Erica bahnte sich ihren Weg zurück durch den Dschungel und zu dem Bach, an dem sie Peri gefunden hatte. Entweder wurde sie immer besser darin, sich im Unterholz zurechtzufinden, oder ihre Ungeschicklichkeit begann, Spuren zu hinterlassen, denn dieses Mal schien es einfacher zu sein. Sie erreichte den Bach mit nur ein paar wenigen zusätzlichen Kratzern.
Der Schlamm, der zur Höhle führte, war immer noch genauso glatt und unberührt wie bei ihrem Aufbruch. Es sah nicht so aus, als würde seine Mama zurückkommen. Ihr Herz zog sich vor Mitleid zusammen, als sie mit einem Finger über seinen kleinen Rücken strich. Sie wusste, wie sich das anfühlte.
Er hob den Kopf, schnupperte an der Luft und fing an, sich in ihrer Handfläche zu winden. Zögerlich setzte sie ihn auf dem Boden ab. Er machte sich sofort auf den Weg zum Wasser. Ängstlich beobachtete sie, wie er in den Bach marschierte, aber es schien, dass ihre Theorie richtig war – es handelte sich um ein Wassertier. Er plätscherte ein paar Minuten lang fröhlich vor sich hin, tauchte unter die Wasseroberfläche und dann ein paar Meter entfernt wieder auf.
Sie setzte sich auf den moosbedeckten Felsen, auf welchem sie zuvor gehockt hatte, und schaute ihm beim Spielen zu. Das weiche Moos an ihrer nackten Haut erinnerte sie einmal mehr daran, dass sie unbekleidet war. Sie dachte kurz an den großen Kleiderschrank in ihrer Wohnung, aber weder ihre praktische Arbeitskleidung noch die Kleider, die ihr Vater ihr aufgedrängt hatte, wären für diese Umgebung besonders gut geeignet.
Zumindest brauchte sie sich keine Sorgen zu machen, dass ihr kalt werden könnte. Obwohl es schön wäre, etwas zu haben, das ihre nackten Füße schützte, bis sie etwas abgehärtet waren. Moment mal. Hatte sie die Tatsache bereits akzeptiert, dass sie lange genug hier sein würde, bis das passierte?
Panik stieg in ihrer Kehle auf und sie drängte diesen Gedanken in den Hintergrund. Sie tauchte ihre Füße in den Bach, damit das kühle Wasser die geschundenen Fußsohlen beruhigen konnte. Sofort kam Peri herübergeschwommen, um mit ihren Füßen zu spielen. Er schlang seine kleinen Pfötchen um ihren großen Zeh und versuchte, sie ganz ins Wasser zu ziehen. Sie lachte und schüttelte den Kopf. „Es ist nicht tief genug für mich, mein Süßer.“
Da er sich immer noch an ihren Zeh klammerte, schwenkte sie ihn sanft im Wasser hin und her und er gurgelte fröhlich. Dann schwamm er ein Stückchen weg, um weiterzuspielen, während sie versuchte, zu entscheiden, was sie als Nächstes tun sollte.
Die Sonne warf schräge Schatten durch die Äste und ihr wurde bewusst, dass es bald dunkel werden würde. Der Bach war vielleicht angenehm, aber es gab keinen richtigen Platz, an dem sie sich hinlegen konnte. Und je länger die Schatten wurden, desto geheimnisvoller und beängstigender wirkte der Dschungel. Obwohl sie noch keine Anzeichen von großen Raubtieren gesehen hatte – es sei denn, man betrachtete den riesigen, blauen Alien als Bedrohung –, gefiel ihr der Gedanke, die Nacht hier zu verbringen, überhaupt nicht.
Peri hatte schließlich genug gespielt und kletterte neben ihr heraus, wo er ungeduldig wimmerte, bis sie ihn hochhob. Er hatte nicht einmal einen Blick auf die Höhle geworfen, die sein früheres Zuhause gewesen war.
„Ich schätze, ich bin jetzt deine Mama, nicht wahr?“, murmelte sie, während sie die Reste des geräucherten Fischs auspackte.
Sie fütterte ihn, bis er anfing zu gähnen. Dann rollte er sich auf ihrem Schenkel zusammen, stülpte seinen Schwanz über seine Nase und schlief ein. Sie selbst aß ein paar Bissen von dem Fisch, aber sie wollte sichergehen, dass sie genug hatte, um Peri am nächsten Morgen füttern zu können, also packte sie ihn mit einem bedauernden Seufzer wieder ein.
Sie trug ihn in einer gekrümmten Hand und machte sich auf den Weg zurück zum Strand. Die Sonne ging jetzt zügig unter, aber das Rauschen der Wellen half ihr, sich zu orientieren.
Der Strand war völlig verlassen und sie beschloss, dass dies ein guter Ort wäre, um ihr Nachtlager aufzuschlagen. Sie lehnte sich mit dem Rücken an eine der Palmen. Sie hatte beschlossen, sie Palmen zu nennen, obwohl der dünne, schwankende Stamm die einzige Ähnlichkeit mit dieser Art von Baum auf der Erde war. Die Sonne versank in einer feurigen Glut im Meer und sandte einen glitzernden, lavendelfarbenen Streifen über die Wellen. Es war schön, aber auch einsam, und sie fragte sich kurz, ob ihr Alien den Sonnenuntergang ebenfalls beobachtete.
Ihr Alien. Sie schnaubte. In Anbetracht ihres Glücks mit Männern wäre es bestimmt besser, sich von ihm fernzuhalten – und doch konnte sie nicht anders, als neidisch an sein gemütliches kleines Lager mit dem Feuer und seiner Hängematte zu denken.
Aber wenn er weiß, wie man solche Dinge macht, dann kann ich das auch, dachte sie entschlossen.
Sobald die Sonne hinter den Wellen verschwunden war, wurde es plötzlich schockierend dunkel. Der Dschungel war voller Geräusche – das Rascheln von Blättern, das Zirpen von Insekten und ein- oder zweimal sogar lautes, plötzliches Kreischen, das sie zusammenzucken ließ.
Der Baumstamm kribbelte an ihrem Rücken und der Sand unter ihr war überhaupt nicht so bequem, wie sie gehofft hatte. Die kleinen Kratzer und Schnitte, die sie sich zugezogen hatte, waren ein ständiges Ärgernis und ihre wunden Füße schmerzten.
Die seltsame Ruhe, die sie den ganzen Tag über gespürt hatte, begann zu schwinden. Bis jetzt war alles so fantastisch unrealistisch gewesen, dass ein großer Teil von ihr immer noch davon überzeugt gewesen war, dass sie träumte. Aber das hier – die Realität von wunden Füßen, juckendem Sand und brennenden Kratzern – das war überhaupt nicht fantastisch. Es war allzu real.
Als der Mond über dem Wasser aufging, wurde ihr die Realität ihrer Situation bewusst. Sie befand sich nicht mehr auf der Erde. Sie wusste nicht, wo sie war. Und sie hatte keine Möglichkeit, in ihr früheres Leben zurückzukehren.
Peri gab ein leises Schnüffelgeräusch im Schlaf von sich. Sie nahm ihn auf den Arm und schmiegte sich an seinen warmen, kleinen Körper, während ihr die Tränen über das Gesicht liefen.
Irgendwann nahm die Erschöpfung überhand und sie schlief ein. Dunkle Bilder jagten durch ihre Träume und dann war der Alien da, wehrte ihre Angreifer ab und zog sie an sich. Er fühlte sich warm und stark an, mit einem frischen sauberen Duft. Ihre Lippen zuckten zu einem Lächeln, als sie in einen tieferen, erholsameren Schlaf sank.
A’rien lächelte, als das kleine Weibchen sich enger an ihn schmiegte. Ihre unglaublich glatte Haut fühlte sich wie Seide auf seinen Schuppen an und obwohl das Gefühl eine unvermeidliche Wirkung auf seinen Schwanz hatte, verspürte er auch einen überraschenden Beschützerinstinkt. Sie war so wehrlos – keine Schuppen oder Reißzähne und ihre niedlichen, kleinen, rosa Krallen würden niemals ein Raubtier abwehren können.
Das kleine Wasserwesen, das sie an ihre Brust gepresst hatte, zitterte leise, und er schaute nach unten. Es musterte ihn mit großen, lila Augen misstrauisch.
„Mach dir keine Sorgen, Pää-rie“, versprach er und benutzte den Namen, den sie für ihn gewählt hatte. „Ich habe nicht die Absicht, ihr etwas zu tun.“
Es war ein törichter Name, genau wie ihr Versuch, sich um das wilde Wesen zu kümmern, töricht war. Sein eigener Versuch vor langer Zeit war nicht gut ausgegangen – weder für ihn noch für die Kreatur. Aber hier gab es niemanden, der sie quälte, oder der Kreatur etwas antun würde, nur um ihr Schmerzen zu bereiten. Und er konnte sich nicht dazu durchringen, die beiden zu trennen.
Er schüttelte den Kopf, als er sie zögerlich in seine Hängematte legte. Er hatte noch nie den Drang verspürt, ein Weibchen einfach nur zu halten, aber jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, sich dem hinzugeben. Er hatte noch Dinge zu erledigen.
Nachdem er ihr parallel zum Strand gefolgt war, um sie vom Meer aus zu beobachten, hatte er sich aufgemacht, sie in den Dschungel zu verfolgen. Dort hatte er einen grob gewebten Beutel gefunden, der mit seinem eigenen identisch war und halb im Sand am Rande des Unterholzes vergraben lag.
Darin hatte sich eine weitere Karte befunden. Obwohl auf dieser Karte andere Symbole für die Frau und ihren Planeten verwendet wurden, war klar, dass sie ein gemeinsames Ziel hatten. Er schnaubte. Er hatte nicht nur nicht die Absicht, nach Taivan zurückzukehren, er hatte auch nicht vor, das begehrenswerte Weibchen wegzuschicken. Der andere Gegenstand in der Tasche war ein Satz Angelhaken, der sich als nützlich erweisen könnte. Er nahm sie an sich und vergrub den Beutel und die Karte wieder im Sand. Dann folgte er ihrer Spur und fand sie im Gespräch mit Peri. Ihre Sprache war ihm fremd, aber sein Übersetzungsimplantat fing bereits an, die Worte zu verarbeiten. Das verbesserte Gerät war teuer gewesen, aber die Fähigkeit, Gespräche zu verstehen, die eigentlich nicht für seine Ohren bestimmt waren, hatte sich im Laufe der Jahre oft als nützlich erwiesen.
Er hatte vorgehabt, sie zum Strand und dann zu seinem Lagerplatz zu treiben, aber als er beobachtete, wie sie mit dem Jungtier spielte und es so liebevoll fütterte, widerstrebte es ihm, sie zu stören. Die Tatsache, dass sie selbst nur wenig aß, war unerwartet beunruhigend. Als er darüber nachdachte, wie er sie mit zusätzlicher Nahrung versorgen könnte, erhob sie sich und begab sich zurück zum Strand.
Sie war nur wenige Zentimeter entfernt an der Stelle vorbeigelaufen, an der er sich hinter einem Gebüsch versteckt hielt. Nahe genug, dass er seine Hand um eine ihrer weichen, weißen Brüste legen oder mit beiden Händen nach den üppigen Kurven ihres Hintern greifen könnte, um sie an sich zu ziehen.
Nicht der richtige Zeitpunkt, erinnerte er sich und lenkte seine Aufmerksamkeit auf die Tatsache, dass sie keine Ahnung zu haben schien, dass er so nah war. Er seufzte. Keinerlei Überlebensinstinkte. Wer konnte so töricht sein, sie an einem solchen Ort auszusetzen?
Könnte sie vielleicht auch eine Gefangene sein? Wenn er jedoch ihr unschuldiges Gesicht betrachtete und darüber nachdachte, wie beschützend sie das Jungtier behandelte, hielt er es für unwahrscheinlich. Es sei denn, sie war ebenfalls einer Täuschung zum Opfer gefallen. Hmm.
Er dachte darüber nach, als sie sich unter einem Baum niederließ, um den Sonnenuntergang zu beobachten. Zweifellos war er genauso schön wie in der Nacht zuvor, aber heute Abend wollte er lieber ihr Gesicht beobachten.
War sie zu Unrecht verurteilt worden? War das Ganze eine Art Test, bei dem sich fälschlich angeklagte Gefangene ihren Weg in die Freiheit zurückverdienen konnten?
Er hatte immer noch nicht die Absicht, zurückzukehren, aber was, wenn sie zurückkehren wollte?
Nein, dachte er fest. Sie gehörte jetzt ihm.
Ein fremdes Gefühl, von dem er vermutete, dass es Schuldgefühle sein könnten, überkam ihn, als die Dunkelheit hereinbrach und das Mondlicht auf ihren Tränen glitzerte. Aber er hatte schon vor langer Zeit gelernt, dass Schuld ein nutzloses Gefühl war. Man tat, was man tun musste, um zu überleben und sich zu entfalten. Und mit ihr an seiner Seite könnte er sich sogar noch mehr entfalten. An seiner Seite und in seinem Bett.
Ausnahmsweise einmal wollte er sich jedoch nicht Hals über Kopf in einen Plan stürzen. Er hatte alle Zeit der Welt.
Er hätte sie unter dem Baum liegenlassen sollen. Er hätte warten sollen, bis sie hungrig, einsam und verzweifelt genug war, um von selbst zu ihm zu kommen. Aber er konnte es nicht. Als sie schließlich in einen unruhigen Schlaf fiel, konnte er nicht widerstehen. Er hob sie hoch und trug sie in sein Lager.
Als er sie sanft in seine Hängematte legte, erfüllte ihn eine tiefe Befriedigung. Ja. Hier gehörte sie hin.