Kapitel 17

D ie Tage gingen ineinander über und kein Tag war sonderlich ›besser‹. Von 5:00 Uhr morgens bis 17:00 Uhr nachmittags durchlief Idina die quälende Routine des Anziehens, Wartens, Essens, ›vielleicht einen Arzt für Impfungen oder zur Blutentnahme‹-Aufsuchens und dann wieder des Wartens, bevor sie wieder aß und wieder wartete und absolut nichts anderes tat. Ihr wurde klar, dass sie immer mit der gleichen Gruppe Menschen zusammen war.

Das blaue Handbuch der Armee war ein häufiger Begleiter in den Händen der meisten Rekruten, da sie sich nicht in einem überfüllten Raum mit Hunderten anderer, neuer Soldaten unterhalten durften, die in der gleichen, miserablen Existenz der Eingewöhnungsphase festsaßen. Das Handbuch war die einzige Quelle der Unterhaltung, die man tagsüber hatte. Daraus erfuhr sie, dass dies die Anfänge ihrer Kompanie waren.

Idina versuchte sich auf die Tatsache zu konzentrieren, dass ihr Taschenbuch alle Informationen enthielt, die sie wissen musste, wenn sie endlich mit der ersten Phase der Grundausbildung beginnen würde. Es beschrieb das Credo der Soldaten, was es bedeutete, ein Soldat der Vereinigten Staaten zu sein, und welche Arten von Training und Übungen sie nach dieser endlosen Monotonie erwarteten. Wenn sie nicht vorsichtig war, schlief sie beim Lesen meistens ein.

Sie durften nicht trainieren, wie ein Sergeant bewies, der in den Flur aus einem anderen Untersuchungsraum herauskam und einen der jüngsten Rekruten bei Sit-ups an der Wand erwischte.

»Shreider! Wer hat Ihnen gesagt, dass Sie trainieren sollen?«

»Hm?«, der Junge stoppte auf halbem Weg und starrte den Sergeant an.

»Ich habe Sie etwas gefragt, Rekrut.«

»Niemand. Ich war …«

»Das ist richtig. Niemand hat es Ihnen gesagt. Wollen Sie mir weismachen, dass Sie es besser wissen als die Unteroffiziere in dieser Kaserne?«

Shreider kämpfte sich auf die Beine und sagte kein einziges Wort.

»Das dachte ich mir. Lassen Sie mich nicht noch einmal erleben, dass Sie so einen Scheiß machen. Setzen Sie sich wieder, Shreider.«

Am Ende des ersten Tages, nachdem sie wieder einmal in ihren zehn kurzen Minuten so viel Essen in sich hineingestopft hatte, wie sie konnte, war Idina noch nicht ganz bereit zu schlafen, als sie in den Frauenschlafsaal zurückkehrte. Nun hatte sie endlich die Gelegenheit, mit jemandem zu reden, der kein Arzt oder ein am Empfang stationierter Soldat war, der ihr Fragen stellte oder ihr sagte, was sie tun sollte.

Amber kam in den Saal, kurz nachdem Idina sich auf ihr Bett fallen gelassen hatte und an die Decke starrte. »Ich bin mir ziemlich sicher, dass der Shuttlebus eine falsche Abzweigung genommen und uns in der Hölle statt in Fort Leonard Wood abgeliefert hat.«

Idina kicherte und stützte sich auf ihrem Ellbogen ab. »Glaubst du, sie kennen den Unterschied?«

»Wahrscheinlich nicht. Sie tun, was man ihnen sagt.« Das Mädchen setzte sich auf ihr Bett und seufzte, bevor sie sich nach vorn lehnte und den Kopf in ihre Hände stützte.

»Petrie, richtig?«

Das Mädchen sah mit einer hochgezogenen Augenbraue hoch. »Wow. Ich kann mich gerade kaum noch an meinen Namen erinnern. Aber ja. Du bist …«

»Idina Moorfield.«

»Richtig. Mein Gehirn ist am ersten Tag irgendwann ausgefallen.« Amber grinste und reckte Idina ihr Kinn entgegen, als weitere Frauen in den Saal strömten. Viele von ihnen tranken aus ihren vollen Trinkrucksäcken, während sie ihre Blaubücher aufschlugen und sich auf die Kojen warfen. »Also, Moorfield. Warum bist du zur Armee gegangen?«

Idina schnaubte. »Die Wahrheit?«

»Nein, lüg mich verdammt noch mal an. Da stehe ich total drauf.«

Sie lachten beide.

Es ist keine Überraschung, dass mich ein Gespräch mit jemandem aus der Armee ein bisschen an ein Gespräch mit Bryan erinnert, wenn er bekifft ist.

Idina zuckte mit den Achseln. »Ich glaube, es fing damit an, dass ich meiner Familie den Stinkefinger zeigen wollte. Sie haben ihn mir direkt zurückgegeben, also habe ich mich verpflichtet.«

»Ohne Scheiß«, kicherte Amber. »Du bist also eine von denen

»Eine von denen

Ein anderes Mädchen mit aschblonden Haaren, die sie zu einem Pferdeschwanz gebunden hatte, hielt an Idinas Bett. »Du willst deinen Eltern mit einem ›Fick dich‹ zeigen, was du willst, hm?«

Amber lachte. »Siehst du? Sie versteht es.«

»Wenigstens haben sie dich nicht zur Armee geschickt «, fügte die Blondine hinzu, bevor sie auf das Bett über Idina kletterte.

»Deine haben das gemacht?«, fragte sie und reckte den Hals, um das Gesicht des anderen Mädchens zu sehen, das über die Matratze herunter ragte.

»Gut, es war entweder das oder der Knast. Das ist zumindest der Deal, den ihr Anwalt vorgeschlagen hat. Momentan denke ich, dass das Gefängnis vielleicht besser gewesen wäre. Frag mich nicht, was ich getan habe. Meine Eltern sind Drecksäcke, die ihr Kind anzeigen wollten, und das ist alles was zählt.«

Einige der anderen jungen Frauen starrten sie verwirrt an, bevor sie leise in ihre Kojen gingen oder sich mit denen unterhielten, die sie bereits kennengelernt hatten.

Amber warf Idina eine übertriebene Grimasse zu, bevor sie ein paar unsichtbare Fussel von ihrer Uniformhose zupfte.

»Was ist mit dir?«, fragte Idina sie.

»Warum ich hier bin?«

»Ja.«

Amber zuckte mit den Schultern. »Mein Opa ist Lieutenant General und zwei meiner Brüder sind bei den Special Forces.«

»Es ist also eine Familiensache bei dir.«

»Nein, ich hatte es satt, all ihre tollen Geschichten zu hören und war es leid, etwas zu verpassen.«

Einige der anderen Rekrutinnen, die das mitbekommen hatten, lachten und das blonde Mädchen in der Koje über Idina schnaubte. »Ja, bis jetzt ist es echt geil.«

»Warte nur, bis wir hier rauskommen.« Amber schnürte ihre Stiefel auf und zog sie aus. »Falls wir hier jemals rauskommen.«

»Wann sollt ihr denn los?«, fragte Idina.

»Erster September«, murmelte Amber. »Ehrlich gesagt, weiß ich nach den letzten Tagen nicht, wie sie uns alle bis dahin abfertigen wollen. Ich konnte mich nicht länger als zwei Minuten mit einem Arzt zusammensetzen, bevor sie uns zur Mittagspause riefen.«

»Übermorgen bin ich raus«, fügte die Blondine über Idina hinzu. »Vermutlich.«

»Wohin?«

Die Blondine steckte ihren Kopf weiter über den Bettrand hinaus und sah Idina in die Augen. »Wie heißt du?«

»Moorfield«, antwortete Amber für sie, während sie sich auf ihr Bett legte und mit einem Seufzer die Augen schloss.

»Okay, Moorfield. Ich gehe dorthin, wo man mich hinschickt, und wenn in zwei Tagen die Eingewöhnungsphase für dich nicht endet, dann nicht mit dir.«

Idina hob eine Augenbraue, als die andere, junge Soldatin versuchte, sie mit einer derartigen Kaltschnäuzigkeit zum Kapitulieren zu bringen. »Du hast also etwas so sehr vermasselt, dass du nicht darüber reden willst, was?«

Ein paar andere Mädchen um sie herum lachten und Amber prustete. »Sie hat dich wie ein verfluchtes, offenes Buch gelesen, nicht wahr?«

Die Blondine grinste und zeigte Idina den Mittelfinger, bevor sie sich wieder in ihr Bett rollte und verstummte.

Das werte ich als ein Ja. Sie hat recht. Es geht mich nichts an. Aber es hört sich so an, als würden Amber und ich in die gleiche Richtung gehen, also kenne ich wenigstens noch eine Person. Eine Person, die aus einer Militärfamilie kommt und wahrscheinlich eine Vorstellung davon hat, was auf sie zukommt, wenn das alles endlich vorbei ist .

Sie überlegte, ob sie sich wie Amber und die namenlose Blondine über ihr hinlegen sollte, aber sie hatte sich zu viel Essen in den Magen gestopft, um erholsam schlafen zu können. Einige der anderen Rekrutinnen in dem Frauenschlafsaal hatten kleinere Kreise geformt, um zu reden, aber jetzt war nicht der richtige Zeitpunkt, um herumzulaufen und Freunde zu finden.

Ich muss nur noch fünf Tage durchhalten, dann bin ich wirklich dabei. Hoffentlich gibt es in der Grundausbildung viel mehr zu tun. Bis jetzt sieht es so aus, als wären Langeweile und Erschöpfung besser für meine Anfälle als alle Medikamente. Im Augenblick.