Erica floh zurück in den Dschungel. Ihr Puls rauschte so laut in ihren Adern, dass sie das Geräusch ihrer Flucht kaum hören konnte. Sie umklammerte den auf einen Ast gesteckten Fisch mit der einen und das Baby mit der anderen Hand und betete, dass der Alien ihr nicht folgen würde. Er war ihr vorher nicht in den Dschungel gefolgt und sie konnte nur hoffen, dass er es auch dieses Mal nicht tun würde.
Tatsächlich konnte sie nicht glauben, dass sie sein Essen gestohlen hatte. Es war das erste Mal in ihrem Leben, dass sie ein Verbrechen begangen hatte. Was würde ihr Vater denken? Zum Teufel, er wäre wahrscheinlich stolz auf sie. Er hatte sein Imperium auf der Verteidigung von Verbrechern aufgebaut.
Aber nur solche, die auch das Geld hatten, ihn zu bezahlen. Eine arme, verzweifelte Frau, die etwas zu essen stahl, wäre in seinem Büro zur Tür hinausgelacht worden.
Sie wusste, dass sie den Alien hätte fragen sollen. Tatsächlich hatte sie es sogar in Erwägung gezogen, als sie dort am Rande des Dschungels hockte und ihm bei der Zubereitung des Fisches zusah. Bis er aufgestanden war und sie seinen riesigen, nackten Körper nur wenige Meter von ihr entfernt in vollem Ausmaß zu Gesicht bekommen hatte.
Und dann hatte er sich umgedreht und ihr einen noch genaueren Blick auf diesen massiven, und ganz sicher nicht menschlichen, Schwanz offenbart. Die Oberfläche war mit etwas bedeckt, das wie kleiner Spitzen aussah. Und als sie gesehen hatte, wie er zuckte und sich zu füllen begann, war sie in Panik geraten. Wenn er beschlossen hätte, sie zu missbrauchen, hätte sie keine Chance sich zu wehren.
Gott sei Dank hatte er sich abgewandt und war auf das Meer zugesteuert. Ein unerwarteter Anfall von Leichtsinn hatte sie gepackt und sie war lange genug aus dem Gebüsch gesprungen, um nach dem Zweig mit dem Fisch zu greifen.
Ihre rasante Flucht führte sie tiefer in den Dschungel hinein, bis sie erneut an den kleinen Bach kam. Dort blieb sie stehen und schnappte nach Luft.
Es war nicht derselbe Bach, stellte sie fest, als sie tief Luft holte und sich umschaute. Dieser hier war breiter und tiefer. Eine kleine Lichtung auf der anderen Seite schien ihr zuzuzwinkern, sodass sie durch den knietiefen Bach in die Richtung dieser Lichtung watete und schließlich auf ihre Knie hinuntersank.
„Ich glaube nicht, dass ich für ein Leben als Verbrecherin geeignet bin“, murmelte sie dem Baby zu. Es war mehr daran interessiert, über ihren Körper zu krabbeln, um an den Fisch zu gelangen.
„Warte mal. Ich werde dich füttern … Probiere doch erst einmal ein Stückchen, damit es dir nicht den Magen verdirbt.“
Sie zerkleinerte ein Stück des geräucherten Fischs und bot es ihm auf ihrem Finger an. Er schluckte es mit Leichtigkeit und fing an, mit aufgeregtem Trampeln nach mehr zu verlangen. In der Hoffnung, dass sie das Richtige tat, wiederholte sie den Vorgang, bis sein wildes Schlecken schließlich nachließ. Er kuschelte sich wieder in ihre Hand und die kleine runde Wölbung seines Bäuchleins erfüllte sie mit Genugtuung, als er prompt einschlief.
Sein Fell war getrocknet und es war nicht mehr glatt und dunkelviolett. Stattdessen war es ein blasses Lavendelblau. Genau wie die Periwinkle-Blüte des Immergrüns. Sie lächelte. Periwinkle. Das war der perfekte Name für ihn.
Jetzt, da er versorgt war, war sie selbst an der Reihe. Der köstliche Duft des geräucherten Fisches ließ ihr das Wasser im Munde zusammenlaufen. Aber sie zögerte immer noch, bevor sie sich ein Stück davon in den Mund schob. Was, wenn der Fisch nicht für den menschlichen Verzehr geeignet war? Hatte derjenige, der sie hierhergebracht hatte, diese Möglichkeit in Betracht gezogen?
Andererseits war die Luft zum Atmen geeignet und das Wasser zum Trinken sicher. Hoffentlich hatte ihre gute Fee auch an das Essen gedacht. Sie nahm einen vorsichtigen Bissen und stöhnte genussvoll, bevor sie jede Vorsicht in den Wind schlug.
Sie verschlang zwei Fische, bevor sich ihr Gewissen meldete. Auf dem Ast hatten sieben Fische gesteckt. Sie und Periwinkle hatten drei davon gegessen, aber es waren immer noch vier übrig. War es wirklich fair, dass das Männchen, das sie gejagt und zubereitet hatte, überhaupt nichts zu essen bekam?
Wenn sie sie zurückbrachte, würde er es vielleicht als Friedensangebot ansehen. Andererseits hätte sie dann auch nichts mehr zu essen. Nachdem sie mit sich debattiert hatte, nahm sie einen weiteren Fisch und wickelte ihn in ein Blatt. Zumindest wäre sie in der Lage, Periwinkle weiter zu füttern.
Sie kuschelte den immer noch schlafenden Peri an ihre Brust, durchquerte den Bach und ging zurück zum Strand. Wie bereits zuvor war ihr Weg unverkennbar. Er muss den Dschungel wirklich nicht mögen, dachte sie, da er ihr beide Male nicht gefolgt war. Diese Erkenntnis verlieh ihr ein wenig zusätzliches Selbstvertrauen, als sie sich erneut ins Gebüsch am Rand des Strandes hockte.
Er hatte ihr den Rücken zugewandt und ging auf den Ozean zu. Jetzt, da er ein Stückchen weiter entfernt war, konnte sie sich entspannen und den herrlichen Anblick genießen. Wären die blauen Schuppen nicht gewesen, hätte er ein Mensch sein können – ein außergewöhnlich großer und muskulöser Mann –, aber als das Wasser seine Taille erreichte, entdeckte sie die Flosse auf seinem Rücken und schluckte. Ganz eindeutig kein Mensch.
Sein Kopf verschwand lautlos in den sanften Wellen. Wahrscheinlich war er wieder auf die Jagd gegangen, dachte sie schuldbewusst und betrachtete den Rest der Fische. Dann würden ihm diese sicherlich auch nicht fehlen, nicht wahr?
Doch, ihr Gewissen beharrte darauf. Sie gehören ihm.
Mit einem wachsamen Auge auf den Ozean kroch sie aus dem Unterholz und legte den Zweig mit den Fischen zurück an seinen Platz, bevor sie wieder in Deckung huschte. Nichts bewegte die Wasseroberfläche und sie verweilte ein wenig, um den Rest seines Strandes in Augenschein zu nehmen.
Neben der Feuerstelle hatte er sich einen niedrigen Tisch gebaut, der aus Ästen zu bestehen schien, die mit verknoteten Ranken zusammengebunden waren. Weitere Lianen waren zu einer Hängematte geflochten, die sanft zwischen zwei Bäumen schwang, und sie starrte neidisch darauf.
Sie hatte noch nicht einmal darüber nachgedacht, wo sie heute Nacht schlafen würde. Ihr bisher unbekannter krimineller Instinkt sagte ihr, dass sie sich die Hängematte einfach ausleihen könnte, während er unter Wasser war, aber sie verwarf diese Idee sofort. Essen war eine Notwendigkeit, ein bequemer Platz zum Schlafen allerdings nicht.
Es sah nicht aus wie ein ständiger Wohnsitz, entschied sie und erinnerte sich an ihre frühere Neugier, ob er allein war oder nicht. Vielleicht befand er sich nur auf einem Angelausflug. Aber er musste von irgendwoher gekommen sein. Die Möglichkeit einer Zivilisation machte sie neugierig, aber sie wollte mehr über diesen einen Alien herausfinden.
Zunächst musste sie jedoch zurückgehen und nachsehen, ob Peris Mutter zurückgekehrt war. Da das Wasser immer noch ruhig war, beschloss sie, um den Vorsprung am Strand herumzugehen, anstatt sich durch den Dschungel zu kämpfen.
A’riens Kopf tauchte aus dem Wasser auf, als das kleine Weibchen am Strand zurückspazierte. Er beobachtete sie neugierig und war froh, dass er beschlossen hatte, seine Zeit abzuwarten, bevor er sie wegen ihres Diebstahls zur Rede stellte.
Obwohl er sich im Wasser am wohlsten fühlte, kam er auch an Land gut zurecht. Es war kein Problem gewesen, ihr in den Dschungel zu folgen, als sie mit seinen Fischen geflohen war. Er hatte vorgehabt, sie ihr wieder abzunehmen, und möglicherweise eine kleine Entschädigung für seine Mühe zu verlangen, aber er war neugierig genug gewesen, um zu beobachten, was sie mit ihnen tat. Es hatte ihn schockiert, als er feststellte, dass sie ein Jungtier bei sich hatte, das sie zuerst fütterte. Die Art und Weise, wie sie anschließend ihre eigene Mahlzeit verschlang, deutete darauf hin, dass es keinen Mangel an Hunger gab. Es bestätigte seinen ersten Eindruck: Sie war ein Unschuldige.
Noch schockierter aber war er gewesen, als sie den restlichen Fisch nahm und sich auf dem Rückweg zu ihm machte. Er hatte es selbst kaum bis zum Strand geschafft, bevor sie ihn erreichte. Er schüttelte den Kopf, weil er immer noch nicht glauben konnte, dass sie den nicht gegessenen Teil zurückgeben wollte. Sie konnte sich offensichtlich nicht selbst versorgen und doch hatte sie das gestohlene Essen zurückgebracht.
Mein kleines Weibchen entpuppt sich als komplizierter, als ich es mir vorgestellt habe, dachte er, als er sie davongehen sah.
Ausnahmsweise rannte sie nicht vor ihm weg und er erlaubte sich einen langen, gründlichen Blick. Sie gehörte zu keiner Spezies, die er kannte, aber sie war bemerkenswert attraktiv. Lange, schlanke Gliedmaßen, diese verlockend gerundeten Pobacken, eine Wolke aus welligem, braunem Haar, das das Licht der tief stehenden schrägen Sonnenstrahlen einfing.
Er warf einen Blick über seine Schulter. Die Dunkelheit würde bald hereinbrechen und ihm gefiel der Gedanke nicht, dass sein kleines Weibchen im Dunkeln allein war. Er hatte zwar keine Anzeichen von großen Raubtieren auf der Insel entdeckt, aber sie schien bemerkenswert wehrlos zu sein.
Er folgte ihr, indem er parallel zum Strand entlang schwamm, um sie im Auge zu behalten, während er einen Plan ausheckte.