich ein Augenrollen kaum verkneifen.

„Und trotz ihrer anderen Fehler war deine Mutter eine intelligente Frau. Du hast gute Gene.“

Die Erwähnung ihrer Mutter löste einen vertrauten Schmerz aus. Sie konnte es ihrer Mutter nicht wirklich verübeln, dass sie sie verlassen hatte. Aber sie wünschte, sie wäre stark genug gewesen, dafür zu kämpfen, Erica mitzunehmen. Andererseits machten der Reichtum und die Macht ihres Vaters ihn zu einem mächtigen Gegner. Aber Erica war nicht bereit, auf diese neueste, unverschämte Forderung einzugehen.

„Ich habe nicht die Absicht, zu heiraten.“

„Du wirst tun, was ich sage, oder deine geliebte Wohltätigkeitsorganisation wird keinen einzigen Penny mehr von meinem Geld bekommen.“

Sie zuckte zusammen. Die kleine Einrichtung, die sich der Rehabilitation von Wildtieren widmete, war ihre einzige Flucht vor der Arbeit. Der einzige Ort, an dem sie den ständigen Forderungen ihres Vaters entkommen konnte. Und sie brauchten dringend eine neue medizinische Klinik. Ihr Vater zahlte ihr ein ordentliches Gehalt – wenn auch weit weniger, als er einem männlichen Angestellten gezahlt hätte – und sie hatte kaum Gelegenheit, es auszugeben. Aber sie verdiente nicht genug, um die Kosten für die Klinik zu decken.

„Du hast es mir versprochen.“

Seine Augen funkelten triumphierend. „Ich dachte mir, dass das deine Aufmerksamkeit erregen würde. Ich habe eine Liste mit akzeptablen Kandidaten erstellt. Ich werde dir erlauben, einen davon auszuwählen“, fügte er hinzu. Gnädiger gestimmt, jetzt da er seinen Wunsch zum Ausdruck gebracht hatte.

„Was ist, wenn mich keiner von denen heiraten will?“

„Die Gelegenheit ausschlagen, Teil des Cunningham-Imperiums zu werden? Natürlich werden sie das nicht tun.“ Er musterte sie noch einmal von oben bis unten. „Aber um Himmels willen besorge dir anständige Kleidung und gib dir Mühe, einmal wie eine attraktive Frau auszusehen.“


Einen Monat später schaffte Erica es kaum in ihre Wohnung zurück, ohne die Hand ihres neuesten Verehrers in der Tür zu zerquetschen. Sie lehnte sich gegen die geschlossene Tür und ihre Knie zitterten. Einen Moment lang hatte sie wirklich gedacht, dass Ronald ein Nein nicht akzeptieren würde.

Als sie sich von der Tür abwandte, sah sie ihr Spiegelbild im Eingangsbereich und erschauderte. Ihr Vater hatte das Kleid besorgt – mit der strikten Anweisung, dass sie es tragen sollte – und es hätte an Melodys Kurven zweifellos umwerfend ausgesehen. An Erica betonte das lange, gerade geschnittene Seidenkleid nur ihre breite Hüfte und die Dürftigkeit ihrer Brüste. Selbst die Farbe, ein dunkles Gold, verlieh ihrer cremefarbenen Haut er einen fahlen Ton.

„All das bestätigt nur, dass Ronald mehr am Geld meines Vaters interessiert war als an mir“, murmelte sie.

Mit einem müden Seufzer legte sie den Schmuck ab, auf den ihr Vater ebenfalls bestanden hatte, löste ihr krauses, braunes Haar aus der viel zu engen Hochsteckfrisur und ging in Richtung Bett.

Bevor sie sich hinlegen konnte, klingelte das Telefon.

„Wie ist es gelaufen?“, wollte ihr Vater wissen.

„Es war schrecklich. Ronald hat mich praktisch vergewaltigt.“

Zu ihrem Entsetzen gluckste ihr Vater tatsächlich. „Das ist doch ein gutes Zeichen. Er muss interessiert sein.“

„Nein, das ist kein gutes Zeichen. Und ich bin ganz sicher nicht an jemandem interessiert, der nicht auf mich hört, wenn ich Nein sage.“

Sie konnte fast hören, wie er am anderen Ende des Telefons mit den Schultern zuckte. „Das macht ihn zu einem guten Verhandlungsführer. Ich denke, er ist der beste Kandidat bisher.“

„Ich nicht und ich habe auch nicht die Absicht, ihn wiederzusehen.“

„Du wirst tun, was ich sage, mein Mädchen, oder du kannst vergessen, dass deine geliebten Tiere eine neue Einrichtung bekommen.“

Er legte auf, bevor sie antworten konnte, sodass sie nur verzweifelt auf das Handy starrte.

Sosehr es ihr auch das Herz brechen würde, nicht in der Lage zu sein, die Mittel für die neue Klinik aufzubringen, konnte sie den Gedanken an eine weitere Verabredung mit Ronald nicht ertragen. Sie erschauderte, als sie sich daran erinnerte, wie sich seine Hand schmerzhaft um ihre Brust geschlossen hatte, während er versuchte, ihre Lippen auseinanderzupressen. Nein.

Morgen würde sie ihrem Vater mitteilen, dass sie sich weigerte, zu weiteren von ihm arrangierten Verabredungen zu gehen. Und wenn er so reagierte, wie sie es erwartete, würde sie vielleicht endlich den Mut aufbringen, zu kündigen. Ein Lächeln umspielte ihre Lippen, als sie sich das Gesicht abschminkte und ein bequemes Nachthemd anzog. Sie hatte aus unangebrachter Loyalität und dem törichten Wunsch, seine Anerkennung zu gewinnen, so lange durchgehalten. Jetzt musste sie sich der Tatsache stellen, dass es nie dazu kommen würde.

Ein unerwartetes Gefühl der Erleichterung überkam sie. Ja, es war Zeit, zu gehen. Je mehr sie darüber nachdachte, desto mehr gefiel ihr die Idee. Sie würde ihre Kündigung einreichen und dann endlich in den Urlaub fahren, den sie bereits seit fünf Jahren aufschob. Ein wenig Sonne, ein Stückchen Strand, ein paar Getränke mit kleinen Schirmchen …

Als sie einschlief, stellte sie sich das Rauschen der Wellen bereits vor.


Das langsame Plätschern der Wellen drang an ihre Ohren, als sie erwachte. Sie lächelte. In ihren Träumen hatte sie Palmen und Sandstrände gesehen und sie konnte sich immer noch vorstellen, dort zu sein.

Dann strömte kühler Wasserschaum über ihren nackten Fuß und sie riss die Augen auf.

Sie träumte nicht. Sie lag auf einer Erhebung von rosa Farben Strand, während sich die Reste einer kleinen Welle von ihrem Fuß zurückgezogen und in einen tiefvioletten Ozean flossen.

Wo zum Teufel war sie? Sie hatte noch nie Wasser in dieser Farbe gesehen, geschweige denn lange, blaue Blätter, wie sie von einem palmenähnlichen Baum herabhingen.

Hektisch schaute sie sich um und erwartete halb, eine versteckte Kamera inmitten der seltsamen Vegetation zu entdecken. Aber da war nichts. Niemand. Sie war völlig allein.

Vielleicht hätte sie das mehr beunruhigen sollen, aber wenigstens hatte ihr Vater keinen Anteil in diesem Traum. Oder Ronald.

Und es musste doch ein Traum sein, nicht wahr? Auch wenn sich das Wasser, das über ihren Fuß spülte, so real anfühlte wie der Sand unter ihrem Hintern. Ihrem nackten Hintern.

Was war mit ihren Kleidern passiert?

„Ich weiß, dass ich gesagt habe, dass ich Urlaub brauche. Aber an so etwas hier hatte ich nicht gedacht.“ Ein hysterisches Kichern entwich ihren Lippen. „Wo sind die Getränke mit den Schirmchen? Wo ist der Bademeister?“

Wie als Antwort auf ihre Worte stieg ein Mann – nein, kein Mann – aus dem Meer auf. Schimmernde, blaugeschuppte Haut, die im Sonnenlicht fast funkelte, bedeckte seinen riesigen, muskulösen Körper. Seine Augenmembranen glitten zurück und enthüllten einen feurig silbernen Blick, der direkt auf sie gerichtet war.

Als er aus dem Wasser stieg, stellte sie fest, dass auch er völlig nackt war. Ein massives Glied hing schwer zwischen seinen Beinen und sie hätte schwören können, dass es zu wachsen begann, als sie ihn ansah. Sie riss ihren Blick zurück zu seinem Gesicht und sah, wie er grinste. Er offenbarte einen Mund voller sehr scharfer, weißer Zähne. Er hob eine Hand, in der er einen langen hölzernen Speer mit einer silbern schimmernden Spitze trug.

Oh, verdammt, nein. Er war sicher kein Bademeister und sie würde sofort von hier verschwinden. Mit einem erschrockenen Quietschen rannte sie los und betete, dass er sie nicht verfolgen würde.