I n dieser Nacht schliefen sie nicht mehr als in den beiden vorangegangenen Nächten, nachdem die Ausbilder sie entlassen hatten, um in die Schlafsäle zurückzukehren. Idina fiel für etwas weniger als drei Stunden in einen tiefen, traumlosen und ungestörten Schlaf, bis es Zeit war, aufzustehen und weiterzumachen. Sie musste ihrem Platoonführer und dem leitenden Unteroffizier ihres Platoons folgen, denn das war ihre Aufgabe.
Irgendwie schaffte sie es.
Genau wie jede andere Frau der Bravo Company, außer einer. Sie war beim Laufen während ihrer Mitternachtssitzung zusammengebrochen, unglücklich gelandet und musste mit einer Gehirnerschütterung zur Krankenstation gebracht werden. Das gehörte dazu.
Einige Soldaten würden sich verletzen. Sie mussten heilen, sich erholen und die verlorene Zeit wieder aufholen, wenn ihre Genesung zu lange dauerte. Alle anderen mussten die letzten Wochen der Grundausbildung durchhalten, denn dafür hatten sie sich gemeldet und das waren sie jetzt.
Das Erste Platoon war während des morgendlichen Frühsports total erschöpft, aber sie schafften es. Während ihrer dreiminütigen Frühstückszeit so viel Essen wie möglich in den Mund zu schaufeln erforderte kein Denken, diese Handlung war leicht und pünktlich zu erledigen, da sie das schon seit Monaten machten.
Obwohl sie betäubt, erschöpft und in jeder Hinsicht ausgelaugt war, gewöhnte sich Idina an das Gefühl. Vielleicht genoss sie es sogar. Folge ihnen einfach durch alles, was sie uns abverlangen. Das ist alles, was ich tun muss. Das war’s.
Durch die Taubheit hindurch bemerkte sie, dass das brennende Kribbeln der Energie, das sie am frühen Morgen zu der gottlosen Stunde durchströmt hatte, als die Bravo Company rundgemacht wurde, verschwunden war. Es kam nicht mehr zurück.
Nach dem Essen marschierte Idina in Formation mit dem Rest ihres Platoons auf den Hof vor dem Kompaniegebäude, wo Staff Sergeant Remmington und Corporal Staffhouse fast genauso erschöpft aussahen wie ihre Rekruten. Als das Platoon strammstand, um die nächsten Befehle für den Tag entgegenzunehmen, in voller Erwartung einer weiteren Runde nutzloser, niederer Aufgaben, die sie nicht weiterbringen würden, dauerte es einen Moment, bis sie Remmingtons nächste Befehle vollständig verinnerlicht hatten.
»Ich hoffe, ihr seid heute Morgen bereit, Soldaten. Wenn nicht, Pech gehabt. Uns steht ein kleiner Geländemarsch bevor.«
Das gesamte Platoon marschierte in voller Kampfmontur los, mit schweren Rucksäcken und Schusswaffen in der Hand, ohne zu wissen, was zum Teufel ›ein kleiner Geländemarsch‹ bedeutete. Niemand wusste es und es war schwer genug, etwas anderes herauszufinden als die Tatsache, dass Remmington sie verarscht hatte, als er ihn klein genannt hatte.
Von wegen klein. Nach zweieinhalb Tagen und drei Nächten in der Hölle ohne die Möglichkeit, ihren Körpern das zu geben, was sie brauchten, folgte das Erste Platoon ihren Drill Sergeants zu einem zwanzig Kilometer langen Marsch über offenes Gelände, das sich hinter den Kasernengebäuden erstreckte. Sie hielten nicht, um sich auszuruhen. Sie machten keine Pause zur Verpflegung und Idina wurde schnell klar, dass sie das auch nicht getan hätten, wenn sie Rationen für den Marsch dabei gehabt hätten.
Das Platoon bewegte sich mit konstanter Geschwindigkeit in einem riesigen Kreis, der einen weiten Bogen um die umliegende Wildnis von Fort Leonard Wood machte. Wann immer ein Rekrut stolperte oder es so aussah, als würde er aufgeben, zogen ihn seine Kameraden wieder auf die Beine hoch, richteten ihn auf und trieben ihn in stiller Solidarität weiter.
Keiner wollte versagen. Keiner wollte wieder so fertig gemacht werden, weil einer von ihnen dachte, er würde es nicht schaffen. Sie saßen alle im selben Boot und das war für alle beschissen.
Dann kamen sie endlich zum Schießplatz. Zweiundsiebzig Stunden ohne richtigen Schlaf, mit der halben, gewohnten Essensmenge und seit dem Frühstück ohne Essen sowie mit Vorgesetzten, die nun erwarteten, dass sie sich in diesem Zustand auf dem Schießplatz bereit machten und sich mit ihren Waffen qualifizieren würden.
Staff Sergeant Remmington und Corporal Staffhouse schienen nicht zu bemerken, wie erschöpft, niedergeschlagen und völlig fertig ihre Soldaten waren.
Sie wissen es, ja. Idina schnappte sich ihr automatisches Gewehr und bereitete mit ihrem restlichen Platoon ihre Waffen vor, während die erste Welle Soldaten Schüsse abfeuerte und versuchte, ihre Ziele zu treffen. Es ist ihnen egal. Weil sie wissen, dass wir es können. Ich kann nicht mal geradeaus schauen, aber ich …
Das klingende Ping von McCoys Schüssen, die jedes einzelne Ziel in schneller Folge trafen, ließ sie innehalten.
Scheiße, wenn McCoy es kann, dann können wir es alle .
Sie richtete ihr Visier zusammen mit der nächsten Welle Soldaten auf die Ziele und entfesselte ein Höllenfeuer auf dem Schießplatz. Die Luft war mit dem ohrenbetäubenden Dröhnen der Schüsse erfüllt, die ihre Ziele mit Löchern versah. Vielleicht traf das Platoon ihr Ziel. Vielleicht aber auch nicht. Jeder Soldat konzentrierte sich auf seine Aufgabe und setzte einen Fuß vor den anderen, um den Rest dieses Albtraums zu überstehen.
Als es vorbei war, marschierte das Erste Platoon sofort zurück zur Kaserne und nahm im Hof Aufstellung.
Remmington blieb vor ihnen stehen und blickte in die hageren, kaputten Gesichter seines Platoons. »Das war euer Schießen unter Stress, Soldaten. Ihr seid Pioniere. Es wird eine Zeit geben, in der euch die Strapazen des aktiven Dienstes in dieselben stressigen und lähmenden Situationen bringen werden. Kein Schlaf. Kein Essen. Kein offensichtlicher Ausweg. Eure Pflicht als Soldat der US Army ist es, in Bewegung zu bleiben, egal was passiert. Eure Mission, mit eurem Team, eurer Squad, eurem Platoon so fortzusetzen, wie wir es von euch erwarten. Auch unter größter körperlicher und geistiger Anstrengung wachsam zu bleiben. Das ist euer Job. Das ist es, was ihr seid.«
Er musterte ihre Aufstellung noch einmal und nickte. »Glückwunsch, Erstes Platoon. Ihr seid noch am Leben. Ihr seid für den Rest des Tages entlassen.«
Die Soldaten fielen wie benommen aus der Habachtstellung und wagten es nicht, ihre Entlassung für den Rest des Tages zu glauben, ohne es für eine Art Trick zu halten.
»Erstes Platoon, wegtreten!«, rief Staffhouse. »Der Rest des Tages gehört euch, Soldaten. Wollt ihr ihn vergeuden, indem ihr auf dem Hof herumlungert?«
Das brachte sie wieder in Bewegung. Das Platoon fiel aus der Formation und schlurfte wie Zombies in das Kasernengebäude.
Sie hatten das Mittagessen verpasst, aber so hungrig sie auch waren, so erschöpft waren sie auch. Idina ging direkt in den Frauenschlafsaal und schaffte es nicht einmal, ihre Stiefel aufzubinden, bevor sie in ihrem Bett einschlief und in einen schweren, seligen Schlaf fiel. Selbst ihre schmerzenden Muskeln und das Brennen hinter ihren Augen reichten nicht aus, um sie wach zu halten.
Wir haben es geschafft. Es spielt keine Rolle, was es ist. Wir sind immer noch hier. Wir haben noch zweieinhalb Wochen vor uns.
* * *
Idina schlief fünfzehn Stunden durch und selbst diese Zeitspanne machte es ihr nicht leicht, am nächsten Morgen um 5:30 Uhr aus ihrem Bett zu kriechen und zum Training zu gehen. Sie war wund, steif, immer noch erschöpft und ausgehungert, aber der Kampfsport und das Sparring für die Sportklassen an diesem Morgen erschienen ihr viel einfacher.
Jeder Soldat des Ersten Platoons schöpfte seinen Teller beim Frühstück extra voll und schaffte es trotzdem, alles in den vorgegebenen drei Minuten hinunterzuschlingen.
Dann wurde ihnen gesagt, dass sie ihren letzten Sporttest vor sich hätten. »Euer Minimum sind einhundertfünfzig Punkte, um die Grundausbildung zu bestehen«, schnauzte Remmington. »Wenn ihr diese Punktzahl bei eurem ersten Sporttest nicht erreicht habt, solltet ihr sie jetzt unbedingt erreichen. Nur wenn ihr diese Prüfung besteht, habt ihr die Blaue Phase bestanden und seid bereit für eure letzte Feldübung.«
Einige der Rekruten kicherten. Sie hatten in den letzten zwei Monaten so viele Liegestütze, Sit-ups und Läufe ohne Zeitmessung gemacht, dass ihnen die Wiederholung desselben Fitnesstests, um die Grundausbildung abzuschließen, wie ein Witz vorkam. Vor allem nach all dem, was sie in den letzten vier Tagen durchgemacht hatten.
Die Soldaten, die es bis hierher geschafft hatten, bestanden den Fitnesstest mit weit mehr als einhundertfünfzig Punkten pro Rekrut. Sie waren bereit. Bereit zu sein bedeutete, dass sie jetzt vorbereitet genug waren, um Probleme bei der Feldübung zu bewältigen – sprich Camping im Feld.
Nach den zurückliegenden Wochen, die sie bisher damit verbracht hatten, durch die Wälder zu marschieren, das Errichten von Notunterkünften zu üben und sich als Platoon und einzelne Squads effizienter zu bewegen, war es für Idina und ihre Kameraden kein Problem, die gestellten Probleme zu lösen. Das Schlimmste an der Sache war, dass es jetzt November war. Die Nächte waren also unglaublich kalt.
Sie hatten zwar ihre Schlafsäcke, um sich warmzuhalten, aber diese Ausrüstung war für viel kälteres Wetter gedacht. So verbrachten sie die Nächte damit, abwechselnd in ihren Schlafsäcken zu schwitzen, die Reißverschlüsse zu öffnen, um an die frische Luft zu kommen, nur um Minuten später wieder zu frieren und sich wieder einzupacken.
Dann folgten weitere Feldübungen in Form von nächtlichen Kampfeinsätzen, an denen auch die Drill Sergeants teilnahmen. Nur nicht zum Vorteil der Rekruten.
Die einzelnen Squads planten ihre Angriffsrouten für jede Übung – in den Wäldern, auf freien Feldern, in den auf dem Stützpunkt errichteten städtischen Anlagen und rund um die Kaserne bei verstärkter Brandwache. Dabei mussten die Soldaten eine volle Kampfmontur und eine Taschenlampe jonglieren.
In der Zwischenzeit taten die Drill Sergeants ihr Bestes, um die Pläne zu sabotieren, an denen die Erste und Zweite Squad eifrig gearbeitet hatten.
Die Soldaten übten Flankenbewegungen, dieses Mal während ihrer Übungen im Felde. Sie lernten durch Ausprobieren, was es hieß, einen Hinterhalt für den Feind, ihre Drill Sergeants, zu legen und was es bedeutete, in einen Hinterhalt zu geraten .
Bei nächtlichen Kampfeinsätzen halfen ihnen ihre Nachtsichtgeräte nur, wenn der Mond schien und die Dunkelheit des Waldes sie nicht einhüllte. Jede Squad lernte in Kampfsituationen zusammenzuarbeiten, als eine Einheit zu agieren, wort- und lautlos Befehle zu geben und zu empfangen und sie effektiv auszuführen.
Sogar in der Kälte. Sogar bei Dunkelheit. Selbst wenn sie vierundzwanzig Stunden am Stück wach waren, weil sie während der Nachtübungen keine Zeit zum Schlafen hatten.
Dabei war Idina besonders gut, vor allem nachts. Das lag daran, dass ihre grünen Lichter wieder da waren, wenn auch anders als in ihrer Kindheit und Jugend.
Ihr Verstand arbeitete schneller als jemals zuvor. Sie konnte in Sekundenschnelle fünf verschiedene Szenarien durchspielen und das finden, welches am wahrscheinlichsten zum Erfolg führen würde. Zuerst dachte sie, das läge nur daran, dass sie ihre Drill Sergeants so lange beobachtet hatte. Sie hatte sie kennengelernt und wusste, wie sie in bestimmten Situationen reagierten, wie sie es auch bei ihren Kameraden getan hatte. Sie hatte sozusagen gelernt, das Spiel so zu spielen, wie sie es auf Moorfield Manor bei ihrer ganzen Familie gelernt hatte.
Genau betrachtet gab es keinen großen Unterschied. Die Armee interessierte sich nicht für Idina Moorfield als Person – nicht dafür, wer sie war, was sie wollte, woher sie kam und was sie an seelischem Ballast mit sich herumtrug. Alles, was sie wissen wollte, war, dass sie ihren Job machen und ihre Befehle ausführen konnte.
Ihre Familie war ihr ganzes Leben lang genauso gewesen.
Das Erste Platoon nahm nachts an einer weiteren Feldübung teil und erhielt als Ziel ›feindliche‹ Drill Sergeants, die sie in den letzten neun Wochen nicht studieren und so vielleicht verstehen konnte. In diesem Moment wurde Idinas Fähigkeit, strategische Lösungen für die Hindernisse ihrer Squad zu finden, zu etwas ganz anderem.
Es war das erste Mal, dass ihre grünen Lichter wieder auftauchten, nachdem sie kurz vor einem richtigen Anfall gestanden hatte.
Seit sie sich erinnern konnte, beschränkten sich die grünen Lichter darauf, ihr den nächsten Schritt anzuzeigen – die richtige Antwort, das fehlende Teil oder einen zusätzlichen Strich in einem ihrer Kunstprojekte – also auf das, was direkt vor ihr lag. Sie konnte Antworten sehen, die andere nicht sehen konnten, genauso wie sie ihre grünen Lichter nicht sehen konnten, wenn Idina nicht gerade einen ausgewachsenen Anfall hatte. Soweit sie wusste, funktionierten die Lichter nur, wenn das Problem und die Lösung buchstäblich vor ihrer Nase lagen.
Jetzt erschienen Idinas grüne Lichter in einer Art, die viel größer war als nur sie und ihre unmittelbare, jeweilige Umgebung. Sie begannen ihr die Hindernisse ihrer gesamten Squad zu zeigen und halfen ihr verblüffende Lösungen zu finden, denen sie einfach vertrauen musste.
»Okay, wir machen Folgendes«, flüsterte Masterson, als das Zweite Platoon unter einem Baum kauerte, mit ihrem Ziel vor Augen, einem großen, schlichten Betonturm mitten im Nirgendwo von Fort Leonard Wood. »Team Alpha flankiert links. An der Westseite des Turms gibt es einen Schrotthaufen, den ihr als Deckung nutzen könnt. Ihr geht erst rein, wenn Team Bravo von rechts flankiert, um die Tür zu stürmen. Wenn wir dort sind …«
Idina hörte auf zu lauschen, denn die Lichter, die sie am dunklen Himmel in der Nähe des Turms sah, erregten ihre Aufmerksamkeit.
Keine normalen Lichter. Nichts, was es in einer normalen Umgebung, ob Feldübung oder anderweitig, überhaupt geben sollte.
Grüne, schimmernde Fäden zogen sich vom Schrotthaufen, auf den Masterson deutete, in einem spitzen Winkel seitlich zum Turm hinauf. Sie waren viel dicker als die schimmernden Fäden, zart wie Spinnenseide, die sie bei ihren Kunstprojekten oder beim Durcharbeiten einer numerischen Lösung gesehen hatte, bevor ihre Familie sie gefeuert hatte.
Es waren Fäden, die sie noch nie gesehen hatte.
Idina studierte den Turm sowie die leuchtenden grünen Fäden und wusste ohne Zweifel, was sie zu bedeuten hatten.
Dort ist ein Fenster. Wir können es nicht sehen, aber dadurch werden die Drill Sergeants wissen, dass wir da sind. Woher zum Teufel kann ich das wissen?
»Das wird nicht funktionieren«, unterbrach sie Masterson.
Masterson, als aktueller Squadführer, hörte auf seine Strategie zu erläutern und alle starrten sie an. »Warum nicht, Moorfield?«
»Es gibt ein Fenster an der Westseite des Turms. Eine direkte Sichtlinie zum Schrotthaufen. Sie werden das Alpha-Team sehen, sobald wir diese vermeintliche Deckung erreichen, und das Bravo-Team wird nicht einmal die Hälfte des Weges bis zur Tür zurückgelegt haben, bevor die Ausbilder uns sehen.«
Amber schnaufte. »Woher zum Teufel weißt du, dass dort ein Fenster ist?«
Idina schüttelte den Kopf. »Ich muss es vor einiger Zeit bei einer der anderen Übung gesehen haben. Vertraut mir. Es ist da.«
Jetzt klinge ich verrückt. Die ganze Sache ist wahnsinnig. Ich sehe wieder grüne Lichter. Nur kommen sie nicht aus meinen Händen oder markieren die richtige Antwort. Nur eine riesige Spinne, die angefangen hat, ein Netz in die Luft zu spinnen oder irgendein anderer dumme r Scheiß, den ich mir ausgedacht habe . U nd ich bin die Einzige, die es sehen kann, weil ich entweder verrückt bin oder möglicherweise schummle.
»Ach du Scheiße.« Masterson zuckte mit den Achseln. »Moorfield hat sich schließlich noch nie geirrt.«
»Das stimmt nicht.« Sie starrte ihn in der Dunkelheit an. »Ich habe nicht immer recht. Ich liege nur bei dieser Sache richtig.«
»Für mich reicht das. Streicht den Schrotthaufen.« Masterson warf einen Blick über seine Schulter auf den Turm. »Wir warten, bis der Wachposten seine Runde gedreht hat. Sobald er an der Nordseite des Turms verschwindet, wird das Alpha-Team …«
Idina blendete ihn aus, denn in ihrem Kopf blitzten bereits Bilder in verschwommenen, grünlichen Farben auf. Die ›feindliche‹ Wache, die sie gesehen hatten, als sie ihre Runden um den Turm drehte. Die Zeit zwischen den einzelnen Runden. Zahlen, die nicht zusammenpassten.
»Er läuft keine feste Runde«, murmelte sie.
»Mein Gott, Moorfield«, flüsterte DeLafor mit einem Grinsen. »Wir wissen, dass du die Anführerin des Bravo-Teams bist, aber lässt du den anderen Teamführer auch mal ausreden oder was?«
»Ja. Es ist nur …« Die Bilder tauchten wieder auf, Zahlen, Sekunden und die Anzahl der feindlichen Kämpfer in und in der Umgebung des Turms, die in schneller Folge durch ihren Kopf schossen und alle durch einen Schleier aus grünem Licht schwebten. Idina kniff die Augen zusammen und schüttelte den Kopf.
»Whoa. Moorfield, du hast doch das Essen nicht ausgelassen, oder?«
»Nein, es geht mir gut.«
»Du siehst beschissen aus.«
Idina beruhigte sich, öffnete die Augen und gab ihrer Squad die Informationen weiter, die ihr in den Kopf geschossen waren, ohne zu erklären, wie oder warum sie da waren. Auch sie hatte keine Erklärung dafür. »Der Wachposten dreht keine konstanten Runden. Seit fünfzehn Minuten wechselt er sie durch. Sechzig Sekunden, dann eine Drehung. Eine volle Runde mit einer fünfsekündigen Pause. Dreißig Sekunden außer Sichtweite auf der anderen Seite des Turms, ohne zu wissen, ob er links oder rechts um den Turm geht.«
Pierce schnaubte. »Moorfield macht einen auf Inselbegabung.«
Sie ignorierte ihn. »Wir können den Turm nicht vom Boden aus angreifen.«
»Was soll der Scheiß, Moorfield? Wir haben keine Flugzeuge …«
»Nein, ich meine nicht vom flachen Gelände. « Idina schaute hinter dem Turm hoch und stellte fest, dass eine Felswand aus dem Berg weggesprengt worden war, um Platz für diesen Turm zu schaffen. Selbst ohne ihr Nachtsichtgerät leuchtete die Spitze des Felsens in einem grün schimmernden Licht in der Dunkelheit, das nur sie sehen konnte.
Ich habe keine Ahnung, warum meine Lichter mit Superkräften ausgestattet sind, aber ich weiß, dass es funktionieren wird.
»Seht ihr den Bergrücken auf der Nordseite? Etwa einen Kilometer hinter dem Turm.«
Ihre Squad drehte sich um und spähte durch die Dunkelheit.
»Was ist damit?«
»Die Klippe ist ein großes logistisches Hindernis. Sie werden niemanden erwarten, der von Norden her kommt. Wer würde den ganzen Weg nach oben gehen, um wieder hinunter zu klettern, wenn es hier Bäume gibt, einen Schrotthaufen auf der Westseite und einen Wachposten, der nicht alle Seiten des Turms gleichzeitig sehen kann?«
Ihre Gruppe starrte sie verwirrt an, dann lehnte sich Masterson von ihr weg. »Scheiße. Du hast recht, ja. Okay, neuer Plan, weil Moorfield auf einem Trip ist und aus einem unerfindlichen Grund Eier in der Hose hat, aber es ergibt Sinn.«
Als ihr Squadführer ihnen den neuen Plan erläuterte, zwang sich Idina, so zu tun, als würde sie zuhören. Ihre Aufmerksamkeit galt den seltsamen Ereignissen – den Bildern in ihrem Kopf, den grünen Fäden, die so dick wie Kabel waren, dem Wissen, das sie plötzlich zu haben schien und das von nichts zu kommen schien, das sie absichtlich tat.
Ich kann niemandem davon erzählen. Sie würden mich für verrückt erklären. Selbst wenn sie mir glauben würden, Lichter am Himmel zu sehen und irgendwie zu wissen, was sie bedeuten, fühlt es sich wie Betrug an. Mit kleinen, blinkenden Lichtern direkt vor mir und gelegentlichem Nebel kann ich umgehen, aber ich habe keine Ahnung, was das ist.
* * *
Die Zweite Squad war mit ihrem Plan nicht ganz erfolgreich gewesen, aber sie überraschten die ›feindlichen‹ Drill Sergeants. Das allein schon schien ein großer Sieg zu sein, bevor ihre Gegner sie gefangen nahmen und ihre aktuelle Übung zu Ende war.
Idina musste über den Stolz in den Gesichtern ihrer Kameraden schmunzeln, als sie Belobigungen dafür erhielten, dass sie so weit gekommen waren. Niemand erwähnte etwas von Idinas seltsamer Fähigkeit, in sehr kurzer Zeit einen ganz anderen Plan zu entwickeln, denn niemand fragte danach.
Auch ihr Schwindelanfall während des unerwarteten Bombardements von all den Bildern in ihrem Kopf und den Informationen, von denen sie nicht wusste, wie sie diese rechtfertigen sollte, blieb unerwähnt. Sie hatten den Job erledigt. Wenn man eine Squad angehender Soldatinnen und Soldaten gegen erfahrene Drill Sergeants antreten ließ, standen die Chancen nicht gerade gut, dass sie einen Hinterhalt erfolgreich ausführen und feindliche Kämpfer gefangen nehmen konnten.
Die Überraschung war mehr als genug Belohnung, selbst als Idina und ihre Squad gefangen genommen, grob behandelt und angewiesen wurden, neben dem Turm zu übernachten, bevor sie am Morgen wieder in die Kaserne zurückkehrten.